Death 2.0
Das laute Platschen gestern abend, das war die Credibility von Tim O’Reilly und seines Verlages, die gestern über Bord geschmissen wurde.
Das irische non-profit IT-Netzwerk “it@cork” wollte am 8.6. eine halbtägige Konferenz mit dem Titel “Web 2.0 Half Day Conference” abhalten. Und dafür fing man sich vorgestern eine Unterlassungserklärung von CMP Media (Messeveranstalter) ein, der seinerzeit gemeinsam mit Tim O’Reilly den Begriff Web 2.0 per Brainstorming erdacht hatte, um die ganze Thematik mit einem schmissigen Begriff in Büchern, Messen und Konferenzen abfrühstücken zu können.
Zum Hintergrund von Tim O’Reilly: er ist eine der führenden Protagonisten der Open-Source-Szene. Weniger weil er ein exzellenter Programmierer wäre. Vielmehr hat er mit seinem Verlag und seinen Websites viel für die Verbreitung des Open-Source-Themas, der Werkzeuge und Programmiersprachen getan. Die Bücher aus dem O’Reilly-Verlag geniessen wegen ihrer sorgfältigen Redaktion einen exzellenten Ruf. Allerdings war in den letzten 1-2 Jahren ein erhöhter Ausstoß zu bemerken, der das Profil des O’Reilly-Verlages verwässerte.
Wenn aber nun in Absprache mit dem O’Reilly-Verlag Besitzansprüche auf einen derart zentralen Begriff der Webcommunity erhoben werden, erzeugt das einen sehr schalen Geschmack.
Da Tim O’Reilly derzeit im Urlaub weilt, konnte “nur” der O’Reilly-Verlag mit einem Statement reagieren.
Der Verlag legt Wert auf die Feststellung, dass der Begriff “Web 2.0” nur im Zusammenhang mit Konferenzen geschützt wurde (“CMP has a pending application for registration of Web 2.0 as a service mark, for arranging and conducting live events, namely trade shows, expositions, business conferences and educational conferences in various fields of computers and information technology.“). Man entschuldigt sich, dass man gleich so schnell mit dem schweren Geschütz der Unterlassungserklärung auffuhr und nachdem man nachträglich erfahren hatte, dass Tim O’Reilly himself sogar als Redner für diese Konferenz zugesagt hatte, genehmigte man die Verwendung des Begriffes “Web 2.0” für dieses Jahr.
So richtig erkannt hat man aber die Sensibilitäten bei O’Reilly nicht, wenn man folgende Argumentation liest:
To protect the brand we’ve established with our two Web 2.0 Conferences, we’re taking steps to register “Web 2.0” as our service mark, for conferences. It’s a pretty standard business practice. Just as O’Reilly couldn’t decide to launch a LinuxWorld conference, other event producers can’t use “Web 2.0 Conference,” the name of our event. In this case, the problem is that it@cork’s conference title includes our service mark “Web 2.0,” which the law says we must take “reasonable steps” to protect.
Dass der Begriff “Web 2.0” oder “Web 2.0 Conferences” um einiges generischer ist, als “LinuxWorld“, scheint man an der Westküste nicht zu verstehen. Die Triebfeder des Vorganges scheint eindeutig CMP zu sein, der Böller ist aber im Gesicht des O’Reilly-Verlages explodiert. Der Countdown für Krisen-PR ist gestartet. Wetten es wird keine zwei Tage dauern, bis es eine lange, ausschweifende Abhandlung von Tim O’Reilly selber geben wird?
Aber “Web 2.0” ist damit endgültig als technischer Begriff tot. Die Marketing-Spacken haben endgültig gewonnen.
(via Lumma)
Sorry, the comment form is closed at this time.
[…] Warum das so ist, steht an der Blogbar. […]
Scheint mit eher, dass Web 2.0 wenn, dann als marketingtechnischer Begriff tot ist (wenn das als Vorgehensweise Schule macht), ein technischer Begriff wars im Grunde ohnehin nie (auch wenn als Mantra AJAX, API, Netz als Plattform wiedergegeben wird), und dem kulturellen Begriff wirds nicht viel ausmachen, mit O’Reilly wird Web 2.0 ohnehin kaum mehr assoziiert (auch wenn man ihn als Namensgeber vollständigkeitshalber halt noch dazusagt).
[…] Web2.0 ist tot und Sarah Kuttner wird von MTV abgesägt… schwarzer Tag heute, Wetter ist auch scheiße… wenigstens is Freitach und Wochenende, Wetter wird davon zwar nich besser, aber man kann die zwei Trauermeldungen immerhin ohne schlechtes Gewissen ertränken. Prost. […]
Hier liegt das Wort “Web 2.0”. “Web 2.0” war ein blödes Wort. Wir sind froh dass es tot ist.
