Mal etwas langsamer
Ich hatte vor zwei Wochen ein GesprÀch mit einer Person, die ein paar Ideen hatte, in Bezug auf Blogs und dass man endlich was daraus machen machen sollte. Irgendwie ist die Vorstgellung unausrottbar, dass Blogs enorm schnelle Medien sind, die viel schneller und besser als herkömmliche Medien reagieren, Meinungen abbilden und Leser anziehen können. Das stimmt insofern, als im Vergleich zu den Nickeligkeiten des Redaktionsbetriebs Geschichten anders und schneller gefahren werden können, weniger Kontrollinstanzen mitwirken, und Themen auch praktisch unbegrenzt vertieft und erweitert werden können. Blogs können schneller sein. Na und?
Die diversen Blogs, die jetzt bei Medien zur Fussballweltmeisterschaft aufgeschaltet werden, sind das beste Beispiel fĂŒr das Nichtfunktionieren dieser These. Die ZEIT hat sich da wirklich was ganz Neues mit vielen Autoren einfallen lassen, die alle ganz unterschiedliche Aspekte beschreiben und es war sicher nicht billig – und es kommentiert praktisch keiner. Das Blog erlaubt es, schnell neue Autoren jenseits des Mainstreams zu bringen, und es lĂ€uft an den Lesern vorbei. Wenn man dann mal bei solchen Projekten nachhakt, warum es denn nicht angenommen wird, trotz des grossen Themas, der Autoren und der schnellen Lockerheit, kommen Ausreden wie “die Leute wollen doch nur gucken” oder “Zu solchen Themen kommentiert man eben nicht” – was vollkommener Blödsinn ist, wenn man sich mal allesaussersport und Ă€hnliche Angebote anschaut.
Nur weil etwas schnell ist, heisst es nicht, dass es schnell ankommt oder schnell dankbar angenommen wird. Vertrauen und Kompetenz bei den Lesern muss man sich erarbeiten, und zwar nicht beim ersten Anpfiff zur WM, sondern lange davor Dann klappt das auch. Das ist das eine.
Das andere ist der Umstand, dass sich die Leser zumindest in Blogs ebensowenig einen Geschwindigkeit aufzwingen lassen, wie sie sich eine gewisse Langsamkeit verbieten lassen. NatĂŒrlich lĂ€uft jeder Beitrag mal aus und verliert seinen Reiz der Debatte, aber meine Erfahrung mit grösseren Geschichten bei der FAZ ist, dass sie auch 48 bis 72 Stunden ziehen, wenn sie die Leser erst mal angesprochen haben. Ich merke das an den Kommentaren, die weiterlaufen, wenn der Beitrag schon lang von der Startseite verschwunden ist, und ich merke das an den Abrufzahlen, die auch am dritten und vierten Tag noch gut ansteigen. Das hat sicher auch was mit der nicht allzu aktuellen Thematik zu tun – meine BeitrĂ€ge veralten im Nachrichtenstrom nicht so schnell – aber es zeigt ein ziemlich ruhiges und gar nicht ĂŒberhetztes Nutzungsverhalten. So ziemlich das genaue Gegenteil von Twitter, das bei der Verlinkung von BeitrĂ€gen und Retweets eher einem kurzen Strohfeuer gleicht. Wer bei Twitter ankommen will, muss tatsĂ€chlich am Anfang eine grosse Welle machen. Bei Blogs? Ach was. Absolut nicht nötig. Blogs sind durch die lang andaurnde Debatte der Leser eher ein Medium, das durchaus Zeit haben kann. Mehr als Print, TV oder Radio, und mehr als viele Internetangebote. Man kann bei Blogs klassischer Medien und grosser Leserzahl ein- und aussteigen, eine Nacht auf eine Antwort warten, es ist eine sehr, sehr langdauernde Form der Themenaufbereitung, und damit eine ErgĂ€nzung am anderen Ufer jenes Nachrichtenstroms, wĂ€hrend auf der drĂŒberen Seite RSS-Reader und Twitter lĂ€rmen.
Esa gibt ein paar Versager der Geschwindigkeit, die genau das mit ihren Blogs nicht schaffen und fĂŒr Ihre Ideologie der Borgs und der Immeronliner verlacht werden, und deshalb angesĂ€uert reagieren, wenn Leute wie Lovink fĂŒr eine gewisse Ruhe und Langsamkeit eintreten, die allein durch ihre dezente Art auch vieles aushebeln, was die Netztotalitaristen als ihre Neue Zeit begreifen, mit “Post-Privacy”, erfundenen Kontrollverlusten und Zwangsmassnahmen gegen Andersdenkende, die sie ins Netz schleifen wollen. Wer Zeit hat, denkt nach, wer Ruhe hat, reagiert nicht ohne Kontrolle. Ich denke, die beste Art, diesem Pack zu zeigen, wie Internet gehen kann, welche Möglichkeiten sie nie begreifen, ist einfach, dem Netz Ruhe und eine gewisse Entspanntheit zurĂŒckzugeben, die es eben nicht nötig macht, alle zehn Minuten seine ExtremitĂ€ten ins Netz zu hĂ€ngen. Ein Netz, BlogbeitrĂ€ge, Texte, Bilder, die man in Ruhe geniessen kann. Nicht sofort, nicht in 10 Minuten, man hat eben Zeit, und auch, wenn man mal 10 BeitrĂ€ge verpasst, ist der Elfte dann auch wieder eine Einladung. Leseransprache statt NutzeranbrĂŒlle. Lesen statt Always on. Geniessen statt DrĂ€ngeln.
