Es ist schon eine ziemliche Frechheit von der FAZ, wenn sie den Niedergang des Online-Journalismus an der Netzeitung festmacht. Warum geht es gegen dieses kleine Unternehmen und nicht gegen die grossen Player wie Spiegel Online? Oder mal das eigene Haus? Oder Chip/Xonio aus dem Hause Burda? Telepolis? Und gibt es nicht ganz andere Online-Katastrophen wie zum Beispiel E-Paper?

Die Netzeitung muss herhalten, weil sie die einzige online only Zeitung ist. Dass Spiegel.de vom Mutterhaus unabhängig agiert, wie auch FAZ.net das tun sollte, interessiert den Autor nicht. Fast schade, denn das wären wirklich interessante Fälle – Spiegel Online, die Lachnummern aus der Brand1 falsche Jubelzahlen über Handymarketing verbreiten lassen, Pressemitteilungen durchreichen und nur dann zu grosser Form auflaufen, wenn Heftinhalte abgedruckt werden – meistens sind das aber auch eher die schlechteren Stücke. Und bei der FAZ würde man gern wissen, wie hoch das Defizit bislang im Netz war – soweit mir bekannt, ist die FAZ der Geldverbrenner Nummer 1 unter allen überregionalen Tageszeitungen gewesen. Besonders peinlich: Zwischen den enormen Anlaufkosten des geplanten Spiegel.de-Gegner und der faktischen Degradierung zu einer Zweitverwertungsplattform lagen nur wenige Monate, und ein Bericht, der so ziemlich alles an Versagen und Grössenwahn enthielt, was man in dieser Reinheit sonst nur aus der New Economy kennt. Die FAZ.net-Story, wer will, hier, und 2 Dutzend weitere Hiobsbotschaften

Dass die Netzeitung einen guten Ruf hat, dass ich sie gerne verlinke, hat eine Reihe von Gründen. Zum einem sind alle Artikel kostenfrei abrufbar, wenn bei FAZ und Spiegel schon längst das Zahlsystem lauert. Die Netzeitung ist für das Internet geschrieben, was man bei der FAZ nicht behaupten kann. Die Netzeitung bringt karg aufbereitete Agenturmeldungen – und keine stilistischen Lächerlichenkeiten wie der Spiegel oder Sinntiefenvortäuschung wie die FAZ. Bei den Agenturen, wenn wir mal ehrlich sind, schreiben alle ab – dazu sind die da. Wenn die FAZ behauptet, die Netzeitung würde quasi ohne Quellenangabe klauen, darf ich vielleicht mal auf den Fall hinweisen, der im Buch abgedruckt ist: Als DCT die Meldung über Paulus Neef unsaubere Pixelpark-ZLU-Geschäfte brachte, waren sich eine Woche später alle anderen zu fein, darauf hinzuweisen, wo sie die Details geklaut hatten.

Die Sache mit der journalistischen Unabhängigkeit der Netzeitung ist ein harter Vorwurf – einer FAZ, deren Wirtschaftsressortchef im Herbst 2000 auf Schloss Elmau Startup-Gründern den legendären Tipp gab, statt in Pressemitteilungen lieber mal in ein gutes Essen für die Medien zu investieren.

Natürlich hat die Netzeitung Probleme. Sie wurde als Tochter des Spray Networks gegründet, dann kam die Fusion mit Lycos und damit Bertelsmann. Spray und Lycos passten einfach nicht zusammen; besonders nicht in Deutschland, wo Spray eindeutig der kleinere Partner war. Die Redaktion stand damals, auch die Marketingkampagne und die Finanzplanung – unter Bertelsmann wurde das alles wieder umgeschmissen. Faktisch stand Maier zum Beginn mit hohen Kosten und fehlenden Einnahmen da, und im Genick ein Medienkonzern, der in jeder Hinsicht zu langsam und zu knausrig entschied. Die Netzeitung war kein Unternehmen, sondern eine einigermassen gute Abteilung in der Gesamtkatastrophe, die Lycos bis heute ist.

Völlig unverständlich sind manche Vorwürfe der FAZ. Viele Zeitungen haben letztes Jahr DPA abgeschafft. Auch die Netzeitung. Trotzdem ist sie schneller als Spiegel.de, von der FAZ gar nicht zu sprechen. Es zählt nur die Geschwindigkeit im Netz, und nicht, dass die News im Büro von drei Agenturen vorliegt. Natürlich muss die Netzeitung sparen und Leute entlassen – sollen sie bewusst pleite gehen? Hat die FAZ nicht auch massive Stellenstreichungen hinter sich? Sie beuten sicher auch Praktikanten aus, und quetschen Freie aus – aber macht das nicht jeder?

Und wenn die FAZ das Buchportal nicht mag – warum machen sie es nicht selbst? Maier schafft es immer wieder, neue Töpfe und Nischen aufzutun. Ich AG, Judentum, Medien, Internet – das sind seine Stärken. Und eine Sprache, die man auch versteht, wenn man kein Profi in den Spezialbereichen ist. Das mag dem Sprachgefühl der FAZ nicht munden, allein: Niedergang ist das nicht. Auch das Kratzen an der Profitabilität in leicht roten Zahlen ist ein enormer Erfolg – FAZ.net ist dagegen immer noch eine blutende Wunde.

Noch ein Wort zum “Choleriker” Maier, wie er im Artikel beschrieben wird. Ich hatte mal mit seiner von Bertelsmann verordneten PR-Dame zu tun, die Gift und Galle in meine Richtung spuckte, weil sie meine kritischen Hinweise nicht mochte. Maier bremste sie aus, und liess mich einfach mal vorbeikommen, hörte zu, und machte mir ein Angebot – das ich wegen anderer Verpflichtungen ablehnen musste. Ich denke, ich habe in meiner Zeit in der New Economy viele Psychopathen, Lumpen und Schurken erlebt – aber nicht bei der Netzeitung. Bei der FAZ hatte man, wie die damals gescholtene Süddeutsche Zeitung, den Tom Kummer mit seinen Borderline-Stories auf den Berliner Seiten, man hatte einen Herausgeber mit einem Buch, das die Redaktion ein Jahr lang mit einer grossen Serie vorbereiten musste. Wie wärŽs mit ein paar Worten über diesen Niedergang?

Ich werde weiterhin Netzeitung linken. Und die FAZ einmal wöchentlich anschauen. Und wenn wir vom Niedergang des Online-Journalismus reden: Ja. Klar. Gerne. Aber bitte dort, wo er wirklich stattfindet. Bei den Idioten, die Information einsperren wollen und glauben, im Internet Mauern errichten zu können. Die Netzeitung stejht für freie Information – räumlich, zeitlich und sozial unbegrenzt. Wenn die FAZ das auch schafft, soll sie nochmal lästern.