Clowns, Tiger und Nichtartisten im Podiumszirkus
Es gehört irgendwie schon zu den typischen Ritualen der Blogosphäre, dass diejenigen Blogger, die an einer öffentlichen Veranstaltung teilnehmen, in den Blogs mancher, die weder auf das Podium durften noch auf der Veranstaltung waren, blöd angemacht werden. In aller Regel wird dann vornerum die Qualität des Vortragenden in Zweifel gezogen, diskeditiert und übel nachgeredet. Man kann auf diese Fur Blasen aus der Blogosphäre beispielsweise so reagieren, oder einfach auch nur still sein und warten bis zum nächsten Mal. Man kann natürlich auch öffentlich verkünden, dass die Kritiker eine Bande Neidhammel sind, weil sie wissen, dass sie weder eingeladen werden, noch dortselbst irgendwas anderes als eine drittklassige Powerpointpräsi ins Mikrophon stottern könnten.
Die Plätze auf den Blogpodien der Republik sind begrenzt, die Wünsche nach Auftritten einer gewissen Gruppe Berater, Unternehmer und sonstiger Personen, die etwas zu sagen haben meinen, sind dagegen grenzenlos. So ein Auftritt verspricht meistens die Spesen, manchmal auch Honorar, sog. Business-Kontakte mit Entscheidern, und natürlich Awareness, woran viele glauben, die noch nicht begriffen haben, wie belanglos in unseren Tagen Nachrichten und Berichte geworden sind. Ich persönlich, das gebe ich unumwunden zu, folge Einladungen gerne, weil ich eine Rampensau bin und als Radiomacher schlichtweg nicht an einem Mikrophon vorbeigehen kann, ohne was loszuwerden.
Aber das ist nur die eine Seite. Die andere ist, dass man erst mal eingeladen werden muss. Und statt jetzt mal wieder über Leute herzuziehen, die das Maul über Leistungen aufreissen, ohne sie erlebt zu haben, hier ein paar Ratschläge für Möchtegern-Rampenferkelnachwuchs: Wie geht das auf dem Podium?
Nach meiner Erfahrung war es enorm hilfreich, ein Buch zum Thema herausgegeben zu haben. Das allein reicht aber nicht; wenn man sich mit Veranstaltern unterhält, merkt man schnell, dass sie vor allem auf der Suche nach Leuten sind, die das Thema allgemeinverständlich rüberbringen. In den Vorgesprächen kommt sehr oft die Bitte, die Sache so zu erklären, dass sie jeder versteht, mit den Beispielen im deutschen Sprachraum zu bleiben, nicht mit Studien aus Kasachstan, Angola und den USA um sich zu werfen, und das Erfahrungsumfeld der Zuhörer zu berücksichtigen. Will sagen: Ich glaube, dass hochgradig spezielle Werke über Blogmarketing, PR und Business nicht der richtige Türöffner in einer Zeit sind, da das Phänomen an sich bei weitem noch nicht erschöpfend behandelt ist. Noch nicht mal die uralte Frage nach der Beziehung zum Journalismus ist für die meisten Zuhörer bei Medienveranstaltungen auch nur ansatzweise klar. Veranstalter fragen an, wenn sie denken, dass der Vortragende die Sache fundiert und verständlich rüberbringt.
Nun könnte man meinen, dass Veranstalter dann eben zwei oder drei Blogger einladen, einen für das Grobe der Gegenwart, die anderen für die feinen Zukunftserwartungen. Genau das aber passiert nicht. Weil die Veranstalter mehr oder weniger gezwungen sind, auch grosse Player an Bord zu holen. Ob nun der Medienmittwoch in Frankfurt Google, Yahoo und Burda holt, das ZKM in Karlsruhe den Prof. Leggewie oder die Böllstiftung in Berlin die ARD – der Posten derer, die aus den “mickrigen, schmutzigen, kleinen Amateur-Blogs” etwas in ihr bestehendes, berühmtes, grandioses, unsagbar wichtiges Business mit Geld und Einfluss übertragen, sind auf dem Podium von Anfang an vergeben. Das sind die Sachzwänge von Veranstaltern, für die Blogs im Jetztzustand völlig belanglos wären, würden die “Grossen” darin nicht etwas sehen, was sie zu integrieren oder vereinnahmen gedenken.
