Eine kleine Geschichte von der Haptik des Papiers
In den letzten Wochen und Monaten kam in einigen Debatten und Essays von Printjournalisten sehr oft das Argument, dass das Internet die Haptik, das Gefühl des Anfassens von Papier, nie wird ersetzen können; der Leser wollte etwas in der Hand haben. Das wird trotz Zeitungskrise stur weiterbehauptet, dazu kommt die Meinung, Papier sei das bleibende Medium, hier würde ein Text länger als 24 Stunden Bestand haben. Mal abgesehen davon, dass Zeitungspapier seltenst aufbewahrt wird: Wer sich mal seine Referrer im Blog ansieht weiss, dass dank Suchmaschinen auch jahrealte Texte immer noch gefunden und gelesen werden.
Was mich bei der ganzen Debatte aber wirklich ärgert, ist die Arroganz, mit der sich die Printpinscher hinstellen und sich als Sachwalter des Papiers aufführen. Zeitungspapier ist kulturgeschichtlich gesehen der letzte Dreck, eine Beleidigung des grandiosen Werk- und Wertstoffes Papier, dem wir neben dem JoHurnalismusekzem, dem Gossending von Aretino bis Prawda und Bild glücklicherweise auch die Überlieferung unserer Geistesgeschichte der letzten 600 bis 800 Jahre verdanken. Und warum? Weil Papier etwas anderes ist als das so hichgejubelte Zeitungspapier. Das hier ist Papier:
Feinstes Hadernbüttenpapier um 1785/6, auf dem absoluten Höhepunkt der Buchdruckerkunst in London und Perugia, in feinsten Einbänden und so wertig gestaltet, dass es problemlos die nächsten 1000, 2000 Jahre überdauern kann. Das merkt man auch beim Anfassen. Der Inhalt wird auch dann noch seine Gültigkeit bewahrt haben, denn es ist nicht anzunehmen, dass man Torquato Tasso oder Rousseau je auf den Müllhaufen der historischen Publizistik kippen wird, auf dem die meisten Journalisten dem Vegessen anheimfallen. Wenn man einmal in so einem Buch geblättert hat, wird man verstehen, wieso es geradezu vermessen ist, bei Zeitungspapier mit einer “angenehmen” Haptik zu argumentieren. Internet kann allenfalls so schäbig-grau wie Zeitung aussehen, aber um eine derartige Haptik zu erzeugen, muss man schon mal auf Keyboard kotzen.
Bleiben noch Hochglanzmagazine, richtig. Die versuchen, mit besserem Papier eine bessere Wertigkeit zu simulieren. Aber auch die sollten sich nicht sicher fühlen. Denn auch eine überlegene Haptilk schützt nicht vor dem Aussterben, wie obige Bücher jedem zeigen, der mal einen Blick auf seinen Bücherschrank und die aktuelle Buchproduktion wirft. Der Mensch geht in erster Linie nach dem Inhalt und ist dafür bereit, auch auf hochwertigste Verpackung und Gestaltung zu verzichten. Ich weiss nicht genau, wie hoch die in die zigtausende gehende Auflage der heutigen Nachdrucke von Tasso ist, aber in Perugia wurden damals nur 2000 Exemplare gedruckt, und davon haben vermutlich weniger als 100 überlebt. Schön finde ich das auch nicht, ich bin kein Freund vom industriell-kulturellen Niedergang, den die vergangenen zwei Jahrhunderte bei allen Verbesserungen in anderen Bereichen nach sich gezogen haben, aber so sind die Leute eben. Sie nehmen für geringere Kosten schlechtere Produkte in Kauf, und wenn sie etwas kostenlos bekommen, werden sie es nicht woanders in besserer Qualität nochmal kaufen. Eine kleine Minderheit tickt anders, aber die reichen für die aktuelle Produktion von klassischen Medien hinten und vorne nicht aus.
Mir ist durchaus bewusst, dass Medien das Internet mit seinen freien Informationsflüssen als Treibsand erscheint, in den sie keinesfalls gestossen werden wollen, aber noch tückischer ist der Aberglaube an die besondere Haptik, an die man sich klammert. Ich kenne jedenfalls keinen Journalisten, der eine grössere Sammlung haptisch wirklich guter Bücher besitzt, und wenn schon die so sind, die mit Papier arbeiten, wie ist das dann erst da draussen, wo man die Fische darin einwickelt.
