Martin Roell hat da eine sehr feine Debatte angestossen – die QualitĂ€t der Texte in Blogs. Vielleicht ein paar Worte aus der Sicht eines Journalisten und Schriftstellers, dem zumindest die Chefredakteure, die Lektoren, die Verleger und letztlich auch der Markt eine gewisse “QualitĂ€t” unterstellen – wenn dem nicht so wĂ€re, wĂŒrde schliesslich keiner was fĂŒr meine Texte zahlen.

Was ist QualitĂ€t? Die Grundlage fĂŒr QualitĂ€t im Journalismus ist die Recherche, von der wir alle aber wissen, dass sie beim Bloggen eher selten vorkommt. Blogger schreiben meistens nicht ĂŒber Themen, die sie sich erst erarbeiten mĂŒssen, sondern kommentieren Fakten, Behauptungen und Ereignisse, von denen sie meinen, sie beurteilen zu können. Sprich, das, was bei einem guten, selbst erarbeiteten drei viertel der Arbeit ausmacht, findet in Blogs meist nicht statt. Es liegt mir fern davon, das zu kritisieren – die meisten BeitrĂ€ge in Print, Internet, TV und Hörfunk sind miserabel recherchiert, beruhen je nach Thema zu 50-80% auf PR, sind oft von Praktis oder alkoholkranken Frustis mit Existenzangst zusammengeschmiert, und der AktualitĂ€tsdruck tut sein Übriges dazu, dass die Journalisten gern auf Vorgekautes zurĂŒckgreifen. Sei es nun, dass sie Geschichten klauen und etwas umschreiben, sei es, dass sie noch nicht mal das Thema erfassen. Auf einen brillianten Leyendecker auf Seite Eins der SĂŒddeutschen kommen 50, 100 Typen, die schlecht geschlafen haben, das Thema nicht leiden können, die PR-Tussi des Startups ficken oder sich jeden Tag zum Essen einladen lassen, ihr Spezialthema jede Woche neu umschreiben, oder Berater der Kulturreferentin werden wollen. Journalismus ist ein Beruf wie jeder andere im Bereich GebĂ€udereinigung, mit dem kleinen Unterschied, dass man hier Ungelernte unbeaufsichtigt an die Meinungsbildung der Bevölkerung ranlĂ€sst, und sie dafĂŒr auch noch mit Privilegien ausstattet.

Das klingt böse, aber ein kleines Besipiel mag das illustrieren: Mein Roman Liquide wurde ĂŒber 60 mal besprochen. 20 Rezensionen waren so, dass man vermuten kann, der Journalist hat das Buch gelesen. Die anderen waren die etwas umgeschriebene Pressemitteilung des Verlags, mit ein wenig Meinung aussenrum. Also, was ist QualitĂ€t im Normalfall? Ganz sicher nicht Recherche, weder beim Journalismus noch bei den Blogs.

Es gibt aber noch zwei andere Eigenschaften, aus denen ich bei einem Text “QualitĂ€t” ableiten wĂŒrde: Der Dreh und die Kraft. Ein guter Text ist wie eine Kugel – das Blei ist die Recherche und der Inhalt. Was so einem Text die nötige Durchschlagskraft gibt, um einzudringen, hĂ€ngenzubleiben, den Leser zu fesseln und widerzukommen, ist die persönliche Kraft des Verfassers, vergleichbar mit dem Pulver. Das kann sein Stil sein, seine ausgeprĂ€gte Meinung, seine Kompetenz auf einem gewissen Thema, und wenn es auch “nur” Stricken, Katzen oder Streit mit den Lehrern ist. Jemand, von dem ich behaupte, dass er diese Kraft hat, ist Don Dahlmann. Don könnte ein Spiegelei braten, und sofort hĂ€tte ich ein passendes, plastisches Bild im Kopf.

