Ãœber Kultur in Medien, Blogs und ganz allgemein im selbstbestimmten Internet
Da gibt es Leute, die werden von einer Zwangsabgabe des Systems bezahlt. Dafür, dass sie in einem früher mal wichtigen, heute jedoch praktisch bedeutungslosen Medium einem sog. “verfassungsgemässen Auftrag” nachkommen. Hin und wieder werden Bröckchen geworfen, nach denen sich praktisch jeder mal sagt: Na gut, ansonsten bringen sie vor allem Hirnfick, redaktionelle Egoscheisse und die Propaganda ihrer politischen, kulturellen odr sonstwie interessierten Freunde, aber für diesen einen Beitrag sehe ich mal drüber hinweg, der war wirklich gut. Diese Reaktion verhindert, dass sich, wie es diese überteuerten Behörden mit Medienausscheidungen und damit verbundenen Einflussgremien es eigentlich verdient hätten, hin und wieder ein Mob mit Mistgabeln und Fackeln in den Büros einfindet und die Abteilungsleiter und all die Schranzen …
Aber gut, darum geht es hier nicht. Als ich das letzte Mal von denen interviewed wurde, bot man mir eine Aufwandsentschädigung an, und ich sagte ab – damit ich obiges mit gutem Gewissen schreiben kann. Denn wenn ich mir die Ergebnisse unserer Medien im Internet so anschaue, dann begreife ich nicht, wie die es überhaupt wagen können, auch nur ein schlechtes Wort über Blogs und andere Formen des von Nutzern gestalteten Internets zu verlieren. Besonders, wenn sich diese verwanzte Brut und ihre Verwandtschaft der sog. Qualitätsmedien dann ernsthaft als Kulturbewahrer, Weltdeuter und führende Politikerklärer gegen die Horden der Strick- und Katzenblogger aufspielt.
Denn über welche Kultur reden wir bitte? Dazu habe ich gestern ein kleines Beispiel gekauft.
Das hier ist eine deutsche Ãœbersetzung von Cornelius Nepos “De Vita excellentium Imperatorum”, Magdeburg 1717. Das Buch ist lässige 290 Jahre alt, sein Autor wirkte vor mehr als 2000 Jahren in den späten Tagen der römischen Republik. Wer sich ein klein wenig mit der europäischen Geistesgeschichte auskennt, weiss um den Rang von Nepos: Wenngleich er nur kleine Skizzen über Herrscher aus älteren Quellen zusammengefasst hat, so ist der doch einer der Zeugen der Antike schlechthin, als man im späten Mittelalter die klassische Kultur der Griechen und Römer wiederentdeckte. Nepos hat in schlichten Worten das Standardwerk über Herrscher und Prominente verfasst, das über Jahrhunderte durch die Lateinschulen gereicht wurde, und die darin beschriebenen Schicksale sind Leitcharaktere der westlichen Tugenden und Sünden der Macht.
Wer sich weiterhin mit Nepos auskennt, weiss, dass dieses Buch seit Mitte des 19. Jahrhunderts massiver Quellenkritik unterzogen wurde. Heute weiss man, wo er abgeschrieben hat, wo er irrte und sich auf falsche Zeugen verliess, man kennt seinen “Spin” und würde auch generell nicht mehr seine Tugenden empfehlen. Dennoch bleibt das Buch ein wichtiger Bestandteil unserer eigenen Kulturgeschichte.
So. Nun schlage man das Büchlein auf, greife sich einen der unbekannteren Herrscher der hellenistischen Epoche heraus, lese das und suche dann das Internet ab.
…
Das Buch ist 290 Jahre alt, sein Verfasser lebte in der Antike – und schlägt das Internet der kommerziellen Medien bei seinem Thema noch heute um Längen. Da steht das Internet also kulturell. Das deutsche Internet wie auch diejenigen, die es für Geld befüllen, hat jenseits einiger “user generated content”-Seiten 160 Jahre Quellenkritik komplett verpennt. Tatsächlich lesen sich die allermeisten Einträge zu diesen Thema wie – oder sind gar – verkürzte Versionen von Nepos, der selbst schon verkürzte. Aus der Sicht eines Ãœbersetzers des Jahres 1717 hat das Internet zwar durchaus viel über die Zukunft zu bieten, ist aber selbst unfassbar geschichts- und kulturlos. Für jemanden, der sich im Barock gerade einen Winter am Kachelofen den Arsch aufgerissen hat, um Nepos den Landsleuten nahezubringen, ist es völlig egal, ob die Süddeutsche Zeitung online mal wieder was über Paris Hilton schreibt oder ich ein Katzenphoto bringe. Kulturell ist das der gleiche Bodensatz, und es wird ihn auch nicht überraschen, denn pornolastige Flugblätter und Schreibübungen in den ersten Klassen seiner Schüler waren auch nicht recht viel besser.