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Ob toter Fisch sich besser fühlt, wenn er in das Feuilleton (übersetzt bedeutet es wohl Blättchen) der FAZ eingewickelt wird?
Kürzlich war ich sehr erstaunt, wie wenig alte Bücher in den Antiquariaten teilweise kosten. Ich war durch ein Blog auf das Werk eines Denkers aufmerksam geworden, der nicht mehr verlegt wird. Die vier über 100 Jahre alten Bände gab es in ordentlichem Zustand für einen sehr überschaubaren zweistelligen Eurobetrag.
Als Bibliotheksmensch kann ich mir die Anmerkung nicht verkneifen, dass wir ab ca. 1843 das Problem mit dem Holzschliff haben – was zwar gegenüber Zeitungspapier sicherlich noch einen Ticken besser ist, aber leider nicht so zeitresistenz ist wie Papyrus oder das obige erwähnte Hadernpapier. Da sitzen wir auf einem ganz großen Problem in der Bibliothekswelt, denn die meisten Bücher werden über kurz oder lang sich einfach auflösen…
Ad Astra
Eine Tageszeitung ist nun mal ein Wegwerfprodukt – da wäre es doch Verschwendung, dafür hochwertiges Papier zu verwenden.
Trotzdem habe ich (leider) noch keinen gleichwertigen Ersatz für bedrucktes Papier gefunden – “epaper” 6 Co stecken ja noch ziemlich in den Kinderschuhen …
Das schlagendste Argument für Zeitungen ist doch, dass man sie auf dem Klo lesen kann. Vielleicht ist es das, was die Vertreter mit “Haptik” meinen…
Ich lese Zeitungen unterwegs gerne online auf einem kleinen Mobilgerät (kein Blackberry, aber ähnlich). Der Bildschirmausschnitt ist winzig, weshalb man häufig scrollen muss, aber der Lesekomfort ist trotzdem erstaunlich hoch (vielleicht, weil man sich durch den kleinen Ausschnitt besser konzentriert).
Ladezeiten und Ablenkung halten sich in Grenzen, weil das Gerät Flash-Banner und sonstiges Ungeziefer nicht verwerten kann und deswegen erfreulicherweise gar nicht erst lädt. Deswegen gibt es auch kein unruhiges Geblinke auf dem Bildschirm.
Viele Medien verleiden mir dieses Vergnügen lediglich dadurch, dass sie die Mobilversionen ihrer Internetauftritte mit immer mehr Flash-Games, Bildergalerien und Meldungshäppchen vollklatschen und die wirklich schönen langen Texte irgendwo in der Versenkung verschwinden lassen. Schade!
Die Moral von der Geschicht: Gute Texte kann man durchaus ohne Papier genießen. Auch ohne E-Paper. Aber irgend jemand muss solche Texte noch liefern!
@ Rainersacht
Bedeutet da, eine gut Haptik ist für den Allerwertesten? ;-)
Papier ist sicher einer der schönsten Werkstoffe von Menschenhand, den ich kenne. Mein Vater hatte als Exportkaufmann in den 60er Jahren eine grosse Sammlung an Musterpapieren für Drucker. Vom Geschäftspapierdruck bis zu speziellen Baumwollpapieren für den Banknotendruck. Seit dieser Zeit als Kind habe ich eine grosse Liebe zu Papier. Heute sind die Papiere ganz anders in der Zusammensetzung. Ein hoher Chemieanteil vorallem um die Papiere blütenweiss zu bleichen, veränderte die Zusammensetzung und insbesondere die Haltbarkeit von Papier. Eine mittlere Katastrophe für Bibliotheken mit moderner Literatur.
Ja, es ist eine Freude schönes Papier anzufassen. Oder einen guten Karton. Unbezahlbar heute.
Dass Papier heutzutage nicht mehr hält, Zeitungspapier vergilbender Müll ist, stattgegeben, stimmt alles. Dass gutem Inhalt wurscht ist, ob er pixelt oder schwärzt, stimmt auch.
Gutes Papier, das sich angenehm statt eklig glatt anfasst, nicht künstlich satiniert ist und im Sonnenlicht oder im Lichtschein der Lampe nicht unangenehm hochweiß und unangenehm hochglänzend aufgleißt, dass man gar nix mehr sieht, ist jedoch eine Freude. Gerade Designer sind Papierfans, die wissen, was die Lesbarkeit fördert und was Müll ist (auch von der Chemie her). Nur der auftraggebende Kunde will wieder mal den ollen, aber im Broschürenbereich am häufigsten verwendeten Bilderdruck, der nach kurzer Zeit schon gilbt, wenn er keinen UV-Lack kriegt (Wählen Sie: Chemie oder Geiz)
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Das eine Argument, das mich heute noch ab und an zu Papier zieht, ist aber noch nicht gefallen: Vielen Menschen tun nach einiger Zeit des Onlinelesens schlicht und einfach trotz guter LED- oder TFT-Displays die Augen weh und sie können die Texte nicht mehr gut erfassen. Und was machen sie? Sie drucken sie sich aus.
