Eine Frage der Etikette
Ich bin demnächst mal wieder auf einem Podium und diskutiere über einen Teilaspekt der Internetkultur, für den mich manche weniger qualifiziert halten werden: Etikette. Ich nehme an, man hat mich als das personifizierte Böse eingeladen, als jemand, der meint, was er sagt, und sich nicht wirklich um Konfliktvermeidung kümmert.
OK, spielen wir die Alternativen mal durch, anhand eines fiktiven Falles. So ein Fall, wie ich ihn hasse, weil er wie gerade letzte Woche in Jerusalem auf vielen Podiumsdiskussionen von Blogs kritisch betrachtenden Leuten, als Beispiel dafür gebracht wird, wie toll und sauber doch der Journalismus ist und wie unsauber Blogger agieren können, die keine Kontrollinstanz besitzen. Wir haben
a) eine Firma,
b) die durch nicht wirklich beliebte Investoren finanziert wird und
c) bei Marketingkooperationen auch mit der Mediengosse Geschäfte macht und
c) deren Gründer nicht wirklich immer die höflichsten Menschen von der Welt sind. Und die wiederum
d) versuchen erst mal vergeblich mit einer Blog-PR-Firma und
f) klar gekennzeichneten, gekauften Blogeinträgen Awareness zu bekommen.
g) Dann taucht ein mit uns nicht wirklich befreundeter Berater auf,
h) der ein virales Gewinnspiel für die Firma entwickelt, mit dem Ziel, viel Aufmerksamkeit von Bloggern zu bekommen
i) was aber nach einem kurzen Schub versandet.
j) An anderer Stelle jedoch tritt der Berater als bloggender Journalist auf,
k) und macht dort mit der Firma ein devotes Interview ohne Hinweis auf seine Beziehung
l) und andere Blogger nennen das dann noch “knallharte Fragen” und applaudieren.
m) Und ich weiss das alles. Es gibt an den obigen Punkten nichts zu rütteln.
Was wäre jetzt Etikette?
[ ] Ich sage nichts
[ ] Ich maile ihn an und weise auf das “Problem” hin, obwohl ich weiss, dass es kein Versehen ist
[ ] Ich gebe mir den Anschein des neutralen Beobachters und schreibe es pseudoobjektiv
[ ] Ich merke es mir und packe es beizeiten aus, wenn die Gelegenheit günstig ist
[ ] Ich erzähle hintenrum jedem, der es wissen sollte, dass der Typ nach journalistischen Massstäben ganz schön daneben liegt
[ ] Ich lasse es sofort raus und schreibe aus meiner persönlichen Warte, dass die Leute von Hitflip, die von den Samwers Geld bekommen und mit der BILD.t-online eine Kooperation gemacht haben, es zuerst erfolglos mit gekauften Blogeinträgen des Startups Trigami versucht haben, dass dann Oliver Gassner, den ich aus persönlichen Gründen nicht wirklich schätze und der sich für Blogeinträge bezahlen lässt, für die Firma als Berater das kurze Strohfeuer der “Blogitzeljagd” mitentwickelt hat, und er jetzt einen der Gründer beim Blog Netzstimmen gefälligkeitsinterviewed (http://netzstimmen.blogg.de/eintrag.php?id=39), ohne irgendwo auf seine Geschäftsbeziehung hinzuweisen, was der die Hitflip-Leute kennende Jochen Krisch dann auch noch als “Knallhart nachgefragt” bezeichnet. [Edit: Offensichtlich war beim Schreiben des letzten Halbsatzes mein Ironiedetektor ausgefallen] Und ich sage offen dazu, dass ich sowas für eine Schande halte, ganz gleich ob als Blogger oder Journalist, egal wie ich zu dieser Person stehe, sei es so wie bei Oliver Gassner oder so wie bei Jochen Krisch, von dem ich aus eigener Erfahrung weiss, dass er auch ganz anders kann.
