Kultur, Wert, Verwertung
Bloggen ist aus Sicht des Kulturforschers, wie im Prinzip jede schriftliche Fixierung von Gedanken, Ideen, Erfundenem und Ereignissen zuerst einmal eine kulturschaffende Tätigkeit und in Folge dessen Kultur. Natürlich nicht unbedingt Kultur im Sinne einer “Hochkultur”, manchmal sicher banal und nicht unbedingt klug, aber ohne jede Frage Kultur, die die gesellschaftliche Realität wiederspiegelt. Allein deshalb liegt im Bloggen ein Wert. Der gleiche Wert etwa, den wir in früheren Epochen den Sgrafitti in Pompej zuweisen, oder vielleicht auch Tagebüchern aus dem 19. Jahrhundert, oder der Photosammlung unserer Grosseltern. Manche werden das so nicht sehen wollen, aber man möchte bitte bedenken, wie gierig sich die Kulturforscher auf die Zeitkapsel namens “Ötzi” gestürzt haben – ein banaler Kadaver als Sensation, weil die schriftliche Ãœberlieferung nicht existiert hat. Ich bin mir sicher, dass Blogs, wenn man sie denn sozial gewichtet und den Anteil von Abiturienten und Menschen mit Hochschulabschluss und den internettypischen Psychopathen runterrechnet, bald ein Bild der Gesellschaft in ihrer Vielfalt ergeben, die kein Medium darzustellen in der Lage ist.
Ein weiterer Wert sind die Geschichten, die Blogs erzählen. Sie müssen nicht jeden ansprechen, die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Für alle ausser fünf Freunde des Autors kann die Geschichte der letzte Schmarrn sein, aber seine fünf Freunde werden viel Genuss daraus ziehen. Sie werden die Geschichte vielleicht mehr lieben wie die 1000, 2000 Leser einer Geschichte, die ein bekannter Blogger geschrieben hat, dem längst die Zeit zur Interaktion mit den Lesern fehlt. Auch das ist ein kultureller Wert.
Der Haken an der Sache ist, dass Wert in aller Regel die Verwerter auf den Plan ruft. Irgendwie, sagen sie sich, muss das doch verwertbar sein, da kommen welche zusammen, sind angetan und begeistert, machen mit, da muss ich doch irgendwie diesen Wert da abschöpfen können. Emotion in Profit, Kultur in klingelnde Kasse umwandeln. Bezeichnenderweise findet man bei dieser Gruppe vergleichsweise wenige Kulturforscher, sondern Journaille, Berater, PR. Marketing, Auf-die-Fresse-gefallene aus dem letzten Hype, und besonders viele, die brüllen, wo es ihres Erachtens lang geht, ohne dann selbst mit zu marschieren, solange sie nicht jeden Schritt bei jemandem abrechnen können, der ihnen diese Scheisse abkauft. Gut, ich gestehe diesen Leuten zu: Auch Grossmäuligkeit, Scharlatanerie und Hochstapelei ist eine kulturelle Technik.
Ich glaube, keiner muss sich rechtfertigen, wenn er in Blogs keinen anderen als einen kulturellen Wert sieht. Mein Blog dient meinem Spass und dem der Leser und vielleicht auch dem Ärger meiner Feinde, das ist alles. In dieser Form ist es eine runde Sache und kann weitergehen, solange es mir Spass macht. Ich muss keinem Rechenschaft ablegen, wieso ich aus meinen 2000 Lesern und den 300 Suchanfragen für das geldversprechende Wort “ficken” kein Geschäft mache. Im Gegenteil, wenn jemand in Erklärungsnotstand ist, dann sind es eben Leute wie Mario Sixtus, die das Handeslblatt mit ihrem substanzlosem Machergeschwafel abwerten oder ihr eigenes Blog auf das Niveau einer Motivationsshow bringen (http://www.sixtus.net/entry/795_0_1_0_C/, sorry, kein Link, man muss ja nicht alles unterstützen). Und wenn sie argumentiv in die Klemme kommen, Sätze absondern wie “Na, warten wir doch alle mal ab…”
Machen kann jeder. Machen tut man sogar, wenn der Schliessmuskel nicht hält. Das allein ist nicht im Mindesten Kultur. Jede Amöbe macht was, jeder Bazillus, jeder Powerpointwichser und jeder Visionär, dan man nicht mit der Zwangsjacke fixiert. Wer glaubt, mit Machen oder Experimentieren allein irgendwie weiterzukommen, hat wenig Ahnung von Wirtschaft jenseits der Geschäftsmodelle eines Tschackaaa-Höller. Natürlich gibt es im Bereich Venture Capital die Möglichkeit des Scheiterns, aber nur, weil VCs auf einen Megaseller an der Börse spekulieren, der die Verluste von 20 Pleiten auffängt. Journaille liebt natürlich die Sieger, von denen liest man. Versager haben keine PR. Ich weiss nicht, ob Typen wie Sixtus jemals erlebt haben, wie es ist, wenn so ein gescheitertes Experiment in die Tonne getreten wird und eine arme Sau, die von Anfang an mit der Skalierung des “Experiments” völlig überfordert war, 50 weitere arme Säue, die an sein Geschwafel geglaubt haben und dafür teilweise ihre sicheren Jobs aufgegeben haben, Richtung Hartz IY schickt. Solange man nur sich selbst verantwortlich ist, sind Experimente eigenes Risiko. Alles andere fügt den Begriff “Verantwortung” dazu, und man muss schon ein verdammt asoziales Wesen sein, um das zu negieren. Verantwortung bedeutet eben, dass “Experiemente” und “einfach mal machen” von da an begrenzt sind. Das ist gut, nicht schlecht. Denn während Kultur tatsächlich von Experiment und einfach machen lebt, lebt Wirtschaft davon, mehr Geld einzunehmen als auszugeben. Bewusste Experimente sind, wenn überhaupt, nur ein kleiner Teil des Wertschöpfungsprozesses, viel mehr jedoch entsteht über schlichte Evolution und Detailverbesserung.