Zeitunglesen ist fuer mich ein Paradebeispiel schlechter Haptik!
Wenn man keinen Tisch hat, muss man die Arme hochhalten, was schnell sehr anstrengend wird.
Beim Umblaettern knickt sie garantiert irgendwo in der Mitte der Seite ein.
Lustigerweise war die schlechte Haptik der Zeitungen fuer mich immer einer der Gruende, sie gerade nicht zu lesen.
Deswegen ist das Haptikargument der Zeitungsleute doppelt laecherlich.
Nicht zu vergessen die durch Druckerschwaerze verfaerbten Haende und der unangenehme Geruch.
@ Hermann Geissle
Auch richtig.
Am SA in der Bahn zurück aus Krankfurt nach Minga mit der Donnerstagsausgabe der ZEIT herumgefuchtelt, nach Ermüdung der Arme aufgegeben und das sich edel wähnende Hamburger (?)Druckerzeugnis als Unterlage für die ebenfalls müden Füße genommen…
“Der Mensch geht in erster Linie nach dem Inhalt […]”
und
“Sie nehmen für geringere Kosten schlechtere Produkte in Kauf, und wenn sie etwas kostenlos bekommen, werden sie es nicht woanders in besserer Qualität nochmal kaufen”
Das sind, gelinde gesagt, blödsinnige Aussagen.
Der mensch geht nach dem was andere ihm empfehlen. Man kann es mit dem Begriff “Mode” zusammenfassen. Wenn es morgen In ist eine Hose zu tragen die ein langes und ein kurzes Hosenbein hat, dann werden auch ausreichend Menschen mit solchen Hosen rumlaufen. Egal wie bescheuert es aussieht, egal wie unpraktisch es ist. Lediglich eine Minderheit würde auf die Mode verzichten weil sie ansonsten ein kaltes und ein warmes Bein hätten.
Nicht umsonst passt der Begriff Alpha-Blogger (Leit-Blogger) so gut und hält sich auch hartnäckig. Es gibt ein paar Blogger die den größten Blödsinn schreiben können und trotzdem auf Besuchermassen nicht verzichten müssen. Sie werden gelesen weil andere sie lesen. Und niemand will sagen müssen “Nö, kenn ich nicht”. Denn dadurch grenzt man sich aus einer Gruppe (von Lesern) aus.
Das gleiche gilt für Preis und Leistung. Linux gibt es in vielen Varianten kostenlos. Trotzdem wird es nur äußerst selten benutzt. Wer will sich auch schon aus den großen Gruppe der Windows- und Mac-User ausgrenzen? Das sind ein paar Idealisten und diejenigen die auf die Konnektivität mit Windows und Mac verzichten können.
Die anderen kaufen überteuerte Betriebssysteme weil sie durch den Gruppenzwang dazu genötigt werden.
Demnach werden Zeitungen, egal wie schlecht sie sind, auch nicht aussterben. Denn es wird immer eine dominierende Gruppe geben die den kauf und das Lesen von Zeitungen (auf Papier) voraussetzen. Und so lange die Zeitungsverleger selber entscheiden können was im Print uind was im Internet erscheint, so lange haben sie auch die macht darüber ob ihre Zeitungen noch gekauft werden. Inhalt, form und Farbe sind absolute Nebensächlichkeiten für die Masse. Damit muss man nur ein paar wenige Alpha-Leser begeistern, damit diese die Richtung vorgeben.
Das jemand aus dem Journalismus auf der Haptik des Papiers rumreitet, zeigt nur wie wenig er von seinem Medium versteht. Oder aber er weiß ganz genau das er nur die richtigen Leute mit der Haptik ansprechen muss um über all die Internetschreiber lachen zu können.
@Herman Geissle: Haptik ist das Gefühl wie sich eine Oberfläche anfühlt. Wenn die Arme vom Zeitung lesen schmerzen, liegt das an mangelnder Ergonomie.
Ich befürchte, Ralf hat recht.