Bei genauer Ãœberlegung ist keine Alternative in Bezug auf eine einzufordernde Etikette wirklich sauber, auch wenn ich mich auf das Zitat
“Entweder man hält die Klappe oder tut Butter bei die Fische”
rausreden könnte. Und darauf, dass meine Überlegungen zu meiner Diskussion gleichgültig sind, denn es
sind sich eh alle einig dass bei solchen Events das relevant ist, was außerhalb der Sessions stattfindet
.
Aber wer weiss, vielleicht liegt es ja weniger an mir, sondern vor allem daran, dass wir uns zuerst über moralische Mindeststandards in der Blogosphäre unterhalten sollten, bevor wir darüber reden, was nach deren Einhaltung eine angemessene Art der Auseinandersetzung ist. Dank Schlämmerblog und Blogpay wissen wir ja leider, dass sowas kein Einzelfall ist.
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diesen post über etikette könnte man ja, fast frei nach der alten natodoktrin, “flexible response” nennen. :)
Man kann sich nicht mit Leuten auf moralische Mindeststandards einigen, die keine Moral kennen. Selbst wenn sie sich “Journalisten” nennen. Und solche Events wie der DLD-light re:publica fördern unethisches Verhalten, da hier die Grenzen verschwimmen. Start-ups, Investoren, blogger, Berater, Werber, online-Journalisten … irgendwie eine grosse Gemengelage, die nicht so ohne weiteres aufzudröseln ist. Und am Ende stehen die persönlichen finanziellen Interessen und nicht Glaubwürdikeit, Transparenz oder gar wie es sich die re:publica auf die Fahnen geschrieben hat: “Kultur” und “Soziale (R)evolution im Netz”.
Da es unter Zeugen stattfindet, scheint es mir keine Sache der Etikette, sondern der rechtlichen Gegebenheiten zu sein. Anders verhielte es sich bei einem Treffen unter vier Augen, also zB am Ellbogen auf Sylt, wo um diese Jahreszeit sowieso keiner rumläuft und immer wieder Leute ertrinken, wegen der Strömung.
Sehr interessant. Wirklich sehr interessant …
Ich hatte wahrscheinlich eine Kombination aus mehreren Möglichkeiten gewählt -> “Ich maile ihn an und weise auf das Problem hin, obwohl ich weiss, dass es kein Versehen ist” + und würde es dann “Rauslassen”.
Ich halte in dem Fall re:publica für definitiv unschuldig. Es gibt noch einen zweiten Beitrag, der kritisch mit dem Eintrittsgeld umgeht, und wieder macht Oiver Gassner den Rammbock der Veranstalter, dass es einem wirklich peinlich ist, etwas für den Kongress zu sagen – besonders, weil er sich selbst in diese Rolle wirft, ohne dass ihn meines Wissens jemand gebeten hätte. Dadurch bekommt das Ganze einen sehr unschönen Drall. Besonders wenn dann irgendwann noch die Erklärung kommt, dass die eigentliche Arbeit der Organisation und Referenten eh wurscht ist und es nur ums “Networken” geht. Denn da sind sich meines Wissens überhaupt nicht alle einig, ganz imm Gegenteil.
Schade. “Knallhart nachgefragt” war nun doch eher ironisch gemeint. Zumal Hitflip nun gerade das Startup ist, das in Exciting Commerce Beiträgen immer wieder am Schlechtesten wegkommt. Andererseits sind von Hitflip soviele Promo-Interviews im Umlauf, dass das Netzstimmen-Interview mit seinen aktuellen Bezügen tatsächlich eines der Informativsten war. Deshalb der Verweis darauf, auf eine Aussage, die vorher so noch nicht dokumentiert war. Generell gebe ich dir in puncto Etikette allerdings recht.
Bezüglich re:publica glaube ich, dass einigen Leuten ehrenhaften Ziele haben. Netzkultur und so. Nur hat das auch eine Eigendynamik, die von den Teilnehmern bestimmt ist. Die Veranstaltung war ja schon vor langer Zeit geplant und wäre vor 1-2 Jahren anders abgelaufen. Nun brummt der web2.0-Hype und es werden sich die Leute einfinden, die sowieso auf jeder social media Veranstaltung zu finden sind. Der – zugegegen moderate – Eintrittspreis und der Termin mitten in der Woche tun ihr übriges dazu. Und die Veranstalter haben natürlich auch ein eigenes Interesse, die Tagung öffentlichkeitswirksam für sich zu nutzen. Was übrigens in der Diskussion vollkommen runterfällt – Spreeblick und politikdigital als Wohltäter der Netzwelt.
