Die bisher beste Konferenz.
Meine momentane Reise nach Jerusalem hatte einen Grund: ich war eingeladen zu einer Konferenz am Van Leer Institute zum Thema “Boundaries of free speech”. Inzwischen ist es “business as usual”, alle ein, zwei Monate bin ich auf irgendwelchen Konferenzen, Workshops, Seminaren und Lesungen. Und ich nehme mir durchaus die Freiheit, derartige Angebote auch bei bester Vergütung abzusagen, wenn mir Veranstalter und Themen nicht zusagen.
Bei dieser Konferenz hatte ich schon bei der ersten Mail ein wirklich sehr gutes Bauchgefühl. Ich wusste so gut wie nichts über Ziel und Zweck, als ich kurz nach deren Eintreffen etwas anderes absagte und dort vorbehaltlos zusagte. Und es zeigte sich, dass mein Bauch recht hatte. In meiner internen Topliste der Blogkongresse war die ZKM.Tagung vor anderthalb Jahren zusammen mit Johnny bislang der Höhepunkt. Damals waren wir die lauten Punkrocker in einer Konzerthalle, das war wirklich grandioser Spass, eine perfekte Organisation – aber Van Leer und die Organisatorin Charlotte Misselwitz (siehe unten) haben das nochmal getoppt.
Im Prinzip war die Konferenz zweigeteilt. Den ersten Tag dominierten die alten Medien – besonders die deutschen Israelkorrespondenten und ihre Probleme im Umgang mit dem israelisch-palästinensichen Konflikt – und die Wissenschaft. Was mir sehr gut gefallen hat: Derartige Veranstaltungen rutschen schnell ab in die ausgetretenen Wege der Gemeinplätze zu diesem Thema. Genau das ist aber nicht geschehen, man bekam eine sehr gute Rundumsicht zu diesem nicht leichten und mitunter riskanten Thema des Journalismus. Am Ende hatte man einen sehr guten Eindruck davon, wo die Medien die Grenzen zu spüren bekommen, wie sie damit umgehen und wieweit sie sich dessen bewusst sind. Seien es Neoconnards mit ihren Mailinglisten und Netzwerken, die Regierungen und Behörden vor Ort, der Druck von Konzernen oder die Feigheit der eigenen Leute – alles kam zur Sprache.
Am zweiten Tag kamen die Blogger. Es ist Charlotte gelungen, drei bekannte und nicht ganz einflusslose Köpfe der jüdischen Bloggerei an einen Tisch zu bringen: Dan Sieradski von http://jewschool.com, Amitai Sandy von Dimona Comix Publishung und vom Jewish Antisemitic Cartoon Contest, und meine Wenigkeit. Normalerweise ist man als Blogger nur als der “junge Störenfried” eingeladen, der die Vertreter von Firmen und Medien mit bissigen Bemerkungen anstacheln soll, aber diesmal war es durch die Menge der Ideen und vorgestellten Projekte ganz anders. Kann sein, dass es in der ähnlichen Ausrichtung der Leute begründet ist: Jung, eher links, und da draussen im Netz mit dem Ziel, den anderen zu zeigen was eine Harke ist und Dinge zu tun, die woanders nicht gehen. Es war einfach nicht nötig, über unsere Grenzen zu reden – denn wir haben keine Grenzen unserer freien Rede.
Wir wissen nicht mal, was das sein soll.
Da ist niemand, der uns sagt, so und so müssen wir das machen und das und jenes berücksichtigen, und solange wir den Anschein von Objektivität wahren, dürfen wir das letzte Charakterschwein, Bild-Mitarbeiter oder sogar nebenbei Astrologieabzocker sein. Das alles gibt es hier draussen nicht mehr. Natürlich versuchen wir, die Agenda zu setzen, natürlich wollen wir ein Stachel im Fleisch der Medien sein und ja, wir wissen auch um all den Dreck da draussen und den Abschaum der Rechtsextremisten – aber die kriegen wir schon klein.
