Die TAZ will sterben oder auch: Verschenkte Potentiale
Disclosure: Ich fand die taz lange wichtig, selbst in Bürgerfunkzeiten, als die Linksfundis daraus Kommentare im Radio vorlesen wollte. In den letzten Jahren hatte ich sie aus so einer Art Nostalgie heraus, auch wenn es mehr und mehr Punkte gab, die ich nicht mochte: Diese Berliner Ironie, das Verhaften in den falschen Strukturen als Basis für die Wohlfühlschreiberei für baldige Rentner. Ich bin erheblich zu jung für 68 und die real existierenden Folgen, und als sich dann hier auch noch ein Wichtigtuer, der über die TAZblogs mutmasslich etwas Wind für seine “Unternehmensberatung” machen will, war Schicht im Schacht. Spam ist ok, aber ich finanziere das nicht. Wie auch immer:
In der Folge habe ich mir mal angeschaut, was eigentlich aus der grossen Blogoffensive der TAZ, die vor ungefähr einem Jahr begann, geworden ist. Ich bin sicher nicht der Meinung, dass ein Medium bloggen muss. Aber nachdem es in jüngeren Zielgruppen tatsächlich sowas wie einen Trend weg vom Papier und hinein ins Internet gibt, ist es schon spannend zu sehen, ob und wie die TAZ in der Lage ist, junge Leute mit alternativen Alternativangeboten sowohl zu gängigen Blogs als auch zu anderen Vergnügungen zu halten. Mit 34 Nischenblogs ist die TAZ meines Wissens nach das Medium mit den meisten Blogs, von der Arbeitsbegleitung bis zum Aktionsblog für grosse Themen wie die G8-Konferenz ist alles dabei. Und ganz schön tot:
Alterblog zur G8-Orga: Mehr als zwei lahme Beiträge wurden es nicht. Vielleicht eingeknastet in Heiligendamm?
Blockblog zur G9-Blockiererei: Drei Beiträge. Man braucht keinen Wasserwerfer, um Journalisten wegzuspülen, ein ungeliebtes Blog vernagelt zuverlässig die Störerklappe.
Du bist Politik: Und nur scheintot, nach 3 Monaten kam letzte Woche wieder ein Beitrag!
STOP 1984: wurde vor drei Monaten gestoppt.
Taznrwblog: lebt! Noch eine Woche allerdings, dann werden die nrw-Seiten wohl eingestellt. Aber Geld für Trafficlutscher, das haben sie…
Terminalporno: Man ahnt es. Das konnte nichts werden. Und es wurde auch nichts. Seit monaten kein Saft.
Notizen aus der Online-Provinz: endete vor dreieinhalb Monaten – mit einem Beitrag der Autorin, warum sie ein TAZ-Abo hat. Tja…
Schlimmer als die rund zehn offensichtlich toten Blogs sind die Halbleichen, in denen einmal pro Woche irgendwas Belangloses steht. Was ich irgendwie verstehen kann, denn auch mit weitaus höherer Frequenz sieht es nicht so aus, als würden sich viele Leser an den Debatten beteiligen oder verlinken. Wenn sie das nicht tun, wenn ein Blog keinerlei erkennbare Leserbindung aufbaut, läuft etwas schief.
Das hat meines Erachtens drei Gründe:
1. Falsche und falsch formulierte Nischen. Volk ohne Raumdeckung ist ein Name, bei dem nicht nur ich keinen Grund zum lachen sehe, ob die Welt ein Hitlerblog braucht, ist nicht ganz sicher, und Streetart und Youtubevideos gibt es auch bei anderen Blogs in grosser Menge.
2. Die Texte. In den meisten Fällen sind es elende Bleiwüsten, mit einem viel zu breiten Layout, und nervend formulierten Inhalten. Da merkt man die Printschule (oder was immer das bei der TAZ bedeutet), und den Wunsch, in die FAZ zu kommen. Sehr viel Anspruch, und dabei bleibt die Leseransprache und das Persönliche auf der Strecke. Was im Blog nicht zwingend sein muss, aber mitunter doch hilft, gerade am Anfang.
3. Das Schmoren im eigenen Saft. Die Blogs sind so eine Art TAZlite, aber über weite Strecken nochmal selbstreferenzieller und bemühter, oder einfach auch noch schlechter, als die TAZ mit ihren verknöcherten Strukturen ist.
