Bloggers Liebling Michelle Delio hat möglicherweise gekummert
Sowas tut weh: Steve Fox, der Chefredakteur von Infoworld, muss einräumen, dass die freie Journalistin Michelle Delio bei vier Artikeln im Verdacht steht, Quellen passend für vier bei Infoworld erschienene Artikel erfunden zu haben:
The pieces […] include statements from seven unverifiable sources — subjects for whom a company name or affiliation was not supplied. Although the quotes may, in fact, be legitimate, Delio has not responded to our requests for her sources? contact information.
Der letzte der fraglichen Artikel ist ein auch in Deutschland rezipierter Artikel über Weblogs und Wikis im Unternehmenseinsatz – ein hübsches Stück voller netter Worte über Business-Blogger und ideal geeignet, einen Trend herbeizuschreiben. Infoworld hält ihn in einer bereinigten Form aufrecht, prüft aber noch alle anderen Quellen, weil sie ebenfalls gefälscht sein könnten.
Es könnte einer der grösseren Skandale der amerikanischen Medien werden – und auch all die Abschreiber abstrafen, die sich bei Delios Artikeln recht häufig in Aufbau und Vorgehen bedient haben. Michelle Delio hat als freie Journalistin vor allem für Wired und die MIT Technology Review gearbeitet, und desöfteren auch über Blogs geschrieben, so auch von der ersten Blogtalk-Konferenz in Wien. Bislang zieht Wired hunderte von Delio verfasste Artikel noch nicht zurück, lässt sie aber gerade überprüfen. Dadurch bekommt auch der deutsche Ableger der MIT Technology Review von Heise ein Problem – ein in Amerika bereits zurückgezogener Artikel ist in Deutschland erschienen und mit entsprechendem Vermerk immer noch online. Delio beteuert ihre Unschuld.
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Nein,
Heise hat kein Problem. Im Vorspann des Artikels ist erwähnt, dass er in den USA zurückgezogen wurde, zusammen mit einer Begründung, warum er dennoch zugänglich bleibt.
Ich möchte aber auch auf einen anderen Umstand aufmerksam machen: Im amerikanischen IT-Journalismus wird extrem schludrig mit Quellen gearbeitet, nicht nur von Delio, es gibt auch den Fall Maureen 0'Gara (Linuxgram) oder, wenn man ganz weit in der Zeit zurückgeht, den Fall Jerry Pournelle (Byte) und dazwischen viele, ähem, Dellen und Beulen. Die schlagen auf ßbersetzungen durch. Was z.B. in den IDG News Service eingespeist ist, wird von IDG-Verlagen nicht mehr überprüft, nur übersetzt.
Ich will den deutschen IT-Journalismus übrigens nicht ausklammern. Nur ist hier bei uns das Problem der Pflichtquotes unbekannt, d.h. ich kann Artikel schreiben, ohne einen berühmten Analysten wörtlich zu zitieren. Wenn Artikel ohne Quotes nicht abgenommen werden, werden Quotes erfunden, so einfach ist das. Die Analysten wehren sich nicht gegen solche Quotes, sondern begreifen sie als Steigerung ihres Marktwertes.
Nun, der Insiderbericht, um den es hier geht, steht im Verdacht, mehr zu sein als nur ein erfundenes Quote. Vielmehr scheint es so, als ob eine komplette Geschichte aus der Luft gegriffen/erfunden/von einem falschen Informanten konzipiert worden ist.
Wenn das für Heises Qualitätsprodukt MIT TR kein Problem ist, nach dem Motto shit happens – na dann… für mich wäre sowas schon etwas, wo ich mir meine Gedanken machen würde. Wenn die Story keinen realen Hintergrund hat, warum soll das dann kein dem Tom Kummer vergleichbarer Fall sein? Zumal es hier ja wohl ziemlich deutlich um den Scoop, um die Sensation geht: Delio hat exklusiv einen plauderwilligen Top-Informanten, und die Story ging damals durch viele Medien.
