Normalerweise trifft man bei Kongressen auf zwei getrennt auftretende Gruppen von Leuten. Das eine sind diejenigen, für die Dinge wie Blogs, Twitter, RSS, Google Maps und asoziale Netzwerke zum Alltag gehören. Da geht es dann bestenfalls um die Frage, wie man all diese Dinge zur Bereicherung von Kultur und Leben nutzen kann, und schlechtestenfalls um abgehobenes Tekkie-, Werber und Marketinggeschwurbel, das unbedingt eine Geschäftsidee reinpacken will. Trotzdem kann man innerhalb des Systems prima reden.Vor allem deshalb, weil Publikum und Vortragende in etwa das gleiche Basiswissen haben. In solchen Kreisen erscheine ich dann meist der Web2.0-Bremser, natürlich auch der PR- und Werbehasser, konservativ, vielleicht sogar reaktionär, und überhaupt wie einer, der “das Internet nicht verstanden” hat, um mal das Nazivergleichtotschlagargument unserer Welt zu zitieren.

Und dann sind da die Kongresse mit älteren Journalisten, Verbänden und Gruppierungen, die erst mal wissen wollen, was das eigentlich ist, was genau man da tut und wie das geht. Diese Kreise sind in aller Regel strukturkonservativ, und ich wage zu behaupten, dass gerade Journalisten extreme Probleme haben, ihren eigenen Beruf und dessen Entwicklung zu hinterfragen. In diesem Umfeld bin ich der Internetspinner, die Avantgarde, der Grenzüberschreiter, der Rufer in der Wüste, denn so sehr man sich auch bemüht, das eigene Treiben und die Kultur des Internets zu erklären: Es kommt draussen nicht an. Ich mache das hier schon etwas länger, und ich hätte 2003 nicht gedacht, dass man 2007 noch immer gefragt wird, ob das, was man da tut, nicht Exhibitionismus ist.

Gestern Abend war ich auf Einladung von HR Info in der IHK Darmstadt, und dort waren beide Gruppen anwesend. So gemischt wie noch nie zuvor. Was ich an Eindrücken mitgenommen habe:

Es gibt ein massives Vermittlungsproblem zwischen diesen Gruppen, das ich ganz gut kenne. Aus dem Jahr 1999, als in der New Economy Geschäftsideen entwickelt wurden, die damals nicht tragfähig waren und es heute, 8 Jahre danach, immer noch nicht sind. Ein Grossteil derer, die sich mit avantgardistischen Kommunikationsformen imm Netz beschäftigen, hat sich damals in Phantasien über die Nutzer verrannt, und ist an deren Ausbleiben zu Grunde gegangen. Gestern war für mich fast schon ein Jungbrunnen, denn im Dezember 1997 hörte ich zum ersten Mal in einer Powerpoint von der Idee, dass Leute, die im Zug sind, dafür zahlen würden, wenn man ihnen das Tor ihres Fussblallvereins auf das Handy schicken würde. Dieser Trash verfolgt mich seit 10 Jahren, seit 10 Jahren will man Datendiensten auf dem Handy mit dem immer gleichen Tor des eigenen Vereins schmackhaft machen, und es fällt ihnen einfach nichts besseres ein, und gestern war es mal wieder so weit. Die Idee ist heute noch so bescheuert wie vor zehn Jahren, wie auch alle Ideen, die davon ausgehen, dass man einen technischen Standard setzen kann, und dann werden schon alle mitmachen. In der New Economy hat das Essensnetzwerk Snacker mit so einer Idee Schiffbruch erlitten, jetzt will man das mit Google Maps und Mashups nochmal erfinden und hofft dann auf die Monopolstellung des Siegers, dem dann alle zuarbeiten müssen.

Genausowenig, wie die Vorreiter heute daran denken, derartige Ideen mit nachvollziehbaren Argumenten zu unterfüttern, denken die anderen daran, das umzusetzen. Lokalisierung über Google Maps ist eine nette Idee, die manchen taugt, aber die eher Konservativen sind unendlich weit davon entfernt, selbst auf solchen Kongressen. Und draussen sind die Abermillionen, für die das alles noch nicht mal interessant ist, die das nicht brauchen, weil ihnen der Eseldownload, die Mail und der Chat mehr als reicht. Internetnutzung mit der Bereitschaft für die Wunderwelt des Web2.0 gleichzusetzen, halte ich für eine brandgefährliche Verkennung der Bereitschaft bei denen, die all die lustigen Applikationen umsetzen sollen. Und wenn die Avantgarde nicht mehr vortragen kann, als Phrasen und Behauptungen, wird es immer die Verstockten geben, die es leicht haben, alles Neue im Netz pauschal mit ein paar Worten wegzuwischen. Und damit ihrem Klientel zu sagen, dass alles gut ist, und man sich keine grossen Gedanken machen muss, während das Internet in diesen 10 Jahren alle einseitigen Kommunikationskanäle, die wir bisher kannten, in den Staub vor die Nutzer geschickt hat. Nutzer, die die alten Kontrolleure der Medien mit Bildgalerien, windigen Gewinnspielen und Communities gern bei der Stange halten würden, und die Firmen als willige Clickdeppen, Contentlieferanten und Empfänger von Werbebotschaften begreifen, und dazwischen ist nichts.

Ausser – das wirklich “soziale” Netz, in der sich Blogs bewegen, und das nun schon seit Jahren beständig wächst. So sehr mich die obigen Haltungen als Ãœberlebenden der Munich Area und ihrer New Economy ärgern, weil mal wieder nichts aus der Geschichte gelernt wurde, so bin ich doch zuversichtlich, dass es sich im Riss zwischen Web2.0Hype und dem Hass auf alles Neue noch lange wird prima leben lassen. Es gibt zwar ein paar kleinere Versuche, hier einzudringen und mitzuspielen, sei es durch die massenhaft gescheiterten Blogs der Medien, oder widerlicher PR-Anbieter wie Trigami, aber für das grosse Ganze bekannt als Blogosphäre, für das, was von selbst, ohne Beteiligung von Businessideen und Marktanalysen entstanden ist, ist der Einfluss vergleichsweise gering. Und dank der Kommunikationsunfähigkeit beider Seiten, ihre Zielsetzungen abzustimmen und strategisch vorzugehen, wird das wohl auch noch länger so bleiben. Hoffe ich.