Readers Edition, Blogform GmbH und das AAL-Prinzip
Es ist eigentlich ein Jammer, dass Bürgerjournalismus so ziemlich tot ist: Kaum jemand dürfte heute wissen, wie das “damals” so war, als der Bürgerjournalismus noch das Allheilmittel der Linken gegen die Medien erschien. Wo die Revolution endet, kann man bei diversen Existenzen wie Mohr, Broder und anderen sog “Autoren” bei Spiegel Online sehen. Oder eben da, wo meine Ex-Chefs eines angeblich demokratischen Bürgerradios heute sind: Als senile, herrschsüchtige Lehrerpensionäre auf irgendwelchen grün lackierten Ökovillen in Spanien. Es gibt rümliche Ausnahmen wie FSK Hamburg oder Radio Z in Nürnberg, die aber auch nicht immer konfliktfrei waren. Ansonsten gibt es durchaus nachvollziehbare Gründe, warum aus Bürgermedien in Print, TV, Radio und Internet nichts wurde, mit dem man politisch viel hätte erreichen können. Insofern überrascht es mich etwas, wenn man für die Readers Edition aus dem Heuse Netzeitung/Blogform GmbH erneut mit diesen ausgelaugten Begriff kam.
Andererseits, wer die miese Qualität eines Grossteils des Bürgerradios kennt, wundert sich auch nicht über das, was bei der Readers Edition so fabriziert wurde. Es ist letztlich egal, unter welcher politischen Doktrin man die Leute vor sich hinstümpern lässt: Ohne seltene Autodidakten, noch seltenere Naturtalente und fundierte Ausbildung ist das Ergebnis einfach nicht dazu angetan, mehr als Oma, die Freunde und eventuell noch wirtschaftlich oder politisch interessierte Kreise zu erfreuen. Die Readers Edition war von Anfang an nicht der grosse Pool der Könner aus Blog und Medien, den der Chefredakteur Maier versprochen hat. Und wenn schon die Ausbilder eher mediokrer Natur sind, schlägt das eben voll auf die Fähigkeiten der Autoren durch. Bei aller begründbaren Sympathie für die Netzeitung (Permalinks, die Jahre halten, Links zu Blogs, Sachverstand) lieferte das Nebenprodukt der Readers Edition kaum irgendwas, das der Erwähnung wert gewesen wäre, von einem abschreckenden Beispiel eines Kriecherbeitrags über für StudiVZ und grossen Vsionen mal abgesehen.
Und hier sieht man – wenn man sie nicht vom Bürgerradio schon kannte – die Grenzen des AAL-Systems: Andere Arbeiten Lassen geht nur, wenn die anderen den Zielen und Aufgaben entsprechend arbeiten können. Wenn sie dafür nicht geeignet sind, bleibt es eben bei einer überschaubaren Leserschaft, die sich den Krempel aus anderen Gründen denn der Qualität antun. In gewissen Grenzen kann man solche Gruppen auch unter einem Dach zusammenführen, aber das allein generiert noch keine ausreichende Leserschaft für politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Zwecke. Selbst, wenn man nicht für Inhalte zahlt, muss man zumindest dafür zahlen, dass das Textrohmaterial vorzeigbar ist – und da wird die Sache schnell teurer, als sie mit billigen Lohnschreibern wäre. Auch das ist nicht neu, denn diese Erfahrungen haben Firmen wie Clickfish und andere Content Syndicatoren schon während der New Economy gemacht. Und wer selbst gut genug ist, Leser zu ziehen, wird die Readers Edition kaum nötig haben, zieht doch das Umfeld die eigenen Texte eher runter.
Insofern ist die Abfertigung des kostenlosen mittleren Managements nur ein unschönes Detail, das an alte Bürgerfunkschauprozesse erinnert. Da will man mit aller Macht was reissen, nachdem sich die Grundidee als nicht durchsetzbar erwiesen hat. Kann sein, dass dennoch weiterhin Leute kommen, um endlich mal Medien machen zu dürfen – beim Bürgerfunk haben sich immer welche gefunden, die nach solchen Urteilen die freien Stellen übernommen haben.
Das Problem der Blogform GmbH ist jedoch gravierend: Die hohen Kosten für andere Medien entfallen im Netz, mn ist also nicht davon abhängig, wenn die Geilheit nach Awareness kleiner ist als die Unfähigkeit, sich so einem System unterzuordnen. Und selbst wenn weiterhin Leute kommen, um die Lücken zu füllen: Das Ansehen in der ungebundenen Blogosphäre dürfte dahin sein, und die aktuellen Macher stehen ziemlich einsam da. Ich habe keine Ahnung, wie so ein theoretisch ambitioniertes, praktisch unsägliches Projekt bessere Blogger an sich binden will; der Ruf macht es bestimmt nicht aus, und bezahlen will man bei AAL bekanntlich nicht. Natürlich ist es irrwitzig doof, sich mit einer Depperlaktion gegen Mitarbeiter zu ruinieren – aber wo steht bitte geschrieben, dass die Blöden, die Trottel und Vollhorste automatisch alles überleben müssen. Mein persönlicher Wunsch ist es, dass die Readers Edition den diversen AAL-Abzockerprojekten in Richtung Boocompany vorangeht – aber bitte mit kurzem Abstand.