Der Insiderbericht beruht auf einem G.S. Diesen G.S. hat Hewlett Packard nicht ausfindig gemacht, es soll ein ungarischer Emigrant sein, der lange Jahre bei HP gearbeitet hat. Michelle Delio behauptet, den Mann auf einer Comdex vor einigen Jahren kennen gelernt zu haben und mit ihm telefonisch über HP gesprochen zu haben. Sie behauptet weiter, dass das Gespräch ein ßbersee-Telefonat nach Ungarn war, wohin der Mann zurückgekehrt sein soll. Michelle Delio ist selbst mit einem Ungarn verheiratet, einem Fotografen. Vielleicht hat er das Gespräch geführt, damit es schneller geht. Wenn das nicht zutrifft und es keine Aufzeichnungen darüber gibt, dann ist angesichts der langen Interview-Passagen über HP-Interna eine Art Kummer-Fall, keine Frage.
Selbst wenn die Geschichte von Michelle Delio über die Firmenkultur bei Hewlett Packard erfunden sein sollte, so gibt sie doch wieder, was viele denken. Die Figur des ungarischen Ingenieurs “G.S.” mag patchworkartig aus Statements verschiedener Leute zusammengesetzt sein, trifft aber den Nagel auf den Kopf.
Ich bin seit den 70er Jahren Kunde von Hewlett Packard im Bereich Messtechnik und teilte bisher die Begeisterung, die der – vermeintliche – Ingenieur über seinen Ex-Arbeitgeber zu Protokoll gibt und die er durch Carly Fiorina und die Fusion mit Compaq bedroht sieht. Mit HP und Compaq prallen zwei unvereinbare Kulturen aufeinander, wie wir sie z.B. auch bei Daimler-Chrysler beobachten konnten: Hier Qualität und Liebe zum Produkt – dort die Mentalität des unbedarften Schacherers mit MBA-Abschluss, dem es scheissegal ist, womit er Kohle macht und wie er mit seinen Kunden umspringt.
Die Unterschiede zwischen beiden Firmen lassen sich an Details bei Massenprodukten festmachen, etwa der Art, wie Notebooks gefertigt sind: Während die unter dem Label “Compaq” gefertigten Geräte je länger je mehr kaputt optimiert daherkommen (z.B. Plastikteile wo HP, Apple oder IBM Metallscharniere einsetzten), achtet man bei HP auf saubere Verarbeitung und auf die “inneren Werte” der Elektronik.
Völlig unvereinbar mit HP’s Kultur ist auch die Segmentierung des Marktes in Proleten-, Mittelklasse- und Luxus-Produkte (vgl. mit Daimler, Chrysler und Smart). Bei HP gab es bis zur Fusion NUR kompromisslose Spitzenqualität. Mit Compaq zog die Ideologie des Verramschens ein, wo man halt irgendwas verkauft, was sich verkaufen lässt – und gleichzeitig die Leute aus den eigenen Reihen, die den Kunden nicht bloss 0-8-15-Massenware andrehen wollen, feuert.
Mit einer gewissen Genugtuung hatte ich seinerzeit vernommen, dass die “eigentliche” Firma Hewlett Packard unter dem neuen Namen Agilent erhalten geblieben ist. Was wir jetzt für Hewlett Packard halten ist nämlich nur die Computer-Abteilung der alten HP, die vom Compaq-Geist vereinnahmt wurde. Ich schätze, dass HP früher oder später ausblutet und sich drum frisches Know-How anderswo wieder einkaufen muss – oder zum reinen Assemblierer degeneriert.
Früher oder später werden sich die neue HP-Compaq, werden sich Daimler-Chrysler wieder auf Qualität besinnen – oder in einem übersättigten Markt, wo der Wettbewerrb nur über den Preis läuft, zugrunde gehen.
[…] Thomas Knüwer fragt heute in seinem Weblog “Indiskretion Ehrensache”, ob Journalisten abschreiben dürfen. Aufhänger ist ein Bericht in der Blogbar, laut dem eine amerikanische Journalistin wahrscheinlich Quellen für ihre Artikel erfunden hat. […]