Filtern und Filter haben
Ich hoffe, das wird jetzt nicht zu esoterisch.
Man kann so oder so den Jaufenpass hinauf fahren. Ich fahre meistens recht zügig, ohne zu rasen oder an das Limit zu gehen. Ich bin schneller als die meisten, aber ich fahre immer auch so, dass ich den Pass bewusst erlebe. Wenn ich ausnahmsweise wirklich schnell fahre, oder in einem Auto, in dem ich noch nie einen Pass gefahren bin, ändert sich das sehr schnell: Ich filtere radikal alles aus, was nicht unbedingt zum Ankommen gehört. Ich war dort in einem 1-er BMW. Ich erinnere mich noch sehr genau an das Lenkrad, die weiche Kupplung und die matschige Schaltung. Von der Fahrt selbst habe ich erst auf dem Rückweg wieder Erinneriungen, als bei der Abfahrt die Bremsen heiss liefen.
Der Zustand ist eher ungewöhnlich. Wenn ich durch die Altstadt von Sterzing gehe, filtere ich überhaupt nicht. Ich sehe den billigen Plastikhundkitsch und die Auslagen der Metzger und die Zerstörung alter Bausubstanz und die Menschen im Cafe. So, wie ich normalerweise lebe, brauche ich keine Filter. Ich muss keine Rezeptionskanäle verstopfen, um andere frei zu haben. Der Mensch ist ein Tier mit feinem Sensorium und der Fähigkeit, die Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Natürlich vergisst man vieles sofort wieder. Aber unsere Sinne sind geschult, alles erst mal aufzunehmen. Erst dann wird gefiltert. Das ist manchmal begrenzt und manchmal, wenn man einen Pass fährt, extrem, so, wie das Gehirn es für nötig hält.
Was ich an mir selbst feststelle, ist eine ganz andere Art des Filterns, wenn ich vor dem Rechner sitze. Die Informationen sprechen meine natürlichen Sinne nicht an, aber es sind enorm viele, je nach Füllung dessen, was man als Reader, Timeline, Blogliste, Suchergebnis hat. Die Aufgabe dieser Filterung ist, meine Onlinezeit effektiv und angenehm zu gestalten, entsprechend schnell werde ich ungeduldig, wenn etwas auf eine langweilige Art nicht zielführend ist. Anders gesagt: Mein Internet-Filter, Ergebnis eines Lernprozesses, ist nicht flexibel genug, um sich unterschiedlichen Formen der Infrmation anzupassen. Er ist bei Youtube-Videos ebenso intolerant wie beim Durchreichen fremder Gedanken; er hasst es sogar, wenn die gefilterten Ergebnisse meiner Internetrunden dergestalt plötzlich verunreinigt werden – als ob da jemand über die Strasse laufen würde, hinter der Kurve. Gerade jenseits der Blogheimat fühlt sich das wie Vollgas den Jaufenpass hinauf an. Und ich merke, wie ich mehr und mehr die Lust daran verliere. Nur weil ich effektiv filtern kann, macht es mir mit steigendem Angebot an Müll nicht wirklich Spass. Dieses stete “Ach ne, bitte”, das der Filter sagt – es ist nicht stimmungsaufhellend.
Manche sagen, dass Blogs nur noch ein Teil im Medienmix sind, und dass verschwindet, wer nicht auf allen Kanälen in der Lage ist, seine Inhalte an den Mann zu bringen. Die neue Vorstellung von “beim Leser ankommen” ist nicht mehr der interessante Beitrag, sondern die Bestückung seiner Timeline auf all seinen Netzwegen. Vielleicht ist das auch wichtig; ich meine allerdings zu erkennen, dass die Click-Through-Raten verheerend schlecht sind, wenn ein Medium schnell ist (25% bei meinem Blog. 1-2% bei einem sozialen Netzwerk, es sei denn, es geht um das Netzwerk). Da sagt der scharf gestellte Filter bei den meisten wohl: Du bist in Eile, es gibt tausend neue Statusmeldungen, mach was anderes. Diese Filter denken nie weiter als bis zur nächsten Kurve. Sie sind schnell, zu schnell für grössere Zusammenhänge und Verweilen. Ob es Sinn mcht, immer neues Entscheidungsfutter hinzuwerfen? Ich weiss es nicht. Mit Spiegel Online gibt es schon einen sehr schnellen Fremdfilter, der vielen das Filtern abnimmt. Eine neue Kategorie dort heisst “Kurz und krass”. Das ist es vermutlich, was durch die Filter geht. Und man sollte sich meines Erachtens von der Illusion lösen, dass man dort viel zu gewinnen hat: Danach steht der normale Filter des Gehirns, und der löscht das schnellstens für anderes, das ebenso kurz und krass ist. Ich glaube, es macht keinen Sinn, diese einmal aktivierten Filter zu bedienen. Man muss Alternativen schaffen. Aber dazu muss man raus aus der Timeline und hin zu einem Verhältnis, das ohne Filter funktioniert.