Die Masse war immer dumm und wird es immer bleiben, leider.
Wie sonst ist denn erklärbar, daß es Tageszeitungen überhaupt noch gibt? Daß unsere Regierung nicht längst in die Wüste gejagt wurde? Daß die übelsten und inhaltslosesten Blogger gemeinhin das Rennen machen quantitativ?
Zum Thema Haptik fällt mir nur ein: ich kann nicht verstehen, wie ein Mensch eine Tageszeitung anfassen kann, ohne die Krätze zu kriegen…
@Frank(13): Die Masse ist dumm, weil sie nicht das macht, was du für richtig hältst? Das ist aber eine ziemlich überhebliche und vermutlich sogar dumme Sichtweise.
Lieber Don Alphonso,
zum Thema Papier habe ich kürzlich ein nettes Blog eines echten verbliebenen Bleisatzdruckers gefunden. Wenn man die Passagen liest fängt es an nach Papier und Druckerschwärtze zu riechen. Sehr lesenwert – wie ich finde – für jemanden der noch gerne mit der Hand über Einband und Seiten streicht und mit der Finderkuppe über die einzelnen Bleisatzgeprägten Dünndruckseiten.
http://druckerey.blogspot.com
@austerlitsch: Das Blog gefällt mir wirklich gut – selbst für Nicht-Papier-Fetischisten. Vielen Dank für den Tipp!
“Der Mensch geht in erster Linie nach dem Inhalt […]”
und
“Sie nehmen für geringere Kosten schlechtere Produkte in Kauf, und wenn sie etwas kostenlos bekommen, werden sie es nicht woanders in besserer Qualität nochmal kaufen”
Das sind, gelinde gesagt, blödsinnige Aussagen.
Nö. Sonst hätten ja Aldi, IKEA, H&M und Konsorten keinen Erfolg. Die meisten wollen einen schicken Schrank möglichst günstig kaufen, selbst wenn er dann nicht ewig hält. Dann will man auch eh schon nen neuen… Seit Bio-Produkte richtig günstig sind, kauft die ja auch jeder, obwohl die dann nur noch selten “richtig bio” sind.
Und seit wann kaufen massenhaft Leute überteuerte Betriebssysteme? Keiner kauft Windows, wenn es nicht schon direkt mit dem Kauf eines neuen PC’s einem hinterhergeworfen wird. Mac OS X mit 130 Euro als überteuert zu verschreien, naja.
@Ralf
Vielen Dank fuer die haarspalterische Zurechtweisung.
Neulich gab es auf einem anderen Blog eine ähnliche Diskussion in Sachen, kann das Internet das Papier ersetzen und was kann es dabei noch anders machen, verbessern. Das mit der Haptik wird sicher noch solange Thema bleiben, wie portable Medienträger, die sich auch unterwegs mit dem Netz verbinden können, teure Mangelware sind. Was den Inhalt anbetrifft, so brauchen sich da wohl allen Medien nichts über Qualität vormachen, denn fast alle werden (im besten Falle) von mitteilungsbedürfigen Ausdrucksporfis dominiert, denen die Technik des Vermittelns immer über den Inhalt und die Aussage geht.
Und da sind wir beim Problem, warum melden sich in den meisten Fällen im Netz so wenige Spezialisten zu Wort, wo doch auch sie fast ausnahmslos -zig Seiten Papier täglich bedrucken? Doch dieses Spezialistentum lebt in anderen Medien in Fachzeitschriften, auf Kongressen oder im Hörsaal. Es gibt zwar immer wieder Blogs, die da einen Brückenschlag versuchen, aber sie sind rar. Ich denke immer, das alles hat etwas mit kritischer Masse zu tun. Sobald die kritische Masse derer, die sich heute noch in Zeitungen, auf Kongressen und in teuren Fachzeitschriften zu Wort melden, dem Netz zuwendet, wird es facettenreicher und fundierter. Aber Diskussionen mit Fachkollegen lassen mich immer wieder zweifeln an diesem Umstand. Es ist schon erschreckend, wie proprietär die Menschen mit ihrem Wissen noch umgehen…..
