Erinnern Sie sich noch an Jenny McCarthy, MTV’s wundervolle Brunhild der frühen Neunziger? Schulhöfe, Stadtbusse, Kaffeeküchen, Aufzüge, Altersheime, grinste McCarthy Sonntag Abend von der Scheibe, war man Montag Morgen nirgends vor Konversationen über sie sicher. Männer wollten ihren Körper, Frauen ihren Status, McCarthy war das vollkommene Kunstwerk der grellen Gegenwartskultur, das Party-Girl aller Party-Girls – und keiner konnte es ihr verübeln.

Ich konnte mir damals nie wirklich erklären, was sie so interessant machte, vollbusige Knallfroschweiber kamen und gingen schließlich immer wieder, ohne daß sie sonderlich aufgefallen wären. Vielleicht war es ihre schnoddrig-krasse Art, mit eingeschüchterten Guidos umzugehen, ihre grandiosen Sprüche, wenn sie sich wieder einmal vor der versammelten Fernsehnation auf die Nase gelegt hatte, vielleicht auch dieser cornealähmende Körper, mit dem sie uns jeden Elefantenscheiß für Gold hätte andrehen können. McCarthy war der Vollgashedonist, der wir alle sein wollten, immer haarscharf an der Grenze zum Unausstehlichen vorbeischrammend und wenn sie doch einmal zu weit ging war das nicht ihr Problem, sondern unseres, wir elenden Langweiler. Mehr als zehn Jahre ist das jetzt her und erst letzte Woche habe ich in einer Zeitung gelesen, MTV sei nie wieder etwas derartig gutes passiert. Da ist was dran. Erinnern Sie sich eigentlich noch an den Titel ihrer Sendung?

Ich habe Ihnen diese Geschichte wegen des unmittelbar vorangegangenen Eintrag erzählt. Andreas hat darin die These aufgestellt, ein blog könnte nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn es sich mit einem Thema exklusiv befasse. Das halte ich für falsch. McCarthy hätte uns vom Wetter in Bolivien erzählen können, darauf kam es nicht an. Niemand erinnert sich an ihre Co-Moderatoren in „Singled Out“ (so hieß die Sendung), niemand erwähnt die ach-so interessanten Kandidaten oder abenteuerlichen Kamerabewegungen, für die MTV später so bekannt wurde. Worauf es ankam, war wie sie uns unterhielt. Es schadet sicherlich nicht, daß Nick Denton’s blogs sich mit für ein mehr oder minder nennenswertes Publikum interessanten Themen befassen, aber das ist zweitrangig. Wichtig ist, was für eine Person uns da seine Geschichten erzählt und wie das Publikum sich dabei fühlt.

McCarthy fiel auf, weil sie authentisch in einer Gesellschaft war, in der an jeder Ecke gelogen wird, daß sich die Balken biegen. Das kostenlose Girokonto, dessen Kontoauszüge plötzlich doch Gebühren kosten, der Garantievertrag, dessen Versprechen man nicht einklagen kann, weil der Händler eine Arbitrageklausel im Kleingedruckten versteckt hat. Blogs sind nicht besser. Wer das Blog eines allesflachlegenden Testosteronhengstes liest und dann mit dem Bild eines vollschlanken Buchhalters konfrontiert wird, glaubt dem Autor später nicht mehr, empfiehlt der einen neuen Kinofilm. Wer dagegen nicht übertreibt, ausläßt und mogelt, statt dessen glaubwürdig und ehrlich wertend erzählt, sticht heraus. Das Paradebeispiel eines authentischen Bloggers ist für mich Peter Praschl. Lesen Sie ein paar seiner unaufdringlichen, beiläufig anmutenden Buchkritiken. (Wieso habe ich das Gefühl, ich werde diesen Satz bereuen?)

