Ich halte bekanntlich nichts davon, Journalisten bloggen zu lassen – die können das nicht. Ãœberhaupt nichts halte ich auch von der Idee, sie unbeaufsichtigt an Themen ranzulassen, die ein wenig Fachkenntnis verlangen, die ihnen abgeht. Wie sowas daneben geht, kann man aktuell beim Blog Dezentrale von Mario Sixtus betrachten, das das Handelsblatt mit einem billigen Webfundstück in Kombination mit Unkenntnis der Materie und flotten Behauptungen auf das Niveau einer Mig 27 bringt, die gerade mit Mach 2.0 in den Boden geknallt ist.

Ich habe keine Ahnung, ob Mario Sixtus wirklich einen Kumpel hat, der Sportphotograph für Print ist. Wenn, dann hat er entweder keine Ahnung von seiner Tätigkeit, oder er hat vergessen, Mario Sixtus ein paar Grundbegriffe der Sportphotographie mitzuteilen. Es wird in der Dezentrale behauptet:

Sobald Videokameras eine ausreichende Auflösung besitzen, wandert der Beruf des Sportfotografen auf die Rote Liste. Der Videoreporter nimmt einfach alle Spielszenen mit und fischt später die entscheidenden Momente als Stills aus dem Videostrom.

Dann verweist er auf diesen amerikanischen Blogeintrag, in dem ein Multimedia-Journalist zitiert wird, der seine Bilder für Multimedia als Frames von seiner HD-Videokamera zieht:

With high-definition video, you can literally take the feed and go frame-by-frame and pick whatever still you want. Don’t gasp — I know that’s horrible for still photographers! And you feel dirty doing it. You always get the ball in the right spot. You always get the person walking through the light at the right moment. It does feel dirty.”

Wie gesagt: Kleine Bildchen für das Internet. Nicht Print. Dennoch schreibt Sixtus flink zusammen:

Zumindest für Tageszeitungen könnte die Qualität eines HD-Stills vielleicht ausreichen. Mittelfristig wird es Formate geben, die das auf jeden Fall erledigen.

Zum ersten Satz – da hat der Verfasser vielleicht den Beitrag jenseits des passenden Zitates nicht weitergelesen. Da steht nämlich, welche Kamera benutzt wird, sogar mit Web2.0igem (!) Link (!!)zum Anclicken (!!!), eine semiprofessionelle HDR-FX1. Print, eh? Die Kamera bietet eine verwendbare Auflösung von gerade mal 1,07 Mio. Pixel. Aufgenommen im datenreduzierten Mpeg-Format und HD 16:9 Seitenverhältnis. Selbst unter optimalen Bedingungen, einem perfekten Mitnehmen der Situation bleiben nach dem Framing, dem Beschneiden des Bildes – ein Sportler ist als Zweibeiner oder selbst als Halbaffe ja meistens eher 9:16 als 16:9 – 0,5 Megapixel übrig. Als datenreduziertes Bildchen. Und das soll für Print reichen? Klopapier bedrucken oder was? Aber hallo.

Zum zweiten Teil. Die mittelfristig aufkommenden Formate. Typisch Technikfreak ohne Wissen: Das, was Sixtus als “Format” bezeichnet, gemeint ist mutmasslich die Auflösung, ist bei der Sportphotographie ziemlich irrelevant. Nehmen wir aber mal an, die obige Filmkamera brächte es nicht auf 1 Megapixel, sondern auf 10. Es wird lange dauern, bis die Glotze mal so weit auflöst, weil es für Bewegtbild jeseits der Kinoleinwand überflüssig ist, aber nur mal angenommen. Bleiben nach dem Framing 5 Megapixel. Und nehmen wir noch an, dass die heutigen, störenden Artefakte weitgehend verschwunden sind. Dann haben wir faktisch immer noch eine Digitalkamera. Und das ist ein Problem. Denn Digicams kommen bei der Lichtempfindlichkeit schnell ins Schleudern und reagieren mit hässlichen Störungen. Amateure mit normalen Spiegelreflexkameras nehmen 400 ASA, Profis dagegen nehmen 1600 ASA. Und pushen die auf bis zu 6400 ASA, ohne dass die Qualität darunter leidet. Sprich, wo eine Filmknipse Blende 1/100 oder 1/50 Sekunde zum Auslösen braucht, braucht eine Analogkamera lässig um 1/1000 Sekunde. Oder weniger. Da geht noch einiges. Was enorm viel ist bei jeder Sportart, bei der es um Geschwindigkeit geht. Das ist ungefähr der Unterschied zwischen verwischtem Streifen und scharfem Ball.

Das heisst, der Unterschied wäre so, wenn denn die Filmkamera ein echtes Obejktiv hätte und nicht eine Linsensammlung, die alles vom Weitwinkel bis zum “12fach”-Zoom hat. Mit sowas kann man keinen Sport photographieren. Sowas bringt an den Rändern ekelhafte Vignettierungen – das heisst, das Bild wird dort dunkler – und Verzerrungen im Telebereich. Dazu kommt, dass Profis nicht mit automtischer Blende photographieren, wie sie in den Digifilmkameras steckt, sondern mit etwas höherer Blende, um die Tiefenschärfe zu erhöhen. Damit nicht nur ein Mann scharf ist, sondern eine ganze Szene. Und oft nehmen sie Dinger wie die Canon EF-L USM Serie. Das sind diese weissen Rohre, die man so oft bei Phototerminen und hinter den Toren sieht. Die kosten mal eben das Doppelte der obigen Digicam. Weil sie auch über den halben Fussballplatz hinweg gute Bilder machen. Und nicht irgendwelche verwischten, trüben Frames, die man allenfalls ins Netz klatschen kann. Wie es der verlinkte amerikanische Blogeintrag durchaus vernünftig beschreibt.

Lange Rede, kurzer Sinn: Der Fortschritt der technischen Auflösung spielt keine wichtige Rolle. Zehn mal so viele Pixel bringen nichts, wenn das Objektiv nichts taugt und hinten keine kurzen Verschlusszeiten möglich sind. Ein Äquivalent für das Rohr, das man an eine Kamera schrauben kann, wird man nie an einen Camcorder diesseits der Profiliga schrauben.

Ich fürchte, Konvergenz ohne Opfer wird es nicht geben.

beschliesst Sixtus seine Ausführungen. Ich fürchte, Opfer würde es geben, wenn einer mal die Konvergenz der Qualität solcher Einlassungen überprüfen würde. Denn das ist das Problem dieses Blogjournalismus: Da hat einer eine dezidierte Meinung, da glaubt einer an eine digitale Zukunft, da muss sich eben alles unterordnen, Fakten und Sachkenntnis braucht keiner in dieser schönen neuen Welt, schnell was zusammenschmieren und eine Vision entwerfen, wo jeder mit der Handycam printtaugliche Bilder wie der Profi machen kann, Hauptsache die Pixelzahlen stimmen. Die Argumentation erinnert mich irgendwie an die Anpreiser von garantiert 20-Megapixel-Proficams für nur 199 Euro beim Homeshoppingsender. Noch so ein Beruf, den ich auf die rote Liste wünsche.