Seit nunmehr 500 Jahren gibt es diese akulturellen Sudeleien, die sich als Journalismus bezeichnen und mit damals üblen Erpressergeschichten eines Pietro Aretino begannen, über die man heute nur noch lächeln kann, wenn man sie mit dem heutigen Strichergewerbe vergleicht. 500 Jahre Müll, Dreck und der ständige Versuch, sich feige hinter Leuten wie Kisch, Kraus, Tucholsky und Ossietzky zu verkriechen. 500 Jahre abgeschriebene Pufftheaterprogramme und Scheissekotzen im Auftrag der Macht. Und in 10 Jahren Internet nicht mal der Versuch, irgendwas in Sachen Nepos einzustellen, um zu beweisen, dass es für Medien nochmal was anderes gibt als ein Tagesgeschäft zur Vermarktung der Leser gibt.
Wenn irgend jemand bewiesen hat, dass er seiner Aufgabe als Kulturträger jenseits des Tagesgeschehens nicht gerecht wird, dann sind das die Medien. Blogs sind da vielleicht nicht besser. Aber sicher nicht schlechter. Blogs weiten schon jetzt den quotengeilen Focus der Medien massiv aus, und tun damit das Gegenteil von dem, was Nepos getan hat: Sie fassen die Kultur nicht mehr zusammen auf ein paar Seiten, sie lassen sie in ihrer ganzen Breite strömen. Das muss einem ebenso wenig gefallen wie das Ende von Pelopidas. Und genauso, wie Nepos es gehasst hätte, hätte man schon zu seinen Lebzeiten aufgezeigt, wie erbärmlich er die wahre Kultur für sein erfolgreiches Büchlein zusammengestrichen hat – genauso kotzen heute die Medien über Blogs ab. Es gibt da nur einen kleinen Unterschied: Zu den Zeiten von Nepos gab es keinen Buchdruck. 1717 brauchte man immer noch ein sächsisch allergnädigstes Privileg, um das zu drucken. Und als es gedruckt war, sorgte der Ãœbersetzer mit dem Stock dafür, dass seine Schüler gefälligst an Gott, den Herrscher und seine flugblattdruckenden Arschspaltenauslecker glaubten und das auch gehorsamst zu Papier brachten.
Aber hier ist 2007 und das Internet. Heute brauche ich nur ein Blog um zu sagen: Ihr verfickt Medien, lest erst mal Euren Nepos, bevor Ihr mir was über Kultur erzählen wollt!
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Romantiker!
Nein, nur Nepotenhasser ;-)
Wenn es nur die öffentlich-rechtlichen Journalisten wären. Die hält sich eine Wohlstandsgesellschaft, ähnlich wie manche Wissenschaftler, die staatlich C4-allementiert nur ihren Passionen nachgehen. Aber den Apparat, der alles zusammenhält. Sender, Abteilungen, Unterabteilungen, Hauptabteilungen, Produktionsfirmen, …
Ist so ähnlich wie an den letzten Tagen der römischen Republik. Es wurden immer neue Institutionen und Befugnisse geschaffen, jedoch blieb der gesamte republikanische Staatsapparat, auch wenn viele seiner Funktionen aufgehoben oder bedeutungslos wurden.
Schöner Text :-)
Das ist ja ganz nett …
… nur wird nicht die Frage gestellt, geschweige denn beantwortet, WARUM “die Medien” ihrer Aufgabe als “Kulturträger” nicht nachkommen …es kann ja nicht schon wieder das III.Reich schuld sein…und Berlusconi ist nicht mehr im Amt….Bush auch bald nicht mehr.
War “Focus” Absicht?
Kennst du eigentlich – weil’s zum Nepos so schön passt – das Wort ‘Nepotismus‘?
@5, Quote verbietet Kultur, wenn die Gesellschaft auf andere Dinge steht. Insofern ist es ein Geben und Nehmen zw. Gesellschaft und Medien.
Nepotismus war Kinerkacke, heute heisst das Grimmeismus – von der Jury zum Nominierten, nur die Kumpels bleiben in der Jury.
Öffentlich-rechtliches TV und Radio kommen ihrer Aufgabe als sich wähender “Kulturträger” u. a. auch deswegen nur ungenügend nach, weil sie immer mehr mit den Privatsendern konkurrieren und mit ihnen um die Werbeaufträge. Nicht nur von ihrer eigenen kulturellen Unkenntnis und ihres oberflächlichen Kulturverstädnisses von oben den Machthabern herab und ihrem hündischen Dienern um redaktionelle Pfründe her fehlt ihnen ein anständiger Batzen echter Kultur, sondern auch weil Seichteres “reinmuss”.