Dass das nötige Filtern und Selektieren in sozialen Netzwerken das glatte Gegenteil dessen ist, was man eigentlich als sozial bezeichnet, ist vielleicht sogar ein Vorteil: Dann gibt es eventuell ja auch einen Markt für die Momente, in denen man nicht filtern und asozial sein will. Wenn man dann noch statt dem Plastikkitschhund der Nachrichten irgendwie ein weites Panorama anbietet, das zum Verweilen einlädt, kommt man vielleicht an den Filtern vorbei.
Aber die Filter zusätzlich zu belasten? Erscheint mir nach meinen Erfahrungen nicht als gute Idee. Es sei denn, man kann nur kurz und krass.
Sorry, the comment form is closed at this time.
Die Hinweise auf meine Blogbeiträge verteile ich selektiv. Also preise ich nicht jeden Artikel überall an (aus Twitter bin ich ganz raus). Ein Link auf Facebook erhöht die Leserzahlen um 30% bis 40%, dasselbe auf G+ ist nicht spürbar.
Als Leser nervt mich, dass mich Blogger auf jedem Kanal anquatschen, damit ich zu ihnen komme. Die das tun, besuche ich immer weniger.
Ich mache das gerade nur aus Testzwecken. Der Aufwand dafür ist ziemlich ätzend.
Für Vergleiche zwischen Facebook und G+ ist es meines Erachtens noch gewaltig zu früh. Zumindest so lange, bis G+ aus der Testphase raus ist, und man keine Einladung mehr benötigt (hab ich da jetzt was überhört?).
Von daher sollte man auch mit Tests in dieser Richtung noch ein kleines Weilchen warten…
Ja schade, dass der Aufwand ätzend ist. Ich jedenfalls freue mich über die Verlinkung bei Google+ und lese jetzt drüben wieder viel mehr mit. Und hier war ich bestimmt seit einem Jahr nicht mehr.
Ist das eigentlich ein Experiment? Also, ich meine: Hier hin und wieder etwas zu posten, aber es nicht bei “Rebellen ohne Markt” zu verlinken. Mir kommt das so vor, als würde der Hausherr testen wollen, in welchem Zustand die Hüte hier noch ist ;)
Nein, ich habe nur aud Gründen des Reallebens momentan viel zu wenig Zeit, das ist alles.
Was ja auch gut und völlig in Ordnung ist ;)
nix wir werden sehen. ich lehne mich mal krass aus dem fenster und sage entgegen den sogenannten experten: google plus hat gegen facebook keine chance. warum? ein vergleich mit twitter hilft.
twitter und google plus sprechen im grunde genommen die selbe klientel an: berufliche netz-heinis, die immer vorn dabei sein müssen. in der außenbetrachtung (die diesen typen völlig abgeht, weil sie nur noch im eigenen saft schmoren) ist diese gruppe aber verdammt klein. sie benutzt nun das in allen belangen bessere google plus, womit sich twitter dann in absehbarer zeit erledigt hat.
zwischen google plus und facebook aber bestehen nicht wirklich die killer-unterschiede. sie reichen jedenfalls nicht, um die träge masse, die sich mittlerweile auf facebook eingefunden hat, kollektiv zum wechsel zu bewegen. facebook ist good enough für die breite mehrheit.
Wir kommen zwar ein wenig vom Thema ab, aber egal.
Facebook ist nicht stark genug, auch Google+ ist nicht stark genug! Auf Dauer werden es bei Plattformen nicht schaffen. Wenn die Netzwerke nach fünf Jahren noch aktiv sind, Respekt. Aber schon jetzt gibt es bei Facebook starke negative Entwicklungen in den Aktivitätszahlen.
So ist halt der Rhytmus. Neues Netzwerk,starker Anstieg, Abfall, Desinteresse, neues Netzwerk… Erstaunlich das Facebook viele “Groupies” hat, die wie Arbeiterinnen dieses nest verteidigen und ewig optimistisch auf andere einreden. Hallo? Das ist “nur” DAS Internet, das ohnehin zu viel Aufmerksamkeit bekommt und die Verdummung vorantreibt.
