30.12.2004 | 14:27 von dogfood

Form follows Linksammlung

Martin Brust hat mich per eMail gestern über seine etwas ältere Renzension von “BLOGS!” in dem Online-Magazin “liga 6000“, herausgegeben vom “Verein zur Förderung elektronischer Kultur und Kommunikation” zu Frankfurt a/M, informiert.

Ich erlaube mir mal den Deep Link zur Rezension selber, da die vom Magazin erwünschte Link-Form nicht mit PopUp-Blockern funktioniert: “Funktion folgt Form“.

Es gab mal bei Hallervorden einen gespielten Witz, in der sich in der Kneipe zwei Männer Zahlen zurufen um nach jeder Zahl in irres Lachen auszubrechen. Kommt ein dritter hinzu, schaut rätselnd und fragt dann den Kneipier was die beiden denn da machen würden? Sagt der Wirt: “Sie erzählen sich Witze. Damit sie Zeit sparen, haben sie die Witze durchnummeriert und rufen sich nur noch die Nummern zu.”

Genau so verhält es sich, wenn Internet-Connaisseure über das Buch meinen: “eine Linkliste mit den ausgewählten Einträgen hätte ausgereicht”.

Sie hätten vielleicht für diejenigen ausgereicht, die tagein, tagaus mit Browser umgehen. Aber beispielsweise jener Lokalpolitiker der sich bei mir während einer Beamer-Präsentation einer Website darüber beschwerte, dass bei “meinem Webdesign” die Fensterleisten-Knöpfe links und nicht wie “normal üblich” rechts wären, für den also schon die Unterschiede zwischen Mac und Windows jenseits allem Erklärbaren sind, hätte eine zweiseitige Linkliste kaum goutiert, noch hätten sie ihm “Blogs” wirklich nähergebracht.

Hintergedanke der Buchgestaltung und der Hereinnahme der Einträge ist der Anspruch gewesen, auch nicht-internet-firme Menschen zum Lesen zu bekommen. Die Hemmschwelle “Internet” sollte genommen werden, verdeutlicht, dass das was da draussen ist, vielfältig, lesenswert und technisch einfach zu erstellen ist.

Eine bloße Linkliste ist daher, so merkwürdig sich das angesichts des Sujets anhört, nicht zielgruppengerecht und hätte das Thema verfehlt. Blogger brauchen wir nicht vom Bloggen zu überzeugen.

Der zweite große Kritikansatz in der Rezension ist die Frage nach “Blogs = Journalismus” bzw. eben nicht, auch immer wieder gerne vorgebracht und von mir auch bereits bestritten.

1/ tagesaktuelle Einträge wären aufgrund der kurzen Halbwertszeit in Buchform unerträglich gewesen.

2/ Journalismus ist eben nicht nur “Fakten-Huberei” oder “Recherche, Recherche, Recherche, und immer an die Leser denken“, sondern auch Reportage, Glosse und Meinung. Schlag’ nach bei Ruge, Bednarz, Tucholsky, v.Zahn, Cooke etc…

So ganz nebenbei: “Journal(ist)” und “Tagebuch” leiten sich vom selben Wort ab… (“jour” = frz. “Tag”).

In diesem Sinne wird man dann auch im “BLOGS!”-Buch fündig: Andrea Dieners Texte über die Buchmessen-Partys, Siebenviertels Beschreibungen aus Kalifornien, Ligne Claires Texte, Anke Gröners Kino-Kritik etc… Selbst wer seinen Journalismus-Begriff auf “politisches” verengt, sollte noch einmal einen Blick beispielsweise auf Elfengleichs Einträge im Buch werfen, Stichwort Frauenbild, Arbeitsmarkt und Arbeitsagentur.