Es mag für Blogger erst mal hart sein, aber auch als erfahrene, bekannte Blogger sind nicht sie interessant, sondern die anderen und ihre Vorhaben.
In dieser Situation sind Blogger auf dem Podium erst mal nur die unvermeidliche Staffage, das Feigenblatt, der folkloristische Trubel für die Diven. Im Prinzip gibt in dieser Manege der Eitelkeiten vier Möglichkeiten, zu reagieren: Entweder man führt sich selbst als Business-Diva auf. Das allerdings ist nicht zu empfehlen; so ein piefiger Blogger kann in der Regel nicht mit Leuten mithalten, die aus gutem Grund an den Positionen sind, wo sich mancher Businessblogger an seinem Küchentisch vergeblich hinwünscht. Man kann über die Buzzwordleier aus den Firmen denken, was man will: So kommunizieren sie nun mal, sie sprechen die gleiche Sprache, und was wirklich zählt, ist die Grösse des Unternehmens. Die Grundidee eines user-controlled-Bloghostingbusiness mag im Kern immer gleich blöd sein, aber wenn ein Burda dafür 3 Millionen investiert, ist da etwas anderes als ein kleiner Freelancer, der solche Ideen vor sich hinfaselt.
Aber zum Glück gibt es ja noch andere Rollen, die das Publikum von hochfliegenden Businessartisten ablenken: Die des menschenfressenden Raubtieres, das sich unvermittelt losreisst und in Richtung Direktor stürmt – HUNGER! – und der Clown, der die gezwungene Eleganz erdet. Das sind die Rollen, in denen man sich in solchen Situationen zur Wehr setzen kann, wenn alle anderen nur das eigene Relevant Sets abspulen. Sprich, es zahlt sich auf so einem Bullshit Bingo Podium aus, gleich mit der ersten Bemerkung von den gängigen Linien abzuweichen. Man muss den anderen den Raum nehmen, sie dürfen erst gar nicht so weit kommen, in ihrem Geseiere zu baden, man muss ihre Argumente in Echtzeit auf Schwachstellen untersuchen und dann angreifen. Das wirkt nicht immer fein, und natürlich blickt man mitunter in das leidende Bambiauge eines Pressesprechers, das ersterbend sagt: “Das Thema hatten wir aber ausgeschlossen in der Vorbesprechung”. Auch ein zaudernder Moderator ist mitunter eine gute Gelegenheit, der Debatte die selbst gewünschte Richtung zu geben.
Danach brennt die Luft, das Publikum ist polarisiert, die einen finden es super, die anderen sind fassungslos, wie kann er es nur wagen, der wird sicher nie wieder eingeladen….
Bullshit. Am Ende zählt nur, wer die Stimmung gebracht hat. Das sind die Leute, die man gern wieder auf das nächste Podium holt. Leimsieder, Phrasendrescher und Auswendiglerner muss man weiter akzeptieren, wenn sie die grosse Firma hinter sich haben, aber unter den Bloggern gewinnt das aggresivste Raubtier, der Clown mit den Lachern, im Kern also der, der mit ganzer Kraft und Ãœberzeugung für sein Metier in die Manege geht. Nur dann ist das Publikum bei der Sache, es hat zu reden, und es wird das nächste Mal wieder kommen – wenn denn der Typ vom letzten Mal wieder gegen die Regeln spielt. Das ist das Spiel, das sind die wahren Regeln.
Um nochmal den Weg aufs und übers Podium mit ein paar Schlagworten zusammenzufassen:
1. Kenne Dich aus
2. Sei allgemein bekannt
3. Kenne die Underdog-Rolle, die sie Dir geben
4. Zeig dem Moderator, wer hier das sagen hat (man glaubt gar nicht, wie viele Moderatoren dann einknicken)
5. Nutze Dein Wissen aus den Kommentarschlachten
6. Das Publikum ist Dein Freund, wenn Du es nicht langweilst und überförderst
7. Sei authentisch und mit dem Herzen dabei
Und die Nichtartisten werden wieder in ihren Kämmerchen sitzen und meckern, dass sie es so viel besser gekonnt hätten, ganz zu schweigen von den tollen Kontakten, die ihnen entgangen sind.