Aber zurück zu den Blogs. Es steht ausser Frage, dass man damit Geld verdienen kann, wenn man will und gut genug ist. Welchen Weg man da beschreitet, Google-Optimierung, Spam, dumme Kunden aufreissen, mit Informationen handeln oder Microjournalismus oder etwas anderes, muss jeder selbst wissen. Ich denke durchaus, dass es Möglichkeiten gibt. Etwas, wo ein Blog ganz sicher sinnvoll ist, sind Reisen, weil die Publikationsform dem Erlebnis entspricht. Eine andere Sache ist der Handel mit einzigartigen Objekten, der Antiquitätenhandel etwa, weil ein Blog hier erlaubt, die Kundschaft via Internet aktuell über neue Objekte zu informieren. Vielleicht kann man auch zeigen, wie die Kunden das Erworbene dann einsetzen. Immobilien könnten genauso funktionieren, alles, was irgendwie individuell ist. Ein Blog könnte ein grossartiger Ersatz für all die blöden Broschüren des Standortmarketings sein, die schon längst veraltet sind, wenn ein Investor sich dann endlich überlegt, an den Ort zu gehen. Da gibt es also viele Möglichkeiten, die mal jemand mit einem klaren Konzept und Gefühl für die Möglichkeiten und Grenzen angehen könnte.
Aber es ist völlig ok, es nicht zu tun, weiterhin seinen Spass zu haben und den Sick Stuss dieser Welt mit all dem Web2.0scheiss als solchen zu brandmarken.
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Klowände neu streichen ist wie Bücher verbrennen.
Yep, Blogs sind schnell, viel schneller als Broschüren. Bleiben aber nur kurz, viel kürzer als die Kritzeleien der Pompejaner. Schon bald stimmen hinten die Links nicht mehr. Und in ein paar tausend Jahren sieht man wieder was die ßtzis in den Stein ritzten, die Blogpostings hingegen sind fort, wie das Lied, das man in der Badewanne trällerte. Bestimmt ein guter Grund, jetzt gleich Geld zu nehmen. (‘ßrger meiner Feinde’ find ich prima.)
Niemand weiß, wie lange Blogs tatsächlich bleiben. Ein Teil meines Blogs (sicherlich nicht den interessantesten/besten Teil) habe ich mal ausgedruckt, der könnte also schon mal eine relativ lange Zeit überdaueren. Und wie das Internet archiviert werden wird – gewisserweise passiert das schon, wenn auch bloss in Momentaufnahmen, das können wir noch nicht wissen.
Der Begriff “Verantwortung” kam mir auch sofort in den Kopf, beim Lesen des selbstverliebten pubertären Geschwafels von Sixtus.
Aber es lohnt sich nicht, darüber viele Zeilen zu verlieren.
Manchmal wüsste ich gern, wer eigentlich einen sog. “Journalisten” wie diesen Herrn anstellt, der gerne so daherschreibt, aber noch nicht mal die Bedeutung des Wortes “strukturkonservativ” kennt. Strukturkonservatismus beschreibt eine politische Haltung innerhalb des konservativen Spektrums in Bezug auf Machthierarchien und hat mit Wirtschaft und ihren Strukturen absolut nichts zu tun. Irgendwo gelesen, aufgeschnappt und weiterverbreitet. Journaille 2.0.
