Was ich 2010 ungern zugebe
Ich glaube, 2010 war für Blogs ein ziemlich verlorenes Jahr; Stagnation auf hohem Niveau, könnte man sagen. Geekiges Metafaselblubb ist hierzulande immer noch ein Klickbringer einer Szene, der ihr Ruf als Randexistenzenhaufen wie Scheisse am Schuh klebt. Bloggen über Twitter, das Internet und irgendwelche Studien, die belegen, wie toll wichtig das Internet doch ist, sind garantierte Quotenbringer, dazu Debatten um Streetview, angeblich ahnungslose Politiker, Geschäftsmodelle, Facebook, Internetfundstücke, Wasmitmedien und besonders gern “Wir sagen Euch Medien wie es geht nämlich so wie wir abgefuckten Hungerleider das machen und darf ich jetzt vielleicht noch ein paar bezahlte Dunmmies drehen und ein Blog will ich auch bei Euch haben”. Die Debattenblogs sind da nur ein Teil des Problems. Dazu noch der Umstand, dass man am Beispiel von Sascha Lobo zeigen konnte, wie wenig Bekanntheit, Follower und Auffälligkeiten dazu angetan sind, einen Romanversuch zu verkaufen.
Als Gewinner dieser Malaise würde ich blog.fefe.de und weissgarnix.de sehen wollen: Da ist nämlich die Hölle los, das sind die Blogs, bei denen ich echten Einfluss sehe. Weissgarnix bei den Debatten, Fefe beim Traffic. Bezeichnenderweise sind beide Blogs nicht mit der Berliner Szene verflochten, die früher den Ton angeben wollte. Aber das ist vollkommen ok.
Was ich dagegen mit einem gewissen Gefühl des Missmuts sehe, ist das Dazulernen der klassischen Medien jenseits der FAZ (Man sehe mir nach, wenn ich mich dazu aufgrund meiner Tätigkeit dort nicht äussere). Die Süddeutsche, der Spiegel, Stern, die Welt und die Zeit haben alle in Sachen Blogs aufgerüstet; auf der Bremse stehen dagegen das Handelsblatt nach dem Weggang von Thomas Knüwer und der Focus. Aber die anderen sind lernfähig:
1. Die Süddeutsche hat das komplette SZ-Magazin mit Blogs für die eigenen Leute versehen, die gross präsentiert werden. Themenauswahl vielleicht etwas verkopft und dröge, aber besser als der Müll, den die Internethasser dort früher fabriziert haben.
2. Der Spiegel hat im Unispiegel Tagebücher gebracht, und ein Blog zum Thema Radeln; was man so gerüchteweise hört, planen sie für 2011 gerade an weiterer Konzepten, die nicht mehr so naja wie “Verstehen Sie Haas?” sein sollen.
3, Die Welt hat die mässig laufende “Glückskolumne” von Frau von Schirach auslaufen lassen und saudummes, aber vermutlich besser laufendes Stilgelaber in Blogform von Wäis Kiani gebracht (wobei ich mich echt frage, ob bei Weltleserinnen nicht billige Bezugsquellen für Kartoffelsäcke besser wären; ziemlich viele der “Ich kauf mir einen Dufflecoat für 1400 Euro”-Kommentare erscheinen mir sehr boarderlinig)
4. Der Stern ist momentan das Magazin mit den meisten aktiven Blogs, aber mit sehr langweiligen und schlecht gemachten Themen wie vom Reissbrett des Marketings oder aus der Kruschkiste von derwesten.de – angeblich mit nicht üppiger Entlohnung, wie mir ein Vögelchen sang.
5. und jetzt wird es bitter: Die Zeit. Ich denke, die haben das beste Communitymanagement einer grossen Nachrichtenseite, erreichen ihre Zahlen nicht über Klickstrecken wie die SZ oder Aufregern für bräunliche Horden, wie man sie manchmal bei der Welt sieht (“Niederbewertung anderersdenkender Kommentatoren als Klickbringer” wäre vielleicht auch mal ein Thema). Im redaktionellen Teil bringt die Zeit eine aktive Community mit guten, redaktionellen Inhalten zusammen. Das klappt noch nicht bei den Blogs, aber da hat sich viel getan. Mit Offline/Online, Schule, Grüne Witschaft, Open Data, dem Berlinblog Filter und einer Kooperation mit “Stil in Berlin” hat sich da einiges entwickelt, inzwischen werden solche Themen auch vermehrt auf der Hauptseite gebracht – wo sie einfach nicht richtig ziehen. Mir kommen diese Versuche so fad vor, wie das inzwischen eingestellte “Sexblog” – all den Autoren geht das Rampensaugen ab. Trotzdem sehe ich bei der Zeit am meisten Engagement und Bereitschaft, Neues auszuprobieren, Leute von Draussen zu holen und neue Themen zu entwickeln. Alles, was denen noch fehlt, sind ein paar Themen, die ihre Leser wirklich umtreiben und Autoren, die es schreiben und leben können. Vor 20 Jahren wäre es vielleicht noch ein Blog mit dem Thema “Wir Ostpreussen wollen unsere Schlösser und Sklaven wieder” gewesen, heute ist es schwieriger. Aber ich glaube,dass sie eher als die anderen darauf Antworten finden werden.