Mit einer grossen Ausnahme. Es gibt ein Blog, da läuft alles wie geschmiert. 127 Kommentare pro Beitrag, und ein Thema, das perfekt auf die TAZ-leser zugeschnitten ist: Die Zukunft der Grünen. Das Thema ist so gut, da reicht allein schon eine kleine Ankündigung eines Textes in der TAZ, und die Leute debattieren zwei Monate lang. Das kleine Problem: Es gab nur einen einzigen Beitrag. Mit 127 Kommentaren über 2 Monaten, eine lebhafte, qualitativ hochwertige Debatte, und sonst nichts.
Die TAZ muss das merken. Die müssen wissen, dass die Leute reden wollen. Das kann man nicht übersehen. Und statt das Potential zu nutzen – schmeissen sie es weg. Statt einen hinzustellen, der das Thema aufmischt – schreiben sie nichts mehr. Sie lassen die Debatte auslaufen. 127 Kommentare. Die TAZ stört es nicht. Also bitte nicht wundern, wenn die TAZ demnächst dicht macht. Wem als Journalist und Medium die Leser und die zentralen Debatten des eigenen Selbstverständnisses so egal sind, hat keine Zukunft.
Sorry, the comment form is closed at this time.
Höge: kippt das, was er nicht im Print unterbringt ins Blog.
Reptilienblog: 2 x gelesen. Ganz lustig. Aber jeden Tag?
Schröder und Kalender: manchmal grandioser Tratsch, aber kein natives Blog und fast keine Kommentare. Totgemahnt, immerhin habe ich da erfahren, warum Droste nicht mehr in der TAZ schreibt.
Wenn die das dicht machen, ich würd’s nicht wirklich merken.
Zur Fußball-WM hatte die taz ein interessantes Blog, welches hinter die Kulissen blickte.
Aber was genau meinst Du denn mit “Geld für Trafficlutscher” in Bezug auf das NRW-Blog?
Nun, sie geben Geld für Leute aus, die ein klein wenig zu gierig nach Awareness sind und in Debatten ihre kommerziellen Trackbacks minderer Güte schleudern. Andererseits drohen sie damit, den Leuten in NRW den Saft abzudrehen. Das nenne ich ein grundfalsches Investment, jeder Cent Serverkosten wäre besser in NRW investiert.
Was ich schade finde ist, dass die taz theoretisch sehr viel Potential für Blogs hätte.
Alleine wenn man die wöchentliche Küppersbusch-Rubrik in ein Blogformat packen würde, wäre das sicherlich ein sehr gutes Blog.
Ansonsten mißfällt mir die Dauermoderation dort. Das hemmt Diskussionen und wenn man dann (wenn irgendwann mal der Kommentar freigeschaltet wurde) ‘ne Antwort bekommt, bekommt man das auch nicht mit, wenn man nicht gerade direkt auf die jeweilige Seite geht. Das das Layout generell – nun ja – überarbeitungsfähig ist, wurde ja schon festgestellt.
@Don:
Nun, sie geben Geld für Leute aus, die ein klein wenig zu gierig nach Awareness sind und in Debatten ihre kommerziellen Trackbacks minderer Güte schleudern.
Wo denn? Ich lese … hüstel … das NRW-Blog auch nicht sooo häufig.
Bei den Grünen geben mittlerweile Leute wie Oswald Metzger den Ton an, und der bloggt ja beim Focus.
Oswald…. dem INSM-Lobbyisten glaube ich kein wort mehr dass ich höre….
Schöne Bewerbung, @Don … :))
Aber wer soll mit wem diskutieren ?
Die Klientel der taz (wie der Grünen) ist mittlerweile “besserverdienend”.
Eine Diskussion innerhalb der taz, ob in Blogs oder nicht, wird nichts mehr bringen: die “grüne Bewegung” lebte davon, daß die polit. gescheiterten k-Grüppler sich ihrer angenommen hat. Deshalb ist auch abzuwarten, was die Linkspartei von den Grünen übrig läßt: wahrscheinlich eine Mischung aus FDP und Grauen Panthern.
Über was sollen die also diskutieren: Erhebung von Studiengebühren ?
@Don, man reitet kein totes Pferd. ;)
Dieser Thread hat ihnen bestimmt Angst gemacht. Ich habe weder die 127 Kommentare noch den Artikel gelesen. Ich tippe also einfach und sage: Der Thread enthält viel mehr Ideen als der Artikel und das Gerede von Cohn-Bendit und Walter zusammen. Und das, was zählt, sind Ideen, denn Ideen sind der Antrieb des Denkens. In dem Moment stellt sich die Frage, wozu eigentlich TAZ oder überhaupt Journalismus? Meine Antwort: Überflüssig. Der Gedanke ist denen von der TAZ wahrscheinlich auch gekommen.
