Fress die Press
Heute war es mal wieder so weit: Ich musste 5000 Zeichen für einen Hintergrundbericht über Charlotte Knobloch abliefern, innerhalb von drei Stunden. Das hat normalerweise mit seriösem Journalismus nichts zu tun, nur ist es in dem Fall so, dass ich kein Wald- und Wiesenjournalist bin, sondern Spezialist. Die wichtigen Punkte sind alle in meinem Kopf, auf das Internet kann ich verzichten. Trotzdem hat es mich danach interessiert, was Kollegen so schreiben. Da gibt es grob gesagt drei Gruppen: Die erste hat wenig Ahnung und macht Fehler, wie etwa Herr Riebsamen von der FAZ, der schreibt:
zum Beispiel auf das Zentrum ihrer Münchener Gemeinde, dessen Fundamente Rechtsterroristen in die Luft sprengen wollten. Längst ist dieses Zentrum eingeweiht und ein lebendiger Ort jüdischen Lebens – mit ein Verdienst von Charlotte Knobloch.
Wer München kennt, weiss, dass das Zentrum noch längst nicht fertig ist und die Einweihung am 9.11.2006 geplant ist. Bei der FAZ schreibt einer, der nicht mal recherchiert hat, bevor er schreibt. Ähnlich bescheuert die Behauptung von Herrn Gessler in der TAZ, Frau Knobloch throne in München auf der Frauenempore: 1. sieht ein Mann in München von unten aus nicht so weit auf die Frauenempore, und 2. ist für verheiratete Frauen und Witwen wie Frau Knobloch bei bestimmten Anlassen unten durchaus eine Reihe reserviert. Gessler – bei der TAZ Spezialist für das Judentum – beschreibt etwas, das er nicht gesehen haben kann. Und der Tagesspiegel schreibt diesen Unsinn auch noch leicht geändert ab:
Die Münchner Gemeindemitglieder bewundern sie dafür, eine Art Übermutter sei sie. Wenn sie in der Synagoge auf der Frauenempore sitze, throne sie wie eine Königin.
Irgendwo zwischen Schlamperei und Borderline also agiert die sog. Qualitätspresse.
Die zweite Gruppe, gut 300 Meldungen bei Google News, speist vollautomatisch die DPA-Meldung ein. Da ist keiner mehr, der noch weiss, worum es überhaupt geht, da wird die Nachricht zielgruppenkompatibel generiert und dem für dumm gehaltenen Leservieh angekarrt, als wäre ein eine Geflügelzucht mit Käfighaltung.
Die dritte Gruppe schreibt den Krempel etwas um und garniert ihn mit Infobrocken aus dem Netz, die man leicht an kolportierten Falschinformationen wie etwa dem Zeitpunkt des Antritts von Knobloch als Präsidentin der Münchner Gemeinde erkennt – da flattern nämlich zwei Versionen durch das Netz.
Klar, der Zeitdruck. Klar, die Kosten. Man findet immer Entschuldigungen, aber ich frage mich schon, wozu ich eigentlich noch all diese Medien brauche, wenn sie sowieso nur DPA oder die Schreiberlinge grossenteils zu dumm zum Recherchieren sind. Aus all diesem Wust müsste ich mir jetzt die 3, 4? – ich weiss es nicht, mir hat das schon gereicht – Artikel raussuchen, die keinen Blödsinn enthalten und über den Agenturenschmarrn hinausgehen. Hier nun zeigt sich die Schwäche der Medien nicht bei einer Randnotiz, sondern bei einer Topmeldung. Und das ist der Moment, in dem ich mich frage: Wozu brauche ich diese Heerscharen von Einspeisern, Lügnern und Versagern. Warum soll ich sie bezahlen, mit Clicks belohnen. Warum soll ich sie nicht zum Teufel hauen. Wieso haben die überhaupt einen Presseausweis. Es ist heute einer der Tage, an denen ich es wirklich nicht mehr verstehe.
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Ich bitte um einen Absatz zwischen der Beschreibung der 2. und 3. Gruppe.
Und um eine ausführlichere Würdigung der 2. Gruppe. Wenn nicht hier, dann bitte mit link woanders.
Besser?
irgendwie fühlt sich ja jeder von versagern, losern und dummbatzen umringt. nur in der mitte – wer steht da eigentlich? wer ist das?
Die Neuwahl kam ja nicht überraschend.