3/ Wer hautenge Maßstäbe für den Journalismusbegriff anlegt, schließt automatisch auch einen Großteil der heutigen Publizistik aus, die sich eher als Vetrieb von Inhalten verstehen. Man vergleiche den Ausstoß von PR-/Presse-Agenturen mit dem Output der Netzeitung oder SPIEGELonline. Man schnipple aus der SZ und der SZ-Website alle Übernahmen von Nachrichtenagenturen raus…

Die Sache mit den Finanzierungszwängen und den daraus resultierenden Verwertungsnotwendigkeiten hört die Open Source-Community auch sehr häufig, ohne dass nun die OS-Entwickler fluchtartig die Tastatur fallen lassen. Die Feststellung aus der Rezension “weil 4) Musik zu machen einfach vielen Menschen Spaß bereitet – was für stunden- oder tagelanges Recherchieren in der Regel nicht gilt.” gilt nicht zwangsläufig.

Schließlich aus der Rezension:
Wenn Blogs es schaffen würden, die klassischen Medien wirklich komplett aufzumischen, woher würden sie dann ihre Inhalte kopieren?

“Aufmischen” bedeutet nicht “Tod des Journalismus” oder “Tod der Medien”. Sondern: “die Karten werden neu gemischt”. Siehe meinen längeren Eintrag von heute morgen, in der der Guardian sich selbst rühmt, dass durch das offensive und frühe Aufgreifen der neuen Kommunikationsmechanismen im Internet, u.a. Blogs, der Guardian weltweit eine andere Bedeutung bekommen hat, als noch vor fünf Jahren als englische, linksliberale Qualitätszeitung.

Hier die dreitausend Dollar-Frage: wie ist der Guardian zu dieser Bedeutung gekommen? Haben sich Internet-Surfer Briefe geschrieben? Per eMail Bescheid gesagt? Haben sie sich angerufen? SMS verschickt “Schau mal rauf!”?

Der Begriff “kopieren” taucht bei Don, wenn ich es richtig sehe, nicht ein einziges Mal im Artikel auf. Stattdessen ist von “publizieren”, “umformulieren” und “verbreiten” die Rede.

Das Übernehmen von Inhalten und Formulierungen kann nicht per se als gut oder böse hingestellt werden, sondern geschieht in einem Kontext. Im Rahmen dieses Kontext reicht die Palette von “Plagiat”, “Fremdinhalte ausbeuten”, “vergessen Quelle anzugeben” über “umformulieren”, “Grundlage für eigene Überlegungen” bis hin zum “Zitat”. Faktoren die bei der Beurteilung eine Rolle spielen können, sind z.B. die Form der Weiterverwendung (kommerziell? vor einem Karren gespannt werden?). Das ist zum Teil justiziabel und zum Teil eine Frage des persönlichen Geschmacks.

Ein Fehler der in der Diskussion “Blogs vs. Journalismus” und an Dons Text immer wieder gemacht wird, ist der Vergleich einzelner Blogs mit dem Maßstab “journalistisch”.

Journalismus wird nur für die wenigsten Blogs die “raison d’être” sein. Blogs funktionieren aber auch als journalistisches Medium, indem sie Messages, Nachrichten, Informationen transportieren. Die Wirkung kann z.B. zu Katastrophenzeiten nicht mehr negiert werden (9/11, Irak-Krieg, Tsunami). In diesem Sinn bricht die Blogosphäre die alten Strukturen der Medien auf. Gewollt und ungewollt.

30.12.2004 | 10:45 von dogfood

Vorboten einer neuen Zeit

Schreibt zumindest Henning Hoff in der Frankfurter Rundschau in ihrer Donnerstags-Ausgabe: “Die Macht und das Netz ? Nachrichtenjournalismus von unten ist auf dem Vormarsch und bringt die Medienarchitektur durcheinander – das hat auch Folgen für die Politik

Henning Hoff reißt anfangs in dem Artikel alles zum Thema Notwendige an. Es werden die handelsüblichen Beispiele (Trent Lott, Dan Rather) genannt, Dan Gillmors “We the Media” erwähnt und sogar RSS korrekt eingeordnet:

Die globale Nachrichtenwelt ist im Netz greifbar und liegt damit noch näher als vor der Haustür. Mit RSS (“Really Simple Syndication”) oder verwandter Software kann man selbst Redakteur spielen und sich seine eigene Nachrichtenseite oder elektronische Wunschzeitung zusammenstellen. Noch ist das eher etwas für Spezialisten, doch der Trend dazu, seine Informationen aus ganz unterschiedlichen Quellen zu beziehen, ist unverkennbar.