Insofern bin ich gespannt, was 2011 bringen wird. Nachdem Bild Online und Spiegel Online unangreifbare Marktführer bei Gosse, Dreck und Schund sind, werden sich die anderen überlgen müssen, in welchen Ecken und Zielgruppen sie eigenständig und erfolgreich sein können; ich wäre gar nicht überrascht, wenn man dabei ein besonderes Augenmerk auf Blogs haben würde.
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“Zum Jahresend nochmal nen Rant”
Ordentlich garstiger Jahresrückblick.
Zu “weissgarnix” bin ich allerdings verwundert: An anderer Stelle haust du auf das “luhmannsche Nerdgewäsch”
und dann lobst du dieses Blog? Ist das nicht ein Zentralorgan der Luhmannianer? Zumindest während der Niggemeier vs DuMont- Debatte hatte ich diesen Eindruck.
Wozu schreiben. Die Welt ist im Eimer. Ich mach noch n bisschen Kunst, lebe für und hoffe, dass ich nicht innerhalb meiner Vita als entartet gelte. Und das war’s dann. Der Rest ist ernsthaft Schweigen.
Machen wir uns da was vor?
Ich war ernsthaft am Ãœberlegen, was Rampen-saugen sein soll bis ich merkte Rampensau-Gen. :-)
Ich habe den Eindruck, dass die Autoren dort kein besonderes Gerüst brauchen. Weissgarnix würde ich als freidenkenden Debitisten bezeichnen, aber im Gegensatz zu den Nerds versteht er was von Herrn L..
Es sind übrigens auch solche – eigentlich recht blognahen – Ideen:
http://www.zeit.de/kultur/2010-12/fs-bleigiessen-2
weshalb ich glaube, dass die Zeit versteht, wie man mit Lesern umgeht.
[…] Was ich 2010 ungern zugebe (Blogs! Buch Blog) – "2010 war für Blogs ein ziemlich verlorenes Jahr" […]
Danke für die interessante Einschätzung! Die Zeit hat die Leser mit ganz einfachen Mitteln eingebunden, z.B. mit der Einbindung des Rätsels auf der Webseite. Fand ich grossartig. Man kann sogar die Ergebnisse abspeichern!
Apropos Sklaven und Schlösser.Interessant wäre es, der Frage nachzugehen, wie die westdeutschen Kriegsgewinnler in Bonn, Bayern und BW vom Osten profitiert haben und sich jetzt für “Global Leader in Everything” halten. Es gab mal eine Zeit, da war Berlin nicht eine Insel im Nichts, sondern ein kultureller Knotenpunkt. Ich sehe da mindestens soviel Agressionspotential wie bei den Stützen der Gesellschaft. Der Unterschied ist nur, dass es da mehr um Verluste beklagen geht und weniger um Verluste vermeiden. Dafür gibt es die Nester nicht mehr, die man da beschmutzen könnte, höchstens noch den ein oder anderen mobilen Adlerhorst.
Ist wieder gestartet wie eine Rakete in ihren eigenen Bauch. Der Weißgarnix.
[…] Internet: Was ich 2010 ungern zugebe…Blogbar […]
Thomas Knüwers Wechsel ins Beraterwesen wird von Don Alphonso als Bremsung des Handelsblattes bewertet. Ist das nicht ein bisschen viel der Ehre?
Oliver: Danke für die “Gen”-Erklärung; ich hatte es nicht geschnallt und vermutete einen der typischen unerklärlichen Vertipper des Don.
[…] Was ich 2010 ungern zugebe […]
[…] Und wo wir eben bei Rückblicken waren: Die deutsche Bloggerlegende Don Alphonso hat letztes Jahr einen solchen auf die Metaebene der Internetauftritte der großen Zeitungen geworden. […]
Ausgerechnet die Zeit kommt mir vor, als sei man da auf der Suche nach dem intellektuellen Tiefpunkt. Spätestens mit dem Beitrag von Illies zum “Style” des J. Assange ist man auf dem Feld wenigstens rekordverdächtig. Ob auf diesem Kurs langfristig ein Communitymanagement helfen wird, das wird wohl eine der interessanteren Beobachtungen des angefangenen Jahres.
Ab Februar kommt dort Domenica Ahlrichs, da würde ich mich dann als Konkurrenz nicht in Sicherheit wiegen. Und Illies ist eh weg.