Sorry, the comment form is closed at this time.
Das war ein astreines Brett, Don.
Die Naturgesetze der Mediengesellschaft. Aus dem gleichen Grund werden immer die selben Professoren in Interviews, in Talkshows oder in Kommissionen präsentiert. Nicht dass die den grössten Durchblick hätten, aber sie kommen gut rüber und man kann sich darauf verlassen, dass sie ihre Rolle spielen. Wo kämen wir denn hin, wenn die Darsteller die Inszenierung sprengen würden.
Das erschreckende ist, dass die Zuschauer das immer noch als zufällige Situation konsumieren.
Es ist halt die Ideologie des “Best Bang for the Buck”. Irgendwann hat man halt seinen Ruf, wurde zig-mal gesehen, die wissen, was sie bekommen, und dann läuft das.
Zu schade, dass du nicht auf den Digital Lifestyle Days von Burda nächste Woche auftrittst, da fehlen massenhaft Underdogs und Undercats. Hal.
Ich kann ja noch fragen, ob ich ein Ticket im Sumpf bei der Journaille bekomme. Dummerweise bin ich am ersten tag aber teilweise noch in Düsseldorf.
Hey, Sie sollen an Ihrem wwww schreiben. Sonst hab ich Nix zu lesen morgen.
In der Euphorie das Niveau zu halten, fällt mir schwer. Sorry!
Ich kann mich irren, aber möglicherweise bekommt die bisher ziemlich blutleere Diskussion der Medienästhetik durch Beißer und Narren eine handwerkliche Komponente und damit Blut. Vielleicht erreicht der Marketingsprech der virtuellen Nutznießer Investoren. Vielleicht sind aber gerade diese verständnislosen Versuche, per Powerpoint oder Podium eine marktgängige Morphologie des Bloggens zu erstellen, der beste Schutz für die Underdogs und -cats…
Vielleicht ist mit einigen Blogs der kritische Einsatz von Hypertext im 4-Blog-Prinzip als Marktmacht der Begriffe einfach immer einen Schritt schneller, direkter, initialer als das Vier-Augen-Prinzip in den Print und Onlineredaktionen. Wenn dann 4 profilierte Blogger 4 profilierten ßffentlichkeitsdesignern gegenübersitzen, dann gäbe es entweder Zündstoff oder Duldungsstarre.
4 profilierte Blogger? Die könnten genauso gut die Einladung auf das Podium als Ritterschlag empfinden und sich nicht weitere Einladungen verbauen wollen. Wenn ein Mikrophon oder eine Kamera ins Spiel kommen versuchen die meisten Leute staatstragend zu wirken, wie sie es aus dem Fernsehen kennen.
Nochmal zu dem “profiliert”. Wenn ich mich in Kleinbloggerdorf umschaue, Top-10-Listen lese oder Podien betrachte, sind die profilierten blogger selten wirtschaftlich so unabhängig, dass sie ein klares Wort äussern können. Netcitizens, die vom und mit dem Internet leben.
@Don ein Tipp, unter Underdogs bzw Journalisten: T-Online präsentiert auf den Lifestyle Days die Studie Deutschland Online 3 in einer PK am Montag von 12-13.30. Wer sich zur PK per Mail an mail@studie-deutschland-online.de anmeldet ist “eingeladen, auch das weiterführende Progranmm zu besuchen”. Ansonsten Anfragen an presse@burda.com
@logog: Mein 307. WWWW ist fast fertig, ich suche nur noch nach Musik und einen möglichst großen Bogen um Mozart.
