Ich kann mich nicht mehr über Journalisten aufregen
Und besonders nicht, wenn sie noch nicht mal in der Lage sind, Blogger auseinanderzuhalten, richtig zu zitieren oder gar gezwungen sind, bei Telepolis zu schreiben. Wobei man dort ohnehin fragen müsste, ob man das unter “Journalismus” abheften kann. Gibt es dort überhaupt noch sowas wie eine Instanz, die den grössten Schmarrn und PRler in eigener Sache filtert?
ich denke, die Konfliktlinie hat sich längst verschoben, auch innerhalb des Journalismus. Nehmen wir nur mal die aktuelle Krise der Finanzmärkte: Realistisch betrachtet ist jeder bescheuert, der jetzt Geld auf der Bank hortet. Die Krise stellt alles in den Schatten, was wir während der New Econom gesehen haben. Und es gibt im deutschen Internet exakt ein Medium, das in der Lage ist, längere, fundierte Texte über die hochgradig komplexe Thematik zu schreiben: Die FAZ. Bei allen anderen grösseren Wirtschaftsseiten wie FTD, Handelsblatt und Managermagazin beschränkt sich die berichterstattung auf ein Hinterherhecheln der Börsenkurse und ein peinlich seichtes Abschreiben eben jener Firmen-PR, die man schon vor drei Jahren hätte hinterfragen müssen. Ich als interessierter Konsument muss mir die Informationen letztlich aus ein paar amerikanischen und britischen Seiten zusammenklauben, und die wirklich saubere Bewertung der neuesten Fakten finde ich in den Blogs, die FTD und Handelsblatt wohl auch lesen, um sie dann Tags drauf für Kolumnen abzuschreiben, aber bittschön gedämpft und weiterhin devot. Oder auch nicht – da beschäftige man sich nur mal mit exotischen, aber extrem wichtigen Themen wie der saisonalen Schwankung der Eigenheimkäufe.
Diese Durchreichemedien sind dann auch nur leicht besser als die Wirtschaftsseite meines heimischen Schmarrnblatts, bei dem aus jeder Zeile die vollkommene Ahnungslosigkeit der Redakteure trieft. Da wird dann aufgefordert, die Bundesregierung müsse in diesen Zeiten Aktienbesitz wieder fördern, und es gäbe da Abschreibungen bei einer amerikanischen Bank, die aber weit, weit weg ist und gerade mal 20 Zeilen Platz bekommt. Wer sich diesen Dreck als einzige Nachrichtenquelle hält, und dazu vielleicht noch den Nachrichtensender B5 Aktuell, ist formal sicher schon gut informiert – und wird trotzdem nicht verstehen, was da gerade passiert.
Gleichzeitig ist aber der Zeitvorsprung der Meldung an sich zwischen Medien und Bloggern faktisch gleich. Wenn die Financial Times als erste erfährt, dass StudiVZ von Facebook verklagt wird, steht es eben hier schneller, als die dpa bei der FT abschreibt und es der Spiegel am Morgen hat, bis es dann am Morgen drauf in den gedruckten Medien ist. Das Rennen um die Deutungshoheit zwischen Bloggern und klassischen Medien und den Medien intern entscheidet sich nicht mehr durch den Zeitvorsprung, sondern durch den Bewertungsvorsprung. Auch das ist eine zweischneidige Sache, wie man an der gern von anderen Medien verbreiteten Jauche wie Winehousebritneyparis oder den Kurt-Beck-Hass aus den Leitgossen Spiegel.de und Bild.de erkennen kann. Gleichzeitig liegt es aber auch in der Hand der Blogger, eine, wenn es nötig ist, Gegenstimme oder einfach “nur” ein eigener, nicht gleichgeschalteter Standpunkt zu sein. Ich weiss, wie meine Eltern Medien rezipieren. Die lesen das, aber sie machen sich dazu ihre eigenen Gedanken und trauen keinem. Dafür kann man eine Plattform bieten.