But time will come!
interessant. gleich mal ausdrucken ;)
[…] Eine kleine Geschichte von der Haptik des Papiers (blogbar.de)“In den letzten Wochen und Monaten kam in einigen Debatten und Essays von Printjournalisten sehr oft das Argument, dass das Internet die Haptik, das Gefühl des Anfassens von Papier, nie wird ersetzen können; der Leser wollte etwas in der Hand haben. Das wird trotz Zeitungskrise stur weiterbehauptet, dazu kommt die Meinung, Papier sei das bleibende Medium, hier würde ein Text länger als 24 Stunden Bestand haben.” […]
Ich weiss nicht mehr genau, aber ich habe vor längere Zeit mal den Kommentar gelesen, dass sich neue Techniken darin “hervortun”, in vielen Bereichen schlechter zu sein, als deren “Vorgänger” (z.B. Mp3), jedoch neue Möglichkeiten eröffnen und dafür in anderen Feldern besser sind.
In Bezug auf Zeitungen würde ich sagen, dass das Internet vor allem dem Leser mehr Möglichkeiten gibt und alles schneller macht. Ich kann Texte schnell (privat) kopieren und zitieren, ich kann sie empfehlen, weiterschicken, verändern und so weiter.
Natürlich fehlt dem Internet die Haptik, das ist ganz klar (es sei denn man nimmt das Keyboard als haptischen Reiz) doch auch ich würde sagen, dass vor allem die Qualität des Gedrucktem zählt. Ein Papier kann noch so gut sein, wenn der Text mich nicht interessiert, oder sogar wegen schlechter Recherche abstösst, dann bringt alle Haptik oder Druckqualität der Welt nichts.
Und nicht zuletzt finde ich es höchst bedenklich, wenn Print-Vertreter das MEDIUM bzw. den einfachen Träger der Inhalte als Argument vorbringen. Das ist nie ein gutes Zeichen für mich.
Ach, die Haptik!
Der gedruckte Journalismus wird eine ähnliche Entwicklung nehmen wie das Theater: Er wird weiter tolle Aufführungen zeigen, aber hohe Eintrittspreise verlangen, er wird öffentlich-rechtlich finanziert und gesellschaftlich irrelevant sein. Da die Werbung ins Netz abwandert (weil die Kunden im Netz besser erreichbar sind), bleibt dem Printjournalismus die Rolle des subventionierten „Sahnehäubchens“. Gut möglich, dass sich Bild-online aus Jux und Dollerei ein Transatlantik-Blättchen hält oder der WDR ein Magazin für Edelfedern sponsert. Das wird echte Kunst und wunderbares Entertainment sein, aber solche Blätter werden nur eine kleine Gruppe von Nostalgikern, Digitalverweigerern und Sammlern erreichen.
Die Haptik wird trotzdem 1a sein.
…der Leser wollte etwas in der Hand haben. Das wird trotz Zeitungskrise stur weiterbehauptet…
Ich muss hier doch leider widersprechen, dass es sich bei “Menschen wollen lieber etwas in der Hand haben” nur um einen veralteten Irrglauben handelt. Kann kein Beispiel aus dem Tourismus geben, aber es gibt ja auch noch Printmedien ausserhalb von Tageszeitungen und Magazinen.
Und zwar bin ich jetzt seit einiger Zeit in der Tourismuswerbung tätig bei einem Fremdenverkehrsbüro. Und obwohl es mittlerweile fast alles an notwendigen Informationen über unsere Destinationen im Internet verfügbar ist (und das ausführlicher und aktueller als in jeder Broschüre) möchten die Leute, obwohl wir sie immer wieder darauf hinweisen, doch immer lieber etwas “zum Blättern” in der Hand halten. Dabei spielt die Papierqualität (ausser bei Straßenkarten) eine höchst untergeordnete Rolle, sondern es geht eben vor allem darum blättern zu können und die Bilder des angestrebten Urlaubsziels in der Hand zu halten.
Ich vermute daher, dass es bestimmt noch mindestens eine Generation dauern wird, bis Printmedien wirklich in ein Nischendasein abdriften – wenn überhaupt.
[…] Nach einer etwas heftigen Arbeitsphase, die mich weltblind gemacht hat, genieße ich jetzt Lesen im NetNewsWire; sehr gut gefiel mir Don Alphonsos Beitrag Blogs! Buch Blog » Eine kleine Geschichte von der Haptik des Papiers: […]
Von “Austerlitsch” wurde hier am 5. November meine bescheidene Berichterstattung aus meiner kleinen Druckerey so liebenswürdig empfohlen. Ich darf mit freundlicher Erlaubnis des Blog-Eigners darauf hinweisen, daß Interessenten auf die mittlerweile umgezogene Seite direkt zugreifen können. Die neue Adresse lautet http://www.blog.druckerey.de.