Hoff präsentiert als Beispiel für den aufkommenden “Grasroots-Jornalismus” OhmyNews aus Südkorea das als “Gegengewicht” einer konservativen Medienlandschaft dient (auch in einer englischen Version) und verweist auf den Journalisten Peter Preston vom Observer als Kronzeuge in Sachen Untergang von Zeitungen. Die zweite Hälfte des Hoff”schen Artikels ist folgerichtig eine recht schamlos, weil ohne Verweis, komprimierte Fassung eines Artikels von Peter Preston im Observer.

In “Are Newspaper burnt out?” konstatiert Preston durchaus negative Zahlen… um dann einige Statistiken herauszufischen, die einen positiven Trend für Zeitungen aufzeigen. Preston macht sich viel mehr die Meinung von Michael Golden/IHT zu eigen, der alle traditionellen Medien (TV, Radio, Zeitungen) durch das Internet unter Druck kommen sieht, weil jeder Mensch seine Resource “Zeit” eben nur einmal verteilen kann.

Preston beschreibt wie Zeitungen ihre “Nische” finden müssen, um im Internetzeitalter noch zu überleben. Die Abgrenzungsstrategie zum Fernsehen, mit einer Spezialisierung (Frauen-Beilagen, Bildungs-/Wissenschaftsbeilagen) funktioniert im Zeitalter des Digitalfernsehens und der Spartenkanäle nicht mehr. Im Internetzeitalter noch viel weniger: “And digital time has begun to offer a depth of net coverage to compete with quality print because educated, skilful searchers know where to look.

Preston läßt am Ende des Artikels einige Medienmacher über die Zukunft von Zeitungen sprechen. Einige sehen das Medium “Zeitung”/”Papier” dem Internet überlegen:

If you spend 30 minutes with a printed newspaper and I spend 30 minutes on the web, you are going to know a lot more than me. There’s nothing that beats the amount of information that’s communicated when you scan a broadsheet – and compact format can do it too. Everything in the paper is a clue, from the size of the headlines to the placing of a story. You scan read as much as you want, then go back and pick up some more. It’s more interactive than computers, in a way. [The newspaper] is going to be around, particularly in the general interest sector, until something comes along that delivers it faster – and right now, nothing’s even close.

(Michael Golden/IHT)

Sollten dies wirklich die Stärken von Zeitungen sein, dann ist es nur eine Frage der Zeit bis den von studentischen Aushilfskräften gestalteten Billig-Zeitungen der Garaus gemacht wird.

Peter Preston glaubt eher dass Zeitungen den Trend anderer Medien, nicht zuletzt auch Blogs, folgen und auf Meinungsfreude setzen werden:

But it does, more than ever, become difficult to see the old mantras of fairness, balance and superficial neutrality surviving intact. That’s not why Fox News is king of US cable channels. That’s not why the Daily Mail rides high, nor why bloggers are the new champions on the net.

After newspapers, viewspapers? It’s happening already, as Kelner’s Indie testifies. Views come off the peg each morning. Leader columns move further forward in running orders. Front-page headlines take a stand or give a steer. In Bushland, the New York Times is seen as polar opposite of the Washington Times, not as Mr Authority.

Und was ist, wenn es nicht heißt “Zeitungen vs. Internet”, sondern Zeitungen mit dem Internet?

Bereits 2002 hat Peter Preston im Observer einen Aufhänger gefunden, um über das Thema zu spekulieren (“Somehow newspapers must make websites pay “).