Für mich als Leser erscheint das so: Früher hätten die Redaktionen für alle relevanten Kandidaten einen recherchierten vorgefertigten Artikel bereitgehalten. Heute quick-and-dirty als Arbeitsprinzip.
Früher haben sich die Redaktionen zu sehr vielen Themen Spezialisten geleistet – heute wird die Zeitung von immer weniger Redakteuren unter immer größer werdenden Zeitdruck vollgeklatscht: dpa über alles. Ob und wo sie throne mal aussen vor gelassen (das kann ein Aussenstehender nicht wissen), der Fehler der FAZ ist ja wohl mehr als peinlich.
Das kann man als Außenstehende(r) schon wissen, Salcia Landmann lesen genügt da meist.
Vor allem hilft ab und zu da hin gehen müssen, wie ich das bisweilen tun muss.
Jeder PRE-Fuzzi weiß: Kriegst du deinen Scheiß auf den dpa- und/oder AP-Ticker, druckt’s die deutsche Press ab – egal, was drin steht. Besonders die Tagespress. Schlimmstenfalls gibt’s hier und da einen VolUntär oder eine Praktikantin, die Formulierungen verschlimmbessert. Die Botschaft kommt rüber.
Erfolgsrezept: Verschaff deinem Nachrichtenagenturkontakt die Eintrittskarte seiner Wahl, dann klappt’s auch mit dem Abdruck.
Ich hab ohnehin immer mehr den Eindruck, dass den Kaufleuten in der ‘Q-Presse’ ziemlich Blutwurst ist, was den Raum zwischen den Anzeigen füllt.
GGf. ist der Tod der Presse via (Stellen-)Anzeigenschwund ein Mythos und es ist doch hausgemacht?
Wenn man seine ‘Leute’ nur genügend frustet, dann kriegt man die Quali schon an den Boden.
Wann wäre der Journalismus denn jemals “Qualitätsjournalismus” gewesen? Ich zitiere mal aus Christian Fr. D. Schubarts “Deutscher Chronik”, ein Schriftsteller also, der allgemein als Ahnvater des Journalismus in Deutschland gilt: “Noch niemalen sind die von allen Gegenden Europens einlaufende Berichte widersprechender gewesen, als jezo. Unser Welttheil scheint ein Labyrinth zu seyn, worinnen wir arme Annalisten ohne den leitenden Faden der Ariadne herum irren” (13. Stück, 12. May 1774). Dieses journalistische Lebensgefühl ist doch für die meisten der Redaktions-Mausis bis heute gleich geblieben.
MfG
“Man findet immer Entschuldigungen, aber ich frage mich schon, wozu ich eigentlich noch all diese Medien brauche, wenn sie sowieso nur DPA oder die Schreiberlinge grossenteils zu dumm zum Recherchieren sind.”
Genau das ist der springende Punkt. Das frage ich mich auch immer öfter.
Das stupide Nachrichtenagenturabgeschreibe fällt seit googlenews und den googlenewsalerts massiv auf. Und die googlenewsalerts sind kein Service irgendeiner kleinen Web2.0-Kaschemme. Viele Leute nutzen das und vielen fällt das auf. Das ändert (irgendwann) auch den Blick der Bevölkerung auf die Presse an sich, oder zumindest großer Teile.
Daseinsberechtigung there are you?
Was die Schelte der dpa-Meldungs-Abdruckerinnen angeht, so muss man aber hinzufügen, dass die meisten dieser Zeitungen Lokalzeitungen sind.
Lokalzeitungen machen etwa 4/5 aller in der BRD verkauften Zeitungen aus und die Menschen bewerten diese Zeitungen im wesentlichen nach der Qualität ihrer Lokalteile, weniger nach der Qualität ihrer überregionalen oder internationalen Nachrichten. Bei letzteren gibt sich die überwältigende Mehrheit mit Informationen auf Fernseh-Niveau zufrieden (und gegenüber heute und Tagesschau ist die dpa oft noch Gold…) – wie es ja für Lokalzeitungen schwer ist, gegen das Fernsehen anzustinken, da sie medienbedingt inaktueller sind.
Der SPON schafft es auch ohne dpa oder AP den größten Blödsinn zu verzapfen. Hier mal wieder ein Beispiel vom 8.6.2006 – so gegen 17:50 Uhr:
http://37sechsblog.de/?p=713
Die SPONsis machen FDP-Generalsekretär Dirk Niebel zum Bundesgeschäftsführer seiner Partei. Warum? Nun, vermutlich, weil es so gut passt zum verunfallten (jetzt wird's richtig) PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch.