Einer der beliebstesten und teuresten Buchungsplätze ist immer noch kurz im öffentlich-rechtlichen um die Tagesschau herum und vorm Spielfilm :-) Und dann kommt das, was Loriot so treffend sagte: “Ein perfekter Werbeblock verfehlt im Fernsehen seine Wirkung, wenn er alle paar Minuten von einem unverständlichen Spielfilmteil unterbrochen wird.”
Wenn ich @Don richtig verstanden habe, geht es aber nicht nur um “Einschaltquoten”- also der Wettlauf mit “Privaten” und Werbekohle, den das öffentl.-rechtl. eigentlich nicht gewinnen kann …
… sondern auch um “Grimmeismus”, die seichte Mittelmäßigkeit, die sich auch durch Vetternwirtschaft, Mut zu klaren Positionen/Meinungen ausdrückt…manchmal hat man den Eindruck, Mehltau liegt über dem Land :(
Warum um alles in der Welt sollten die Medien über Nepos schreiben? Da gibt es viele kluge Seiten aus den Unis. Und Du, lies lieber Deinen Epikur. Der macht wenigstens glücklich und gibt wirklich gute Ratschläge: Lebe im Verborgenen!
Nun, bei nepos kann man eine ganze menge, einfach verständlich, über Macht, ihren Missbrauch und Ignoranz lernen. tatsächlich spielten sich manche medien zuletzt eben doch als Kulturbewahrer auf – wenn man zu nepos dann viel auf Seiten wie Wikipedia, aber nichts bei den Medien findet, hilft auch nicht epikuräische Gelassenheit. Ich halte mich ansonsten lieber an Catull, oder noh besser Villon: In unserm Puff kriegt jeder, was er braucht.
So zum beispiel den Ausruf “Struktureller Analphabet”, wenn er nicht begreift, dass die eigentliche Intention des Beitrages erst in den aus der Diskussion abgeleiteten letzten Zeilen steckt. Nicht gelesen, oder? Erst kommentiert und dann noch immer nicht nachgedacht?
Momentchen mal. So geht das aber nicht, Herr Porcamadonna.
Die Intention in den letzten Zeilen zu verpacken, ist unjournalistisch und unprofessionell. So wird das nie was mit der Revolution. Der gehört vorne in den Lead, muss spätestens im zweiten Absatz klar sein. Wie Klosbrühe. Einlullen kann man den werten Leser dann immer noch, wird ja eh von hinten gekürzt, nech?
Blogbar 2.0 in Zukunft nur noch mit Executive Summary, Claim und Sätzen unter 6 Wörtern.
Wobei ich doch neulich gelernt habe, dass man im Radio um Himmelswillen bei den News unter acht Wörtern bleiben soll pro Satz. ;-)
Ansonsten: Seufz, ich beneide dich schon ein wenig um das Prachstück. Nein, natürlich nicht den Laptop…
Ad Astra
Ich tu mich heut a bisserl schwer, alle Journalisten und alle Medien in einen Topf zu werfen und ihnen selbstherrliche Unkenntnis des wahren Nepos vorzuwerfen, wenn ich sehe, was für ein Mist abgeht, linken oder Attac-Journalisten die Akkreditierung zur Berichterstattung beim G-8-Treffen Heiligendamm ohne Begründung zu entziehen. (Bin auch Attacie und sehr empört.)
Tut mir leid, mein Kopf ist daher heut nicht recht bei der Blogbar. Mich macht auch nachdenklich zu lesen, dass ein Anti-Mediamarkt-Bloger (möglicherweise Zusammenhang, aber nicht geklärt) deswegen Hakenkreuze zuhause hingeschmiert kriegt. Wie soll Kultur entstehen, wenn man im Internet das Maul halten soll, wenn man Angst kriegen muss. Wenn man nur schreiben darf, was gewissen Herrschaften genehm ist. Da ist mir die Diskussion, wieviel Aufmerksamkeitspanne der voreilig kommentierende, hastige Blogdurchschnittsleser hat, verhältnismäßig pillepalle.
Macht man dem Leser halt sein Zeugerl fettmarkiert, oookkkaaaayy, noch ein kleiner Blinkie-Pfeil auf die wichtigen Sachen für die Doofen, feddich ist die Laube…
Kunden muss ich auch bei der Präsentation der Entwürfe am goldenen Nasenring wie Ochsen an den Bildern und Texten entlang vorbeiziehen, häppchenweise, didaktisch aufgebaut wie für Grundschüler, sonst nix kapisko. Ist wahr, ist so.