Das Netz ist rÀumlich und zeitlich ohne Grenzen. Es gibt absolut keinen Grund zur Eile. Ausser, man macht ihn sich selbst.
Sorry, the comment form is closed at this time.
Was ich nicht bei Ihren Thesen verstehe ist, dass ich einen Blohpost bei der ZEIT nicht genau so “genieĂen” kann wie Ihre zeitlosen Posts?! Warum muss ich kommentieren um wahrzunehmen? Ich lese an bewusst an einem Tag rund 200 Posts, kommentiere aber nur sehr selten.
Nachdem ich die Zeit online in letzter Zeit nur noch mit zunehmendem Widerwillen lese, stelle ich mir gerade dort einen der letzten Orte vor, an dem ich ernsthaftes Blogging erwarten wĂŒrde.
Mir fehlt schlichtweg die Lust, in dem Umfeld dort zu kommentieren, zumal ich nicht davon ausgehen mag, dass dort tatsĂ€chlich mal einer der Autoren tatsĂ€chlich auf einen Kommentar eingehen wĂŒrde.
Ăbrigens gibt es reichlich Sites, bei denen die Zugriffszahlen einen flotten Jazz spielen und die Kommentare eher einen ganz langsamen Blues.
Und wenige, bei denen es umgekehrt ist.
Gut und richtig
Bei der Informationsinflation wird alles hektischer, aber nichts besser.
Ich halte es da wie mit der Mode.
klassisch.
Dem kann man nur applaudierend zustimmen!
Ich wĂŒrde da sogar noch ein paar Schritte weitergehen – nicht nur im Internet (das ja – da heutzutage nun wirklich jeder Trottel online ist – in gewisser Weise auch nur noch ein Spiegel der VorgĂ€nge in unserer Gesellschaft im Allgemeinen ist) zahlt sich eine gesunde Langsamkeit aus, sondern so ziemlich bei allem was man tut. Zeit ist nĂ€mlich genau *nicht* Geld, sondern jedem reichlich gegeben und noch dazu absolut gerecht verteilt – auch der Ă€rmste Schlucker hat genau 24 Stunden am Tag. Es kommmt eben immer darauf an, was man daraus macht…
“Information is cheap” – sie ist so ziemlich zur billigsten und vergĂ€nglichsten Ware dieser Welt geworden. Und ‘Geschwindigkeit’ ist etwas fĂŒr Kokser …
[…] Internet: Mal etwas langsamer…Blogbar […]
Ebenso wie David verstehe ich nicht ihre Differenz zwischen wertigem Blog und Kommentarbereich. Ich bin seit 2000 Blogleser. Damals waren Kommentare noch nicht so verbreitet, vielleicht hat sich dadurch meine Lesehaltung gebildet. Ich glaube in der ganze Zeit liegen die von mir geschriebenen Kommentare gerade mal bei hundert.
Auch erfahre ich Kommentare oft nicht als Bereicherung fĂŒr mich. Vielmehr wirken Kommentarbereiche mit einem Stammpublikum etwas wie ein ritualisiertes TheaterstĂŒck auf mich, da dieselben Personen in immer ihren gleichen Bahnen argumentieren. Rein strukturell gesehen kann man das PhĂ€nomenen auch in Foren; wirklich nur strukturell, nicht qualitativ auch in Heises Trollarena. Wenn ich dann in den Kommentaren Ihres FAZ-Blogs immer und immer und immer wieder ĂŒber den ESA-Dauerthread, ĂŒber die WiedereinfĂŒhrung des Feudalismus oder die diversen Berichte, wie das dort selbst ernannte BĂŒrgertum seine eigene Lebensart in die Höhe lobt, dann sitze ich eher irritiert ĂŒber den Mangel an Vielfalt vor dem Bildschirm und frage mich âWozu?â. Und dennoch lese ich gerne Ihre BlogeintrĂ€ge.
Auch glaube ich nicht, dass Feedreader und Twitter Symbole fĂŒr ein schnelles und untreues Web gelten können. Sicherlich, bei der ĂŒblichen Kamarilla mag das gelten; andererseits ist das nur eine persönliche Einrichtungsweise. Ich habe marginale Followerzahlen bei meinem spĂ€rlich aktualisierten Twitter-Account. Allerdings sind dies Freunde; insofern fĂŒhle ich mich sehr bei Twitter angekommen.
