Ich werde heute am ZKM was über die Kunstfigur Don Alphonso erzählen. Möglicherweise weiche ich hier und da von meinem Konzept ab, vergesse manches und sage ad hoc ein paar andere Sachen. Aber nachdem es mir zu blöd ist, auf Basis zusammengeschmierter Skripte Dritter, die nur halb hinhören, eine Debatte über Dinge reinzuziehen, die aus dem Kontext gerissen werden um den Zuhörern im Saal die Freuden des ungestörten Lauschens zu ermöglichen, und den Lesern draussen an den Rechnern einen Eindruck von meinem Vortrag zeitnah anzunbieten, sind hier meine Notizen zu dem, was ich zu sagen vorhabe.

Aus dem Leben einer Kunstfigur

Die Entstehung der Kunstfigur: Kommt eigentlich aus einer damals nicht ganz unbekannten Comedy im Radio, dann auch Internet-Comedy, blieb als Nickname hängen, und war so mehr eine Laune, denn ein Versuch, die echte Person dahinter zu schützen. Wer ich war, war zu Zeiten von Dotcomtod mit ein paar Klicks herauszufinden, nur können manche einfach nicht recherchieren – oder auch nur meinen Namen richtig schreiben.

Die Eigenschaften der Kunstfigur: Ähnlich Realperson mit ein paar Ausrutschern und charakterlichen Defiziten, manchmal himmelschreiende Ignoranz, von oben herab und das mit einer gewissen Lust am Unkorrekten, macht seine angenehmen Lebensumstände nicht klein. Es gibt auch in der Realität den Stadtpalast, die Reisen, die Ausbildung, den Stuck, das Essen, die Lebensumstände sind weitgehend identisch, aber mir persönlich ist dieser Don Alphonso manchmal auch etwas zu dreist, sein Mangel an Decorum ist ein klarer Charakterfehler, und seine Unfähigkeit, sich zu verstellen und mitunter den Mund zu halten, ist gerade für eine komplett erfundene Kunstfigur schon ziemlich daneben – denn sie könnte ja anders, wenn ich wollte.

Wie ist es so? Seltsam! Einerseits wird von mir immer wieder betont, dass hier eine Kunstfigur agiert, aber dennoch wird sie ernster genommen, als sie gemeint ist. Das sorgt auch für Konflikte, aber da hilft sie, weil der reale Mensch daneben steht und in sich hineinkichert. Konflikte mit Don Alphonso sind sinnlos, denn den gibt es nicht, und ich fühle mich nicht betroffen.

Nicht betroffen sein – das ist auch die positive Auswirkung für den Umgang mit der eigenen Privatsphäre. Hier hilft sie, das Talkshow-Problem zu beheben, in dem über alles und jeden gesprochen wird, distanzlos und ohne Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte. Genau hier hilft die Kunstfigur, weil sich niemand sicher sein kann, was nun stimmt und was nicht, denn manchmal sage ich einen halben Beitrag die Wahrheit, um dann für den Rest Don Alphonso ranzulassen.

Funktion anhand der Kategorie “Real Life” – Leben in der Provinz, alles sehr eng, jeder kennt jeden, fast wie in der Blogosphäre, und besonders heikel ist der jetzt einsetzende 2. Heiratsmarkt mit Scheidungen, Jagd auf die letzten Junggesellen und Skandalen der besseren Gesellschaft. Zeitlich verschobene Geschichten, werden auf einzelne Personen übertragen, die das so nicht gesagt haben und auch nicht existieren, und dadurch auch nicht festzumachen sind – ausser in einem sehr engen Bekanntenkreis, der sich über seine Literarisierung sehr amüsieren kann. Es gibt dennoch klare Tabus: Wirklich ernste Probleme finden ebensowenig Eingang wie Intimes, es bleibt beim Ausschnitt, und es gibt vieles, das ich keinesfalls mit denen da draussen teilen will.

Die Kunstfigur ist hier ein leicht durchsichtiger Vorhang zwischen Zuschauerraum und Bühne, letztlich ein Puffer zwischen den Welten, der im Internet und der realen. Das fängt bei banalen Sachen an, wie die Verschleierung des Aufenthaltortes, über die Möglichkeit, Dinge zu erzählen, die sonst verschwiegen werden müssten, bishin zur eigenen Absicherung – wer den Fehler macht und eine der diversen Legenden über Don Alphonso als Tatsachen über die Realperson hinstellt, kann schon mal eine Abmahnung vom realen Menschen bekommen.

Das Ergebnis? Man bekommt einen sehr präzisen Eindruck von Don Alphonso, aber nur einen vagen Eindruck von der Realperson. Mit der Authentizität ist es nicht weit her. Stellt sich die Frage: Warum lesen Leute das? Früher hätte ich angenommen, dass es an der gerade mal so ausreichenden Ähnlichkeit zwischen mir und der Kunstfigur liegt. Wer den Don kennt, dem ist die reale Person nicht wirklich fremd, es gibt da ein hohes Mass an Ãœbereinstimmungen, ohne dass man es zwingend an einzelnen Erzählungen festmachen könnte. Irgendwo in der Nähe vom Don bin ich, so nah lasse ich die Leute ran – und wen ich näher ranlasse und privat kennenlerne, schaue ich mir vorher genau an. Das heisst nicht, dass ich nicht manchmal auch wirklich ehrliche Texte schreibe und den Don beiseite lasse – aber die Identifikation dieser Texte ist schwierig, selbst wenn dabei die nötige Personifizierung des Blogautors rüberkommt.