guter post, wollte ich nur sagen. in letzter zeit habe ich nach deinen posts zu web20 oft in die tastatur gebissen…
Leuchtet sogar mir, der immer ein bisschen phlegmatisch ist, ein. Will man mit so einem Blog was erreichen, das zwar irgendwie in der Luft liegt, doch niemand es (noch) erkennt (ungefähr wie: es gibt das Papier, die Technik des Buchdrucks aber noch keine Zeitung -Notiz an mich: unbedingt in Wikipedia nachschauen, wann das erste periodische Nachrichtenpapier erschien!), muss man es als Blog an sich begreifen und nicht als einen billigen Werbeträger für anderweitige Aktivitäten (wie es z.B. die Businessblogger, Parteiblogger etc. gern zutun pflegen).
@maz Anfang August 1605 erschien in Straßburg die vermutlich erste gedruckte Zeitung der Welt, die “Relation aller fürnemmen und gedenckwürdigen Historien” des Strassburgers Johann Carolus. Dieser Blog der Denck- und Merkwürdigkeiten ist nicht erhalten geblieben, nur die Klage und der Gerichtsprozess, mit dem Carolus allen anderen Druckern verbieten wollte, etwas ßhnliches herzustellen.
non novem sub solem…
@Sven “nihil novi sub sole” zitiert den Prediger Salomo richtig.
Wenn wir uns mit lateinischen Zitaten schon schmücken wollen, dann sollte die Toga richtig sitzen …
der “Businessblogger an seinem Küchentisch”,
das Bild dieses traurigen Clowns wird mich wohl jetzt eine Weile begleiten, wenn ich mal wieder von den monetären Hoffnungen mancher Blogger lese
Das bestürzende an den Küchentisch-Business-Bloggern ist, dass sie andere mit in den Abgrund reissen. Gerade hat beispielsweise ein alleinstehende Frau selber einen nicht so schlechten festen Arbeitsplatz in der “OE” gekündigt, um künftig im blog- und podcast-business freiberuflich “nicht nur Mitläufer zu sein, sondern diese [digital lifestyle] Ideen und Umsetzungen mit gestalten und beeinflussen”.
OOoops – die hätte sich mal umtun sollen, jeder gescheiterte CEO, der es nicht in die Old Economy geschafft hat, bietet heutzutage Blogconsulting an. Von den grossen Agenturen ganz zu schweigen.
Ist putzig und erschreckend zugleich. Die blog-Einträge handeln dann von so wichtigen Dingen warum man in Hotelbooking-Systemen nicht die wirklich wichtigen Dinge als Suchkriterien angeben kann: kostenloses WLAN.
Immerhin hat die Dame 172 bestätigte openbc-Kontakte, da kann ja nicht viel schiefgehen.
Mei gugg. Der Don will wieder spielen.
Bist schon ein doller.
Zumindest besser als ein Stück anonymer Schleim aus dem Internet, oder ein feiges Schwein, oder sowas :-)
Geiler Text! Du bist – nicht immer, aber immer öfter – genial! Ein Könner Deines Fachs. Und Du warst in Frankfurt auf dem Podium wirklich und ehrlich der einzige Lichtblick.
[…] Blogs! Buch Blog » Clowns, Tiger und Nichtartisten im Podiumszirkus: Im Prinzip gibt in dieser Manege der Eitelkeiten vier Möglichkeiten, zu reagieren: Entweder man führt sich selbst als Business-Diva auf. Das allerdings ist nicht zu empfehlen; so ein piefiger Blogger kann in der Regel nicht mit Leuten mithalten, die aus gutem Grund an den Positionen sind, wo sich mancher Businessblogger an seinem Küchentisch vergeblich hinwünscht. Man kann über die Buzzwordleier aus den Firmen denken, was man will: So kommunizieren sie nun mal, sie sprechen die gleiche Sprache, und was wirklich zählt, ist die Grösse des Unternehmens. Die Grundidee eines user-controlled-Bloghostingbusiness mag im Kern immer gleich blöd sein, aber wenn ein Burda dafür 3 Millionen investiert, ist da etwas anderes als ein kleiner Freelancer, der solche Ideen vor sich hinfaselt. […]