Auf der Lesung habe ich, nur aus Jux eigentlich, an Herrn Shhhh die Frage nach der Popliteratur gestellt – wir hatten zu Beginn des Projekts mal in die Richtung gespochen, und ich fand seine Vorstellungen recht interessant. Die Antwort war schnell, ein “Ja schon aber auch nicht”, und weiter gingŽs – währenddessen hatte ich wohl unbemerkt den Zündmechanismus in Gang gesetzt, der sich hier, hier, hier, hier und hier (warum eigentlich noch nicht hier, er war doch im Kern dabei?) entlädt.

Wie kommt man als Autor auf Popliteratur? Man ist weniger, man wird dazu gemacht. Einige Rezensenten waren der Ansicht, dass die kaputte, von Autoren wie Bessing, Naters, Casati und Consorten zu Schanden gerittene Popliteratur durch mein Buch “Liquide” noch mal einen späten “Höhepunkt” erlebte – eine Rezensentin einer Musikzeitschrift brachte das auf, ein halbes Dutzend Journalisten kopierte es oder sah es genauso. Und das, obwohl ich mich immer gegen diesen Begriff gewehrt hatte – wenn, dann ist es ein Remake eines Schelmenromans, aber KEINE Popliteratur. Nur, welcher Rezensent hört schon auf einen Autor?

Keiner. Auch das Feuilleton denkt in Schubladen, vergleicht und kategorisiert. Popliteratur ist als Begriff, als Schlagwort, als Wortkeule bestens eingeführt. Und was das Bloggen angeht – da gibt es ein Zusammentreffen, das jede Debatte über Bloggen und Literatur beeinflussen wird: Denn der Untergang der Popliteratur fand aus Sicht des Feuilletons im Internet, genauer auf zwei Blogs statt.

Zwei gigantische Flops markieren den Zeitpunkt, ab dem die deutsche Popliteratur nicht mehr funktionierte. Christian Kracht hatte 1994 mit “Faserland” eine Richtung vorgegeben, in die eine ganze Generation von Lifestyle-Journalisten mit Büchern hechelte: Alexa Hennig von Lange, Benjamin Lebert, Katja Kuhlmann, Florian Illies, Stuckrad-Barre, sie alle verkauften sich gut, wurden Bestseller, die Preise für Jungautoren stiegen in astronomische Höhen, bis zu

Rebecca Casati.

Die Journalistin der Süddeutschen Zeitung hatte 2000/01 ein Buch mit dem Titel Hey Hey Hey untergebracht, und einen bis dahin nie gekannten Vorschuss erhalten. In gewisser Weise war Casati idealtypisch: Jung, gutaussehend, grosse Leserschaft in Printmedien, im Buch geht es um Sex, ja, auch das von Don Dahlmann kommerzialisierte Wort “Ficken” kam wohl drin vor. Um das Ding so richtig zu pushen, schrieb Casati für den neuen, alles überbietenden Erstlingsroman ein Tagebuch – heute würde man sagen “Blog” – bei Jetzt.de. Die Leser sollten mitfiebern, mitzittern und am gigantischen Erfolg des jungen Literatensterns teilhaben. Leider – für Casati – zeigte sich schnell, dass Literaten doch noch etwas anders gemacht werden als in Casting-Shows; das bombenensichere Erfolgs-Buch wurde fast einhellig verrissen, und entwickelte sich zur erstklassigen Marketingpleite für den Verlag – Blog der Autorin zum Trotz.

Schon etwas früher lief ampool.de an. Bei diesem Gemeinschaftsprojekt schrieb alles mit, was bei den besagten Popautoren Rang und Namen hatte. Endlich hatte man sie alle mal zusammen, und als das Popautoren-Traumpaar Elke Naters und Sven Lager daraus “theBuch” machte, fühlte man sich auf Seiten der Rezensenten veranlasst, “Shooting Fish in a Barrel” zu spielen, denn einen Falschen konnte es da drin nicht treffen. Der Glaube der Autoren ans grenzenlose Anything Goes, ein Gemeinschaftsblog der grossen Pop-Namen im Netz zusammenkritzeln, ins Buch packen und damit einen Bestseller landen, ging im Trommelfeuer der Kritik unter, und das IMHO noch nicht mal zu Unrecht. Danach war die Popliteratur tot, und auch die letzten Bücher von Lebert, Stuckrad-Barre und Illies blieben weit hinter den Erwartungen zurück