Ich habe noch nie bei einer Konferenz den kulturellen Bruch zwischen Medien und Bloggern so gefühlt wie auf dieser Konferenz. Ich kenne beide Seiten sehr gut, aber inzwischen weiss ich genau, was ich bin und wo ich stehe, und wohin ich nie mehr zurück will: In die Gatter der klassischen Medien, mit mehr oder weniger Freilaufhaltung und klaren Schlachtterminen. Das ist keine Absage an Medien als solche, aber eine Absage an deren alte Denke. Es ist immer noch so gut wie unmöglich, den Jorunalisten den enormen Wert von kommentierenden Lesern und den Diskussionen mit ihnen nahe zu bringen, aber was die nicht mehr kennen und auch nicht mehr lernen werden, bleibt eben den Bloggern vorbehalten. Wir nehmen das gerne.
Da sassen also welche, denen man das alles gar nicht erst erklären musste, was wir tun, und andere, die Probleme haben zu verstehen, was sich momentan radikal verändert. Für manche Leser meiner Blogs mag es amüsant sein, dass ich solchen Situationen rede wie ein Web2.0-Jünger, weil ich tatsächlich das Internet für die grösste Erfindung zumindest seit dem Buchdruck halte und der Backchannel uns alle für alle Zeiten auf die gleiche Stufe und an den gleichen begrenzten Bildschirm bringt. Das Internet löst nicht nur die Grenzen der freien Rede auf, es macht, Zugang vorausgesetzt, alle Grenzen nieder.
Keiner von uns weiss, wo das alles enden wird. Aber wir, die wir diese Verändeung vorantreiben und ausprobieren, wir, die wir auch nicht wissen, was kommen wird, wir alle fühlen: Dass etwas kommt. Und dass es gross sein wird, grösser als alles, was sich die Besitzstandswahrer der Medien je werden vorstellen können oder wahr haben wollen. Ich bin nicht Optimist genug zu glauben, dass es aus der Welt mit ihren grossen Problemen wie Kriegen, Ãœbervölkerung, Umweltzerstörung und der immer gleichen Dummheit einen besseren Ort machen kann – aber das Internet gibt jedem eine Waffe in die Hand, zumindest die Meinungsbildung zu beeinflussen. Nicht jeder wird das tun, viele werden auch weiter brav weiterdackeln, aber: Freedem is a road seldom travelled by the multitude, und entscheidend ist nie das, was die anderen nicht tun, sondern nur das, was man selber macht.
Es wird ein langer, harter Weg, sicher auch mit Irrwegen, Frustrationen und Rückschlägen, man weiss nie, ob man mit dem Zug losfährt und am Ende doch das Taxi nehmen muss. Aber da waren gestern welche auf dem Podium, die den ganzen Weg gehen werden. Und natürlich auch manche, die rufen, dass es gefährlich wird und wir am Ende der Reise kein Hotel mit Vollpension und organisierten Fahrten zu den alten Ruinen gebucht haben.
So what.
Sorry, the comment form is closed at this time.
Wow. Faszinierend. Da passiert was, und man kann sagen: “Ich bin dabei gewesen.” Naja. Jedenfalls hab ich das Blog von einem gelesen, der dabei war. Immerhin.
In meiner Ausgabe von Meyers Taschenlexikon von 1995 ist das Internet noch nicht mal als Stichwort aufgeführt. Ich bin auch gespannt wie’s weitergeht.
Super Kongress, interessante Referenten, spannender Ort.
Und ich hatte derweil ein Gespräch mit einem CvD über die Relevanz der Bloggosphäre. Mehr, wenn Du wieder im Land bist ;-)
“Es war einfach nicht nötig, über unsere Grenzen zu reden – denn wir haben keine Grenzen unserer freien Rede.”
Dir glaube ich das sogar. Aber insgesamt ist die Freiheit im Web eher geringer geworden. Sieh dir nur die Abmahnwelle an. Und ganz am Ende gilt irgendwann auch im Internet der bewährte Satz von der Freiheit, die an der Freiheit des anderen ihre Grenze hat.
Aber die Euphorie, die dein Eintrag ausstrahlt, die ist klasse. Und die teile ich auf der anderen Seite auch wieder: “Da passiert was”, dieses Gefühl haben wohl alle Blogger. Noch nie konnte man als Einzelner ohne viel Kohle und vollkommen unabhängig von einem Verlag oder Investoren oder einem Chefredakteur eine so große publizistische Reichweite erzielen. Das ist unglaublich. Das Internet ist größer als der Buchdruck. Es ist das demokratischste Medium, das sich denken lässt, und es kommt allein darauf an, was man wie sagt, ob man Leser findet. Das ist schon fein.