Aufhänger war die Entscheidung der führenden spanischen Qualitätszeitung “El Pais”, die Website komplett kostenpflichtig zu machen:

El Pais claims 500,000 site visitors a day, but expects to lose 90 per cent of them. ‘That’s not important,’ says the director of its website, ‘because from now on we’re going to measure our success from the number of people who are willing to pay for our information.’

Ganz nach dem Motto “that which has value, costs“.

Bereits damals ahnte Preston dass die Rechnung von El Pais nicht alle Faktoren berücksichtigt:

But there is beginning to be a fresh argument tossed into the equation, one which alters a lot of calculations. Look, for example, at the most successful of UK newspaper sites – Guardian Unlimited, with more than a million unique visitors a month. How many print readers under the age of 25 does the paper have? 207,000 on the last National Readership Survey (NRS). And how many of those readers have used the internet in the past 12 months? 206,000.

Nothing in life or NRS surveys is quite that neat, but the point still carries rare force. Young readers divide their time between print and electronic naturally. They don’t take one or the other. They use both. Can newspapers, thinking laterally, turn that to their advantage?
[…]
Quite a lot of standard newspaper material, in short, is there on the web and better done on the web – read by precisely the same young people who buy the printed version for other reasons. City prices? Entertainment listings? Has anyone noticed how papers have begun to play Little Sir Echo to no great effect, trailing behind their own sites?

Zwei Jahre später weiß Preston um einen der Faktoren die El Pais damals nicht berücksichtig hat: das Internet mischt auch innerhalb der Zeitungslandschaft die Karten neu: “A newspaper virtually all over the planet

Die Website der Guardian-Zeitungsgruppe (Guardian/Observer) ist eine der reichhaltigsten englischspachigen News-Website, mit zahlreichen online gestellten Zeitungsartikel und ergänzenden Internetangeboten wie z.B. Blogs, oder eMail-Newsletter.

Die Folge: die Guardian-Website ist weltweit zu eine der populärsten Websites geworden, was wiederum dem Guardian zu einem anderen Standing verhilft und wiederum auf die Qualität und Möglichkeiten der Reporter zurückschlägt.

Alan Rusbridger, Guardian editor and guiding inspiration of Guardian Unlimited, piles on the aspiration. ‘It’s clear that we are becoming the English language global liberal voice … That means that today’s journalists have a much bigger influence than any previous generation of Guardian writers.’

Forget cold shoulders from the White House. If you’re one of Google News’s top-ranking sites, alongside ABC, NBC and BBC, the President’s men see reason to answer your call. Nine million unique users can’t go wrong.

Und Preston sieht den Grund der Popularität nicht nur in der Öffnung des Guardians gegenüber dem Web, sondern auch in der Bereitschaft des Guardians, die neuen Kommunikationswerkzeuge zu nutzen, wie z.B. Blogs.

Above all, it has not converted newsprint life as usual. Take a little blog wisdom from one of the Online Journalism Review’s deepest thinkers: Dan Froomkin, resident guru at washingtonpost.com. Think if you were starting a newspaper today, he says. ‘Wouldn’t you want to facilitate exchanges with readers? … Wouldn’t you want to make it easier for them to take action? Wouldn’t you want to define and create a community? Blog tools give you all that.’

So pause and consider: isn’t all this becoming different in kind? Online journalists shouldn’t conceal their fascination for the topics they cover. They shouldn’t hide behind the traditional bland construction of news stories. They should still be fair, of course, but they should also have voice and passion – sometimes even outrage.

‘There is a risk here that the line between news and opinion may get blurry, but so be it. We should be turning our online journalists into personalities – even celebrities – rather than encouraging them to be as faceless as their print colleagues.’

Als Vision von Medien für eine “iPod-Generation” reicht dass dann doch etwas weiter, als das bloße Deponieren von Content zur Mittagszeit in einem seit Monaten unveränderten 08/15-Template, gemäß dem Motto “Leck mich am Arsch“.