Weil es hier um Papiergeschichte geht, noch eine Anmerkung aus der Druckerey: Das Angebot von Naturfeinpapier ist in den letzten Jahren einerseits gewachsen, andererseits werden sich die Papiere verschiedener Hersteller immer ähnlicher und verkaufen mehrere Großhändler fast identische Sortimente.
Es gab noch vor zehn Jahren (geschweige noch längerer Zeit) ein ungleich größeres Angebot an Feinpapieren in ausgewählten Formaten und Konfektionen. Beispielsweise nicht nur drei Sorten eines Herstellers von einem Briefkuvert mit Seidenfutter im Damenformat sondern je drei von drei Herstellern. Mindestens! Wenn man die Musterordner guter alter Druckereien in die Hände bekommt, wird man sentimental, die ausgestellte Vielfalt ist kaum noch zu bekommen.
Der Preisdruck durch die Copy-Shops Anfang der 1990er Jahre, dem zu viele Druckereien auch qualitativ nachgegeben haben, hat die Qualitäten enorm reduziert. Bestes Papier ist auch teuerstes Papier. Bestes papier setzt aber auch den Maßstab.
Vor zehn Jahren druckten die Kollegen zumeist auf deutsches Feinpapier, heute kaufe ich den größten Teil aus Schottland und verwende selbst als Hausmarke ein amerikanisches und ein italienisches, weil es eine entsprechende Qualität in Deutschland nicht mehr gibt: Reines Hadernpapier (100% Baumwolle) für den Akzidenzdruck, also die feine Korrespondenz, ist von einem deutschen Hersteller nicht mehr zu bekommen, abgesehen vom Echt Bütten. Aber selbst da gab es vor einiger Zeit mehr und besseres auf dem Markt als heute. Das hat etwas mit der Konsum-Kultur zu tun.
So findet sich heute (anders als vor hundert Jahren, als die ersten Buchkunstschulen entstanden) in deutschen Feuilletons so gut wie keine typografische Kritik, geschweige Debatte. “Die andere Bibliothek” beispielsweise wird als Maßstab für gute Buch-Ausstattung genommen, was einen Kenner und Bibliophilen immer wieder nur verblüffen kann. Sobald ein Buch auf harngelbem Fusselpapier gedruckt wird, fällt der Absolvent der Augstein-Schule in Ohnmacht vor Kulturbeisterung und schreit (wieder aufgewacht): “Kunst!”
Entsprechend wird über Design auch von Gebrauchsgegenständen höchstens vom Standpunkt der persönlichen Vorliebe, aber ohne gebildeten Geschmack geschrieben und gesprochen.
Aber die Laune wird mir das alles nicht verderben; jeder kann ja selber entscheiden, was ihm zwischen seine vier Wände kommen darf.
Schon mal aufgefallen, dass auch diese Blogseite hier einen schönen – schön lesbaren – Hintergrund hat?
Und zum “unangenehmen Geruch” der Zeitung, jedenfalls mancher Zeitung: Ich las jahrelang den (Berliner) “Tagesspiegel”. Irgendwann kurz nach der Wende stank der plötzlich unangenehm. Offensichtlich hatten die den Drucker gewechselt, oder die Farbe. Vermutung: Die Druckerei wurde verlegt in “den Osten”, weil: billiger. Jedenfalls war der plötzliche Gestank morgens so schlimm, dass ich das Abo kündigte und seitdem keinen “Tagespiegel” mehr anfasse.
Soviel zur Haptik von einem Laien.
Achja: Ich bin mit dem Lesen von Online-“Zeitungen” und dazu einigen Blogs recht glücklich.
Kleiner Hinweis vom Drucker: Die Ost-Druckfarben stanken viel weniger als die Farben heute. Die Ostfarben waren nämlich nicht so chemisch aufgedonnert für kurze Trockenzeiten und Superfarbdruck. Ich bin heilfroh, daß ich noch Ostfarben verdrucken kann. Immer wenn ich eine West-Dose aufmache, kommt mir die Keule entgegen. Die Farben West drucken viel besser, dafür stinken sie gewaltig.
Sorry für den “Ost”-Verdacht.
Die zeitliche Übereinstimmung war nur so schön naheliegend. Aber wohl falsch.
Obwohl: ich hab mal ein halbes Jahr in einer West-Berliner Druckerei gearbeitet: die Druckwalzen von der Farbe säubern. Ich mochte den Geruch :-) Das war allerdings 1970.