Allerdings: Ich habe eine Umfrage gemacht, wie die anderne das so halten. Bislang gab es rund 80 sehr spannende Antworten per Kommentar, Mail und Gespräch, und die meisten machen das ebenso. Manche empfinden es noch nicht mal als Problem, sondern wollen speziell dieses Vexierspiel. Dass es so ist, stört keinen, solange er sich dennoch ernst genommen fühlt. Insofern gibt es wohl so eine Art Gentleman Agreement, ohne dass man zwingend zur eigenen Kunstfigur dazu schreiben müsste. Literarisierung vielleicht sogar als Qualität, der erfundene Charakter besser als die angeblich ehrliche Person, die sich dann aber durch Verschweigen schützen, Seiten von sich ausblenden und damit auch verstellen muss?

Abgeleitete Fragen: Mangel von Ehrlichkeit Problem bei politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen, wo bleibt da der Einfluss? Die Frage ist insofern wichtig, als es in den letzten Wochen ein paar neue Angebote gab, journalistisch als Don Alphonso zu schreiben. Subjektivität und dazu noch einer Kunstfigur: Es ist meines Erachtens grosser Unterschied zum Journalismus. Einerseits sage ich als Journalist weniger von dem, was ich mir wirklich über ein bestimmtes Thema denke, bin dann aber möglicherweise unterschwellig manipulativ, um meine Ziele zu erreichen. Was ist letztendlich besser? Andererseits ist Literatur eher der einfache Weg; es ähnelt dem Erzählen von Anekdoten oder Gleichnissen: Es ist so leicht, eine selbstgemachte Mangold-Tarte zu photographieren, die frisch aus dem Ofen kommt, und damit die Leser zu bewegen, mal wieder auf den Wochenmarkt zu gehen; viel leichter jedenfalls, als sich in die Problematik und die Segnung modernen Supermarktwaren einzuarbeiten und kritisch zu würdigen. Trotzdem, es ist eine Form von Journalismus, eher im eigentlichen Wortsinn und liegt nah an der Literatur, aber auch das kann beim Leser Debatten und Umdenken bewirken.

Das klingt jetzt nach Anything goes, nach Beliebigkeit, nach einem leichtfüssigen Ãœberschreiten von Grenzen und dem Zweck, der die Mittel heiligt. Gibt es dadurch nicht neue Probleme? Meines Erachtens ja – aber es sind durchaus Probleme, die man so auch im Journalismus findet. Literarisierung und Persönlichkeit können zu weit gehen. Literarisierung ist ein Spiel, das als solches erkennbar ist, und offensichtlich von beiden Seiten akzeptiert wird, weil es allgemein notwendig ist. Kann aber auch umschlagen in den Glauben, dass man Lesern einfach alles erzählen kann. Das ganze kann schnell zu Borderline werden, wenn Leser für dumm verkauft werden. Beispiele sind die angeblich drastisch ehrlichen Sexblogs, die in D allesamt nach Fake riechen, Jubelmeldungen über erreichte Besucherzahlen und sonstige Beweise einer angeblichen Relevanz im Kreise der Irrelevanten,

Das andere Problem betrifft die Persönlichkeit. Denn die kann auch umschlagen zur glattgebügelten Personality, zur wiedererkennbaren Marke, deren Primärziel die Vermarktung ist. Begleitet wird das durch extensives Getrommel und Bitten, das eigene Ziel aktiv zu fördern – einen Charterfolg, ein Lektorat für ein Buch, das kein Verlag drucken will, irgendwelche Abstimmungen zu faken. Bei Morningshowmoderatoren, im horizontalen Gewerbe und bei doppelmoralischen Politikern meiner bayerischen Heimat zeigt sich, dass man das Produkt einer Personality durchaus erfolgreich betreiben und einer gewissen Fanbase auch verkaufen kann – die als Marken agierenden Vertreter der Blogosphäre waren bislang dagegen eher erfolglos.

Was kann man daraus lernen? Meines Erachtens ist eines der entscheidende Kriterium in der erzählenden Blogosphäre immer noch Vertrauen. Vertrauen in den Autor, und Vertrauen in die Fähigkeit der Leser, unter all den Verschiebungen der Realität doch den Kern zu sehen. Meines Erachtens ist das keine Basis für ein Geschäftsmodell, aber es macht sehr viel Spass – und das ist zumindest für mich der Grund, diesem unperfekten, arroganten, hochnäsigen schlechteren Sohn aus besserem Hause, diesem Don Alphonso, weiter zu schreiben.