Das Internet verstehen. Oder auch nicht.
Aus der Serie “Die schönsten Steine aus dem Glasbloghaus”.
“Du hast das Internet nicht verstanden”. Diese häufig zu lesende Aussage ist sowas wie der Nazivergleich2.0. Alternativ wird das auch für Artverwandtes verwendet: Barcamps, Blogs, Communities, RSS, Trackbacks, Tags, in dieses “Argument” passt einiges rein.
Bleiben wir mal beim zentralen Vorwurf. Das Problem ist, um es mal in einem weiteren Rahmen anzusprechen, dass es ausschliesslich Leute gibt, die das Internet nicht verstehen. Da sind etwa meine Eltern, die es nicht verstehen müssen, und denen es egal ist. Da sind Leute, die es nicht verstehen wollen, wie einige bekannte Journalisten aus der staubtrockenen Hirnfickdiskursebene. Und die teilweise identischen Meinungsmacher, die denken, das Internet sei “Quick&Dirty”, und das könnten sie auch mit Links. Da gibt es welche, die verstehen nicht, dass man im Internet nicht plötzlich mehr klauen darf, als im realen Leben. Da gibt es die schlauen Berater, die Seminare veranstalten, als dessen Ergebnis Nullnummern wie das Daimlerblog entstehen. Sie alle verstehen ein klein wenig vom Internet, vielleicht, dass es für sie irrelevant, oder feindlich, oder ein mögliches Geschäftsmodell ist, aber es in seiner Gesamtheit verstehen?
Wie bei jeder Medienform bräuchte man dazu eine Menge Wissen und Erfahrung. Diejenigen, die es länger nutzen, haben vielleicht so etwas wie ausreichende Erfahrung, aber das Wissen ist eher stark begrenzt. Es gibt einen Haufen nackter Zahlen, aber allein deren Bewertung ist strittig. Was sind User- und Clickzahlen, wenn sie auf eine hirnrissige Bildergalerie gelenkt werden? Was bedeuten Technoratilinks, wenn Vermarkter dazu auffordern, dass sich die Teilnehmer gegenseitig verlinken? Was sind die Eigenangaben überhaupt wert? Wie definiert man darauf aufbauend Relevanz? Für wen und welche Gruppe? Welche Bedeutung hat die Aufmerksamkeit? Bewegt sie etwas, oder ist es nur ein Infogrundrauschen gelangweilter Büromenschen?
Je mehr man sich darüber Gedanken macht, desto eher verlässt man den Rahmen der Zahlendeutung und der Wissenschaft, und nähert sich philosophischen Fragen, die kaum gestellt werden. Gibt es jemanden, der das alles geistig durchdrungen hat und es entgültig versteht?
Ich denke, diese Person wird kommen. Ziemlich genau an dem Tag, an dem der Messias wiederkommt. Bis dahin wäre es ganz nett, auf Banalitäten wie den Hinweis auf das Nichtverstehen des Internets zu verzichten. Jeder versteht das Internet. Anders. Und damit auch nicht.
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Da die Unternehmen, Medien und Investoren nicht so lange warten wollen, suchen sie nach Leuten, die schon jetzt die frohe Botschaft verkünden können. Am besten exklusiv für den eigenen business-Plan. Früher war das Aufgabe der Kirchen, heute erledigen dies Trendforscher.
Da gibt es die Internet-Checker, die selbsternannte Web2.0-Avantgard, die dich durch die Welt bloggt, twittert, barcampt, geekt, und die täglich Nachrichtenschnippsel kommentieren wie Priester auf der Kanzel, und für die Cluetrain die Bibel und techcrunsh der Vatikan ist – und das iPhone die persönliche Reliquie von Steve Jobs.
Wenn die nun die Zukunft des Internets erklären, hat das mit Wissen oder Erfahrung nichts zu tun, auch Expertise oder Fachkenntnisse spielen da keine Rolle mehr. Das ist pures Entertainment, wie die Zukunftsforscher um Horx & Co. Während diese aber anerkannte Entertainment-Qualitäten haben und jedes dröges business-Meeting zur Show machen, haben die Internet-Checker lediglich bayerische Laientheater-Qualität. Horx & Co wissen, dass sie nur Showeinlage sind, die digitale Bohemé meint dagegegen selber am Ruder zu sitzen und den Kurs mitzubestimmen. Masslose Überschätzung. Wie bei allen extremen Religionen. Ungläubige werden dann abgekanzelt mit der Message: Ihr habt die Religion nicht verstanden und landet im Fegefeuer der Rotationsdruckmaschinen.
wer garantiert nirgendwo hohles hinverlinkt werden will, keine wernung sehen will und zeit zum lesen hat(allerdings ohne selbstverliebtes und selbstreferentielles bloggergequatsche)-und das von jemandem, der vom internet garantiert keine ahnung hat-der/die darf gerne mal bei groebes welt vorbeischauen. garantiert unprofessionell
‘Diskurshoheit’ wäre doch ein ganz guter Begriff. Wird jemand gehört oder nicht? Diese Größe lässt sich zwar nicht messen, dafür aber ist die Diskurshoheit wahrnehmbar. Wo die Geweihe aufeinanderklappern, da herrscht auch Relevanz in den dichten Wäldern von Bloghausen. Wer das wiederum paradox oder seltsam findet, der hat das Internet einfach noch nicht kapiert …
;-)
ich verstehe ganz genau, wofür und warum das internet da ist UND auch, wie es funktioniert. also all diese zusammenhänge..
Ob ich das Internet verstehe? Weiß ich nicht. Aber ich verstehe diejenigen, die behaupten, sie hätten das Internet verstanden.
