Es wird einige Leute geben, die werden auf diesen Beitrag mit Gedanken oder Postings wie “Es gibt sehr gute Gründe für das was ich tue”, “Der unterstellt uns, was er selber tut”, “Ich bin überhaupt nicht neidisch” und “Ich habe das Recht das zu tun, und Kritik muss man ertragen können” reagieren.

Lesungen bringen Ärger

Im vorrausgehenden Artikel wurde beschrieben, wie das Fehlen gewisser Charakteristika des Literaturbetriebs Bloglesungen zu einem grossen Spass werden lässt. Dennoch: Man sollte sich das mit den Lesungen als Organisator gut überlegen. Es wird noch eine Weile dauern, bis Lesungen aus Blogs so normal sind, dass nicht oft ein gewisses Keifen losgeht. Lesungen sind eine Ausnahmesituation, bei Lesungen wird das gleichförmige Nebeneinander des normalen Bloggens durchbrochen, man exponiert sich, und das ruft die Geiferer auf den Plan. Egal, ob im Umfeld dieses Buches oder bei anderen.

Neben den generellen, oft auch nur oberflächlich so scheinenden Privatfehden gibt es nach meinem Erleben zwei Gründe für die Geiferer: Die Angst vor dem Draussen und der Umstand, dass für manche die Blogosphäre längst zu einer Art Literaturbetrieb geworden ist, in dem all das Miese und Kaputte der realen Bücherwirtschaft kopiert und angewandt wird.

Die, die Angst vor dem Draussen haben

Blogs in Deutschland haben in der Wahrnehmung “draussen” während der letzten beiden Jahre einen erheblichen Wandel durchgemacht. Es wird sehr viel mehr darüber berichtet, es werden neue Aspekte besprochen, es gibt Thesen über Blogs jenseits der Blogosphäre – wenn man so hochtrabend formulieren will, einen öffentlichen Diskurs, der nur teilweise von den Bloggern beeinflusst wird. Statt dessen äussern sich Berater, Juristen, PRoleten, selbsternannte Experten und Marktforscher. Zeitgleich hat sich auch die Blogosphäre enorm verändert. Vor zwei Jahren war ein neuer Server der grossen Community Antville ein Thema in der Netzeitung – heute ist Antville ein eher kleiner Hoster, und ob es einen neuen Server gibt oder nicht, wäre den Medien nicht mal drei Zeilen wert.

Inzwischen kommt das “Draussen” von selbst und versucht – mehr oder weniger geschickt – zu begreifen, was da “Drinnen” wirklich passiert, wer das schreibt, wie es geht, wer es liest. “Drinnen” reagieren viele ältere Blogger mit Hohn und Verachtung auf diese Versuche, weil man “draussen” nicht begreift, was wirklich geschieht, und weil man nicht zu Unrecht befürchtet, dass sich das Bloggen dadurch verändert. Die Anzahl der Blogs steigt durch die Berichte an, neue Gruppen beginnen mit dem Bloggen, die Medien schnitzen sich daraus ihre Spezialisten, Gastautoren, Stars, oder schicken die eigenen Leute rein. Das sorgt bei manchen für Unsicherheit, Unbehagen, oder auch Sorge um die Meinungsführerschaft in oder von bestimmten Gruppen. Es gibt keine Stammplatzgarantien mehr – wenn es sie denn je gegeben hat.

Diese Kreise hängen an den Medien und debattieren reaktiv über das, was von Draussen an Meinung kommt – unabhängige Gedanken oder längere Texte zum Thema bleiben meist aus. Eine Lesung, quasi das Gegenstück zu den Medien, eine eigene Schnittstelle des “Drinnen” zum “Draussen”, auch wenn es nur ein halböffentlicher Rahmen ist, muss ihnen als Verrat, zumindest aber als Bedrohung oder bestenfalls Anbiederung erscheinen. Hier wagt es jemand, die Trennung zwischen den Eingeweihten, der In-Group, und den Unwissenden aussen in Persona, als einzelner Blogger zu durchbrechen, und – deutliches Zeichen für diese Angst – ihnen als verdammenswerter “Sprecher der Blogosphäre” erscheinen – und sie sind nicht dabei. Entsprechend gross ist dann das paranoide Gemaule, ganz gleich wie klein, banal, unwichtig und unbedeutend der Anlass ist.

Die, die selbst gerne Teil der Lesung wären

Schriftsteller haben wenige Freunde unter Schriftstellern. Autoren sind auf sich allein gestellt, es gibt zwischen ihnen einen ständigen Kampf ums Überleben, um die Wahrnehmung, um die Plätze im Katalog, um die Lesungen, um das nächste Buch, um die Rezensionen, gegen die Newcomer. Jeder Neuling im Literaturbetrieb wird erst mal erstaunt sein von dem Gezänk, das da abgeht, von wegen Hochkultur. Es sei denn, er ist Blogger. Dann dürfte einiges wohlvertraut sein.