30.12.2004 | 2:38 von DonAlphonso

2 Jahre

und ein bisschen teurer. Während Twoday.net die Werbung von seinen kostenlosen Blogs gekippt hat, geht der zweijährige Jubilar Myblog den anderen Weg, wie er in seinem Geburtstag-Blog schreibt: Wer in Zukunft ein Blog mit mehr Speicher (nicht wirklich üppige 5MB) und ohne Werbung eröffnen will, soll das gegen eine “kleine Gebühr” tun können. Der Preis ist noch nicht bekannt, aber beim Bloghoster 20six, mit dem Myblog bekanntlich kooperiert, erhält man 50 MB und drei werbefreie Blogadressen für 2, 95 Euro pro Monat. Mutmasslich wird Myblog erheblich billiger sein. 2005 soll Myblog unter anderem auch in französischen und niederländischen Versionen starten – also auf Märkten, auf denen 20six schon aktiv ist. Damit dürfte sich wohl der Trend fortsetzen, Myblog als Low-Cost-Alternative von 20six zu etablieren.

28.12.2004 | 16:33 von DonAlphonso

Warum Journalisten PR-Blogs Scheisse finden.

(sorry für die deutlichen Worte) Momentan ist grosses Schulterklopfen angesagt. “Business-Blogger” und die Blogger mit Schwerpunkt auf Corporate Communication (CC oder auch Unternehmenskommunikation) wittern Morgenluft: Blogs wären das nächste grosse Ding in der CC. Intern als Knowledge Management, extern als Möglichkeit zur Selbstdarstellung. Die anderen Blogs, ganz weit draussen sind demzufolge Quelle für Datenschnüffeleien oder eine Chance, was aufs Maul zu bekommen (Jamba lässt grüssen), worauf man am besten mit Überwachung durch sich anbiedernde Möchtegern-Berater reagieren soll ? also Geschäftsanwendungen aller Orten.

Zu den Datenschnüffeleien steht hier mehr – meines Erachtens ein Exponat für das Museum of the Future that never happened. Nachdem viele Firmen mit Knowledge Management sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben, bleibt die klassische PR im Sinne von Pressearbeit als der Bereich übrig, wo Blogs zeigen können, was sie drauf haben: Im besten Fall werden sie Journalisten egal sein, im schlimmsten Fall nerven.

Der Grund dafür ist das Wesen der typischen PR-Leute, die die Bedeutung ihrer Firma überschätzen und selbstverständlich davon ausgehen, dass Journalisten sie um Neuigkeiten anflehen. Es ist für den PR-Menschen überlebenswichtig, den Bossen diesen Eindruck zu vermitteln – nichts desto trotz sieht ein Journalist wie ich die Sache qua Beruf ganz anders.

Nehmen wir also mal an, ein Boss eines technologieorientierten Mittelständlers fällt den Berater rein und macht in Zusammenarbeit mit der PR zwei Blogs – eines für sich und ein weiteres für den PR-Futzi. Aus der Theorie der Pressearbeit ist das nur logisch. Schliesslich muss der Chef das Unternehmen repräsentieren und der PR-Futzi die Fakten liefern. Und jetzt bloggen sie also los, jeden 2. Tag einen Beitrag, eine Idee, einen Textschnippsel.

Für Journalisten bedeutet das, dass sie zuerst einmal ziemlich unsortierte Informationen auf einem Haufen haben. Um zu erfahren, was wichtig und was irrelevant ist, muss man sich durch alles durchfressen, auch, wennŽs nur die Notiz von einem Arbeitsessen ist. Nachdem man nie wissen kann, ob unten nicht doch der wichtige Satz kommt, muss man den Krempel zumindest überfliegen. Das dauert, und wenn der Chef und sein Handlanger nicht unterhaltsam schreiben können – was eher die Regel denn die Ausnahme ist – wird das Dauergemurmel im Netz schnell zur Qual.