So ein Blog kann natürlich auch das grosse, dicke Fass der Pandora sein, wenn sich die echte Basis mal äussert. Aber ich denke, wenn man sich den anderen Glibber so anschaut: Sie verstehen einfach das Medium nicht. Und der Umstand, dass sie wie viele andere ein kleine Nummer bleiben, sorgt für die stiefmütterliche Behandlung.
Die taz hätte ‘Blogger’ genug: Der Küppersbusch wurde oben schon erwähnt, hier im Nordteil gäbe es den Ulrich Reineking-Drügemöller, der als ‘Urdrü’ allwöchentlich am Samstag die kleinen Schweinereien des Lebens virtuos durch die Luft wirbelt, ihr TOM würde ein Zeichner-Blog auf die Beine stellen können, nach dem sich das ganze Internet die Finger leckt usw.
Warum sie’s nicht machen? Dat weet de Düwel …
@ Oswald
Ich will mich ja jetzt nicht zum verblödeteten Affen machen, der von nix eine Ahnung hat. Aber es gab mal einen Grund, eine Zeitung dann als nicht überflüssig zu betrachten, wenn sie – wie die TAZ – sich ihre publizistische Unabhängikeit durch die Genossenschaftsfunktion versucht zu sichern.
(Zitat: “Gemeinsam halten sie ein Genossenschaftskapital von über 7,2 Mio. Euro. Tendenz: steigend.”) Das sollen Blogs mal nachmachen.
Auf aufbrandende Häme wartend,
the bör,
wieder mehr Papier lesend.
Überlege, ob ich sie nicht mal abonniere oder einen G-Anteil mache, weil ich für unabhängigen Journalismus bin. Wenn Journalismus denn nirgendwo taugt, dann pidde wenigstens unabhängigen Merde lesen.
Die taz hatte ja mal als eine Art “Bürgerjournalismus-Projekt” angefangen.
Warum soll man denn Print-Journalisten und -Autoren zum bloggen tragen? Ich denke eine Zeitung wie die taz hätte auch unter den Lesern genügend blog-Talente mit Ideen und Stil. Gerade bei der taz könnte man erwarten, blogs usw. für die Leserbindung zu nutzen und wieder näher an das Konzept “unsere Zeitung” ranzukommen.
Ob das geht? Ich denke da mit Zweifel an die aktuellen Blogprojekte von A.N. Herbst und R. Goetz. Natürlich, wenn man einfach nur schreiben will, erfüllen sie ihren Zweck. Wenn aber mehr daraus werden soll, ist bloggen ein verdammt hartes Brot.
Ich glaube, daß für Printmedien bei Blogs nur von außen kommen kann:
entweder ein interessantes Blog “kaufen” oder eine eigene “Blog-Edelfeder” aufbauen (so wie Knüwer ?).
die TAZ hat Weblogs?!? hab ich nie irgendwas mitbekommen von…
cu, w0lf.
Nun, gute Schreiber haben bei einem anspruchsvollen Medium in der Regel auch dann einen guten Stand, wenn sie nur für Print publizieren. Blogs sind ein Experiment, und nach meinem Eindruck werden sie von den Führungskräften in der Regel nicht richtig ernst genommen. Wenn doch, dann soll “billig” möglichst schnell viel Traffic und Aufmerksamkeit generiert werden. Diese Chance (?) nehmen vermutlich eher diejenigen wahr, die sich im Printgeschäft nicht richtig anerkannt fühlen – ob aus mangelndem Talent, mangelnder Durchsetzungsfähigkeit oder mangelndem internem Rückhalt. Das sind vermutlich keine guten Voraussetzungen, um als Medien-Blogger erfolgreich zu werden. Die Platzhirsche unter den Redakteuren betrachten Bloggen eher als Pflichtübung, hängen sich zu wenig rein und stecken ihre Energie doch lieber ins klassische Geschäft. Nicht alle sind eben auch für die Interaktion geschaffen, die das Bloggen erfordert, oder über die Jahre zu unbeweglich geworden, um es noch zu lernen. Leute wie Knüwer dürften da die Ausnahme darstellen. Ich glaube nicht, dass er intern “gepusht” wurde. Ich denke, das geschieht eher aus eigenem Antrieb. Er hat Chancen erkannt, die andere nicht gesehen haben, und gleichzeitig das Talent, sich eine Fangemeinde zu schaffen und bei Laune zu halten.