Die re:publica sollte aber nur als Beispiel dienen. In der NE gab es ja die FirstTuesdays. Da hatte jeder ein Schild am Reverts, auf dem ein bunter Punkt zeigte, ob er Gründer, Investor, Dienstleister oder Journalist ist. Alles sehr übesichtlich. Heute ist es eben vorbei mit der Ãœbersichtlichkeit. Persönliche, geschäftliche Beziehungen, finanzielle Interessen, berufliche Ziele – unüberschaubar. Manchmal habe ich den Eindruck für einige “business-blogger” ist das blog nur noch Instrument zur Desinformation. Mit der Frage nach Moral oder Etikette braucht man da nicht zu kommen.
Oooops, sorry Jochen, da hatte ich meinen Ironiedetektor nicht an.
Ich sprach vorhin in einer Mail von einer Inzestveranstaltung, als ich das Programm gesehen hatte. ;-) Da ist mir echt die Kinnlade runtergefallen.
Ansonsten ack zu strappato.
Das mit dem Trennen ist nie wirklich leicht. Gerade im Vergleich zur New Economy sieht man die Probleme: Der First Tuesday war in München von Seiten der Orga eine wirklich nette Sache, ganz anders als alle Konkurrenzveranstaltungen von anderen Institutionen. Sehr lässig, sehr unabhängig, sehr offen, immer ein Riesenspass. Rückblickend würde ich sagen, dass die sich am besten verkauft haben – und leider folgerichtig auch am wenigsten profitiert haben. Kann gut sein, dass re:publica in diese Spur gerät, aber es ist nicht das Schlechteste. Und ich meine Johnny so gut einschätzen zun können, dass er seine Grenzen kennt und weiss, wann es zuviel wird. Es ist auch gross genug, um diverse Dinge parallel existieren zu lassen, hoffe ich mal. Und Wohltäter – mei, es braucht einen, der sich hinstellt und sagt: Ich mach das jetzt. Ich bin froh, dass Johnny es ist und nicht (viele andere Namen einsetzen).
Disclosure: Ich komme da auch und sage was, aber ich habe nicht nach Honorar oder Spesen gefragt, und es interessiert mich auch nicht.
Hut ab!
“…als Beispiel dafür gebracht wird, wie toll und sauber doch der Journalismus ist und wie unsauber Blogger agieren können, die keine Kontrollinstanz besitzen.”
Kontrollinstanz wäre schlecht. Das klingt so nach Presserat und Bürokratie Aber Selbstverpflichtung auf ein paar Mindeststandards wäre eine Lösung. Und wer sich selbst verpflichtet hat, aber nicht an die Mindeststandards hält, kommt hier an den Pranger ;-)
Zu den Mindeststandards würde eine Trennung und Kennzeichnung gehören
– von journalistischen Einträgen (die 100% dem Pressekodex entsprechen müssten)
– Einträgen mit eigenen Geschäftsinteressen (A berichtet über Firma B, von der er zwei Aktien besitzt u.ä.; gegen sowas hat ja niemand etwas, die Interessenlagen sollten aber erkennbar sein)
und
– bezahlten Einträgen (unter Nennung des Auftraggebers).
Du wärest der Richtige, um ein solches Selbstverpflichtungslabel auf den Weg zu bringen. Es könnte “Transparentes Bloggen” oder so heißen.
Grüße,
Heinz
Ne, das bringt meines Erachtens nichts. Auch nicht beim Journalismus. Das wäre wie die Reformbestrebungen in mittelalterlichen Klöstern, das zieht eine Weile, dann reisst alles doch wieder ein. Früher fand ich Zisterzienser und Franziskaner in ihrem Bemühen ja eher als lächerliche Erscheinungen, aber inzwischen verstehe ich, was sie umtrieb – und nachdem ich den Ausgang kenne, denke ich, es ist immer noch besser, ab und an einen Fall herauszugreifen und auszuwalzen.
