In den letzten Wochen und Monaten kam in einigen Debatten und Essays von Printjournalisten sehr oft das Argument, dass das Internet die Haptik, das Gefühl des Anfassens von Papier, nie wird ersetzen können; der Leser wollte etwas in der Hand haben. Das wird trotz Zeitungskrise stur weiterbehauptet, dazu kommt die Meinung, Papier sei das bleibende Medium, hier würde ein Text länger als 24 Stunden Bestand haben. Mal abgesehen davon, dass Zeitungspapier seltenst aufbewahrt wird: Wer sich mal seine Referrer im Blog ansieht weiss, dass dank Suchmaschinen auch jahrealte Texte immer noch gefunden und gelesen werden.

Was mich bei der ganzen Debatte aber wirklich ärgert, ist die Arroganz, mit der sich die Printpinscher hinstellen und sich als Sachwalter des Papiers aufführen. Zeitungspapier ist kulturgeschichtlich gesehen der letzte Dreck, eine Beleidigung des grandiosen Werk- und Wertstoffes Papier, dem wir neben dem JoHurnalismusekzem, dem Gossending von Aretino bis Prawda und Bild glücklicherweise auch die Überlieferung unserer Geistesgeschichte der letzten 600 bis 800 Jahre verdanken. Und warum? Weil Papier etwas anderes ist als das so hichgejubelte Zeitungspapier. Das hier ist Papier:

Feinstes Hadernbüttenpapier um 1785/6, auf dem absoluten Höhepunkt der Buchdruckerkunst in London und Perugia, in feinsten Einbänden und so wertig gestaltet, dass es problemlos die nächsten 1000, 2000 Jahre überdauern kann. Das merkt man auch beim Anfassen. Der Inhalt wird auch dann noch seine Gültigkeit bewahrt haben, denn es ist nicht anzunehmen, dass man Torquato Tasso oder Rousseau je auf den Müllhaufen der historischen Publizistik kippen wird, auf dem die meisten Journalisten dem Vegessen anheimfallen. Wenn man einmal in so einem Buch geblättert hat, wird man verstehen, wieso es geradezu vermessen ist, bei Zeitungspapier mit einer “angenehmen” Haptik zu argumentieren. Internet kann allenfalls so schäbig-grau wie Zeitung aussehen, aber um eine derartige Haptik zu erzeugen, muss man schon mal auf Keyboard kotzen.

Bleiben noch Hochglanzmagazine, richtig. Die versuchen, mit besserem Papier eine bessere Wertigkeit zu simulieren. Aber auch die sollten sich nicht sicher fühlen. Denn auch eine überlegene Haptilk schützt nicht vor dem Aussterben, wie obige Bücher jedem zeigen, der mal einen Blick auf seinen Bücherschrank und die aktuelle Buchproduktion wirft. Der Mensch geht in erster Linie nach dem Inhalt und ist dafür bereit, auch auf hochwertigste Verpackung und Gestaltung zu verzichten. Ich weiss nicht genau, wie hoch die in die zigtausende gehende Auflage der heutigen Nachdrucke von Tasso ist, aber in Perugia wurden damals nur 2000 Exemplare gedruckt, und davon haben vermutlich weniger als 100 überlebt. Schön finde ich das auch nicht, ich bin kein Freund vom industriell-kulturellen Niedergang, den die vergangenen zwei Jahrhunderte bei allen Verbesserungen in anderen Bereichen nach sich gezogen haben, aber so sind die Leute eben. Sie nehmen für geringere Kosten schlechtere Produkte in Kauf, und wenn sie etwas kostenlos bekommen, werden sie es nicht woanders in besserer Qualität nochmal kaufen. Eine kleine Minderheit tickt anders, aber die reichen für die aktuelle Produktion von klassischen Medien hinten und vorne nicht aus.

Mir ist durchaus bewusst, dass Medien das Internet mit seinen freien Informationsflüssen als Treibsand erscheint, in den sie keinesfalls gestossen werden wollen, aber noch tückischer ist der Aberglaube an die besondere Haptik, an die man sich klammert. Ich kenne jedenfalls keinen Journalisten, der eine grössere Sammlung haptisch wirklich guter Bücher besitzt, und wenn schon die so sind, die mit Papier arbeiten, wie ist das dann erst da draussen, wo man die Fische darin einwickelt.