Bei “Ritter der Kokusnuss” gibt es dieses Duell mit dem grossmäuligen schwarzen Ritter, dem erst alle Extremitäten abhackt werden, und als er dann nur noch als Rumpf im Wald steht, sagt er, dass er ein Unentschieden akzeptiert – aber sobald die Ritter weiter ziehen, schreit er ihnen nach, sie sollen zurückkommen, er würde sie mit seiner Spucke besiegen, er würde es ihnen nochmal zeigen. An diese Szene muss ich immer denken, wenn ich manche Blogs gewesener Dotcom-Unternehmer, Berater und Jubelperser lese. Da wird dann besprochen, wie man mit Blogs hoffentlich bald das Geld verdienen kann, das man früher im “Content Bizz” versenkt hat. Die meisten Beiträge sind inkompetent, vulgär und vollkommen unausgegoren, aber so sind die Autoren nun mal, sie hatten eine schwere Jugend, sie haben es keine andere Sprache als den McKinsey-Latrinen-Slang voller Success und Profit gelernt. Und die Summen, die amerikanische VCs in die Firma Sixapart (Movable Type, Typepad) investiert haben, machen auch hierzulande viele Leute heiss, die gerne nochmal eine New Economy Reloaded hätten.

Nun gab es in der letzten Woche zwei Ereignisse, die zeigen, dass sich auch ernsthaftere Leute in Deutschland mit der Frage der Wertschöpfung durch Blogs auseinandersetzen. Der eine ist Thomas Knüwer vom Handelsblatt, einer der besten Leute des Hauses, und ein Journalist, der die New Economy integer und kompetent begleitet hat. Der andere ist Markus Breuer, den ich sehr schätze und dem man qua Biographie eine hohe Kompetenz und Marktkenntnis zusprechen kann. Thomas Knüwer arbeitet an einem längeren Beitrag zum Thema, und wir haben darüber gesprochen. Markus Breuer hat in seinem Weblog das Wort “Gold” benutzt, um das Potential der Blogs bei der Marktfoschung zu umschreiben. Ich glaube, dass es die Reputation dieser Autoren verlangt, sich mit ihren Ideen genauer auseinanderzusetzen. Denn auch, wenn das Thema den meisten Blogger vollkommen irrelevant scheint, könnte es sie in Zukunft durchaus betreffen.

Ich persönlich möchte keinen Hehl daraus machen, dass ich von Markt- und Zukunftsforscher wenig halte. Es gibt in diesem Sektor so viele Scharlatane, Wunderdoktoren und Lügner, und es gibt so viele dreckige Datenschnüffler jenseits deutscher Gesetze, dass ich die Bagage moralisch weit unten ansetzen möchte. Ich kenne auch lobenswerte Ausnahmen, die einen sauberen Job machen, präzise Daten erheben und gekonnt in Schlussfolgerungen umsetzen, aber das sind Ausnahmen in einem völlig überfüllten Markt, der immer noch an den in Zeiten des Hypes aufgebauten Überkapazitäten leidet. Ich kann nur jedem, der etwas über die Zuverlässigkeit der Marktforschung wissen will empfehlen, alte Studien aus dem notorisch bekannten Haus Berlecon zu lesen, und zu überlegen, ob die prognostizierte Zukunft des Jahres 2000 mit dem übereinstimmt, was wir heute erleben.

Knüwer und Breuer haben das potentiell enorme Potential im Bereich Marktforschung angesprochen. Tatsächlich kommt die Tätigkeit des Bloggens den Bedüfnissen der Marktforscher entgegen. Man braucht in diesem Beruf möglichst präzise Daten und Informationen über Kunden, um möglichst aussagekräftige Profile erstellen zu können. Ein erfundenes, aber durchaus mögliches Beispiel: Würde man merken, dass der iPod von 89% der Bloggerinnen zwischen 25 und 35 Jahren ankommt, von denen aber 64% wegen SATC-Kauf-Exzessen notorisch über ihr überzogenes Konto jammern, könnte ein kluger Kopf auf die Idee kommen, ein SATiPod-Leasing-Angebot inclusive einer Manolo-Blahnik-Tasche für den iPod zu entwickeln. Die enorme Datenmenge, die ein Blogger produziert, würde fraglos auch solche ungewöhnlichen Verküpfungen zulassen. Dagegen ist die herkömmliche Marktforschung aufgrund des Kosten- und Zeitdrucks in ihren Umfragen sehr begrenzt. Niemand käme auf die Idee, sich einen Zusammenhang zwischen iPod und SATC zu erfragen, obwohl die Kaufentscheidungen eben auch durch solche absurden Verknüpfungen bestimmt werden. Man müsste die Blogs auf Keywords durchsuchen, mit anderen abgleichen, und könnte so im Idealfall Kampagnen justieren, neue Märkte entdecken, und so weiter. Beispiele: Ein Produkt, das für Twens entwickelt wurde, kommt auch bei Älteren sehr gut an. Oder eine bestimmte beworbene Jugendgruppe entwickelt neue Codes in der Kommunikation. Ein Werbespruch kommt an und wird überall verbreitet. Solche Dinge eben.