Wer eine Lesung oder einen Sammelband mit Bloggern organisiert, wählt 5 oder 15 aus, sondern entscheidet sich gleichzeitig auch gegen rund 40.000 andere. Den meisten ist das herzlich egal, es ist auch nicht böse gemeint, aber es gibt welche, die das anders sehen. Nennen wir sie mal: Blogger mit Ambitionen und ihre Peer Groups. Diese kleine Gruppe hat begriffen, dass Bloggen ein Thema mit Potential ist. Ein Thema, das Medien, Leser und eventuell auch Verlage anspricht. Manche von denen haben 1, 2, viele Manuskripte in der Schublade. Manche hoffen, damit dem grausligen Schicksal “Book on Demand” zu entkommen. Es sind Vertreter einer Gruppe, die man als Schriftsteller schnell kennen lernt: Autoren ohne Verlag. Wer sein erstes Buch macht, wird Menschen verlieren, die er für seine Freunde gehalten hat. Das Buch ist die Grenze zwischen denen, die bleiben, und denen, die in der Schublade bleiben. Es gibt im Literaturbetrieb zwischen Bestseller und Verramschen viele Graustufen – zwischen Autor und Nichtautor nur Weiss und Schwarz. Und oft auch Krieg.

Blogger-Nichtautoren und ihre Peer Groups, ihr, wenn man so will, “Groupie-Umfeld”, haben die bittere Erfahrung des Scheiterns gemacht. Einerseits ist Bücher schreiben ein verdammt hartes Stück Arbeit, zum anderen sind Verleger mit irgendwelchen Wie heissen die Dinger ach so Blogs und ein paar hundert Besuchern nicht zu beeindrucken. Ein Blogger unter vielen, ein Manuskript unter vielen – Bloggen taugt nicht beim Verleger. Aber Lesungen, mit 30 oder mehr Besuchern; Lesungen, bei denen die Presse kommt – das taugt den Verlegern. Die Lesung ist ein vorpublizistischer Raum, den die da “Draussen” verstehen. Da will man also rein – und wenn man draussen bleibt, disst man einen Teilnehmer im Blog, schleimt andere an, und schreibt hintendrein noch eine Mail, dass das eigentlich eine Aufforderung zum Kräftemessen sei, die man zwar eigentlich gar nicht nötig habe, aber vorlesen will man eben auch. Oder jemand aus der Peer Group macht einen auf Literaturkritik, nach dem Motto: “Wenn schon mein Idol nicht darf, mache ich die anderen eben runter”. Oder man erklärt der Peer Group in einem Grundsatz-Papier, dass man eigentlich sehr viel besser und toller ist und zwar auf eine Weise, die dann auch diejenigen toll finden, die die oben genannten Verlustängste haben.

Im Literaturbetrieb laufen diese Konflikte bestenfalls halböffentlich ab – man muss sich schon gut auskennen, um zu begreifen, warum mancher Autor bei manchem Feuilleton nie besprochen wird und andere in den Himmel gehoben werden. Die Zusammenrottung der Neider, die sich bei den Buchmessen an Häppchentischen befreundeter Betriebsclans abspielt, hat in der Blogosphäre eine ganz andere Publizität. Um das aber zu verstehen, muss man wissen, wer wann was für eine Buchidee hatte. Manche sind öffentlich bekannt, andere kennt man nur gerüchteweise, weil es ein paar Leute mit Angeboten an gewisse Verlage versucht haben.

Nicht alle Kritiker fallen in diese Gruppe, es gibt auch welche, denen es einfach nicht gefällt, so what, das gehört zum Lesungsgeschäft – aber gerade die mieseren Stücke haben ihre Ursache oft im Unterschied zwischen denen, die Vorleser sind oder auswählen, und denen, die wie schon so oft nicht ausgewählt wurden

Was kann man dagegen tun

Nichts. Man könnte diese Leute umschmeicheln, sie integrieren, sie zum Teil der Lesung machen. Und sich mit diesem egomanen Pack den Abend versauen. Das nächste Mal werden sie ihre Freundeskreise als Vorleser vorschlagen, und wenn dann sich mal ein Journalist in die Lesung verirrt, sind das diejenigen, die ihn voll in Beschlag nehmen. Man sollte genau schauen, wen man sich einlädt. Lieber einen guten Newcomer als eine verrottete Diva mit Allüren. Die Organisation klein halten, die Planung komplett durchziehen und erst, wenn alles geklärt ist, bekannt geben. Die Keifer danach deutlich angehen – wer glaubt, es besser zu können, soll es selbst tun. Das ist die freie Marktwirtschaft. Die Erfahrung aus dem Literaturbetrieb lehrt, dass man den Events der lauten Kritiker gelassen entgegenschauen kann: Desto lauter sie sind, desto weniger werden sie selbst etwas auf die Beine stellen. Denn eigentlich wollen sie dann ja gar nicht, ist doch eh nur Internet. Muss sich auch keiner von dem hier angesprochen fühlen, echt.