Nein, solche Meldungen sind nicht wirklich schön. Man muss meines Erachtens schon etwas zynisch sein, um die Schnüffelei in und das gezielte Speichern von Texten für potentielle strafrechtliche Verfolgung von Blogs als “Issue Management” zu beschönigen. Wenn das dann noch im Blog einer Person steht, die nach eigenen Angaben ein grosses US-Weblog-Unternehmen in Deutschland “betreut”, dann sagt das einiges über das Verständnis von Blogs im “Business”-Umfeld.

Um den Begriff mal zu erklären: Issue Management ist nicht Presse- oder Blog-Clipping. Issue Management zielt im Kern darauf ab, dem Selbstbild des Unternehmens nicht genehme Informationen und Meinungen möglichst frühzeitig zu suchen und möglichst effektiv dafür zu sorgen, dass sich der Andersdenkende an die Sichtweise des Unternehmens anschliesst. Frühzeitig deshalb, um die Verbreitung der kritischen Haltung so schnell wie möglich einzudämmen, bevor andere sich anschliessen. Die Wahl der Mittel orientiert sich dabei an Kosten/Nutzen-Faktoren und an der möglichst reibungslosen Umsetzung. Dazu gehört als Besonderheit auch, die Meinung über alle Mitarbeiter des Hauses auf allen möglichen Kommunikationswegen zu beeinflussen. Also keine PR-Diktatur, wo einer die Parolen vorgibt und der Rest die Schnauze hält, sondern ein PR-Totalitarismus, um es böse zu sagen, oder ein ganzheitlicher Ansatz, um es schön zu formulieren. Der Unternehmenstroll, der in den Kommentaren abkotzt, kann ebenso Issue Management sein wie der abwiegelnde Unternehmenssprecher, das nette Präsent (vulgo Bestechung) oder der abmahnende Anwalt – und genau den sieht Issue Management durchaus vor, wenn die netteren Methoden zu lange dauern oder zu aufwendig sind. Zumal in Deutschland, wo einstweilige Verfügungen oft extensiv und zum Schaden der Andersdenkenden ausgenutzt werden. In der Theorie wird oft von einer Win-Win-Situation für Kritiker und Kritisiertem gesprochen – die Praxis sieht in der Regel anders aus. Kurz gesagt, ist die 1. Devise der Issue Manager ist: “Man muss sie töten, wenn sie noch klein sind.” Nun, Blogs sind klein, und Issue Management zielt gegen deren “Core Assets”, um in der Sprache zu bleiben, wie Verlinkung, Kommentierung und Verbreitung.

Wer mal mit Unternehmenskommunikation zu tun hatte, weiss, wie pingelig gerade Firmen aus dem IT- und Elektronik-Bereich auf wenig angenehme Berichterstattung reagieren. In unseren traurigen Zeiten, wo aus Möchtegern-CEOs kleine 1-Mann-Klitschen geworden sind, gibt es sehr oft nicht keinen PR-Verantwortlichen mehr, der die Sache vielleicht vernünftig angeht. Nach meiner nicht allzu geringen Erfahrung: Desto kleiner oder unsicherer die Firma, desto schneller flippt die Spitze aus, und der nächste abmahngierige Anwalt ist oft nicht weit. Stundensatz ist Stundensatz, denkt man sich dort.

Nun hatte ich vor kurzem am Telefon eine heftige Auseinandersetzung mit genau so einem Typen, ein Nebenbei-PR-Chef, der hauptsächlich Entwickler war und in einem Amoklauf etliche Wirtschaftsmagazine abmahnen liess – und Websites, die die für ihn unschönen Informationen von dort übernommen hatten. Ein klassischer Fall von jemandem, der es einfach mal probiert, in der Hoffnung, dass die andere Seite dann Angst bekommt. Dessen Rechtsbeistand war ein ziemlich umgänglicher Typ, der das alles wenig klug fand, aber auch nicht wusste, wie er den schäumenden Typen kontrollieren sollte. Mit dem war die Unterhaltung recht lustig, und am Ende sprachen wir über, nennen wir es mal, Ortsalternativen, bei denen man einfach bloggen könne, jenseits von Dingen wie Impressumspflicht, Streitereien um den privaten Charakter der Site und all den Sachverhalten, die man im regulierten deutschen Internet beachten muss und sollte – manchmal frage ich mich, wie man eigentlich überhaupt noch ohne 2. Staatsexamen Jura bloggen soll. Ich erzählte ihm von nearlyfreespeech, und er meinte, das sei schon ziemlich gerissen, dort zu hosten, da würde er es nicht leicht haben, wenn man den Domaininhaber nicht ermitteln könnte, könnte man kaum was tun…

Disclaimer: Ich erzähle nur, was ich erlebt habe. Dieser Text stellt keine rechtliche, anwaltliche oder sonstwie geartete Beratung dar, und ist auch kein Aufruf, das Blog woanders mit einer URL aufzumachen, die auch nicht bei Whois-Abfragen verwertbare Adressdaten ausspuckt. Im Gegenteil, ich möchte allen das gute preussische Liedgut ans Herz legen, mit dem Generationen von Soldaten sich hinschlachten liessen, wie es das Gesetz befahl: “Ãœb immer Treu und Redlichkeit, bis an Dein kühles Grab…”