Das ist so wie mit dem Wertkonservatismus, den auch jeder gerne im Munde führt, aber oft völlig zweckentfremdet gebraucht, etwa synonym zu Strukturkonservatismus oder auch, was dem Wertkonservatismus noch näher kommt, aber auch nicht deckungsgleich ist, Normkonservatismus.
Strukturkonservativ klingt für manche nach der Steigerung von “konservativ”. ßhnlich wie für einige “neoliberal” lediglich die Steigerung von “liberal” ist.
Das offenbart übrigens ein sehr einfaches Weltbild:
http: // blog. handelsblatt.de/dezentrale/eintrag.php?id=84
Entweder Weltrettung oder Geschäft. Wenn alles im Leben so einfach wäre. Ganz schön viel Blödsinn. Die Woche fängt ja gut an.
Darin auch das momentan ja von den patriotischen Partypiepeln so beliebte Wort “Miesmacher”. Ob der Verfasser und die fröhliche Fanmeute eigentlich wissen, dass dieser Begriff eine Erfindung eines gewissen Herrn Goebbels ist?
Da ist man dann in guter Gesellschaft mit “Gutmensch”.
Strukturkonservativ ist der CSUler ebenso wie der PDSler (im Osten, wohlgemerkt), der jeweils seine überkommene regionale gesellschaftliche Hierarchie konservieren will, wertkonservativ der Anhänger des Konzepts vom christlichen Abendland ebenso wie der an Umwelt- und Denkmalschutz orientierte Traditionsgrüne beide wertkonservativ sind. Sowohl Grüne wie FDP sind darüberhinaus liberal, neoliberal hingegen deswegen nicht notwendigerweise.
danke für den link zu “strukturkonservativ”.
Wieso der Begriff vom Experten nun in der Politik eingesperrt wird bzw. Wirtschaft von politischen Haltungen gesehen werden soll habe ich noch nicht verstanden.
Die Trennung mag irgendwo auch zu interessanten Forschungsergebnissen führen. Vielleicht gibst dann auch ne ISO Norm…Qulitätshandbuch…!?
Bei der Auseinandersetzung mit machen Lähmschichtlern im (wirtschaftlichen) Betrieb leistet er beste Dienste, aber daß ist vielleicht schon wieder eine typische Verwertersicht.
Man muss Begriffe immer auch im Kontext derjenigen sehen, die sie anwenden. Die Anwenung von Begriffen ist ja auch nicht wertfrei.
Von einem Journalisten, der sich zu den besseren seines Gewerbe zählt, hätte ich diesen unreflektierten Umgang mit Werten, Einstellungen und Lebensentwürfen nicht erwartet.
Das Lustigste liegt doch darin, ausgerechnet Bloggern, die doch massiv mit neuen Medienstrukturen herumexperimentieren, “Strukturkonservatismus” vorzuwerfen.
Mich döcht, da ruft jemand “Haltet den Dieb!”.
Stimmt, Chat, a point!
;-)
[…] Und ja, liebe andere Blogger & Sympathisanten: Ihr seid auch herzlichst willkommen! Da müssen doch noch mehr sein, die gerne mal einen heben sich mal mit kulturschaffend Tätigen austauschen wollen […]
danke dir, dass es noch andere leute gibt, die geblickt haben, dass sixtus.net hingerotzter bullshit ist.
[…] Don Alphonso vs. Mario Sixtus – Stationen einer Blog-Eskalation [ Blog-Politik ] Drehbuchautoren aufgepasst, wie wär’s mit folgendem Dialog: Don Alphonso: “Sie wollen wissen, wie Blogs ticken? Fragen Sie einen Arschkriecher. Gibt's im Dutzend billiger, kostet nur Spesen.” Mario Sixtus: “…frustriertes Berufssöhnchen aus der bayerischen Provinz, der ansonsten nur durch seinen schlechten Möbel- und Autogeschmack auffällt” Don Alphonso: “Ich muss keinem Rechenschaft ablegen, wieso ich aus meinen 2000 Lesern und den 300 Suchanfragen für das geldversprechende Wort â??fickenâ?? kein Geschäft mache. Im Gegenteil…” Mario Sixtus: â??Ich fürchte, Konvergenz ohne Opfer wird es nicht geben.â?? Don Alphonso: “Ich halte bekanntlich nichts davon, Journalisten bloggen zu lassen – die können das nicht.” Web 2.0-Vorhang fällt. To be continued… hier, hier, hier oder hier. [ Such! Blog-Eskalation / Tags: Blogs, Web 2.0, Blogger, Bloggen, Blogging, Journalism, Journalismus, Handelsblatt, Media, Medien] […]
Ich habe einfach mal eine ziemlich wahrhaftige Selbstcharakteristik deutscher Journalisten bei mir eingestellt.