Das ungeprüfte Übernehmen von angeblichen Zitaten, die dann auch noch aus dem Kontext gerissen werden, ist der Einstieg in den Gossenjournalismus. Wenn man sie dann noch verfälscht, kann man andere, vor allem aber sich selber in schwerste Probleme bringen, denn verfälschte Zitate und falsche Tatsachenbehauptungen sind nun mal die besten Wege, sich und alle, die das übernehmen, ans Messer zu liefern. Es hilft alles nichts: War man nicht dabei und ist die Quelle nicht bombensicher, muss man nachfragen. Am besten bei allen Beteiligten.

Im Fall der Diskussion über die Ausführungen von Hans-Ulrich Jörges, dem Vize-Chefredakteuer der Illustrierten Stern, ging es mir so. Ich bin einer der Letzten, die Jörges nach seiner Rolle bei der letzten Bundestagswahl nicht dergleichen zutrauen würde, aber eine Bekannte von mir war vor Ort und meinte, sie hätte die Bemerkung des “Dreck von unten” nicht automatisch mit allen Blogs gleichgesetzt; ihr erschien es, als meinte Jörges damit nur einige Ausnahmeerscheinungen des rechten Lagers. In die gleiche Richtung geht ein Kommentar, der mutmasslich von Jörges selbst als Reaktion geschrieben wurde.

Deshalb habe ich das getan, was mir in solchen Fällen sinnvoll erscheint – ich habe bei Jörges und Matthias Kiesselbach, dem Autor des Blogeintrags nachgefragt. Von Jörges, den ich ganz förmlich über die Stern-Pressestelle angeschrieben habe, kam bislang keine Antwort, aber Matthias, der selbst die Sache auch noch einmal analysiert hat, kam eine Antwort, mit der Erlaubnis, sie so zu veröffentlichen.

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Hat Herr Jörges “die Blog-Szene” direkt als “Dreck von unten” bezeichnet?

Nein, er hat eher von “den Blogs und so” gesprochen, “die Blog-Szene” ist mein Wort, das aber nach meinem Dafürhalten eine faire Interpretation ist. Er hat, das ist wohl auch wichtig, nicht von Extremistenseiten o.ä. gesprochen, sondern wollte den prägenden Ton des Mediums Internet in Sachen politischem Kommentar schildern. Hass und Halbwahrheit und Dummheit, in diesen Worten beschrieb er das, was in Sachen Politik im Internet unterwegs ist. Sagte er nun: “_alle_ blogs entsprechen diesem Bild”? Nein, das würde ich nicht sagen. Wäre auch komisch. Es ging ihm um eine grobe Schilderung der Teile des Mediums, die politische (oder im weitesten Sinne kulturelle) Kommentare bringen. Und diese skizzierte er mit “den Blogs”. Da zieht er nun (übrigens m.E. mit Recht, wie ich auch in meinem Posting geschrieben habe) den Qualitätsjournalismus (meistens im Print) dem Netz vor.

Hat Herr Jörges in diesem Zusammenhang überhaupt eine umfassende Blog-Szene erwähnt?

Wie gesagt, so detailliert war das nicht. Ich halte meine Interpretation aber, noch einmal, für akkurat. Ich würde sagen, seine aktuelle Äußerung aus 1000reporter ist wesentlich klarer, und ich nehme sie ihm ab. Bei der Buchvorstellung ging es ihm aber um ein Bild der Art, wie im Internet politisch diskutiert wird, und da er dies mit dem Begriff “Blogs” abgesteckt hat, ist wohl “die Blog-Szene” nicht unfair, oder? Entspreche ich da juristischen Ansprüchen?

Wie hat Herr Jörges das Zitat eingeleitet – ich nehme an, er hat davor etwas gesagt, das den Hörern verdeutlichte, was der Dreck von unten sein soll.

Er deutete an, dass das Internet zurecht nicht für journalistische und generell intellektuelle Qualität stünde; dass es voller Hass und Halbwahrheit sei. Grund sei die Möglichkeit der anonymen Äußerungen. (Guter Grund übrigens.) Und dann ging es eigentlich schon los. “Blogs” war in der Einleitung die Hauptkategorie. Und die war natrürlich auch gemeint, bezeichnet doch “Blogs” genau das Phänomen, das manchmal als in funktionaler Konkurrenz zu den etablierten Medien stehend verstanden wird. Was genau der Kontext ist, den er für seine Äußerungen wollte.
Meine Güte, die Fragen sind ja von juristischer Schärfe!
Ich würde übrigens eigentlich gerne (Philosoph, der ich bin — und eben nicht Jurist) darauf hinweisen, dass Herr Jörges bitteschön _auch_ an seinen aktuellen, sehr viel klareren, Äußerungen gemessen werden sollte. Die sind OK. Ich hab sie in unserem sprechblasenblog erwähnt.

Es gibt da einen Hinweis, Herr Jörges könnte damit nicht alle Blogs angesprochen haben, sondern nur gewisse problematische, teilweise rechtsradikale und antisemitische Erscheinungen in der Blogosphäre, nicht aber die Gesamtheit aller Blogs – was gar nicht so unwahrscheinlich erscheint, hat doch der Stern durchaus versucht, Blogger für sich zu gewinnen. Kann es sein, dass dieser Teil seiner Aussagen tatsächlich auch vorgebracht wurden, aber von Ihnen nicht erwähnt wurden?

Würde ich nicht so sagen. Ich akzeptiere natürlich die Möglichkeit, dass ich ihn falsch verstanden habe. Wäre ja auch bescheuert, das nicht zu tun. Er hat ja auch als Beispiel von Hasspropaganda (o.ä.) gesprochen. Nun also wieder die Frage: War das ein _Beispiel_ für das Bild, das er zeichnen wollte, oder eine _Einschränkung_? Ich sage: Ein Beispiel. Er meint jetzt: Eine _Einschränkung_. Ich würde schon sagen, dass seine Formulierung sich damit gewandelt hat. Aber das ist ja auch OK: Akzeptieren wir doch die neue Formulierung. Dann können wir uns alle wieder liebhaben. Und ganz zuletzt fällt mir noch was ein: Witzigerweise ist niemand darüber gestolpert, dass ich mit ihm d’accord gehe, wenn er sagt, dass im Internet noch kein besonders anspruchsvolles politisches Denken zu finden ist. Und – noch krasser – dass ich Henryk M Broder _gelobt_ habe, was doch selten genug ist. Peace.

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Meine Meinung? Ganz allgemein und ohne jede Wertung: Korrekt, überkorrekt zitieren und immer lieber mal nachfragen, selbst, wenn man die andere Seite nicht mag. Alles andere kann ins Auge gehen. Sollte sich Jörges noch melden, werde ich vielleicht auch zu einer speziellen Meinung gelangen.