Ich stimme Don in seinen PlĂ€doyers fĂŒr etwas wirklich oft zu; in der Abgrenzung zu anderen aber eher selten. Vielleicht wĂ€re das anders, wenn er das Nutzungsverhalten denn das Medium kritisieren wĂŒrde.
Werter Don,
Sie haben natĂŒrlich recht, bis auf einen Punkt, wie ich finde: Auch Twitter kann man in der von Ihnen beschriebenen Weise nutzen, völlig unĂŒberhitzt, aufmerksam, fokussiert – und zwar mit der Konzentration auf den Moment im Jetzt, den Kinder haben (wenn sie beispielsweise Fahrradfahren, wo das gar nicht passt, weil man dort ja mit seiner Aufmerksamkeit nicht im Hier sein sondern nach vorne schauen soll) – oder mit der Zugewandtheit, die man in einem GesprĂ€ch hat, in dessen Verlauf sich die Gedanken erst entwickeln. Und das trotz all der Strohfeuer und groĂen Wellen, die dort zeitgleich stattfinden.
[…] Die eigentliche Innovation, die mit der Hilfe des Bloggens in die Medienlandschaft geschwappt ist, war in Wirklichkeit nie die Echtzeit. Nein, der entscheidende Unterschied zwischen “normalen” Webseiten oder Portalen und Blogs ist das Archiv und die wundervollen Möglichkeiten der “Langsamkeitspflege” (Odo Marquard), die sich daraus ergeben, wie Don Alphonso hier feststellt. […]
Das witzige an der Geschichte ist ja, dass ich in vielen FĂ€llen sogar noch nach Monaten oder gar Jahren BlogbeitrĂ€ge kommentieren und verlinken kann â genauso, wie ich durch Bibliotheken Zugriff auf âalte Schinkenâ habe. Und so manches Werk wurde erst durch die Zeit zu dem, was es ist. Und wie ich nebenan bei F!XMBR schrieb:
Und Magazin heiĂt auch, dass man langsamer wird, tiefgrĂŒndiger, vom hektischen Tagesgeschehen (ein wenig) entkoppelter.
Passend zu der Plattform, auf der wir hier diskutieren, habe ich mir ĂŒbrigens vorletztes Jahr ĂŒbers Antiquariat das Buch Blogs! bestellt und gelesen und schmökere auch heute immer noch gerne darin, obwohl es von 2004 ist. Die Texte sind allerdings weiterhin frisch. (Da fĂ€llt mir ein, dass ich mal eine Aufstellung machen wollte, welche dieser Blogs es noch gibt und wie man sie findet.)
@virtualmono: Doch, Zeit ist Geld, da Zeit haben bzw. sich Zeit nehmen oftmals Luxus darstellt.
@Robert B.: Wer sich Zeit *lĂ€Ăt*, der hat auch Zeit.
Vollkommen korrekt ;-)
Ach, mir ist es eigentlich egal, ob es schnell zugeht oder langsam, hauptsache der Inhalt stimmt. Wenn es bei einem Blog, das mir gefÀllt, langsam zugeht, dann warte ich eben. Lesertreue entscheidet sich nicht durch Schnelligkeit, sondern durch QualitÀt.
..und QualitĂ€t gedeiht aus “sacken lassen”, reflektieren, ausarbeiten im Blog – und nicht dem Hin- und Hergeschiebe von Breaking News a la Twitter.
Inzwischen gilt es ja bei Heavy Usern schon als unmodern, wenn man ein Thema auch nur etwas zeitversetzt aufgreift. “Mann ist das alt, kenn ich doch schon lĂ€ngst”. Ja kennst du, aber hast du auch schon die Zeit gefunden, dir darĂŒber Gedanken zu machen?
Der Mehrwert besteht doch gerade aus kritischer Reflexion eines Sachverhalts statt schnellschnell die News rausposaunen und umgehend wieder vergessen.
[…] Ă»Das Netz ist rĂ€umlich und zeitlich ohne Grenzen. Es gibt absolut keinen Grund zur Eile.Ă« -Rainer Meyer in der Blogbar- Share […]
[…] Mal etwas langsamer […]
Das war mal seit langer Zeit wieder ein richtig guter Blogbeitrag, Don. Auf Dauer ist das Lobo-und-Co-Bashing dann doch etwas eintönig. Gerne mehr von diesen Entschleunigern!
Zeit ist das, was bei uns allen RĂŒckwĂ€rtsgezĂ€hlt wird. Die modernen Kommunikationsmittel geben uns die Möglichkeit Zeit durch Datensammelung und Auswertung zu sparen, dass kann mitunter hektisch wirken…