Blog Dich reich,
oder so: 800 Dollar monatlich für einen Werbebanner und wöchentlich eine Geschichte über eine Firma aus dem kanadischen Vancouver namens Marqui – das ist der Deal, der 15 Bloggern in den USA angeboten wurde. Glaubt man den Berichten, haben sie akzeptiert, für Marqui im Sinne eines “Product Placements” in die Tasten zu hauen. Dafür werden ihre Namen bei Marqui zwecks Transparenz öffentlich gemacht, und sie erhalten laufend Neuigkeiten aus dem Betrieb. Es geht laut Pressemitteilung nicht ums Nachplappern der Unternehmens-PR; sie dürfen unabhängig kommentieren, wie sie wollen. Marqui hat angeblich auch Interesse an Kritik, wobei eine zusätzliche 50-Dollar-Vergütung für die Blogger pro vermitteltem Kunden die Lästerneigungen nach allen Erfahrungen mit der menschlichen Psyche begrenzen dürfte.
Dass die Idee ausgerechnet vom Startup Marqui kommt, ist nur konsequent: Die Firma aus bietet eine Software an, mit der Firmen einfach und umfassend Dateien unabhängig vom Endgerät austauschen sollen. Die Idee, “ganzheitliches” Communication Manegement Systems als ASP-Lösung zu vertreiben, ist nicht ganz neu und in der New Economy schon einige Male gescheitert. Die eher kleine Summe von 3 Millionen $ Venture Capital hat Marqui für diese Idee soeben bekommen – 180.000 $ davon fliessen als Bezahlung an Blogger; beim ersten Versuch für drei Monate allein schon 36.000 $.
Die wöchentlich zu veröffentlichende Neuigkeit ist für so eine kleine Klitsche ganz schön viel. Was haben die wohl an echtem Nachrichtenwert zu bieten? Neben den üblichen Jubelmeldungen über Neukunden oder angebliche Verbesserungen sowie den neuen Socken des Mannes der Geliebten des führenden Mitarbeiters, die er bei der Wartezeit im Kleiderschrank entdeckt hat, wird es nur wenige wirklich relevante Neuigkeiten geben, die einen grösseren Kreis von Lesern interessieren dürfte. Trotzdem gibt sich Marqui überzeugt, man habe die richtigen Leute mit der richtigen Reputation und grosser Glaubwürdigkeit bei ihrer grossen Leserschaft gefunden – Moment, hab ich sowas nicht schon mal gehört?.
Gewachsen ist der Plan der derbe Vermischung von redaktionellem Inhalt und Werbung auf dem Mist eines gewissen Marc Canter – ein Software-Mensch, den manche als gescheitertes Grossmaul und andere als Pionier bezeichnen, weil er in noch nicht ganz so alten Tagen wie heute ein gewisses “Adobe Director” an leitender Stelle zusammepfriemelte (hör ich da gerade einen geschätzten Herausgeber fluchen?.) Die wenig zimperliche Art der Veröffentlichung der Idee in seinem Blog lässt einiges vermuten:
What was the most outrageous idea I could throw at them? “Pay Bloggers to Blog” and they went for it!
Ironie an der Sache: Marc Canter lässt sich laut Logo auf der Startseite ebenfalls fürs Bloggen von Marqui bezahlen – und sitzt im Advisory Board von Marqui…
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass allein schon diese Ankündigung und das folgende Rauschen im Blogblätterwald der Hauptteil der Werbeoffensive ist, wie man das ja schon von anderen Klitsc kleine Firmen wie Berlecon oder Cyber Alert gewohnt ist. Man nehme: Eine unbekannte, bedeutungslose IT-Firma, lasse sie etwas tun, was viele Blogger nervt, und lasse sie dadurch bekannt werden – die richtigen Interessenten werden das dann mitbekommen und die Produkte kaufen. Hätte Marqui sein popliges Venture Capital bei einer zeitschrift durchgeorgelt, kein Schwein hätte sich dafür interessiert. Weil es aber um Blogger geht, redet jeder darüber, und Marqui bekommt eine fette Pressemappe. Vieles daran mag nicht gefallen, die Idee ist kaum mit dem Pressecodex vereinbar, den meine Bloggerkollegen m. E. weitaus ernster als meine Redaktuerskollegen nehmen, aber: Das Werben mit Blogs und das Guerillamarketing über künstlich erzeugte Konflikte ist nur ein Trend, ein Hype, der sich eine Weile ausreizen lässt, und irgendwann nicht mehr zieht.
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Dieser Verdacht liegt ja nahe – ähnlich nah wie die Frage, warum Du Dich dieser Geschichte an dieser Stelle dann widmest. *Ignore on* und gut ist.