Mannomann, wer bezahlt denn für diesen Kram noch?
Das entscheidende Qualitätsmerkmal – scheint – billiges, schnelles Produzieren von Text zu sein, dieser nicht grob falsch ist. Ich kenne die Welt des Journalismus nur oberflächlich (in erster Linie aus Leserperspektive) und vermute, dass es ein echt harter Job ist.
Ich stelle es mir schwierig vor, zu einer Vielzahl von Themen kompetent schreiben und zu recherchieren. So, wie ich es kennen gelernt habe, wird der durchschnittliche Journalist zu Oberflächlichkeit verführt, und allzu schnell entwickelt sich aus der Kenntnis einer Vielahl von Sachverhalten und einem exklusiven Zugang zu diesen Sachverhalten das Gefühl, alles zu wissen.
Ich selber wäre entweder ein echt schlechter Journalist, oder einer, der ewig für seine Texte braucht, sich vielfach umhört, recherchiert, um an Ende zu mitunter eigenwilligen Ansichten zu gelangen. Ich wüsste keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Ich mein, es ist z.B. einfacher, einer gut gemachten INSM-Mitteilung auf den Leim zu kriechen, als diese zu widerlegen, und dies auch noch in kurzer Zeit.
Immerhin liefern mir “think tanks” und von der Industrie gekaufte Experten in kürzester Zeit, wie bei einem Zulieferungsservice, Experten frei Haus. Und dies dann zum tagesaktuellen Thema, wo diese zumindest scheinbar, unparteiliche, gut aufgemachte und relevante Informationen anbieten können.
Wie handhaben sowas Journalisten? Wie wird die Abhängigkeit von den bequemen Quellen überwunden?
Soll ein Journalist zunächst bei 10-15 weiteren Experten herumfragen, sich dann selbst Expertenwissen erarbeiten, nur, um dann entscheiden zu können, welche 2-3 abweichenden Experten-Meinungen eine Veröffentlichung rechtfertigen? Kann der Journalist auf sein mühsam erworbenes Halbwissen vertrauen, oder soll er – wie ein Wissenschaftler – sich zunächst auf die Suche nach der Wahrheit machen?
Dann wäre er aber kein Journalist mehr.
Als Leser bin ich oft unzufrieden, was mir da von Journalisten und sogar Fachjournalisten aufgetischt wird, wie wenig ich vom Zustand der Dinge und der Gesellschaft erfahre, und wieviel unnützer Lärm, Verlautbarungen, Fertigkost, Kampagnendreck und sogar unveränderte PR-Kacke mir entgegengeschmiert wird.
Doch, wie lautet die Alternative? Ich bin da überfragt, und ich hoffe, dass diese Frage auch von Journalisten gestellt wird, z.B. innerhalb vom Netzwerk Recherche.
>Besser?
Ja, danke.
Zum Komplex der 2. Gruppe, also Nachrichtenagenturen, deren Schreiber und deren Kunden, drei erhellende postings von jenseits des grossen Teichs (es geht um die unfaire Behandlung von US-Senats Minderheitschef Harry Reid (D) durch Artikel des AP Reporters John Solomon)):
http://www.talkingpointsmemo.com/archives/008656.php
http://atrios.blogspot.com/2006_06_04_atrios_archive.html#114961982668283102
http://atrios.blogspot.com/2006_06_04_atrios_archive.html#114962137167062772
>Wie handhaben sowas Journalisten? Wie wird die Abhängigkeit von den bequemen Quellen überwunden?
Manche “Journalisten” sollten sich vor allem mal die pseudo-objektive “he-said, she-said” Berichterstattung abgewöhnen, und einfach mal Bullshit als solchen bezeichnen. Dann hätten nämlich Leute wie der Uhl mit seiner ukrainischen zwangskriminellen Nutten Falschmeldung und die INSM Kamarilla erst gar keine Möglichkeit ihre Propaganda unters Volk zu bringen.
Richtig problematisch wird’s dann, wenn sogar die ßR redaktionelle Verantwortung an Private wie die Christiansen oder Beckmann und die ganze Konservative Kamarilla abgeben (und dann auch noch für Talksendungen, wo man im Sender nicht einmal wie bei vorproduzierten Beiträgen den Inhalt checken kann).