Die Entscheidung um den Weg der Inhalteangebote im Internet ist nicht im Mindesten gelaufen, ganz im Gegenteil. Die aktuelle Finanzkrise wird in den nächsten Monaten auch den Boom der Onlinewerbung beenden, und da wird man sich dann auf Verlagsseite entscheiden müssen, ob man weiterhin Bildergalerien machen möchte, oder auf gute Inhalte für gute Zielgruppen setzt. Da gibt es jeden Tag Themen, Geschichten und Spins, die man besser machen kann und wichtiger sind als irgendwelche Typen, die zu blöd sind, Blogger richtig abzuschreiben.
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“oder gar gezwungen sind, bei Telepolis zu schreiben.”
hrhr…wie gemein ;o)
Nunja, was reimt sich schon auf Burks?
Dabei war Telepolis mal als Gegenöffentlichkeit gestartet, als Online-Magazin, das lange Texte bot, mit den Essays und Recherchen über Enfopol zu Recht Preise gewannen.
Doch dann regierte das Mittelmaß – alles, was darüber hinausragte, wurde abgeschnitten wie Unkraut. Als Erster der einstige Mitgründer, aber nicht als Letzter. Klar, wie kann man sich auch auf seinem Stuhl halten, wenn Mitarbeiter besser sind? Nur so.
Frage mal einer, warum die Kollegin, die einst Heise den Grimme-Preis für ihre Recherchen brachte, heute lieber selbst bloggt oder auf dem Heise Newsticker schnelle Infohäppchen liefert, so wie alle – auch Telepolis, wio man inzwischen auch von “dahingerötzert” spricht, auch wenn es manchmal auch dahingeburkst sein mag. McNews, billig, mit viel Ketchup.
Und soll man es als gut sehen, daß bei Telepolis viele Hartz IV-Abstellkandidaten des Journalismus und der Gesellschaft Brotkrumen bekommen können – oder ist es doch eher gezieltes Ausnutzen seitens der Redaktion nach dem Motto “die wären doch auch froh, wenn sie für 1 Euro einen Schreibjob bekämen”…
telepolis war mal fast der erste anlaufpunkt für mich im web, kurz nach heise-news.
mittlerweile kann man über telepolis nur noch staunen, zuviel getwister dort.
schade!
hoffentlich kriegen die noch die kurve?
@Weltherrscher: Sag nix gegen Twister, sie ist noch einer der wenigen Lichtblicke dort.
Aber sie ist nur Autorin. Das Problem liegt im Management.
oder an den themen? oder schreibern?
Für den Niedergang – speziell bei telepolis – sind die Blogger verantwortlich. Die hauen Texte für lau raus und drücken die Preise, so dass keine Qualität mehr zu produzieren ist. Das ist die ständige Lamentation von twister. Sicherlich ist diese Erklärung auch bei anderen Autoren/Journalisten populär.
“..Das ist die ständige Lamentation von twister..”
der grund, warum man es nicht mehr lesen mag.
Inzwischen kommen fast keine Klicks mehr über telepolis – so viel wie über ein unterdurchschnittliches Blog. Und es wundert mich absolut nicht.
Oh weh, B5 aktuell. Ich muss jedes Mal gegen einen Würgereiz kämpfen, wenn ich die Formulierung “der DAX pendelt bei …” höre. Und die wird dort beinahe alle 15 Minuten aufgesagt.
Wenn die Leute dort auch nur etwas weniger Gschaftln täten und dafür den Berichten über die Gründe der superaktuellen Wertänderungen mehr Raum einordnen würden, dann wäre schon viel gewonnen. Aber im Börsenstudio ist man stolz auf die direkte Computerverbindung zu sekundengenauen Börsenwerten und pflegt diese wie einen Altar, während die schöne M15A als Ablage für Getränke verkommt. Es wäre vielleicht doch von Vorteil, wenn dort zumindest ab und zu ein durchdachter Beitrag so richtig schön langsam mit Tonband, Schere und Klebestreifen geschnitten würde — und nicht immer nur Wortfetzen mit der Maus aneinandergeklickt würden. Aber das klingt in Bezug auf diesen Sender nicht umsonst wie ein Aufruf zur Palastrevolution.