Wer was zu sagen hat, was interessiert, wird auch Interessenten finden. So mach ich es. Und Facebook und Co gehen mir sowas am Allerwertesten vorbei. Wer von dort kommt und/oder mich in einen dieser Kindergärten ködern will, wird nur ignoriert.
Auch verlink ich nicht auf Teufel komm raus…
Ich brauch’ keine “Klicks” und habe trotzdem reichlich “Besucher”: zwanzig Tausend in einem Jahr macht erfreuen mein Herz. Ich muss auch keine Reklame verkaufen.
“…Aber die Filter zusätzlich zu belasten?…”
Lest halt mehr gute Bücher! – Das belastet weder den Filter, noch die Selektion, auch nicht die Timeline. Ganz nebenbei hält es einen auch noch von kurzlebigen bzw. unnützen Gedanken fern, die der wirklichen Bildung eh nur im Wege stehen…
Gute Bücher? Aber immer. Die sind auch mir viel näher als diese oben diskutierte Kinderkacke: riecht dies Häufchen besser oder jenes? Gerade zwei schmale rote Bände hereinbekommen: Alan Bennett “Handauflegen” und Giorgio Vasari “Jeder nach seinem Kopf” (eine Don-Empfehlung). Damit beschäftige ich mich lieber als mit irgendwelch…(abgebrochen weil Gattin ruft)
Ich würde auch gern mehr lesen, aber irgendwelche tieferen Instinkte (so scheint es mir) finden Internet um einiges interessanter. Obwohl ich da wieder nur von einer Sache zur nächsten hetze, wie es der Don beschrieben hat. Man scheint unbewusst ständig Angst zu haben, dass man gerade etwas verpasst; dass die Sache, mit der man sich gerade abgibt, möglicherweise viel uninteressanter ist als andere Sachen die anderswo auf einen warten. Man wird schnell ungeduldig.
Ein Informationsüberangebot, das die Filter stresst. Die müssen ja nicht nur filtern, sondern auch immer wieder aktiv entscheiden, was als nicht relevant genug betrachtet wird. Irgendwelche Psychologen haben mal rausgefunden, dass Kunden weniger kaufen, wenn im Supermarkt das Angebot zu groß ist. Weil sie ratlos vor 100 verschiedenen Shampoos stehen.
Bei einem Buch passiert das nicht, weil da nicht ständig 1000 potentielle Sensationen im Hintergrund und zwei Klicks entfernt warten.
Beruflich ist das natürlich eine Frage der Zielgruppe – also wen erreiche ich am Besten wo, wenn ich meine Informationen loswerden will, unabhängig mal davon, ob ich “Rosenverkäufer” aka böser Andrehmensch bin oder nicht.
Twitter ist halt nur gut, wenn man kurz Aufmerksamkeit für ein Thema erwecken möchte. Ich schätze an Twitter die schnelle Verzahnung, die man dort erreichen kann und für mal eben was reinschmeißen ist das ideal. Früher hatten wir halt Blogs dafür. ;-)
Facebook nutze ich seit gestern nur noch beruflich. Alle Welt schrie immer, Google sei die böse Datenkrake, aber Facebook ist viel, viel schlimmer – es sieht aber halt so kuschelig und nett dort aus.
Google Plus – uninteressant. Reiner Spielplatz für Geeks und Nerds und die Leute, die mich da zu Kreisen hinzufügen kenne ich nicht. Ich hätte gerne selbst entschieden, wer mir folgen darf, dankeschön.
Mehr und mehr bin ich der Ansicht, dass wir ein Revival der Blogs erleben werden. Denn gerade Blogs bieten ja die Möglichkeit, diese Filter, die Du ansprichst, ja wie bei einem Buch zu umgehen. In der Regel habe ich längere Texte, habe hier die Möglichkeit der Verlinkung zu anderen Quellen, kann mich austoben und wenn ich das Blog auf dem eigenen Server habe, die volle Kontrolle über meine Daten. Das wird immer wichtiger werden: Die Souveränität über die eigenen Daten, das Gefühl, Herr dessen zu sein was man schreibt. Das schützt nicht davor, dass andere Daten über einen einstellen, aber wir werden denke ich mehr und mehr erkennen, dass die Souveränität wichtig ist. (Was beides mit einschließt: Den Umgang mit den Systemen und auch, was ich schreibe.)