Klassische Pressearbeit versucht dagegen, die Journalisten mit möglichst grossen, tollen News zu fesseln. Sprich, einmal alle 2 Monate kommt eine grosse, echte Nachricht, die so noch nie zu lesen war: Ein Scoop, eine Story. Bei einem Blog gibt es die Story dagegen über Monate in einzelnen Häppchen: Hier eine neue Funktion, da eine Erweiterung. Wenn das dann alles kommuniziert wurde, ist es eigentlich schon seit Wochen und Monaten bekannt – und keine News mehr. Es gibt Ausnahmen – Apple und Steve Jobs beherrschen das Spiel mit Andeutungen meisterhaft, aber das ist eine Weltfirma, und der neue iPod hat eine andere Relevanz als irgendein Stück Software einer banalen Mittelstandsklitsche. Die wird sich ihre Neuigkeiten eher totschreiben.

Dazu kommt, dass sich ein Journalist bei der Recherche die Info-Brösel mühselig selbst aus dem Blog zusammenklauben muss. Das ist eine Menge Arbeit, von der man eigentlich gewohnt ist, dass sie einem von der PR abgenommen wird. Desto mehr Blogs es im Unternehmen gibt, desto grösser ist der Arbeitsaufwand, die Geschichte zu verfolgen. Es mag durchaus sein, dass sich das bei einem COO einer Firma wie Sun lohnt – aber unser normaler Mittelständler ist wohl kaum so wichtig, als dass es für einen unter Zeitdruck arbeitenden Medienvertreter vertretbar wäre.

Man sollte auch einen anderen, theoretischen Vorteil gleich wieder vergessen: Den Glaube, dass Medien Blogtexte im Netz verlinken, Traffic erzeugen und den Pagerank und die Bedeutung der Firma anheben. Journalisten wollen den Eindruck erwecken, Informationen möglichst exklusiv und aufwendig selbst recherchiert zu haben. Keiner will den Eindruck erwecken, dass er sich seine Erkenntnisse von ein paar Blogs zusammengeschmiert hat.

Dazu kommen noch sprachliche Probleme. Pressemitteilungen bringen zumindest druckreife Zitate und präzise Informationen über denjenigen, der sie sagt. Man kann also zur Technik einen Spezialisten reden lassen, und zur Bedeutung den Chef. Im Artikel des Journalisten kommt das gut, weil die Zitate den Anschein machen, dass er mit beiden gesprochen hätte. In unserem Beispiel läuft alles entweder auf den Chef oder den PR-Hansel hinaus, mit dem Risiko, dass beide keine Spezialisten sind und die Sache in ihrem Geschreibsel nicht auf den Punkt bringen. Der Journalist muss das dann mühsam umschreiben und passend machen; ein Job, den jeder hasst. Eventuell muss man dort anrufen und den Spezialisten erfragen, um dann endlich an die gewünschte Information zu kommen

Besonders schlimm wird es, wenn der Chef tatsächlich im Sinne von “persönlicher Kommunikation” blogt, um als netter Kerl rüberzukommen. Flapsige Sprüche und Scherze sind nett zu lesen, aber beim Schreiben eines Artikels eher hinderlich, wie auch Informationen zum Chef als Person. Im persönlichen Gespräch, im Interview für einen langen Artikel ist das gut, aber ein Text auf Basis eines Blogs wird kaum derartig tief gehen. Auf der anderen Seite steigt die Gefahr, dass zu viel verbreitet wird – schnell schreibt man mal was Unbedachtes hin; ein Journalist findet es und verwendet es später gegen das Unternehmen. Die Haffas, die in den Hochzeiten der New Economy gern und viel redeten, bekommen heute ihre Aussagen wieder um die Ohren geprügelt; ein Haffa-Blog würde die Sache nochmal erleichtern. Hm. OK, das spricht eigentlich für PR-Blogs.