Und danach können wir mal über den Wert von Arbeit, Verwertung und angemessene Bezahlung reden. Egal, ob die Profiteure in Hamburg bei Qype am Verkauf basteln oder bei der Presse in Wien mit dem Versprechen einer Nennung verschleiert umfassende Urheberrechte anfordern und damit ihre rechtsreaktionären Seiten füllen.
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Soll ich jetzt trusten, sprich alles Gesagte nochmals erwähnen, am besten in Alexandrinern?
Ist jemandem der Zuwachs an vielen Profilen von freien Journalisten bei der RE aufgefallen… am Ende nimmt das noch die Wende in eine Huffington? Oder ist das eher auszuschließen? Was sagt der Fachmann?
Ãœbrigens… der hier ist genial… neuer Moderator, Felix Kubach, bei der Readers Edition – seit gestern. Er schreibt über die Generation Praktikum und Firmen, die Leute ausbeuten… quasi zum Nulltarif schuften lassen. Das amüsiert mich. Ob er dabei an sich selbst gedacht hat? Wobei, ich fürchte im Zuge der Professionalisierung wird er jetzt bezahlt werden.
Ich hatte eine interessante Disskussion mit einem Freund und Kollegen, der bei Readers Edition schreibt. Ich bin da ziemlich negativ eingestellt, er fand das Projekt spannend und unterstützenswert. Gleichzeitig erzählte er ein paar Dinge, die mich in meiner Abneigung nur bestätigten, die ich aber keinesfalls weitergeben werde, da es unter dem Mantel der Verschwiegenheit geschah. Vielleicht liegt es am Blickwinkel. Er schreibt dort aus Spaß, weil er nicht mehr Geld für seine Arbeit verlangen muss. Ich kann es mir nicht leisten, umsonst solche Arbeit abzuliefern. Wenn ich für lau schreiben will, mach eich das in meinem Blog oder in ein paar sehr ausgewählten Communities, zu denen sicher nicht StudiVZ gehört.
@Alexander: Ich hab bei dem Artikel als Kommentar mal den handschuh in den Ring geworfen, indem ich Ihnen ihr AAL-Prinzip vorgeworfen habe. Das könnte eine interessant eDiskussion werden, in die hoffentlich ein paar Mitzecher und Zecherinnen der Blogbar einsteigen.
Ach ja und jetzt machen wir erst einmal einen Screenshot, falls die den Kommentat löschen. Dann gibt es gleich ein neues Blogthema.
Die Motivation bei der Readers Edition läuft im Prinzip genauso wie bei den Praktika: Einen Namen machen, Erfahrung sammeln, usw. Nicht von ungefährt wird beim “Abschied” der ehemaligen Moderatoren herausgestellt, dass sie nun für “echte” Medien arbeiten. Wie war das mit der “Hall of Fame”?
Das ist auch ein grundlegender Unterschied zu Huffpost. Dort ist ein Interesse der Schreiber ein Gegengewicht zur etablierten Meinung der Medien zu schaffen. Stattdessen wollen die Macher der RE gerne selber ein etabliertes Medium im Miniformat nachbauen. Ähnlich wie die offenen Kanäle, wo dann TV-Formate imitiert werden.
Daher wird aus der RE ein boocompany-final und keine deutschsprachige Huffpost.
@strappato: Der offene Kanal in Berlin ist eine Ansammlung von Bizarrem und Gruseligem. Wobei ein turnender Rentner beinahe schon Kultstatus erreicht hat.
Berlin ist eine Ansammlung von Bizarrem nd Gruseligem.
Aber es gibt ja noch andere offene Kanäle (Radio/TV). Da wird entweder Durchgeknalltes gemacht, oder etablierten Medien nachgeeiffert – was auch gruselig aussieht.
@strappato: Ja, dass die bei der RE das nicht so gerne hatten, ein Gegengewicht sein zu wollen, hab ich oft und gerne zu spüren bekommen. Ich fand es schade, weil ich indes eine eigene Idee vom Bürgerjournalismus hatte.
Einerseits wäre ich sehr vorsichtig, was die dort anwesenden “freien Journalisten” angeht. So kann man sich ab dem ersten unbezahlt geschriebenen Teststück für das Hinterköschinghausener Kreisblatt bezeichnen, und eine schnelle Recherche (ja, das ist möglich!) zeigt dann auch schnell, dass es jetzt nicht die brüllend allrerfolgreichsten Vertreter des Metiers sind. Jouurnalist ist eine Nullbezeichnung wie Berater.
