Guten Tag nach Berlin. Und willkommen im Jahr 2009.

2009 hat etwas, das Berlin und die dort in der Kalkscheune ,meines Erachtens nicht mehr haben: Eine Zukunft. 8 Monate, um genau zu sein. 8 Monate ist nicht viel Zeit, um dem labbrigen Hypesack der real existierenden deutschen Vorzeigeblogosphäre wieder sowas wie Leben einzuhauchen. In 8 Monaten kann viel passieren, aber nicht nur Gutes: Dem allseits geliebten Facebook springt der CFO ab, was nie ein gutes Zeichen ist. Liebling Last.fm pfeift finanziell aus dem lasten Hole und will vergeblich das Geld der Nutzer. Und bei Profimedien sind Blogs als Beitragslieferanten hoch beliebt, wenn sie die Inhalte verschenken – letztere Bloggerfreunde sind dann auch Medienpartner der re-publica. Und das kommt der Orga noch nicht mal blöd vor.

Angesichts der Krise, die nicht nur eine Medienkrise ist, sondern vor allem eine Krise der Inkompetenten und Überflüssigen aus der Kommunikationsbranche allgemein ist, ist der kurzfristige Trend extrem unschön und negativ. Worüber Sie deshalb reden werden, ist ein eher mittelfristiger Durchbruch Ihrer Medien oder was Sie dafür halten. Die Bundestagswahl wird es Ihres Erachtens richten, denn Obama hat es vorgemacht, und es quillt schon aus allen Ecken und Enden, dass Sie ebenfalls so einen Wahlkampf gerne mitgestalten wollen würden. Da gibt es nur ein paar Probleme:

1. war das Internet keinesfalls wahlentscheidend – es wirkt nur so, weil sich die Medien daran so abgearbeitet haben. Und die Politik weiss, dass in den Käffern damit weniger als mit Freibier bei der Feuerwehr zu holen ist.
2. sieht man aus den bisherigen Beiträgen deutscher Blogs und Twitterer, dass sie zum alles bestimmenden Thema der Wirtschaftskrise so viel beizutragen haben wie ein Esel zur Raketentechnik. Pseudokühl sein reicht nicht.
3. waren Sie auch schon früher da. Und das ist das Hauptproblem. Wie auch bei ausgebrannten Politikern. Denn:

Wie repräsentiert man eine Veränderung, wenn man seit Jahren nichts auf die Reihe gebracht hat?

Das ist die eigentliche Kernfrage. Da rennen haufenweise Leute rum, die 4, 5, 6 Jahre Zeit hatten, etwas besonderes zu leisten. Die all diese Jahre ganz grosse und ganz tolle Veränderungen angekündigt haben. Veränderungen, die durchaus Chancen hatten. Die man ausprobiert hat, mit wirklich teils guten und teils geldigen Partnern. Und die allesamt im Ergebnis klein, mies und peinlich blieben. Die Cola-WG. Die Blogs bei derwesten.de. Die Wahlkampfblogs von vor 4 Jahren. Marketing in Second Life. Social Shopping. Blogwerbung, Blogberatung. Profiblogs. Alles probiert, alles bedeutungslos und langweilig geblieben. Gestern meinte einer, der auch in Berlin ist, seine Blogger würden für ein Essen im Monat bloggen. Ein lunpiges Essen. Lumpige 50 Euro soll Deutschlands bekanntestes PR-Blog für ein Feature bezahlen. Schauen Sie sich um, schauen Sie auf Podien und Vorturner: Das sind die Leute. Sie sind immer noch da, sie geben in diesem Sektor immer noch den Ton an. Hauptsache was Neues im Internet. Twitter. Oh ja. Ganz toll und wichtig.

Statt einmal ein Thema richtig zu machen, statt gute Lösungen mit Blogs zu liefern, statt sauber zu arbeiten, statt einfach mal was auszuprobieren und es nach dem ersten Problem gleich wieder sein zu lassen, nun also Twitter. Und anderes Internetzeug. Als hätte Technik eine Bedeutung für das, was zu sagen ist. Als läge Bedeutung in der Zahl 140 für die Anzahl der Zeichen, und nicht in Gedanken und Ideen. Weil es leichter ist, Technikgerödel zu erfinden, als es mit Leben zu erfüllen. Weil einen das alles immer sofort und auf der Stelle von der Notwendigkeit entbindet, langfristig zu planen. Und vielleicht auch mal zurückzuschauen und aus Pleiten zu lernen. Selbst wenn das nicht zur Behauptung passt, man wäre die Spitze der Veränderung.

Ich sehe keine Veränderung. Ich sehe nur ein paar älter gewordene Männer, die eine Weile gute Presse hatten, weil da ein paar Freunde oder Nachplapperer sassen. Die Leute, die in Berlin Veränderung verkaufen wollen, hatten für ihr Ding mehr Zeit als die New Economy, jede Menge Aufmerksamkeit und so viele Freischüsse, wie sie wollten. Sie sind darüber alt geworden, müde und genervt. Sie haben noch acht Monate zu beweisen, dass sie mehr können, als bisher zu sehen war, und das ist eine Menge Zeit, um zu beweisen, dass sie mehr als nur mit Anglizismen gejauchte Modetorheiten auf die Reihe bringen. Dass ihre Einlassungen es wenigstens bis zu den Leuten an der Bushaltestelle vor dem Veranstaltungsort schaffen. Dass sie mehr sind, als eine Freakshow komischen Internetabhängiger, ein Totentanz der Onlinebettler auf der Suche nach Grundeinkommen und kostenlosem WLAN, ein Trendtag für Arme, dass ihr Wert grösser ist als die Versteigerungserlöse ihrer Blogs bei Ebay und mehr Seele drin ist, als in tausend Verlinkungen zu irgendwelchen Twitterneuigkeiten. Dass sie Themen setzen können, und nicht nur Haufen ins Internet. Dass sie nicht nur infantile Berufsjugendliche sind, die sich aus Versagensängsten am Gadget festhalten, wie der alte Sack am Viagra.

8 Monate. Zeit läuft.