Kontrollinstanzen brauch ich nicht. Wenn ich was bei einem Blogger lese, das nach drei Tagen noch genauso dasteht und nicht per Abmahnung gelöscht worden ist glaub’ ichs. Denn wär’s falsch wär’s abgemahnt und weg. Die heutige Abmahnpraxis sieht nicht vor, dass irgendwas, was nicht 100% wasserdicht ist, länger als ein paar Tage im Netz rumschwirrt.
(Obacht, auch hier den Ironiedetektor nicht vergessen ;-))
Die Blogosphäre ist grundsätzlich ein offener Raum. Der aber – das ist erstmalig eine große kommunikative Chance – so groß ist, dass der dickste Marketingprotz in ihr gar nicht weiter auffällt – und wenn er mit noch so viel Milliönchen winkt. Er kann sich prinzipiell hier keinen Space erkaufen, keinen privilegierten Platz, der ihn unübersehbar macht: das komische Web 2.0 hat keinen Mittelpunkt, keinen Anfang und kein Ende, keine Hauptstraßen, keine Gatekeeper. Wer nervt, wird nicht besucht. So einfach ist das. Daran werden sie alle scheitern. Kein Grund also, nach einer allgemeinen Moral zu rufen. Moralisch setzt sich das durch, was sich durchsetzt: So ist Evolution …
Trotzdem kann ich mir durchaus regeln überlegen, an die ich mich dann halte. Und es spräche nicht viel dagegen, das auch mal zu kodifizieren – soll halt jeder machen, was er meint, aber so ein paar Eckpunkte sind nicht zwingend schädlich. Einfach nur zuschauen, wie solche Typen danebenlangen und den Ruf des Ganzen kaputt machen für 19,99 Euro Handgeld, ist mir aber auch zu doof.
Natürlich habe «ich mir» auch Regeln gegeben. Der Streit entsteht immer erst dann, wenn diese individuelle Moral allgemein werden soll. Ein gegelter Kokskopp, der denkt, der Lebenssinn ließe sich am Kontostand ablesen, der wird sich an meine Regeln nie halten wollen – ja, er wird das noch nicht einmal können. Also muss ich ihn entweder zwangsbeglücken (das ist das Prinzip aller Religionskriege) – oder ich muss ihn links liegen lassen und ausspucken, wenn er mir zufällig mal über den Weg läuft.
Letzteres klappt ja ganz gut, das Problem ist nur, dass es in gewissen Regionen der Blogosphäre halt ganz anders zugeht. Um den Berliner Blogfilz zu verstehen, kann es hilfreich sein, sich mit dem CSU-Verband München auseinanderzusetzen.
??? – – – «Ägypten?»
Magisterarbeiten…
…seh ich ja immer so als Initiationsritus. Anderswo wurden die angehenden Krieger tÃtowiert, un AmeisenhÃgeln gewÃlzt und vierzig Tage in den Dschungel geschickt, um Entbehrungen und Qual ertragen zu lernen. Heute lÃÃt man sie wissenschaftli…
Hitflip bashen lohnt nicht, die sind eh am Arsch.
Aber danke für die Erinnerung, ich hatte glatt vergessen zu kündigen so uninteressant ist diese Plattform.
Ich denke die haben mit einem riesigen Werbeetat eine Menge Kohle in den Sand gesetzt. Diese fixe Idee war eine grosse Blase, die bald platzen wird.
[…] Warum? Weil es eigentlich kein Wettbewerb ist. Der Veranstalter Hitflip (www.hitflip.de), der in der Vergangenheit bereits durch aggressive, nervige und zum Teil höchst dubiose Marketingkampagnen aufgefallen ist, will damit nur ein paar Bauern fangen, um seinen Tauschdienst bekannter zu machen. Und Wettbewerbe sind ein beliebtes Mittel der Bauernfängerei. Übrigens auch im Literaturbereich, wo sie häufig den schwarzen Schafen der Zuschussverlage helfen, neue Opfer zu finden. […]
Gelangweilt?
Nicht mit Web 2.0 Social Networking:
http://web-twozero.blogspot.com/