Was wurde eigentlich aus den Debattenblogs?
2010 hätte das ganz grosse Jahr der Debattenblogs werden können. Sarrazin S21 Hegemann Bundesregierung Gesundheitsreform Bankenkrise Staatsverschuldung China Bürgerrechte – und jeder konnte eine Meinung davon haben. Und eigentlich gibt es ja auch Mehrautorenblogs, die angetreten sind, genau diese Debatten im Internet zu initiieren und damit den Grossen und Alten mal zu zeigen, wie das geht. Die Huffington Post wurde ja oft genug als Vorbild genannt.
Entsprechend gross treten hierzulande auf:
TheEuropean: Webmagazin des Ex-Chefs von Cicero-Online, rechtskonservativchristlich, auch wenn sie vielleicht “Mitte-Rechts” sagen würden, Venture-Capital in Berlin im Hintergrund und mit “Autoren, die wirklich etwas zu sagen haben”. Ja, gar “Entscheider”.
Carta.info: Schaufenster einiger freier Journalisten aus Berlin mit einem Gründer aus der Beraterszene. Schwerpunkt auf Internet und Alles. Erklärtes Vorbild ist die Huffington Post, Starke Profilierung der Autoren und Gastbeiträge.
starke-meinungen.de: Autoren aus dem Graubereich zwischen Marketing, PR. Berlin, Werbung und dem real existierenden Journalismus, mit nicht gerade unumstrittenen Figuren wie Daniel Dettling, Michel Friedman und Klaus Kocks, die eben genau das bringen wollen, was der Name sagt.
Nachdem alle drei 2010 vor allem mit Meinungsfreude und Kommentierungen, gerne auch von der ausgefallenen Natur, angetreten sind – wie schaut es aus?
The European hat die selbst gesteckten Ziele beim Traffic nicht erreicht und sich mit dem Geschäftsführer zerstritten. Von einem früher geplanten “Subscriber-Modell“, das den gepkanten Elitendiskurs finanzieren sollte, hört man nichts mehr. Die journalistische Leistung eines Angriffs auf den neuen Cicero-Chef endete für TheEuropean eher peinlich, und die wirklich wichtigen Autoren, die da mal einen Beitrag abgelassen haben (Prantl von der SZ zum Beispiel) sind einmalige Texte geblieben. Ansonsten dominieren irgendwelche Berliner, die ein wenig auf Krawall machen, aber auch nicht mehr zu bieten haben, als andere Medien auch. Diskurse, die wirklich etwas bewegen? Naja.
Carta.info will gerade irgendwie sein Geschäftsmodell überdenken und sich “neu aufstellen“. Was die Leute dort offensichtlich nicht wollen: Ãœber die nicht absolut gelungene Refinanzierung (vulgo: eigenes Versagen)reden. Passt nicht zur oft verkündeten Behauptung, man könnte den Grossen zeigen, wie es im Internet geht. Irgendwie sind ihnen auf diesem Weg auch einige Autoren abhanden gekommen, die vermutlich anderweitig mehr Geld verdienen konnten oder wollten – momentan sind da nicht mehr furchtbar viele Leute aktiv. Aber auf ihre Flattr-Einnahmen sind sie natürlich stolz, auch wenn es offensichtlich vorne und hinten nicht reicht. Hufington Post? Eher nicht. Diskurse, die wirklich etwas bewegen? Naja. Eher: Nicht gerade die erste Garde der Autoren.
Starke-Meinungen.de: Abgesehen davon, dass denen die Hälfte der Autoren schon in die Inaktivität gefallen sind, ziemlich offensichtlich für die Verbleibenden ein Nebenprojekt, das auf Randale gebürstet wird. Keine klare Linie ausser allgemeinem Marktschreiertum, aber vermutlich nicht pleite, weil: Eher Schaufenster denn Geschäftsmodell.