Wird ja keiner davon abgehalten eine Web 2.0.1 Konferenz zu veranstalten.
Naja. Ein Buzzword weniger. Is nicht schade drum ….
Viele Grüße von Zippo!
Nur eine weitere Transformation von Oâ??Reillys Verlag. Alte Werte sind schon früher über Bord gegangen, jetzt ein weiterer.
Angetreten war man mal mit der Ansage nur ein Buch pro Thema zu machen, das aber richtig. Lange vergessen. Angetreten war man mal mit der Ansage Bücher regelmäßig upzudaten und auf den aktuellen Stand zu bringen. Lange vergessen. Angetreten war man mal mit der Ansage keine Kindergartenbücher zu machen. Lange vergessen.
Ich habe heute zufällig in einem blog einen Bericht einer zukünftigen Autorin bei O’Reilly in Köln gelesen. Die schildert das wie eine Katholikin einen Besuch in den Räumen des Papstes beschreiben würde: “Besuch im Heiligsten”. Bei ihrer Mitautorin wird klar, dass da wohl viel Arbeit aber kaum Geld rüberkommt. Nur der “Ruhm bei O’Reilly ein Buch geschrieben zu haben”.
Gehörten wenigstens zu den alten Werten, dass man seine Autoren einigermassen bezahlt?
Es ist mir nicht bekannt, dass der O’Reilly-Verlag den Ruf eines Ausbeuter-Vereins hätte (dazu schreiben auch noch zu viele zu gute Autoren).
Aber es gibt das grundsätzliche Problem, dass sich mit deutschen IT-Büchern (kleiner Sprachraum -> Auflagenzahl) kaum Geld verdienen läßt. Von den Deutschen die ich persönlich kenne oder bei denen ich das mal gehört habe, ist keiner reich geworden. Weder bei O’Reilly, noch bei Galileo oder bei Addison-Wesley. Das mag bei der Computer-BILD oder Data Becker anders aussehen, aber das ist dann schon wieder eine andere Baustelle…
Gehört der Kollege Schieb nicht zu den “Großverdienern” in der Branche der damals des Geldes wegen auch seinen Verlag gewechselt hat? Erzählte man mir jedenfalls von Verlagsseite (lang ist es her, daß ich was damit zu tun hatte…).
Jörg Schieb würde ich just auch zur “anderen Baustelle” zählen.
Das Rechenexempel ist recht einfach: ein Autor bekommt i.d.R. vom Buch 6-10% des Verkaufspreises. Bei einem Buch von 25 EUR dürften im Schnitt 2 EUR hängen bleiben. Es würde mich sehr wundern, wenn auf dem deutschen Markt Bücher aus der Kategorie O’Reilly, Galileo und Co. sich in fünfstelligen Auflagen verkaufen würden. Vorschüße werden nur für einen ersten Teil der Gesamtauflage bezahlt, der Rest je nach Abkäufe.
Bei 2.000 verkauften Exemplaren bleiben 4.000 EUR, bei 5.000 Exemplaren 10.000 EUR für den Autor.
Wieviel Geld braucht ein Freiberufler pro Monat, inkl. Steuerabzüge? 1.500 bis 2.500 EUR?
Bei 2.000 verkauften Exemplaren musst du das Buch binnen 2 Monaten durchprügeln um in den schwarzen Zahlen zu bleiben, bei 5.000 verkauften Exemplaren hättest du kein halbes Jahr zur Fertigstellung des Buches.
Bücher der 25 EUR-Liga besitzen i.d.R. 300 bis 600 Seiten Umfang. Die müssen von dir geschrieben werden, Screenshots müssen gemacht werden, evtl. Programme oder Scripts geschrieben und getestet werden. Und das alles in 2-5 Monaten…
@dogfood:
Damit ist aber der Inhalt für den Autor nicht verloren. Mit geringen Anpassungen kann er seine Inhalte zu Artikeln für Fachzeitschriften umformen. Für einen Standardartikel kommen (zumindest in meinem Fachbereich) dann noch einmal ein paar hundert Euro rüber. Gleichzeitig sind die Artikel eine gute Werbung für das Buch. Wenn der Autor dranbleibt und etwas Glück hat, kann er also mit dem Material zu einem Fachbuch (der Klasse O’Reilly) durchaus mehr verdienen als die Anteile aus dem Verkauf. Jedes folgende Buch wird dann ein Stück einfacher.
Bei 2000 Exemplaren á 2 Euro muss man das in einem Monat durchziehen. Denn um auf 2500 Euro nach Steuen und vor Sozialabgaben zu kommen, müssen fast 4000 Euro rumkommen.