Gerade wegen der Datensicherheit bin ich jetzt komplett bei Diaspora. Dort habe ich auch keine Zeichenbegrenzung, kann verlinken, kann die Aufmerksamkeitsspanne gezielt umgehen – und somit eigentlich das tun, was wir beide seit 2000 schon immer getan haben: Geschichten erzählen. Gute.
Ad Astra
[…] Filtern und Filter haben: […]
Ach wissen Sie, so lange man die Wahl hat und zu wählen im Stande ist, ist das doch alles durchaus beherrschbar.
Ich habe keinen Fernseher und bin doch wesentlich besser informiert, als der Durchschnitt, auch ohne Facebook & Co bin ich gut sozial vernetzt und das, ohne ständig auf irgend einem Präsentierteller die Hosen herunter zu lassen und schließlich verstehe ich auch erheblich mehr von Computern und dem Internet als der Durchschnitt, obwohl ich keineswegs ständig den neuesten Gadgets hinterherlaufe.
Filtern – no problem!
Ansonsten bin ich der altmodischen Ansicht, Qualität setzt sich langfristig durch.
Gut, es gibt genügend Gegenbeispiele, da gab’s z.B. mal einen Tape-Deck-Hersteller, der Name fällt mir leider gerade nicht ein, der produzierte phantastische Geräte, ist trotzdem pleite gegangen, zu elitär, zu teuer.
Aber im Großen und Ganzen ist das schon so.
Das ganze Geflimmre und Gezappel – pff – das ist halt so eine Art Grundrauschen, ein notwendiges Übel, das blende ich einfach aus.
Wie viele lesbare Blogs gibt’s den schon z.B.?
Nicht viele!
@kryptart:
“…Ich habe keinen Fernseher und bin doch wesentlich besser informiert, als der Durchschnitt, auch ohne Facebook & Co (..) Filtern – no problem! (..) Wie viele lesbare Blogs gibt’s den schon z.B.? Nicht viele!…”
Wie wahr, wie wahr…
Die “Kreise” bei Google Plus sind von ähnlicher “sozialer” Qualität wie im echten Leben. Man bewegt sich in “seinen Kreisen”, mehr Durchlass ist da nicht.
Als Kreativer weiß ich, dass der Zufall, auch der, Leute kennen zu lernen, enorm bereichert und Möglichkeiten aufzeigt, auf die man normal nicht gekommen wäre.
Insofern ist dieses: Klappe dicht und Filter auf Anschlag eine Verarmung.
Ich bekam gerade diese seltsame (unverschämte! wofür hält man mich?) Mail. Passt zum obigen Artikel.
—>
Hallo Klaus D.,
ich wollte nachfragen, ob Interesse besteht, auf deinem Blog (http://jeeves.blogger.de/) Sponsored Posts bzw. Paid Articles zu veröffentlichen.
Wir zahlen zwischen 40 und 100 Euro pro Beitrag, abhängig von Leserzahlen, Postfrequenz, Aktualität usw. usf. Auf unsere Homepage findest du noch ein paar Informationen zum Procedere. Bei Fragen einfach fragen ;-)
Ich würde mich sehr über deine Rückmeldung freuen.
Liebe Grüße
Sandra
—
Sandra Licht
Mail: sandra@sponsored-posts.net
Web: http://www.sponsored-posts.net
Warum benutzt Graf Dracula dasselbe Befehlszeilenbrowsersymbol wie die Blogbar?
.
http://www.arhivelenationale.ro
Many thanks for this nice and insightful write-up.I’m glad that i get a new knowledge today.Looking forward to read more of great post here.
Please visit:
Sell Your House Privately
Sell Your Own Home
buyers agent
“Netzwelt”, “berufliche Zwecke”… ich geh mal zum Lachen in den Keller. Über’s Schreiben schreiben, über’s Lesen lesen. Reelle Wirkung? Null.
Ein paar Trendsetter können übers Social Network erheblich ihren Bekanntheitsgrad steigern und wirtschaftlich daran partizipieren. Der Rest? Selbstverordneter Zierrat. Winkelemente.
Der Rest der Menschheit? Mit dem Internet sozial überfordert!
@Jeeves: “unverschämt”? Warum? Welchen Wert misst man sich bitte bei, als dass man glaubt, dass diese und andere Gegenüber irgendeinem Irgendeinem ein angemessenes Verhalten schulden würden?