Mir doch wurscht, ob sich “in 15 Minuten […] die Welt verändern” kann, wie das “Radio für die Infogesellschaft” immer so schön sagt; ein guter Schweinebraten braucht so um die zwei Stunden im Rohr und es ist eine Tugend, dass nichts von Tragweite schneller gehen sollte als seine Zubereitung.
(Gilt so ähnlich auch für Chefs, die e-Mails innerhalb von Minuten beantwortet wissen wollen und die bei ihren eigenen e-Mails schneller auf “senden” klicken, als ihr Hirn die eben hingerotzten Sätze verarbeitet hat.)
@.BES Na eigentlich heißt es doch immer “der DAX steht bei…” – und man denkt an so ein putziges Tierchen, das angesichts des penetranten Krawalls an der Börse sich verängstigt in seinem Bau verkriecht. Wenn der nun pendelt, am Schwanz vor dem B5-Mikrofon aufgehängt ist, dann ist das Tierqälerei.
Außerdem ist mir neu, daß B5 besonders aktuell wäre, nur weil sich die Nachrichten alle 15 Minuten wiederholen.
@Strappato: Den Spruch habe ich von Twister noch nicht gehört, aber ich lese Telepolis ja auch kaum mehr. Kann es aber verstehen, wenn man selbst sehr lesenswerte Dinge für Hungerlöhne oder ganz umsonst schreibt – Twister bloggt ja auch – und dann vermutlich dauernd sowas von ihrem Chef bei Telepolis gesagt bekommt. Der ja dort auch Blogs eingeführt hat, was ja abgesehen von den schwachsinnigen Bezeichnungen (“Ãœbermensch”, “Neben der Spur”, “Außer Kontrolle”) sowas von gaga ist, wo er doch auch aus dem normalen Telepolis ein Blog gemacht hat. Wenn da heute noch ein langer Text ist, ist es höchstens ein Gefasel des Alt-68er-Hilfslehrers Maresch, das kein Schwein versteht und lesen will oder ein endloser Filmverriß des Herrn Suchsland, der seinen Frust darüber, normal anderswo kurze und positive Filmrezensionen für gutes Geld abliefern zu müssen, bei Telepolis üblicherweise durch einen “politisch korrekten” Totalverriß kompensiert…
Wo bloggt “twister”?
Wobei die Schuld dem Internet und den Bloggern zu geben, sicher verbreitet ist, nicht nur bei den bekannten Grosskommentatoren in FAZ, Süddeutsche & Co.
Ich kann mir Stimmungslage zum Teil vorstellen. Obwohl ich kein Journalist oder Profi-Texter bin und beruflich lediglich wissenschaftlich schreibe. Wer mit einem halbwegs gesicherten Job und Einkommen würde denn mit einem freien Journalisten oder einem Content-Knecht in einer online-Redaktion tauschen wollen? Wer jetzt in den Beruf kommt, hat 4-5 Jahre Ausbildung/Studium und oft zusätzliche Jahre vorher in denen sich der Berufswunsch gefestigt hat. Die stehen vor einer Realität, die mit der bei de Berufswahl nichts mehr gemein hat. Und auf die die Universitäten und Journalistenschulen nicht angemessen vorbereitet.
Dons Hinweis auf den Ausweg in die guten Inhalte sehe ich ähnlich. Jedoch fällt mir schwer dem gerne vorgebrachten Beteuerungen “wir könnten auch bessere Sachen abliefern, wenn man uns lassen würde” zu glauben.
Wo bloggt “twister”?
Wobei die Schuld dem Internet und den Bloggern zu geben, sicher verbreitet ist, nicht nur bei den bekannten Grosskommentatoren in FAZ, Süddeutsche & Co.