Ihnen geht es um Diskurshegemonie (s.o. Chat Atkins). Sie stellenihre interessengeleitete Wunschvorstellung vom Internet als Analyse/ Erklärung desselben dar.
Sie wollen verkaufen, Geld machen, Vormachtstellung erlangen! Ein offener Diskurs ist da kaum möglich, da sich das Internet sich in der berschränkten Welt jener nur um jene selbst dreht.
The Internet can be anything you want it to be. Gerade das macht doch den Reiz (und auch die Gefahr…) aus, jeder nutzt es für sich auf seine Art und Weise.
Ohne angreifen zu wollen: Du hast erst vor kurzem einen Beitrag bzw. deine Meinung über Barcamps geschrieben, basierend auf den Informationen, die du zusammengetragen hast, nicht weil du eins besucht hast. Ist das nicht, wenn auch in einem anderen Maßstab, das Gleiche?
Nein. Weil ich für mich individuell begründet habe, warum ich Barcamps trotz Anfrage nicht aufsuche. Es ist eine Meinung, und die wurde in der Folge zur Gewissheiut dank derer, die hierzulande die Chefnasen einer angeblich offenen, hierarchiefreien Barcampwelt sind.
Dass die das anders sehen, ist ihr gutes, individuelles Recht. Aber dass es mich graust & schüttelt, ist mein individuelles Empfinden
Thema Diskurshoheit:Manche Blogger sind halt unwissentlich Angehörige von Carl Schmitts Staatstheorie, die sie auf das Internet übertragen:
“Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet”
Und genauso bescheuert.
Die haben das Internet nicht verstanSpass beiseite. Die höchst begrenzten Reichweiten stehen im Gegensatz zur Durchsetzung solcher Ziele. Selbst wenn manche das wollten.
Das Gehör finden liegt oft jenseits von ‘Page Impressions’. Das ist sowieso eine kranke ‘Währung’, so etwas kann nur ein Marketing-Hirn ausbrüten. Manch andrer wiederum generiert mit ausgefeiltem SEO Tausende von Klicks – und findet doch keine Resonanz. Es kommt doch imemr darauf an, wer dort ‘resonniert’ …
Anders ausgedrückt – und auf ein anderes Gebiet gewendet: Kafka ist bedeutender und ‘weltbewegender’ als Uta Danella. Die Danella wird allerdings mehr gelesen. Oder: Bei McDonalds gibt es ja wohl kaum besseres Essen als beim Edel-Franzosen. Oder: Mich sollte es wundern, wenn die ‘Kritik der reinen Vernunft’ mehr als 10.000 Leser gefunden hätte …
Don, vielleicht solltest Du zunächst “Internet” im Artikel durch “Web” ersetzen, dann wäre eine Diskussion schon mal auf die richtige Basis gestellt.
Das “Internet” ist unschuldig an den Auswüchsen des Webs, genauso wie Autobahnen an sich unschuldig an den Verkehrstoten sind. Dass Jeder “Internet” sagt, wenn er “Web” meint, zeigt ja schon, wie wenig Wissen und Erfahrung überhaupt vorhanden ist.
Muss man ein Werkzeug verstehen, wenn man es benutzt? (Achtung, die Frage ist kniffliger, als sie aussieht).
Berechtigte Frage, # 11. Muss jeder Diesel-Fahrer erklären können, worin sich ein Selbstzünder-Aggregat vom Otto-Motor unterscheidet? Wieviele Menschen nutzen jeden Tag das Telefon, ohne allerbanalste Grundlagen der Elektrotechnik parat zu haben?
Wenn sich jemand hinstellt und behauptet, das Internet (oder meinethalben auch nur das WWW), verstanden zu haben, dann liefert das durchaus Gründe, den Einlassungen dieser Person mit einer gesunden Skepsis zu begegnen.
Wolfowitz – das hängt ganz vom Werkzeug ab. Je komplexer und in dichter besiedelten Gebieten, desto mehr würde ich sagen: Auf alle Fälle. Denn es ist ein Unterschied, ob man in der Wüste Nevadas ein Fahrrad ausprobiert, oder in Downtown LA eine Atombombe.
@Wolfowitz (11)
Bleiben wir beim Web: Ja, es ist ein Werkzeug (als ein solches wurde es jedenfalls erfunden), aber auch ein Medium. Um ein Medium zu nutzen, ist es wohl angebracht, es zu “verstehen”, will man nicht in die Gefahr geraten, manipuliert zu werden.
Was heißt denn eigentlich: Verstehen?
Für mich ist das Internet im Grunde kaum etwas anderes als das reale Leben: es gibt Leute, die sich wichtig tun, es gibt Diskussionen, Leute, die unbedingt Geld machen wollen usw. – der relevanteste Unterschied zu früher (also vor-www) besteht darin, daß heute nahezu jeder mit wenig Aufwand und auch ohne Geld seine Meinung verbreiten kann.
Und dieser Unterschied führt zu neuen Bedingungen, die man gut finden kann aber nicht muß. Viele Print-Journalisten neigen dazu, das nicht gut zu finden, Schäuble und Co wohl auch (zu viel Freiheit, zu wenig Kontrolle blabla).
Ob ich nun deshalb das Internet verstehe? keine Ahnung. Ist auch nicht wichtig.
Don – mit einem Werkzeug kann man etwas herstellen, mit einem Fahrrad oder einer Bombe nicht. Wenn man die Geschichte des Werkzeugs kennt, ist das gut (das ist das Angenehme an Deinem Blog). Notwendig ist das Wissen für den Gebrauch des Werkzeugs aber nicht.