Klingt erst mal “schön”, aber (Ganz viel grosses Aber): Natürlich wäre es möglich, Bloggerprofile anzulegen. Ich glaube wirklich, dass viele Teenie-Blogs in ihrer teilweise unglaublich offenen Art sehr schnell Rückschlüsse auf Kaufverhalten und Bedürfnisse zulassen würden – wie übrigens auch der Schockwellenreiter, der desöfteren unter “Boys need Toys” von Konsumprodukten schwärmt. Aber wie viel Aufwand ist nötig, um das Profil zu erstellen? Texte sind keine Fragenbögen; Texte arbeiten auch mit Stilmitteln, und eine in Worten verfasste Meinung ist etwas ganz anderes, als die Antwort auf eine multiple Choice Frage. Das heisst, allein in die Erfassung und Auswertung der Daten müsste viel teure, menschliche Arbeitszeit investiert werden. Manches könnte man vielleicht auch mit Programmen erfassen, aber auch wird es kein billiges Unterfangen.

Und damit wäre ein anderer Vorteil der Blogs hinfällig: Die Geschwindigkeit. Wollte man Markforschung via Blogs verkaufen, würde man in etwa so argumentieren: Die Blogger schreiben sofort, was sie denken. Richtig – aber: Bis mal eine zahlenmässig relevante Gruppe wirklich niedergeschrieben hat, was sie denkt, kann viel Zeit vergehen. Selbst, wenn man die Blogs von 5.000 pickeltragenden Mädchen hat, die jeden Morgen ihren Anblick im Spiegel hassen, garantiert einem nichts, dass sie dann tatsächlich auch am gleichen Tag über die neue Pickelcreme Hardcoresqueeze schreiben. Den Marktforscher möchte ich erleben, der seinem Kunden beichten muss, dass er schätzungsweise noch drei Monate warten muss, bis dann vielleicht die nötige Zahl der Äusserungen da ist, um die dann erst noch zu bewerten und in ein Ergebnis umzusetzen.

Und dann ist da noch ein anderes Problem, gerade, wenn es um die Bewertung von Produkten geht. Blogger sind meistens sehr drastisch in ihren Bewertungen. “Sucks”, “Scheisse”, “kaputt” kommt oft – was eher selten kommt, ist eine Analyse des Schadens. Und was auch nicht wirklich häufig ist, ist die korrekte Beschreibung des Produkts. Man liest: “Mein Sony ist kaputt.” Man liest nicht: “Mein vor 156 Tagen gekaufter Sony MDP-883-S mit silberner Blende, Produktionsnummer 122-34566-63 hat offensichtlich ein Problem mit dem Laser, der den Beginn der CD nicht findet. Er ist kaputt”. Die zweite Aussage wäre verwertbar, die erste kaum. Was ebenfalls eher selten kommt, ist Lob. Das reibungslose Funktionieren eines Produkts ist kein Thema für Blogger, aber sehr wohl für Marktforscher. Diejenigen, deren tolles Subnote nach 2 Wochen während der entscheidenden Powerpoint über den Jordan geht, hat man erfahrungsgemäss sowie verloren. Aber diejenigen, die es so lala finden, möchte man halten und ihnen bei nächster Gelegenheit den für ihre Ziele verbesserten Nachfolger präsentieren. Von diesen Ansprüchen wird man in Blogs aber nichts lesen.

Wo man etwas davon liest, ist die Konkurrenz. Dooyoo und Ciao finanzieren sich längst nicht mehr über Werbung, sondern über Marktforschung. Und hier kommen die Äusserungen so, wie Marktforscher das wollen, ohne ein paar Terrabyte über Dons gesammelte Frauengeschichten und Miss.Understoods Bürogeheimnisse.

Aber selbst wenn man sich die Mühe machen würde, aus dem Don ein allerfeinstes Profil zu machen – wie sollte mich die Marktforschung dann ansprechen? Am Ende bleibt doch wieder nur die klassische, alte Methode: Den profilierten Typen zuspammen anmailen und fragen, ob er bereit ist, einen Fragebogen auszufüllen. Und selbst, wenn man eine exorbitant hohe Quote an Rückläufern von 10% hätte – ob die dank Profiling etwas verbesserten Ergebnisse den enormen Aufwand rechtfertigen, ist eine ganz andere Frage.

Ich persönlich glaube, dass das Marketing-Gold als “Potential” vielleicht in der Grube ist. Aber ich glaube auch, dass es so gut wie unmöglich ist, es da raus zu holen. Allein schon, weil es sicher angenehmere Personengruppen gibt, wenn man versucht, von ihnen Profile zu erstellen. Und am Ende muss es sich in einem wirklich miesen Markt rechnen, wo jeder versucht, Preisdumping zu machen. Hätten wir einen Boom, würde man so etwas wahrscheinlich versuchen; dämliche VC-Adressen stelle ich gern zur Verfügung. Aber hier ist kein Boom, sondern nur tiefes und meines Erachtens berechtigtes Misstrauen in die Potentiale.

Wobei, ich kenne eine denkbare Ausnahme, für die man aber ganz erhebliche Vorraussetzungen erfüllen müsste: Blogger.com, Adword und Google sein. Aber die brauchen sicher keine Tips von hier.

Und dann ist da noch was anderes, was sich nicht in Zahlen oder Business Pläne fassen lässt: Blogs sind zum zuhören und lesen da, aber nicht zum Ausquetschen von Daten. Die Intention der Schreiber ist, etwas zu erzählen und nicht, etwas zu liefern, und es ist ihnen wahrscheinlich egal, was ein paar verhungernde Dotcommies wollen. Es passt einfach nicht zusammen, die Marktforscher werden sich anstellen wie der Fisch auf dem Fahrrad – wenn man es überhaupt so weit kommen lässt.