Wenn die Piraten nicht eine Partei wären, die drauf und dran ist, in den Bundestag zu kommen, wäre die Geschichte vielleicht lustig.

Wie auch immer: Gestern ertönte ein Hilferuf im Netz. Die unter “Lotterleben” twitternde Bloggerin und Piratin schrieb bei sich einen Beitrag, wie entsetzlich sie all die Shitstorms innerhalb der Piraten mitnehmen würden:

Nach meinem ersten Heulkrampf wegen einer Scheisseböe habe ich versucht, herauszufinden, wie man dem entgegentreten kann. Wie man sich und andere schützen und selber nicht mehr daran teilnehmen kann. Ich versuche seitdem bewusst, nicht mehr zu pöbeln (bzw das an meinem Kissen auszulassen), konstruktiver zu werden und anderen den Rücken zu stärken. Ich habe dabei viel dazugelernt, bin aber auch wütender geworden.

Eingeweihte wissen vermutlich, dass diese Piratin aktiv im Bereich “Gender” ist und häufig im Kegelklub publiziert; eine Art Plattform für feministisch bewegte Piratinnen, die neben den mittlerweile weitgehend bekannten Ãœberlegungen zur frauenfeidlich/sexistischen Haltung innerhalb der Piraten gerade eine Umfrage analysieren, um das Problem zu erfassen. Und weil nicht jeder die, sagen wir mal, doch recht deutlich feministische Haltung – hat da wer Mohrenlampe gesagt? – teilt, gibt es halt auch Auseinandersetzungen um das Thema. Nicht jede Partei ist restlos begeistert, wenn sich eine Gruppe daran abarbeitet, wie sexistisch und frauenfeindlich es ihrer Ansicht nach zugeht. Streit, Fäkalgewitter, Ärger, innere Distanzierung, wütender Blogbeitrag und dann von vielen Leuten Flausch für Lotterleben. Alles schon wieder etwas bessser, hoffentlich. Gell?

Tolle @Lotterleben ist toll! #shitstormkritischeratloseria

schreibt Mitkegelklubberin Julia Schramm gestern Abend dazu. Ja, die Frau Schramm, die zugleich auch Mitglied bei der Datenschutzkritischen Spackeria ist, und sich selbst schon ein paar sehr öffentliche Fäkalgewitter geleistet hat, was dem Ansehen der Partei vielleicht nicht wirklich zuträglich war. Aber das hat jetzt ja ein Ende, weil Frau Schramm ja die Position von Lotterleben teilt und ausserdem Bundesvorstand (also Parteichefin) der Piraten werden möchte. Und sie begründet das unter anderem so:

Ich komme mit fast jedem klar, bin offline umgänglicher als online und denke, dass ich mit jedem der jetzigen Kandidaten kooperieren kann. Ich finde die Regelung des jetzigen BuVos in Teilen gut (also sich nicht gegenseitig in den Rücken zu fallen)
(…)
Was ich machen werde
Organisieren (wenn man mir Ideen gibt, setze ich sie gerne um.)
denken, schreiben, reden (ich neige deshalb tendenziell zu Selbstzweifeln, Berufskrankheit)
Kompromisse finden und erarbeiten
Vermitteln, Debatten verstehen und alle Seiten ernst nehmen
Reden, lächeln, repräsentieren (Grüßaugust)
Projekte vorrantreiben, die eine effizientere politische Arbeit ermöglichen

Klingt doch super! Gar nicht nach Randale und Fäkalgewitter und Beleidigungen und Anschreien und Plärren, sondern ganz dezent und ergebnisorientiert, für die anderen und das, was sie wollen. Naja, und dann geht die Frau Schramm gleich im Anschluss zu den Grünen und sagt gleich mal, wie das geht, mit der Zusammenarbeit und dem Nichtindenrückenfallen, wenn etwa jemand wie der Berliner Fraktionschef eine Erklärung für zurückhaltende Frauen in der Partei bringt, die nicht in das klassische Unterdrückungssexistenpostulat passt:

Dafür haben wir ihn auch geshitstormt

Es kommt halt immer darauf an, wofür oder wogegen so ein Shitstorm in der Partei ist, ob man dann lieb ist und weint ob der Brutalitäten, oder ob man das in Notwehr macht. Aber schön, dass es so offen zugeht! Postprivatös ging es dann heute weiter um die Frage, ob man bei den Piraten Liquidfeedback ausbauen soll, was Frau Schramm haben möchte – hier eine kleine Auswahl der Debattenergebnisse, unter anderem mit dem aktuellen Vorsitzenden:

[Hier steht ein böser Tweet, voler Sarkasmus und Ironie. Und über Piraten. Und Männer.]

ja. ich hasse es, wie die Debatte geführt wird. besonders ätzend, wenn leute, die die gleiche meinung haben sie aggressiv führen

diese debatte ist so kaputt. gruselig. und das in einer “rationalen” partei o.o

aber es wird immer NUR über vergangenes geredet, fronten aufgebaut, etc. destruktiv halt.

ich hasse diese diskussion, gerade von den befürwortern. es ist unerträglich destruktiv.

Da wird sich der politische Gegner aber freuen, sollte diese Person – oder wer auch immer – Vorsitzende werden. Jaja, die Piraten, da braucht man keine Spione, die U-Boote besorgen das Demontieren der Partei bei Twitter, wenn eine Kandidatin das Wort Rational in Anführungsstriche setzt, offen über sexistische Ãœbergriffe ihrer Kollegen redet, alles destruktiv findet und gerne mal Sarkastisches über Männer und Piraten schreibt –

wenn sie natürlich nicht gerade ihre Hilfsshitstormerin hätschelt und schreibt, dass sie eine gute, angenehme Vorsitzende sein will, die auch meint, gut mit Menschen umgehen zu können. Das ist Post Privacy: Offen ausgelebte kognitive Dissonanz. Wenn das jetzt die Republikaner, die judäische Volksfront oder die AG Gender in der Gesamtschule Wattenscheid wäre… aber es ist eine Partei, die eventuell bald sehr viel mehr politische Macht hat.

Und deren sich vordrängelndes Personal seine Bekanntheit über derartige Einlassungen aufbaut. Es kann sein, dass diese Art der Post Privacy dem einzelnen sogar nützt, aber insgesamt wage ich es doch zu bezweifeln, dass derartige Offenheit im Netz zusammen mit solchen, äh, Charakteren die Piraten zu einer besseren Partei machen. Weil: Offenheit ist auch das Wirkungsprinzip der Giftgasflasche.