Von “oben”, vom Feuilleton aus gesehen sind wir Blogger diejenigen, die an der Stelle des Untergangs herumpaddeln. Wir machen mit neuen, gern gelesenen Texten – und ohne uns totzulaufen – dort weiter, wo die anderen kollektiv abgesoffen sind. Das ist der Anknüpfungspunkt, und die zeitliche Ãœbereinstimmung. Die Popautoren sind im Netz ersoffen, aber ihr Prinzip, das wilde Drauflosschreiben, das hat weitergelebt und zieht sich durch die Blogs bis zum heutigen Tage. An manchen Blogs kann man das explizit festmachen, und ganz gleich, ob es in Wirklichkeit so war: Fakt ist, dass Blogs ein Mitteilungs- und Lesebedürfnis decken, das woanders nicht mehr oder nur unzureichend gedeckt wird – sonst hätten Blogs nicht die Userzahlen und Zuwachsraten, die sie nun mal haben. Bloggen ist nicht Popliteratur in dem Sinn, in dem der Begriff in Deutschland geprägt und in den Köpfen ist, aber es gibt oft stilistische, inhaltliche und durch die Weltsicht geprägte Parallelen; sei es nun die Subjektivität, die Ich-Bezogenheit, die kurzen Sätze, das Schnelle, das Intuitive, lauter Merkmale, die einen Vergleich manchmal geradezu herausfordern. Negativ gesagt: Es gibt zu viele Ähnlichkeiten, als dass sich irgendjemand in der Beurteilung die Mühe machen würde, eine neue Schublade für Blogtexte auszudenken. Niemand will überhaupt Schubladen, klar, aber die Realität des Betriebs sieht nun mal so aus.

Es gibt eine Reihe von Blogs, deren Texte man als Literatur bezeichnen kann. Die Umwelt wird über kurz oder lang versuchen, diese Texte einzuordnen, irgendwo zwischen Experiment, neuer Lyrik, Netzliteratur und Popliteratur. Für Experimente ist das meiste zu konventionell, Lyrik ist es auch fast nie, Netzliteratur basiert nach eigenen Angaben auf hohen kulturellen Ansprüchen, die Bloggen in aller Regel nicht hat. Es ist allein deshalb sehr wahrscheinlich, dass sie versuchen werden, das Thema mit dem zu Schanden gerittenen Gaul Popliteratur zu erschlagen, weil es allgemein verständlich ist, weil man gleich die negative Konnotation dabei hat, weil man das wenig geliebte Phänomen auf diese Weise auch gleich mit dem passenden Verwesungsgeruch behaftet. Bäh Mode, bäh Hype, bäh kennen wir alles schon, war Scheisse, nicht schon wieder – wie die Medien eine derartige Kampagne inszenieren, konnte man jüngst bei Christian Krachts “Der Freund” verfolgen.

Aber da ist etwas, was ich bei meinem Buch gelernt habe: Der Terminus “Popliteratur”, richtig angewandt, schadet nicht. Im Gegenteil. Einer der wenigen Verrisse verglich mein Buch mit “Miami Vice”, es sei genauso gehetzt und schnell – ich fand das ganz grosse Klasse, es kam in die Pressemappe, auch wenn es nicht so gemeint war. Und wenn wir uns mal umschauen: Wo ist die Popliteratur denn bitte tot? Ausser in Deutschland? Antwort: Nirgends. Es gibt Bücher wie “Pradasüchtig”, Autoren wie Beigbeder in Frankreich, “Komm” oder Vladimir Sorokin in Russland, “Zwölf” oder Ellis in Amerika, Keret und Groslerner in Israel – die Liste ist lang, es sind sehr viele gute, junge Leute dabei. Es ist genau nicht der deutsche Sonderweg, in dessen Folge das devote Jungvolk der fäuletonistischen Hirnfickmafia (c) entstand, das dank der Literaturinstitutsschwemme und der Judith-Hermann-Clone die letzten Jahren dominiert hat und nun weitaus durchgenudelter und abgewrackter ist als die Popliteratur. Deren Protagonisten haben oft die Pop-Stellung geräumt und schreiben erfolglose Kinderbücher (v. Lange), Therapiebücher (Stuckrad-Barre), Gehörntenbücher (Bessing), Elternbücher (Naters, Lager) oder Werbeprospekte für Nutella (Illies).

Wenn versucht wird, auf Blogger mit diesem kaputten Gaul einzuprügeln, sollte man überlegen, ob das Pferd schon immer so war. Es gab hierzulande Leute wie Peter Glaser gab, dessen Anthologie “Rawumms” Anfang der 80er viel mehr Alternativen aufzeigte, als den allein unseelig machende Weg, der dann Ende der 90er mit den Castingpüppchen a la Casati beschritten wurde. Dieses Pferd war vor diesem Weg gut, eigentlich das Beste, was nach der drögen Gesinnungsliteratur der bleiernen Post-68er und der Ernst-Jünger-Gefolgschaft passieren konnte. Pop ist Rainald Goetz mit aufgeschlitzter Stirn in Klagenfurt, Pop sind 100 Zeilen Hass, Pop ist Gift und Dolch für Radisch und Heidenreich, und wenn man dem Begriff schon nicht entkommt, sollte man wenigstens versuchen, das Beste draus zu machen. Das heisst: Die Buschheuers und von Schönburgs, die SZ-Wochenendler und FAZ-Berlinseitler, die aufgequollenen Wasserleichen des Pools vom Sattel dieses Gauls kippen und sagen, dass das jetzt eben der Gaul der Blogger ist. Ein anderes Pferd wird es nicht geben, egal, wie sehr man das vielleicht gern hätte. Es bleibt nur zu versuchen, es selbst auf einem anderen Weg zu reiten, und sich einen Dreck um das Genörgel der Kulturberichterstatter zu kümmern. Eat dust and die.