Man kann jetzt nicht gerade behaupten, diese Kleinen hätten es den Grossen irgendwie gezeigt. Das liegt sicher an Motivationsproblemen und an der Frage, was es den Autoren eigentlich bringen soll, aber vermutlich einfach auch daran, dass Meinung im Gegensatz zum Journalismus noch mal billiger und noch leichter zu bekommen ist. Jeder Depp kann eine Meinung haben, das Netz ist voll damit, und selbst in Spezialbereichen gibt es genug Konkurrenz – es gibt meines Erachtens einfach keinen echten, zwingendenden Grund, da reinzuschauen.
Sicher, man kann auf 2011 hoffen, nochmal mit Investoren reden oder glauben, dass man auf einem guten Weg ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass zu wenig Inhalte produziert werden, oder – ich hoffe, ich bin da nicht zu ketzerisch – die Autoren nicht richtig gut sind. Mir scheint es allerdings durchaus so zu sein, als würde der Diskurs eher zu den grossen Medien laufen. Vielleicht, weil Meinung allein ziemlich wenig ist?
Naja, man wird ja 2011 sehen, was dann noch lebt.
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“Meinungen sind wie Arschlöcher…” sagte mal ein US-Schauspieler in seiner Rolle, “…jeder hat eins.”
Irgendwie gefällt mir weissgarnix immer besser. War aber schon letztes Jahr so.
die debatte ist lediglich ein teil der diskussionskultur (lernt man im ersten semester an der henri-nannen-schule) und a priori nicht anderen kommunikationsformen überlegen. im gegenteil. wer apodiktisch etwas festlegt, hat meine vollste sympathie.
ein talkformat, das mir früher gut gefallen hat, war pro & contra vom sdr (heute swr) mit emil obermann. die idee, dass journalisten als anwälte einer sichtweise fungieren und sachverständige befragen können, fand ich irgendwo ´n stück weit spannend und so. die sendung wurde u.a. deshalb abgesetzt, weil sich nicht mehr genügend journalisten fanden, die sich öffentlich auf eine meinung festlegen lassen wollten. ansonsten halte ich es mit uli jörges. von alphabloggern gefragt, was er von ihnen halte, sagte er (auf youtube nachzuverfolgen): “das was sie machen, interessiert mich gar nicht.”
Der Vergleich mit der HuffPo ist immer ein bisschen schwierig, denn die USA sind zur Zeit politisch derart aufgeladen, dass es einfach auch mehr zu debattieren gibt. Fast jedes Thema ist umstritten, die Medien sind zu aktiven Playern in der politischen Landschaft geworden, jeden Tag passieren irgendwelche Politskandälchen. Ich glaube in Deutschland ist das politische Klima einfach zu ruhig, der gesellschaftliche Konsens über fast alles zu groß, als dass Debattenmagazine so richtig erfolgreich sein könnten.
Trotzdem hier nochmal einige richtig gute Seiten aus den USA, bei denen man sich was abschauen kann. Man muss ja nicht gleich die HuffingtonPost werden:
http://gawker.com/
http://www.salon.com/
http://www.thenation.com/
http://www.talkingpointsmemo.com/
http://motherjones.com/
http://www.tnr.com/
http://www.prospect.org/
[…] Internet: Was wurde eigentlich aus den Debattenblogs…Blogbar […]
“The European” ist vor allem eins: Total unübersichtlich! Man kann sich da gar nicht auf ein Thema fokussieren, weil alles mit Bildern und Links vollgeknallt ist. Wie soll man da Debatten führen?
Und der Name ist auch bescheuert für eine deutsche Seite. Kein Mensch weiß, was er bei solche einem Namen zu erwarten hat. Jemand sei ein streitbarer Europäer, wird zwar häufig als Lob gebraucht, aber bei dieser Seite klingt das eher nichtssagend und konsensorientiert. Wunderlich, dass Lukasz Gadowski das finanziert.
Letztendlich wirken bei Blogs immer noch Persönlichkeiten mit Leidenschaft und besonderen Informationen am besten, und so ein Profil entsteht oft erst durch langjährige Arbeit.
“fand ich irgendwo ´n stück weit spannend”
Drei doofe Floskeln in einem kurzen Halbsatz, das hat was. Und als Viertes noch die Fünfzigerjahrekleinschreibung. Tolle Leistung. Aber es ist sicher nur ironisch gemeint. Prost Neujahr!