Ich kann mir Stimmungslage zum Teil vorstellen. Obwohl ich kein Journalist oder Profi-Texter bin und beruflich lediglich wissenschaftlich schreibe. Wer mit einem halbwegs gesicherten Job und Einkommen würde denn mit einem freien Journalisten oder einem Content-Knecht in einer online-Redaktion tauschen wollen? Wer jetzt in den Beruf kommt, hat 4-5 Jahre Ausbildung/Studium und oft zusätzliche Jahre vorher in denen sich der Berufswunsch gefestigt hat. Die stehen vor einer Realität, die mit der bei de Berufswahl nichts mehr gemein hat. Und auf die die Universitäten und Journalistenschulen nicht angemessen vorbereitet.
Dons Hinweis auf den Ausweg in die guten Inhalte sehe ich ähnlich. Jedoch fällt mir schwer den gerne vorgebrachten Beteuerungen “wir könnten auch bessere Sachen abliefern, wenn man uns lassen würde” zu glauben.
Genau, lasst doch statt über schlechte Journalisten mal über schlechte Wissenschaftler reden.
@ Strappato: Wie ist das denn mit den legendären Drittmitteln? Wenn der Axel-Springer-Konzern zum Beispiel de Forschungsverbund der FU Berlin für eine Arbeit über “Kampagnen und Aktionen der SED und des MfS gegen den Axel Springer Verlag” bezahlt ist das dann noch Wissenschaft oder schon PR?
Das Berufsbild “Wissenschaftler” unterschied sich zum Zeitpunkt meines Studienbeginns auch ziemlich stark vom heutigen real-existierenden “Forschen”.
http://web.fu-berlin.de/fsed/projekte.html
“Genau, lasst doch statt über schlechte Journalisten mal über schlechte Wissenschaftler reden.”
Bitte, bitte nicht! Ãœber das Entstehen der dt. Reform-Universitäten, den Wohlstands-Marxismus auf den Lehrstühlen (“Gestern wußte ich noch nicht,wie man Provessor schreibt, heute bin ich schon einen”)und ihr Schweigen seit den 90igern möchte ich nichts hören. Das würde hier auch den Rahmen sprengen.
Aber Du hast natürlich recht, @Armin, der Forschungsverbund zur SED und DDR sollte SOFORT aufgelöst werden … und endlich einmal etwas über das III. Reich veröffentlicht werden ! Dieser Schröder wird bestimmt von der INSM bezahlt, damit er schlecht über die DDR spricht: Niemand hatte vor, eine Mauer zu errichten !
Ich habe bei vielen Aussagen den Eindruck, daß “Qualität” immer nur mit “genehme Inhalte” übersetzt wird. Das mag am hohen Durchschnitts-Alter der dt. Blogger liegen, deren Sozialisationszeit in den 80igern liegt. Das merkt man an dieser heulenden Wut gg.über SpOn – Liebesentzug !
Welche “Inhalte” sollen denn dargestellt werden ? Butter bei die Fische. Reiseberichte mit schönen großen Fotos finde ich zwar nett aber irgendwie nicht so “politisch”.
Jetzt haste Dich aber doch irgendwie aufgeregt, oder? ;-)
“Ich weiss, wie meine Eltern Medien rezipieren. Die lesen das, aber sie machen sich dazu ihre eigenen Gedanken und trauen keinem.”
Solche Eltern hätte ich auch gerne. Hätten mehr Leute solche Eltern, sähe Deutschland anders aus.
ich reg mich nicht mehr über blogger auf, die sich über journalisten aufregen. lauter medienvollchecker hier. es wird langweilig.
Ich erlaube mir zu denken, dass die erwähnten Journalisten einfach nur eine sehr gut entwickelte Fantasie haben, wobei die Vorliebe für Fakten mit zunehmender Fantasie leider kein Platz im Gehirn mehr bekommt.