Aber hier wird klar, warum auch das andere Extrem, das Blog aus der Feder eines Ghostwriters, nicht funktionieren wird: Spätestens, wenn der Chef seine angebliche Aussage später mal präzisieren soll, wird er unweigerlich ins Schwimmen kommen. So wird aus dem PR-Blog schnell ein PR-GAU. Fakes haben die unangenehme Eigenschaft, entweder aufzufliegen oder, wenn sie entsprechend plump gemacht sind, nicht ernst genommen zu werden.

Bleibt noch das Argument, dass Blogs für Journalisten unterhaltsamer sind: Journalismus ist nicht Cyberslacking, sondern banale Arbeit. Wer sich vom netten Ton eines PR-Futzis einlullen lässt oder PR als Entertainment wahrnimmt, ist im falschen Beruf. Die meisten Journalisten stehen unter Zeit- und Kostendruck, und brauchen deshalb präzise, leicht verständliche Informationen zum richtigen Zeitpunkt. Das bieten Pressemitteilungen, und sie tun es perfekt. Blogs sind glücklicherweise genau das Gegenteil: Unpräzises, launisches Dauergequassel. Es ist möglich, keine Frage. Aber es bringt nichts, ausser eine Menge Frustration bei Journalisten, die sowieso schon mit Informationen zugemüllt und überall mit den Rückständen der Personality-Berater belästigt werden. Pressearbeit, die der Presse nicht dient, ist vergeudete Aufmerksamkeit und angesichts des immensen Arbeitsaufwandes viel rausgeschmissenes Geld – besser sollte man Berater rausschmeissen, die Blogs als das grösste Ding seit geschnittenem Brot anpreisen. Und wer seine Stories mit normaler PR nicht absetzen kann, wird es auch mit einem Blog nicht schaffen.

28.12.2004 | 0:19 von dogfood

Blogs und die Tsunami-Katastrophe

Es ist im Vergleich zur Todeszahl nur ein Randaspekt, aber…

Die Tsunami-Katastrophe zeigt nicht nur, das Blogs mitunter als journalistisches Instrument benützt werden können, sondern auch als vernetzte Informationsinfrastruktur neben den normalen Medien und Organisationen.

Eine Reihe von Blogs aus Asien ergänzen die Informationen die uns internationale oder lokale Medien (Lanka Business, Rediff.com) bieten, durch persönliche Schilderungen, wie z.B. India Uncut. BoingBoing hat einige gesammelt ([1], [2], [3]). Das “Livejournal” Insomnia sammelt Augenzeugenberichte (via Kottke). MetaFilter bringt immer wieder Einträge mit Verweisen auf Sites, wie z.B. einer Photosite ([1], [2])

In Blogs kursieren inzwischen auch Websites die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Informationen über Hilfsmaßnahmen zu verbreiten, z.B. TsunamiHelp oder Architecture for Humanity (Diese und weitere Links bei Jimmiz [1], [2], [3], Loic LeMeur [1], [2], [3], ITW). Darüberhinaus gibt es auch die üblichen Hilfsorganisationen für solche Katastrophen.

Auf der Suche nach weiteren Links kann man sich einschlägiger Blog-Suchmaschinen wie Technorati oder Daypop bedienen.

Hat man einmal den Weg zu einem indischen oder indonesischen Blog gefunden, kann man sich durch die Linklisten zu anderen lokalen Blogs weiterhageln, oder man fängt bei einem regionalen Blogprovider wie BlogstreetIndia oder rediff.com an.

Auch Flickr und Del.icio.us ? erstere ist eine Website zum Verbreiten von Photos, letzteres eine Website zum Verbreiten von Links ? können als Werkzeuge benützt werden. Photos und Links werden auf diesen Websites mit Tags, Stichwörtern, versehen. Im Rahmen der Tsunami-Katastrophe sind unter entsprechenden Tags Bilder und Links abgespeichert worden.

