Nun kommen sie also aus ihren Löchern und sagen, dass sie überhaupt nicht verstehen, wie man auf eine Bloglesung gehen kann und was diese Texte da sollen. Das überrascht etwas, denn die Handelsblattlesung in Düsseldorf war weder die erste Lesung ausserhalb der Blogosphäre, noch die mit den meisten Autoren, noch diejenige, die dem klassischen Literaturbetrieb am nächsten kam. Insofern ist es nicht ganz verständlich, wieso die plötzlich jetzt eine gewisse Gruppe anfängt, Lesungen in Frage zu stellen oder abzulehnen.

Zwei Argumente fallen dabei auf – das eine ist die Behauptung, Blogtexte wären nicht lesenswert. Das andere sind Bedenken wegen einer herausgehobenen Stellung, einer Hierarchisierung der Blogosphäre. Man könnte natürlich sagen, das sind nur die Neider, die zu blöd zum ordentlich schreiben sind und für die sich keine alte Sau interessiert, wenn sie nicht andere andissen, aber so leicht sollte man es sich doch nicht machen.

Was ich ganz witzig finde: Viele von denen kommen aus der Softwareecke, teilweise mit mehr oder weniger deutlichem Hang zur Ideologie von Web2.0 und der sogenannten social software, an die ich nach meinen Erfahrungen mit deren Protagonisten nicht glauben mag. Man muss sich aber jetzt mal die Ironie vor Augen halten: Ausgerechnet ein Umfeld, das soziale Strukturen im Netz abbilden will, kriegt die Krätze, wenn die Autor-Leser-Interaktion im normalen Leben abgebildet wird. Da drängt sich für mich schon der Verdacht auf, es mit Leuten zu tun zu haben, die zu lange die Kiste nicht mehr ausgeschaltet und kein Buch über was anderes als PHP mehr gelesen zu haben. Und vielleicht noch nie auf irgendeiner Lesung waren, denn es ist nun mal so, dass Leser Autoren auch gern mal anschauen und anhören. Auch ohne nachher Fingerfood zu bekommen. Einfach so. Weil der Text eines Autors, vom Autor selbst gelesen, eine besondere Erfahrung ist. Muss man nicht verstehen, ist aber oft so. Nur weil sich einem Codefrickler der Wert eines Textes entzieht, bedeutet es nicht, dass andere ihn erkennen, und er etwas Besonderes darstellt.

An der Stelle setzt dann auch die Debatte um Hierarchien ein. Eigentlich kein Problem, denn schon das Verhältnis zwischen Blogger und Leser ist bei gleicher Augenhöhe nicht ohne Rollenverteilung. Wer etwas anderes will, muss ein Wiki aufmachen. Der Blogger gibt die Themen vor, die anderen reagieren. Der Autor auf der Bühne ist inhaltlich genauso dominierend wie derBlogger. Das ist also kein Problem.

Und damit nähern wir uns dem eigentlichen Kern des Problems: Nämlich der Dominanz in der öffentlichen Wahnehmung. Tatsächlich entsteht Aufmerksamkeit nicht an der Softarebasis des Bloggens und auch nicht beim Bloggen an sich, sondern an der Grenzfläche zwischen Online- und Offlinewelt. Mit der tun sich Softwareleute naturgemäss schwer, denn sie denken vor allem in Internet und Code. Viele Blogger aber sind kontaktfreudig und Rampensäue – sie nutzen das Netz nur als Basis und sind froh, wenn es mal raus geht. Deren allgemein verständliche Texte, das “Tagebuchbloggen” oder “Plaudern”, um mal die bösen Begriffe zu verwenden, kommen ausserhalb des Internets an. Ziemlich sicher, weil es gerade nicht um das Internet, sondern um das Leben geht, das halt nur zufällig im Internet abgebildet wird. Aber genau diese Haltung bekommt die Aufmerksamkeit, die Medienberichte, die Links aus der Blogosphäre. Eine Hierarchie ist das nicht, aber ganz sicher eine herausgehobene Stellung. Und die ist der Stein des Anstosses. Das macht die Kritiker so kirre, dass jemand mit Texten und Auftritten, die sie nicht begreifen, anders rezipiert werden.

Ich persönlich glaube, dass da gerade ein Zug abfährt. Ich bin mit einem Haufen anderer Leute im Pullmann und entkorke den Wein, und die Sozialweichwärigen stehen draussen am Bahnsteig. Vielleicht spammen sie Google besser, vielleicht sind sie schon viel länger Blogger, vielleicht haben sie die Schienen gecodet, auf denen der Zug fährt – mir ist das ehrlich gesagt scheissegal, und denen, die mir das Ticket geben, ebenso. Die interessiert nur, dass ich auf der Bahnfahrt eine gute Unterhaltung liefere. Die Reise geht in eine Richtung, in die keiner von denen da draussen je können wird, sie werden tatsächlich immer unten im Publikum oder zuhause bleiben. Und dann kommt das Geschrei, man möchte doch den Zug anhalten und im Bahnhof des Internets und der Software behalten, diesen geschützten Raum, in dem sie sich noch irgendwie artikulieren und mitreden können. Ich gestehe zu, dass hier zwei Entwürfe, zwei Ansprüche an die Blogosphäre kollidieren. Ich bin mir sicher, dass sie gleichzeitig existieren können und beide ihre Berechtigung haben. Aber beim Wettbewerb um die Vermittlung ins Leben ist das Rennen gelaufen.

Auch wenn manche noch den Kopf in den Sand stecken.