… wobei Knüwer seine Sternstunden ja auch immer dann hat, wenn er die PR-Branche und ihre Unsitten durch den Kakao zieht. Das ist schließlich ein Thema, mit dem er in seiner täglichen Arbeit immer wieder hautnah zu tun bekommt. Deswegen vermute ich, dass er einen Großteil seiner Fans entweder bei anderen Journalisten oder aber auf der Gegenseite rekrutiert, die seine Berichterstattung entnervt oder aber mit einem heimlichen Grinsen verfolgt.
Ich glaube, dass es Journalisten wesentlich schwerer fällt, über Themen zu bloggen, die ihrer persönlichen Erfahrungswelt fremd sind – selbst dann, wenn sie in ihren Printmedien täglich über diese Themen schreiben. Erfolgreiches Bloggen erfordert vielleicht doch ein höheres Maß an Authentizität und Begeisterung für die Materie, über die man bloggt, als der klassische Journalismus.
Gut, man gewinnt nicht an Ansehen, wenn man bloggt. Noch heute gilt der Onlineredakteur als niedriger Wurm unter all den grossen Tieren, leitende Onliner sind oft auf dem Sprung zum Ressortleiter, und der Blogger kommt dann nochmal ganz viel weiter unten. Weil er sich mit Lesern abgibt, was viele nicht verstehen können. Thomas Knüwer ist ein absoluter Einzelfall, und es ist eigentlich unglaublich, dass das Handelsblatt mit diesem Pfund nicht mehr wuchert.
Es ist ja immer auch eine verlagsentscheidung. Und gerade die jungen, wütenden Leute pflegt man nicht gern von der Leine zu lassen, und selbst wenn, wollen die meist dort hin, wo das Publikum sicher ist. Wenn man die Auflage nur nach zahlen mit den Zugriffen bei Indiskretion Ehrensache vergleicht, wirkt es klein, obwohl es massgeblich zum Ruf des Handelsblatts als modernes medium beiträgt.
Danke, wunderbare Zusammenfassung meiner Gedanken.
Als Webentwickler mit TAZ Abo:
Das online, das geht gar nicht, das macht nicht Lust auf mehr, sondern nur Lust, wieder zu gehen.
Usability gleich Null, wie so viele der “alternativen” Seiten. Das ist rundum einfach nur traurig.
Es gibt definitiv genügend Leute, die es vernünftig machen könnten, vor allem, wenn man sie einigermaßen vernünftig bezahlen würde. Genügend Menschen, die auch mit genug Engagement dabei sein würden. Vor allem junge, mit viel Dampf.
3 Artikel zum G8, aber eine Print Spezialausgabe.
Wäre ja zu schön gewesen, wenn eine Zeitung dem Spiegel Ticker etwas entgegensetzen würde…
(Dabei einmal nicht beachtet, dass in der Zeitung auch zu wenig kritische Haltung zu finden war)
mercy für die klaren Worte
Bitte, keine Ursache. Die Taz ist halt Print, online ist bei denen letztlich kaum ein Thema, man macht es nicht ernsthaft, man wird nicht erwachsen. Sehr tazzig, das alles.
Ich mecker ja gern über die tageszeitung (taz)…
Ich meckere ja ab und an gerne über die tageszeitung (taz). Das ist der taz natürlich auch bekannt:
“Jens vom Pottblog ist taz nrw-Leser. Und selbst wenn er die Internetkompetenz unseres Blattes regelmäßig kritisiert, schä…
Mein Leserbrief zur Einstellung der taz nrw
Die taz nrw konnte zwar in der Rettungskampagne 815 neue Abonnenten für sich gewinnen, doch leider bestätigte sich das Gerücht über die Einstellung der taz nrw (siehe auch diesen Welt-Artikel).
Inzwischen hat auch das taz nrw-Blog d…
Unabhängiges Blog zur Einstellung der taz nrw
Nach der Einstellung der taz nrw tauschen Vorstand und Betriebsrat im taz nrw-Blog Argumente aus.
Fast schon als tragisch zu bezeichnen ist, dass das taz nrw-Blog erst jetzt richtig auflebt. Eine lebhafte Diskussion, der Austausch von Argumenten, Stell…