Flickr: Tsunami, Earthquake

Del.icio.us: Earthquake, Disaster, Tsunami, z.B. mit Links auf diese Photosite

Nicht wirklich mit Blogs hat Newsmap zu tun. Diese Flash-Applikation wertet die von GoogleNews eingelesenen Medien-Schlagzeilen nach Themen aus und stellt diese in Kästen dar. Je präsenter ein Thema, desto größer der Kasten.

Die Applikation erlaubt so per Augenschein einen Überblick über die Präsenz von Nachrichtensujets in den Medien. Da sich außerdem in Newsmap die verschiedenen nationalen GoogleNews-Seiten anwählen lassen, kann man sich so auch einen Überblick verschaffen, wieviel Resonanz ein Thema in den Medien eines Landes bekommt.

Und wie vergänglich Themen sein können.

26.12.2004 | 17:43 von dogfood

Blogs als journalistisches Werkzeug

Die BBC hat eine Art Blog (“Reporters’ log“) über die Flut/Erdbeben-Katastrophe in Südost-Asien aufgemacht.

Bemerkenswert ist die Selbstverständlichkeit, mit der die BBC binnen Stundenfrist nach der Katastrophe eine solche Seite aufmacht, weil sie es als adäquates Mittel für den “Nachrichtenstrom” eines Themas hält.

Wo Blogs dann und wann für “Grasroots-Journalismus” gehalten werden können versucht die BBC Elemente davon, als Ergänzung zu seinen normalen Berichten aufzugreifen. Auf einer Seite werden die Photos von Lesern/Zuschauern/Zuhörern zur Katastrophe abgelegt. Auf einer weiteren Seite können eingesandte Augenzeugeberichte gelesen werden.

Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass die BBC dadurch ein wesentlich umfassenderes Bild von der Katastrophe vermitteln kann, als andere Sender, die sich auf ihre Korrespondenten und Mitarbeiter vor Ort und die Agenturen verlassen.

21.12.2004 | 12:20 von DonAlphonso

Das grosse Blogsterben

geht weiter. Bei den 30 Testblogs eines grossen Anbieters, die hier alle paar Wochen überprüft werden, rührt sich fast nichts mehr. 5 Blogs bleiben abgeschaltet, 18 sind nach dem ersten Beitrag aufgegeben worden, 4 weitere haben seit einem Monat nichts mehr von sich hören lassen, und nur drei werden regelmässig geführt.

Etwas besser ist übrigens eine vor vier Wochen eingerichtete Vegleichsgruppe von ebenfalls 30 Blogs gestartet: 2 Totalabschaltungen, 18 Blogs wurden aufgegeben, eines war zu Beginn vier Tage aktiv, und 9 warten mehr oder weniger regelmässig mit Inhalten auf, bei dreien sind aber bereits auch Ermüdungstendenzen wie “Ich hab schon lang nix mehr in mein Bloggy <|:-)))" feststellbar. Zwei weitere Blogs bringen keine eigenen Beiträge, sondern im Web zusammenkopiertes Material, c+p-Artikel grosser Medien oder Comics. Wenn sich dieser Trend bestätigt, könnte man sagen: Nicht mal jedes 5. Blog dieses Anbieters kommt durch. Ich würde das nicht auf alle Hoster übertregen wollen; es kann auch an der dort bloggenden, meist jüngeren Personengruppe liegen.

20.12.2004 | 12:11 von DonAlphonso

The Day Hell froze

and we were there: Spiegel Online, dessen Chefredakteur Blogs bekanntlich zu 99% für Müll hält, empfiehlt seinen Lesern zu Weihnachten – Blogs! Dieses Buch hier! Mit diesen Worten:

Das Buch “Blogs” bietet Auszüge aus 15 verschiedenen Weblogs, die so unterschiedlich sind, dass für jeden Leser etwas dabei ist – langweilig wird es einem mit dem Buch nicht.

Und nein, ein USB-Mülleimer wurde nicht als nächstes Geschenk empfohlen.