Seth Godin spricht gerne von Innovatoren und deren Einfluß auf Trends aller Art. Die althergebrachte Marketingweisheit war, daß man mit genügend Geld eine breite Masse an Konsumenten erreichen könnte. Das geht heutzutage nicht mehr so einfach. Wir möchten gerne annehmen, daß wir mit Werbung zu leben gelernt haben, aber zutreffender ist vielleicht, daß wir unsere Aufmerksamkeit derartig weit verstreuen, daß selbst ein überproportional großer Geldeimer nicht ausreicht, um uns allen einzutrichtern, daß Blubbi Kinderhintern reiner macht. Godins Lösung ist, nicht die breite Masse, sondern das Drittel der Innovatoren und früh Trendadoptierenden anzusprechen. Wir alle kennen diese Leute. Es ist die Freundin, die wir ein wenig für ihren Stil bewundern, die plötzlich diese umwerfenden neuen Schuhe gefunden hat, die uns in obskure Läden schickt, die schon ein paar Platten weiter ist, wenn sie im Radio das Lied, daß sie uns letztens empfohlen hat, zu spielen beginnen. Wer kommerziell erfolgreiche Blogs aufbauen will, muß diese Menschen finden.

Connectors und Mavens sind zwei Begriffe, die ich bei Malcom Gladwell gelesen habe. Connectors sind, wie der Name bereits impliziert, Menschen mit überproportional vielen Bekannten. Jemand, der uns mit der Mehrheit unserer Freunde in Verbindung gebracht hat, an dessen Geburtstagen wir uns immer über die schiere Zahl der Anrufer wundern, der überall jemanden kennt und nicht anders kann, als ständig an allen Orten neue Freundschaften zu schließen. In seinem Buch The Tipping Point: How little things can make a big difference erwähnt Gladwell einen Connector, den er in ein neues Restaurant mitnimmt. Der Ort sagt ihm zu, woraufhin der Connector gar nicht anders kann, als Freunden und Bekannten im Umkreis des Etablissements einen Besuch zu empfehlen. Die Mehrzahl unserer Freunde ist laut Gladwell stets auf eine oder zwei Personen zurückzuführen. Noch so eine Gruppe, nach denen ein kommerzieller Blogverleger sich umschauen sollte.

Maven kann man als Marktkenner übersetzen, das trifft es aber nur zum Teil. Es sind Menschen, die sich für spezielle Themen besonders interessieren und Mitmenschen mit ihrer überdurchschnittlich ausführlich recherchierten Meinung zu helfen versuchen. Sie sind absolute Autoritäten in ihren Interessengebieten, die mit dem beruflichen Umfeld nicht zwangsläufig verbunden sein müssen. Ihr Freund, der vier Monate lang unterschiedliche Digitalkameras studiert, jede Zeile der Garantieverträge gegeneinander wertet, Linsenauswahl- und preise beachtet und schließlich kauft, was nach unzähligen weiteren Recherchen die beste Option nicht nur zu sein verspricht sondern sein muß, ist ein Maven. Er wird sie vor der falschen Automarke warnen und Ihnen ein Modell empfehlen, welches Ihnen mehr für vergleichbare Summen bietet. Ein Maven recherchiert zwanghaft und hat das unüberwindbare Bedürfnis, dem Rest der Welt sein Wissen mitzuteilen und sie dadurch zu verbessern. Zeldman ist ein solcher Mensch in Sachen CSS.

Ob Projekte, wie der neugegründete Spreeblick Verlag, mit Erfolgen beschert werden, hängt davon ab, wie viele solcher Menschen gefunden und zur Autorenschaft bewogen werden können. (Ich halte Johnny selbst für ein gutes Beispiel für einen Connector, gestehe aber ein, nicht genug von ihm gelesen zu haben, um ihn wirklich in eine solche Schublade stecken zu können.) Themen sind etwas, daß diese Art Autoren selbst mitbringen werden. Ein zu eng gesteckter Rahmen würde sie nicht nur einschränken, er würde ihre Talente verschwenden.

Oh, und Andreas: ‘tschuldigung.