Traue keinem iranischen Blogger
Es ist ein gefundenes Fressen für die US-Medien: Tausende von jungen, gut ausgebildeten, medial vorzeigbaren Leuten schreiben ihre Blogs auf Englisch, man kann es einfach so abrufen, lesen, und kapiert sofort, dass da was am Entstehen ist. Das hat viel mit Demokratie, Fortschritt, Freiheit und westlichen Werten zu tun, das setzt ein Gegengewicht zu den verhassten Mullahs. Im Blog spricht der Perser nach dem Wunsch des Westens, hier startet er eine Revolution, hier erfährt der US-Journalist und seine angeschlossenen Abschreiber in den deutschen Medien, was unter der schiitischen Oberfläche abläuft, bishin zur Demoorganisation mit dem Handy. Kommt bei uns echt gut, sowas. Einmal durchklicken, abschreiben, fertig ist der Insiderbericht über die aufstrebende Jugendkultur des Irans, die für den Wandel steht.
Und dann wagen es die internetlosen Slumbewohner Teherans und anderer Städte, die zum grossen Teil auch jung, aber bettelarm sind, einen Extremisten zu wählen, der sich um die Sorgen kümmert, von denen man in den Blogs eher wenig liest. So ein Pech aber auch, dass die Blogger wohl zu einere kleinen, feinen Oberschicht gehören, die wenig politisches Gewicht auf die Waage der demokratischen Abstimmung bekommen. Da hilft es nichts, wenn US-Medien dann aufg Bilder aus Blogs hinweisen, in denen die Wahllokale weitgehend leer sind – es gibt nun mal eine Realität, die nichts mit dem zu tun hat, was in den Blogs stand.
Aber wie soll das ein dummes faules Schwein Journalist mitbekommen, der sich auf das verlässt, was ihm andere mundgerecht, seiner Ideologie entsprechend und ohne Hürden verständlich vorwerfen. Da haben sich zwei Gruppen gefunden, die einen schreiben das, was die gern hören, die sie dann zu Helden machen. Blogger bilden wie Journaille die Realität ab, die sie sich selbst erfinden; das eint sie, das macht es so leicht, sich im anderen zu täuschen und das alles für die gesamte Realität zu halten.
Die Wahl im Irak ist nach der Bloggerinitiative Move On in den USA schon der zweite Fall, wo Blogs ganz massiv zur Fehleinschätzung der politischen Situation in den Medien beigetragen haben. Ein fragwürdiger Erfolg, ganz gleich, wie mies die Medien dabei aussehen.
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| Und dann wagen es die internetlosen Slumbewohner
| Teherans und anderer Städte, die zum grossen Teil
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| denen man in den Blogs eher wenig liest.
Nun ja, ob er sich wirklich um deren Sorgen kümmert, ist zweifelhaft. Er gibt vor, dies zu tun, ja. Doch die beschriebene Armut ist eben auch ein Produkt eines Systems, für welches Ahmadinedschad steht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es ausgerechnet ihm gelingen sollte, die sozialen Probleme in den Griff zu kriegen.
Ahmadinedschad ist ein Populist, dem es gelungen ist in den Armenvierteln die Stimmen abzugrasen. Einen Gefallen hat sich das iranische Volk damit kaum getan, damit haben die westlichen Medien schon ganz recht (sofern sie denn die Wahl überhaupt anerkennen).
Richtig ist natürlich, dass es reichlich naiv ist davon auszugehen, dass eine finanziell besser gestellte (und besser ausgebildete), Minderheit das bestehende System allein durch Blogging ins Wanken bringen und demokratisch-liberalen Kräften zum Durchbruch verhelfen kann.
Welches war denn der erste Fall der Fehleinschätzung?
das stimmt so nicht. die stimmung im iran, gerade in den slums, war nicht so wie es das wahlergebnis jetzt darstellt. die leute waren geschockt vom ergebnis und hatten keinerlei ambitionen solch eine regierung zu bekommen.
das hab ich nicht aus blogs oder den medien, sondern von einem bekannten vor ort, der in den slums aufbau arbeit leistete und entsprechend einen engen kontakt zu den ach so bösen falsch wählenden slum-bwohnern hat.
diese sind übrigens überwiegend heroin-abhängig. 25 cent ein schuss, keine perspektive auf ein besseres leben etc.
was du hier machst ist im trüben fischen und vermutungen anzustellen. im endeffekt also das, was du den anderen vorwirfst.
@anke: als erste “Fehleinschätzung” gilt der Wahlkampf von Howard Dean.
ergänzend zum Wirtschaftsweiser_ch: in einigen sunnitischen gegenden wurde wohl auch massiv geschoben. dort wurden vom (schiitischen) staat wahlbeteiligungen von 95% und wahlsiege des schiitischen kandidaten von über 33% gemeldet, was von vielen beobachtern für unwahrscheinlich gehalten wird.
Auch wenn man dem Urteil gegenüber den MSM zustimmen kann. Die Einschätzung “der Perser” (?), die nach “dem Wunsch des Westens” (?) sprechen und eine “Revolution” (?) starten; die Einschätzung ist gleichsam völlig daneben. Wegen Zeitmangel und Aggressionsgefahr ob der ßberschrift habe ich jedoch gerade keine Lust, dies weiter auszuführen.
@ wirtschaftsweiser: Ein Entwicklungshelfer sagt dir etwas überdie Leute? Na prima, ich geh dann mal los und suche mir einen Basler, der mir erklärt, warum die Zürcher schuld sind am trüben Image der Schweiz. Spass beiseite, es gibt bei allen Schiebungen und Kandidatenunterdrückung ganz offensichtlich sehr viele Leute aus den armen Schichten der grossen Städten, die ihr Kreuzerl wohl beim Extremisten und nicht beim Oligarchen gemacht haben. Nichts anderes steht im Kern da oben, insofern ist die Basis für die obigen Anwürfe nicht eben allzu breit.
solche basler wirst du finden, da genug nach zürich gezogen sind.
ansonsten bitte den unterschied zwischen aufbauarbeit und entwicklungshilfe beachten.
… “jungen, gut ausgebildeten, medial vorzeigbaren Leuten” …
Das gilt auch für die hiesige Blogosphäre. Blogs sind ein Ding der geistigen Oberschicht, ggf. noch der Mittelschicht. Den Großteil der Leute kümmert das alles ziemlich wenig…
Mit “Blogs” meine ich jetzt nicht irgendwelche buntgefärbten Teenie-Blogs mit unsäglich unwichtigem Inhalt. Ich meine eher die gemessen an der Blogs-Gesamtzahl wenigen Blogs mit gutem Inhalt, guter Schreibe und großer Reichweite. Halt die Top-50 (?) auf den Statistiken.
Blogs sind kein Medium, dass Massen in dem Maße erreicht, dass sich z. B. Wahlen oder politische Stimmungen beeinflussen lassen können. Blogs sind nicht BILD. Blogs sind ein Spielzeug der zahlenmässig unterlegenen, geistigen Mittel- und Oberschicht.
Realitäts-Check: meine Großeltern
Wenn es so scheint, als ob die Stimmung wieder weg kippt von der CDU, mache ich mir etwas Sorgen, ob wir nicht in die Iran-Falle laufen. Dann ist es gut, hin und wieder einen Realitäts-Check zu machen. Früher, bevor ich eine Familie hatte, war das de…