Es geht nicht um die Abhängigkeit von bequemen Quellen – das ist zu einfach. Es ist eine Art von “Autoritätshöhrigkeit” bei Menschen im Führungskreis – dem einzelnen wird nicht vertraut, wenn die Geschichte nicht dem Mainstream entspricht, sprich: Wenn nicht dpa oder tagesschau dasselbe sagen. Es gibt Journalisten, die ihre Exklusiv-Geschichte an dpa weitergeben, um damit eine Basis zu schaffen, um sie absetzen zu können. Darüber sollte man mal nachdenken…
Auch wenn ich nicht behaupten kann “Vollzeitjournalist” und damit sehr guter Kenner der Medienwelt zu sein, erscheint mir das Beispiel mit der Berichterstattung über Charlotte Knobloch doch nur als ein erneuter Ausdruck der Krankheit, an der nicht nur der deutschsprachige Journalismus leidet. – Gewissermaßen ein Symptom.
Das (inzwischen von jedem) beobachtbare Abschreiben, nein, eigentlich nur Kopieren der Agenturmeldungen und anschließende Verkaufen als vollwertiger Artikel ist in meinen Augen nur der zweite Schritt. Der erste Schritt in den Verfall der ‘Qualität’ findet doch schon vor der Agenturmeldung statt. Woher kommen die Agenturmeldungen, wie entstehen die Agenturmeldungen? Und vor allem: Wofür eigentlich Agenturmeldungen?
Dass es noch immer hervorragende Zeitungen gibt, ist kein Geheimnis. Und das ‘Geheimnis’ der guten Zeitungen ist denkbar einfach: Sie schreiben (noch) selbst. Und damit meine ich nicht nur das eigentliche Schreiben, denn das findet man in diesem Beispiel auch bei der wirklich peinlichen Falschinformation, dass die Baustelle am Jakobsplatz eine schon eröffnete Synagoge sei. (Gab es da eigentlich eine Richtigstellung in der FAZ?)
Das journalistische Schreiben beginnt nun mal bei der Themensuche und im Idealfall auch -findung. Was das bedeutet, kann man täglich nach wie vor wunderbar in der NZZ beobachten, die eben “schneller” ist, als dpa & Co. Schneller aber nur deswegen, weil sie noch Themen setzt und nicht nur das ohnehin schon Bestehende noch weiter verfestigt.
Auf die Frage, wer denn im deutschen Journalismus selbst Themen setze, muss die Antwort leider sehr mager ausfallen. Und als kleine nette Schlussbemerkung kann viell. ein Gespräch mit einem Freund, der für die SZ schreibt, dienen:
“Wieso magst du die SZ eigentlich nicht?” – “Die SZ schreibt mir einfach zu wenig selber. Klar, da sind immer ein paar nette Sachen dabei, nur, im Großen und Ganzen findet man in der SZ kaum was, was wirklich ‘neu’ ist.” – “Hm, und bei welcher Zeitung ist das anders?” – “Na, beispielsweise bei der NZZ” – “Aber das kannst du doch nicht vergleichen! Die haben doch ein viel größeres Netz an Korrespondenten, als alle anderen deutschsprachigen Zeitungen.”
Ich hoffe mal für die SZ, dass man das schon vergleichen kann, denn das ist nun mal eines der Maße für Qualitätsjournalismus …
Ach je, die SZ.
Ich habe da ja jetzt so ein Schnupperabo (nachdem ich sie jahrelang fast regelmässig am Kiosk gekauft habe).
Da schreibt jetzt also neulich ein gewisser Kurt Kister auf der ersten Seite der Wochenendbeilage einen launigen Artikel über die qualitätsjournalistische Rezeption Merkel’scher Nullaussagen.
Und bringt tatsächlich das Beispiel, dass “viele” die unspektakuläre ßusserung Merkels vor ihrem USA-Besuch (Gitmo dürfe nicht ewig existieren, oder so ähnlich) zu einem leuchtenden Beispiel für Merkelmut vor Präsidentensesseln hochgeschrieben hätten, obwohl natürlich klar sein dürfte, dass solche Dinge a) vorher abgesprochen und b) von Bush in dieser Unbestimmtheit auch schon vorher geäussert worden waren.
Das Problem? Zu diesen “vielen” gehörte auch die SZ (in etlichen Nachrichten und Kommentaren). Und Kurt Kister ist im Tagesgeschäft nicht bloss für die Verfassung von sanftironischen Betrachtungen zuständig, sondern vor allem Chefredakteur.