Brechts Vision “Der Konsument als Produzent” ist 80 Jahre nachdem sie formuliert wurde wahr geworden.
@heinz: Ich denke, dass niemand ein Problem mit diesem Satz hat.
Die von Dir erwähnte Abmahnwelle ist meist nur ein Versuch schnelles Geld zu machen. Und dieses Werkzeug wird denjenigen Geschäftemachern auch früher oder später aus den Händen genommen werden. Was dann wiederum Auswirkungen auf diejenigen hat, die missliebige Äusserungen mittels finanzieller Erpressung über den Weg einer Abmahnung unterdrücken wollen. Das wird dann nicht mehr so einfach sein, wie es das heute leider noch ist.
bzw. Schlittschuhe – bzw. Schusters (ungeputzte) Rappen ;)
In den alten Ruinen nisten seltsame Vögel:
ihr Gesang ertönt im Netz, durch das sie fliegen.
Eigentlich ist der Text für das GT Blog geschrieben, in Bezug auf diesen und diesen Text, den ich noch verlinken muss.
Was Abmahner angeht: Da wird es eine Lösung geben. Sei es, dass man lernt, Formulierungen wasserdicht zu machen, sei es, dass man Dinge gesetzlich anders refelt. Aber in Jerusalem ging es besonders um den Friedensprozess im nahen Osten, und da sind unsere Probleme und alle Juristen meilenweit davon entfernt.
Ach, und – sorry – meine “(ungeputzten) Rappen” bezogen sich zusätzlich auf diesen Text.
(Wegweiser in einem fortgeschrittenen Netizen-Zuhause: in mehreren Häusern/Wohnzimmern – einschließlich eines ‘Wohnmobils’ ;)
Für die “seltsamen Vögel” (‘seltsam’ gesehen aus der Perspektive der alten Medien) wäre das Netz kein Fangnetz sondern ein dezentrales Medium. Eine praktikable Utopie.
Was da “kommen” könnte – wären lauter eigene Schritte.
Ob er da weiterhelfen könnte?
Jetzt fehlte es nur noch, daß man sogar in Deutschland Meinungen zu Israel posten dürfte – ist das auch besprochen worden?
Es ging sogar über Verschwörungstheorien in den Kommentaren und das unerträgliche Gewese von Pseudodiskutanten, die vor jedem Satz darauf hinweisen, dass man nichts gegen Israel in Deutschland sagen darf. Besonders in meinem Beitrag wurden solche Möchtergern-Opfer abgewatscht Weil ich diese Selbststilisierung verachte. Entweder man sagt was oder hält die Schnauze, alles andere ist peinlich und dumm.
Kladde, das Problem der Medien ist das Fehlen des Rückkanals, wo man sich mit solchen “Freunden” auseinandersetzenh kann. Medien haben halt nur einen einzigen Schuss bei dem Thema und müssen dann auf Reaktionen warten. Hier im Netz kann man sich die Typen dauerhaft zur Brust nehmen, das hilft.
Sehr schöne Gedanken (und sehr optimistisch finde ich auch).
Ich hoffe, das wir mindestens die Reise geniessen werden. Und es ist sehr gut zu wissen, dass man mit seine Träume nicht allein ist ;)
Un saludo,
P.
Jan Schmidt & Don Alfonso @ Jerusalem
Wirklich beeindruckend sind die Berichte von Jan Schmidt und Don Alfonso Ãber die Boundaries of free speech-Konferenz.
Besonders gelungen finde ich Jans Schilderung des 2ten Tages. Da hat man doch ein kleines StÃck weit das GefÃhl dabeigewesen zu se…
Also erstmal muss ich sagen, dass ich als Libanese nicht weiss, was ich davon halten soll, dass du in Jerusalem warst. Denn wie in der Sprache, indem man über etwas spricht, fängt es erst an zu existieren, so ist es ungefähr mit Israel: Indem man es besucht, erkennt man es an. Und auch wenn sicher die wenigsten hier Israels Existenzrecht anzweifeln würden (was ich vehement tue), so sollte zumindest eine Diskussion darüber erlaubt sein, und durch einen Besuch Israels gibt man seine deutliche Stellung in dieser Diskussion zum Ausdruck. Aber das ist jetzt wohl ein anderes Thema.