Andererseits ist es egal, mit welchem Engagement und Ziel jemand was schreibt. Die Qualität muss stimmen. In dem Moment, wo eine leitende Mitarbeiterin Pressemitteilungen absegnet und dabei von den Chefs nicht gebremst wird, ist vollkommen klar, dass es nichts mehr wird. Einen Namen wird sich da keiner machen, und dass zwei Mitarbeiter der netzeitung jetzt woanders sind, ist auch nicht das Verdienst dieses Projekts, das mässig anfing, schlecht lief und jetztuntergehen wird. Erfahrungen`Allenfalls im Mobbing durch zugekaufte sog. Berater, siehe oben.
ajku: Lieber nicht. Mein Bedarf an derartiger Akzidenzlyrik in ungebremster Euphorie trotz diverser Hinweise ist mehr als gedeckt.
Blog ist tot.
Das sagt man mir seit 2003. Ebenfalls war es zu hören 2004, 2005, 2006 und erst vor kurzem wieder. Wenn Blog tot ist, lasse ich es Euch wissen.
@aaron: Blog lebt mit jedem noch so dummen Kommentar ein Stückchen länger.
Ich oute mich mal als distanzierter Fan der R.E. Manchmal findet man ganz gute Artikel dort. Auch die Diskussionsmöglichkeiten sind ganz passabel. Für mich kommt es nicht darauf an, ob jemand gut schreiben kann. Er kann trotzdem etwas zu sagen haben. Am langweiligsten finde ich bei R.E. Artikel, wo Autoren versuchen, möglichst “journalistisch” zu sein.
Auch darf ein Artikel dort ruhig mal politisch tendenziös sein. Wenn der Autor ein Anliegen hat, das er loswerden will? Warum nicht? Vielleicht ist es das einzige Mal in seinem Leben, dass er das Bedürfnis hat, etwas zu veröffentlichen. Dafür bekommt er dort eine Plattform.
Ganz passabel finde ich die regionalisierte Version, die Bürgerzeitung Köln. Ich könnte mir vorstellen, dass regionalisierter “Bürgerjournalismus” besser funktioniert, weil er identitätsstiftend ist. Natürlich muss man dann damit rechnen, dass Lieschen Müller unbedingt ihre Gedichte unters Volk bringen will. Warum nicht? Muss man ja nicht lesen.
Betrieben wird die Bürgerzeitung Köln übrigens von Köln.de, also im Auftrag der Stadt Köln, quasi öffentlich rechtlich. Vielleicht relativiert so etwas die Aal-Problematik.
Die Zahl guter Schreiber ist immer endlich, sie lag im Kaiserreich nicht niedriger als heutzutage – dank des literaten Bildungssystems eher wohl höher: Es gilt im Textbereich nach wie vor das One-in-a-Million-Prinzip.
Wenn man unter diesen Umständen aber die Zahl der Medien (und Schreiber) mittels Privatfernsehen, Special-Interest-Magazinen, Corporate Publishing und auch PR ins Uferlose potenzieren zu können meint, wenn man dazu eine egalitär-alternative Bürgermedien-Ideologie aufs Börsennotierte überträgt, dann ist das Resultat unausweichlich: Es ist unsere heutige Medienwüste, deren Vielfalt durch die Individualität der zahllosen Kakteen bestimmt ist. Wer keine Ahnung von Grammatik, Syntax und sonstigen Sprachgesetzen hat, der will garantiert «irgendwas mit Medien machen». Und er wird dies tun. So ist die Lage.
Im Grunde besteht das Neue am Online-Journalismus-Konzept unserer gedankenfernen Verlegerschaft doch im Anflanschen der BWL-generierten Cash-Flow-Gesetze an das Konzept jener kindsköpfigen «Gegenöffentlichkeit» aus den 70er Jahren.
…. unsere heutige Medienwüste, deren Vielfalt durch die Individualität der zahllosen Kakteen bestimmt ist ….
Schöner Vergleich. Der gilt natürlich auch für Blogger.
BTW: Der Name der GmbH wurde in den letzten Tagen von “BF Blogform Readers Edition GmbH” auf “BF Social Media GmbH” geändert. Ist dies eine Distanzierung von der Blogosphäre nach Ihrer Kritik oder ein Eingeständnis der fehlenden Kompetenz?
Es ist zuallererst ein Eingeständnis, dass man den Begriff “Social Media” jetzt erst entdeckt hat – zu einem Zeitpunkt, an dem er kaum noch einen wirklichen Buzzwert hat.
Zudem hat entledigt man sich namenstechnisch vom offenbar problematischen Bestandteil “Readers Edition”. Was das bedeutet, darüber kann man spekulieren. Eher nichts Gutes für RE. Ob die Namensänderung nun ein Hinweis auf überbordende oder eher fehlende Kompetenz ist? Ich tipp auf Letzteres.
Da ich die Existenz von Readers Edition bislang nicht wahrgenommen habe, schweige ich hierzu. Nur: Die vielen Bürgerradios und offenen Kanäle, die es mittlerweile in praktisch jeder deutschen Großstadt gibt, sind als Mitmachprojekte und Radio von unten mittlerweile fest etabliert, freilich auch nur Spartenprogramm für ein bestimmtes Publikum. Also eigentlich dasselbe wie die Bloggosphäre.