Die staatlichen Sender sind nur so gut (oder auch schlecht) wie die Gesellschaft, der sie entspringen. Vielleicht merken wir langsam die Folgen jahrzehntelanger Emmigration, auch und vor allem der Rückzug ins Private. Das Internet schafft hier eine neue Oeffentlichkeit des an sich Privaten. Vielleicht erreichen einige tausend engagierter Blogs und Special Interest Medien inzwischen schon mehr relevante Menschen als die sogenannten Massenmedien zusammen ? Dass die öffentlichen Entscheidungsträger davom weni mitbekommen liegt auch an den Zirkeln, in denen sie verkehren – dominiert von den ca 250 reichen Familien des Landes, die kein Interesse an Veränderungen haben können.
och, das war jetzt aber wirklich gut. mal eine über den tag hinausgehende sicht auf die dinge. viiiel zu selten.
was ich nie verstehen werde: warum konsumieren wir denn den paris-hilton-dreck? dagegen sind zuckerpillen doch der reinste ballaststoff.
Schöner Beitrag, habe ich gern gelesen.
Zum Fernsehen fällt mir ein Zitat von Frank Lloyd Wright ein: “Fernsehen? – das ist Kaugummi für die Augen.”
Mach doch mal bitte die Schleichwerbung unten aus dem Bild weg ;-)
Ansonsten:
Das Internet ist m. E. nie wirklich als “Kulturleistung” zu sehen. Höchstens als flüchtige Momentaufnahme.
Das ist schade – und vor allem werden wir uns alle noch gewaltig ärgern, wenn irgendwann die Stecker gezogen werden, und all der schöne “Content” im Nirvana verschwunden ist. Dumm dann, eigentlich. Aber wenigstens starben keine Bäume dafür ;-)
(gut, vom erhöhten CO2-Ausstoß für die Serverpark-Energie mal abgesehen)
Zur Kultur im Internet: bitte hier entlang. Den alten Nepos gibts dort übrigens auch.
Und den kleinen Stowasser nicht vergessen!
Bezüglich Qualität scheint es für die durchschnittliche Gesamtproduktion kein kulturelles Lernen zu geben. Vieles was heute so den ungewaschenen Massen (also die meisten von uns an einem Samstag-Morgens um 09:27) zum Fraß vorgeworfen wird hat seine antike Entsprechung vielleicht eher in wenig humanistische Sensationsberichten über das neueste der Saison im Circus Maximus: ausgehungerte Pavianhorde gegen Gladiator.
Zum Glück gibt es immer noch den long tail an Leuten, denen es gar nicht so darum geht, ihr Zeugs per Massenwerbung zu finanzieren, sondern die aus anderen Intentionen heraus Qualität liefern.
z.B. kann man zu Web2.0 den AnzugPunker oder die Gesellschaftsseite von Mr. Vanity Fair lesen. Oder man ignoriert diese joker und liest die Blogs der Belegschaft von http://www.redmonk.com, die Interesse daran haben eine glaubwürdige und kompetente Analysten-Firma am Auftrags-Strom zu halten.
Wer ein bisschen im Original “blättern” möchte und nicht das Glück hat, so eine wunderschöne Ausgabe in Händen zu halten, wird fündig bei Google Books: De vita excellentium imperatorum.
ist es eigentlich absicht dass du das IBM Thinkpad Logo auf dem Bild hast ?
Ich meine… keine schlechte Werbung.
Es gibt keine IBM-Thinkpads mehr. Ich hätte genauso meinen Empireschreibtisch nehmen können, den gibt es auch nicht mehr. Was es heute noch gibt, ist Dreck einer Firma namens Lenovo, die die Namensrechte zu tun hat. Das ist vergleichbar mit “Zeiss Ikon”-Kameras aus Fernost. Aber keinesfalls mit einem IBM T22. Und auf diesen Umstand weise ich auch gerne und oft hin.
Etwas stört mich an dem obigen Foto! Die Blätter eines so alten Buches sollte man schon mit Baumwollhandschuhen anfassen. Wegen der Säure und so…
Altes Hadernpapier hält das schon aus. Und überlebt mich ohnehin.
Ich fand das Notebook eine sehr schöne Illustration zum Thema “Kulturträger jenseits des Tagesgeschehens”. Thinkpads sind die einzigen Notebooks, die etwas Bleibendes im Meer der bunten monatlich wechselnden Gadgets sind. Sowohl bei der Qualität als auch im Design.
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Ein wenig OT: Mein unverwüstliches X20 liebe ich…
das Problem ist wohl eher: trotz Google. PR + co. sind 95% des internets noch weiße flecken auf der karte.
schon allein angefangen bei seiten zum thema arthur + walisische / alt-englische archaelogie: die meisten infos kenne ich aus seiten, die so verworren und vettrack – um nicht zu sagen: abgrundtief hässlich – sind. die wiederum gaaanz tief über zig framesets und iframes auf andere seiten verweisen – homepages eben, von “amateuren” gestaltet. amateure in sachen webdesign + co, aber sicher nicht in ihrem fachgebiet.
und so zieht sich das im einen fort. “selber suchen” lautet hier die devise.
cu, w0lf.