Was die Anpassung der klassischen Medien an die Blog-Ära angeht, so kann man, finde ich, nicht alle Zeitungen bzw. Magazine über einen Kamm scheren. Wenn auch alle noch hinterher hinken, so sollte man schon differenzieren. Hierbei muss ich der Zeit einen Lob aussprechen, denn diese hat in den letzten Monaten verstärkt auf ihre Kommentarfunktion gesetzt, indem sie diese bei sogut wie allen Artikeln aktiviert, den Anmeldeprozeß erleichert oder die Bezugnahme auf einzelne Kommentare anderer Leser ermöglicht hat (wenn man auch hinzufügen sollte, dass die Auf- und Zuklappfunktion einfach beschissen ist). Vor zwei Wochen hatte ein Artikel über eine Grundschullehrerin, die Selbstmord beging, an die 70 Kommentare, also fast so viel wie deine StudiVZ-Beiträge ;-) Auch sonst ist eigentlich immer reger Betrieb unter den Beiträgen der Zeit. Das ist leider bei anderen Zeitungen nicht so, wenn ich das z.B. mit der Online-Präsenz der FAZ vergleiche, oder mit Spiegel Online, der eigentlich, was die Anpassung an das Internet betrifft, für mich immer eine Vorreiterrolle gespielt hat, aber beim nun wichtigen Thema der Lesereinbindung den Sprung auf den Zug noch nicht ganz geschafft hat. Aber das liegt auch wahrscheinlich an der Art der Artikel, die bei der Zeit meist deutlich länger sind und grundlegendere Themen behandeln, zu denen mehr oder weniger jeder seinen Senf abgeben kann und möchte, und die meist auch deutlich länger online sind, so dass dann erst eine “Kommentar-Diskussion” sinnvoll erscheint. Nichtsdestotrotz sollten alle Online-Zeitungen auf eine Kommentarfunktion nicht verzichten, denn ich meine, dass der Mehrwert deutlich die Kosten übersteigt. Wie bereichernd das doch für einen Leser ist, wenn er plötzlich mit anderen Lesern über die Artikel seiner Lieblingszeitung diskutieren kann, und er sich endlich ein Bild darüber machen kann, wer sonst diese Zeitung liest. Ich denke, dass das die Leserbindung stärkt, zumindest tut es das bei mir: Die Kommentarfunktion der Zeit erscheint mir inzwischen wie eine Diskussionsrunde, zu der ich mich nach jedem Artikel geselle, um zu schauen, wie andere das Thema sehen. Das Problem der Finanzierung von Online-Angeboten wird das aber vorerst nicht lösen können, kurzfristig wird eher das Gegenteil passieren, also dass mit zunehmend mehr Artikel, die im Internet erscheinen, auch mehr Leser auf den Kauf der Printausgabe verzichten.
Worüber ich mich besonders freuen würde, wäre eine Kommentarfunktion bei Bild T-Online, denn ich würde liebend gerne wissen, wer sich da alles rumtreibt.
[…] The jew school o el Jewish Antisemitic Cartoon Contest). Clasificado en YO BLOGO,TÃ… Imprimir | | | var staf_confirmtext = ‘Mail enviado!’ #stafBlock { position: absolute !important;z-index: 100000; display: none; width: 300px; } #stafForm { background-color: #ffffff; border: 1px solid #c6c6c6; padding: 5px; margin:0; } #stafForm h2 { margin: 0; } #stafForm input, #stafForm label, #stafForm h2 { font-family: ‘Lucida Grande’, Verdana, Arial, Sans-Serif; font-size: 1em; color: #222222; } #stafForm input { width: 140px; height: 20px; margin-top: 5px; border: 1px solid #ccc; } #stafForm label { float: left; display: block; width: 90px; line-height: 20px; } #stafClose { float: right; margin-right: 5px; } x […]