Selbst wenn es optimal läuft: 5000 verkaufte Exemplare und noch zusätzliche Einnahmen durch Artikel oder als Experte bei Tagungen (wenn man das dem Buch zuordnen kann) – mehr als 15.000 Euro vor Steuern und Sozialabgaben sind nach der Rechnung von dogfood kaum drin. Um das auf einen angemessenen Tagesssatz zu kommen, dürfte das alles nicht mehr als 4 Monate Arbeitszeit kosten. Wobei das Schreiben nur ein Teil ist. Beim Thema am Ball zu bleiben udn Kontakte pflegen nimmt sicher auch einen guten Teil der Zeit in Anspruch. Nur so kann man auf das nächste Buch hoffen.
In der Realität wird es wohl bei 80% der Autoren selbst bei namhaften IT-Verlagen anders aussehen. Ob das Ausbeutung ist, ist vielleicht eine Frage des Standpunkts – Schlimmer geht es immer.
Im Idealfall sind die Themen und Arbeitsbereiche eines Autors miteinander vernetzt, viele Autoren bei O’Reilly sind eigentlich Praktiker und haben einen “Brotjob”. Ich finde es auch sehr wichtig, dass ein Autor seine Erfahrungen aus der Praxis in die Bücher einbringt — und in vielen O’Reilly-Büchern merkt man das auch.
Wenn ich von meiner eigenen Erfahrung ausgehen darf (ich schreibe neben meiner Arbeit als Programmentwickler technische Dokumentationen und auch manchmal einen Artikel für eine Fachzeitschrift): Schreiben ist eine Arbeit, die eng mit anderen Teilen meiner Arbeit vernetzt ist. Diese Teile beeinflussen einander und eines bringt das andere voran.
Was ist Ausbeutung? Solange ich von meiner Arbeit gut leben kann und sie mir Spaß macht, fühle ich mich subjektiv nicht ausgebeutet (oder beute vor allem mich selbst aus).
In der Wikipedia steht im Artikel “Ausbeutung” der schöne Satz: “Manche Menschen betrachten die Lohnarbeit als eine Form der Ausbeutung, bei der der Arbeitnehmer völlig vom Arbeitgeber abhängig ist.” Auch in diesem Sinne finde ich nicht, dass Fachbuchautoren ausgebeutet sind. Zumindest dann nicht, wenn sie mehrere “Standbeine” haben.
@stefan: Ich denke dein Satz trifft es: “Solange ich von meiner Arbeit gut leben kann und sie mir Spaß macht, fühle ich mich subjektiv nicht ausgebeutet“.
Bei Seiteneinsteigern (also: Nicht-Journalisten) generiert sich die Lust darauf Artikel oder Bücher zu schreiben, weniger aus irgendwelchen Träumen von Ruhm und Reichtum, sondern mehr aus der Lust sich intesiv mit einem Thema auseinanderzusetzen.
Re-finanzierung von Artikel? Wenn das klappt, wären die Tarife inzwischen gestiegen. Ich kenne Post-New-Economy-Seitenpreise von 200-300 EUR.
@strappato: es kommt natürlich massiv auf Einnahmen, Beruf, Steuerklasse und Krankenversicherung an. Auf 36% Abzüge komme ich bei mir nicht.
Ich meinte dort oben nicht die Re-Finanzierung durch Artikel, sondern eine gewisse Co-Finanzierung. Ich will daraus auch /nicht/ das Idealbild einer nach oben steigenden Erfolgsspirale basteln: Arbeit generiert Buch, Buch generiert mehrere Artikel, Artikel generieren Ruhm, Ruhm generiert neue Arbeit … — dazu weiß ich selbst gut genug, dass das alles mit harter Arbeit verbunden ist. Ich kenne die EDV-Bücher meiner eigenen Fachgebiete gut genug, um zu wissen, dass daran auch Autoren beteiligt waren, die wohl nie wieder ein Buch oder einen Artikel schreiben werden.
Und ich beschränke mich wohlweislich auf die EDV-Fachbuchautoren, die in der Regel noch andere ‘skills’ haben. Von der Arbeit eines freien Journalisten oder Belletristik-Autors, der nur vom Schreiben lebt, weiß ich einfach zu wenig. Vielleicht müsste da besser kooperiert werden. Ich weiß von einigen Fachleuten, die ein Top-Wissen haben, aber einfach nicht schreiben können. Schade drum …
@dogfood (11):
Schieb ist imho von der “anderen Baustelle” (Data Becker) gewechselt und landete dann bei Sybex.
Wobei ich grundsätzlich nicht auch die “andere Baustelle” kritisieren möchte – auch diese Bücher haben eine gute Berechtigung. Wobei ich anmerken muß, daß ich bei dieser Einschätzung nicht unbedingt jetzt neutral bin.
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(zur Vorgeschichte bzgl. des Trademarks des Wortes “Web 2.0″ bzw. “Web 2.0 Conference” bitte hier entlang)
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