Ich hätte es nicht gebracht, würde sich nicht der Advisory-Knilch über seinen eigenen Vorschlag selbst bezahlen.
man kann über die marqui-story denken, wie man will (machen diverse kollegen in der blogosphäre ja auch), aber marc canter vorzuwerfen, dass er sich selbst mit der sache gesundstossen will, verkennt den mann meines erachtens ganz massiv. marc canter ist ein manischer querulant, manchmal “bemühter” querdenker und provocateur. daneben ein “original” im besten sinne des wortes, mitreißender redner, mittelprächtiger musiker, ausgebildeter opernsänger (ich habe ihn mal in SF gehört; gar nicht so schlecht) und kurioserweise zugleich auch mit ganz beachtlichen diplomatischen fähigkeiten ausgestattet.
wenn es ihm darum ginge, “die ganz große kohle zu machen”, hätte er dazu einige male in seinem leben gelegenheiten gehabt, die er vertan hat, um stattdessen irgendwelchen wichtigen menschen auf die füße zu latschen, so richtig radau zu schlagen und dabei ein neues steckenpferd zu propagieren. er hat übrigens nicht “adobe director zusammengepfriemelt” sondern ein programm namens videoworks, aus dem erst videoworks interactive und dann “director” wurde, urmutter nahezu aller interaktiven cd-roms (was man als verdienst oder schande ansehen kann; geschmackssache).
man muss ihn nicht sympathisch finden (ihn großmaul zu nennen, ist eine dezente umschreibung: er ist sehr laut, egozentrisch, egomanisch und manchmal sehr unhöflich) aber ums geld geht es ihm – meiner meinung nach – wirklich nicht in erster linie. der will wirklich die welt verändern.
Das möchte ich alles nicht bestreiten, nur entwertet es die Idee erheblich, wenn erst von bezahlten Bloggern getönt wird, und sich dann herausstellt, dass Canter himself auch zu den Verdienern gehört. Nicht wegen der paar Dollar, aber er ist, wie man in bayern sagt, eine gmahde Wiesn, es ist klar, dass sein angebliches “Experiment” bei ihm sicher funktionieren wird. Wenn ich rausgehe und sage, ich stelle mich mit meinem Produklt der Blogosphäre, aber die Hälfte der leute sind meine Kumpels oder bei mir investiert, dann hat das nicht viel von einem Beweis, sondern nur einiges von einer piefigen PR-Aktion.
da magscht recht haben. das geschmäckle bei der marqui-aktion wollte ich auch nicht bestreiten und hab’ ich ja auch nicht (obwohl ich mir meiner eigenen meinung zu der sache nicht hundertprozentig sich bin; vielleicht muss man mal abwarten, wieviel verrisse/wieviel negatives dabei über marqui gebloggt wird) … nur den vorwurf, das diese aktion von finanziellen interessen seitens canter persönlich getrieben wird halte ich (ganz persönlich) für sehr unwahrscheinlich. eitelkeit und spass daran, die welle zu machen … ja!
und nein, ich denke nicht, dass “das experiment” dadurch entwertet wird. das sind andere faktoren, die entscheidender sind, die du zum teil auch schon kritisch erwähnt hast. man wird sehen. unspannend finde ich die sache nicht.
wenn deine vermutung, dass sich das nach den ersten aktionen in dieser richtung überlebt hat, zutrifft, wird ja kein großer schaden entstehen, gell?
Schaden? Jein. Man riskiert damit, dass Blogs in den Medien in ein schlechtes Licht gerückt werden. Ich kenn doch die Journaille:
“After the big Success in the Elections, Bloggers go for the Big Buzz”
Und dann der Bericht, in dem aus ehemals unabhängigen Bloggern Arschlriecher der Industrie werden.
Bestenfalls wird das irgebndwann zu viel und zu normal, als dass es noch einen Artikel wert wäre.
das bild der blogs/blogger in den medien … kann das denn noch so viel schlechter werden? (gibt es eine flughöhe unter null?) *grin*
schön wär’s, wenn das bild irgendwann zumindest einmal so ausdifferenziert wäre wie bei … jeansträgern, zeitungslesern, weintrinkern, telefonierern oder so. da gibt es nette, stinker, dumme, kluge, großzügige, nervige, interessante, idealisten, geldgeile …
wär doch schön, wenn die ausdrucksform “ich betreibe ein weblog” vom menschen und seiner charakterlichen und psychopathologischen bewertung getrennt werden könnte.
hat nix mit dem thema zu tun? hmmmmh … vielleicht doch: es gibt unabhängige, honorige (vielleicht sogar ehrpusselige) blogger, es gibt gute und es gibt schlechte, spannande, langweilige, ernsthafte und alberne. es gibt und wird menschen geben, die weblogs (oder das web ganz allgemein) für literatur, poesie und pornografie nutzen werden und andere, die damit PR und kommerz machen. ist wie bücher, fernsehen, zeitungen …
womit ich dir das recht, dich über die deiner meinung nach unschönen seiten der blogosphäre zu ärgern und auf sie zu zeigen nicht absprechen will. sollte so nicht rüberkommen.