Und was den Text auf seiner Bahn hĂ€lt, was ihn zum Ziel fĂŒhrt, ist der besondere Dreh, der ihm die StabilitĂ€t gibt, um die ganze Strecke zu ĂŒberbrĂŒcken, der die Geschichte rotieren lĂ€sst, dass man den Eindruck hat, he, der hat wörtlich den Dreh raus, der weiss, wie er es mir erzĂ€hlen muss, wie er mich nehmen muss, der hat ein GefĂŒhl nicht nur fĂŒr das, worĂŒber er schreibt, sondern auch dafĂŒr, wie es beim Lesen in mir ankommt, so dass es etwas Besonderes ist, eine Geschichte, die mir einfĂ€llt, wenn ich an den Blogger denke. FĂŒr mich ist der “Dreh” bei Lyssa, um ein Beispiel zu nennen. Lyssa könnte auch ĂŒber das Telefonbuch schreiben, und es hĂ€tte immer noch den sexy Lyssa-Dreh. Dreh muss nicht sexy sein, es geht auch Zynismus, Ironie, irgendwas, was dem Text ein +X verleiht.

Das Ganze ist rein empirisch, es gibt keine Messlatte und keinen Beleg, und es hat auch nicht immer mit QualitĂ€t im herkömmlichen Sinne zu tun, denn leider hat auch eine Bild-Schlagzeile unbestreitbar Kraft, und Franz-Josef Wagner hat fĂŒr viele den Dreh. Aber wenn man ein Seminar mit 10 jungen Leuten hat, erlebt man das oft: Da ist dann einer dabei, der es völlig anders macht, Regeln ignoriert, aber das Ding ist einfach brilliant, und die anderen sind dagegen einfach nur sturer, banaler Bockmist. Ich behaupte, dass weder Kraft noch Dreh erlernt werden können; das sind Dinge, die aus den Leuten selber kommen, da schreibt nicht ein Zeilengeldkassierer, sondern ein Mensch, und genau das ist es, was beim Bloggen garantiert nicht seltener ist, als in den klassischen Medien.

Es mag oft stilistisch nicht toll sein. Na und. Es ist oft nicht gut aufgebaut. Na und, dann ist es eben der konsequente Stil der Leute. Ich lese das trotzdem, es macht mir nichts aus, und selbst, wenn ich es aus formalen nie in der Zeitung abdrucken wĂŒrde, ist es immer noch verdammt gut. Vielleicht ist es auch “nur” eine Soap-Opera mit jeden Tag ein, zwei Folgen. Na und? Ich bin jeden Tag aufs Neue begeistert von Sickgirl, und jedem Bildungspolitiker, den ich hier in Berlin treffe, sage ich, er soll das lesen, dann kapiert er, wo das Problem an den Unis ist. FĂŒr mich ist das gute Unterhaltung mit Kraft und Dreh; andere finden das wo anders, denn jeder hat seine eigenen Kriterien, was diese Begriffe fĂŒr ihn bedeuten.

Wenn, wie von Martin Roell geschildert wird, in Berlin der Mangel an qualitativ hochwertigen Blogs bemĂ€ngelt wird, dann haben die keine Ahnung. QualitĂ€t lĂ€sst sich bei einem thematisch extrem zersplitterten “Markt” wie der BlogosphĂ€re nicht in Quote messen. Es spielt absolut keine Rolle, denn die Leute lesen es trotzdem, die “MĂ€rkte” sind kleiner, dynamischer, unvorhersehbar. Dieser Ruf nach mehr QualitĂ€t hat nur ein einem kleinen Punkt recht: Die QualitĂ€ten der Blogs und die daraus entstehenden “Audiences” und “Micromarkets” sind keine QualitĂ€t, die sich wirtschaftlich ausschlachten lassen.

Wer in Quote messbare QualitĂ€t will: Texte, deren QualitĂ€t wirtschaftlich verwertbar sind, heissen “Journalismus”. Oder Literatur. Auch die brauchen Wissen, Kraft und Dreh, und sind dann aber nicht billig, ganz gleich, ob sie nun in einer Zeitung, auf einem Portal, in einem Buch oder in einer Blogsoftware publiziert werden, und dabei auch noch den besonderen Dreh und die Kraft der Blogtexte haben. Es gibt keinen Grund, das nicht zu tun; Journalismus ist heute öde und langweilig genug. Gerade diejenigen, die die QualitĂ€t in der BlogosphĂ€re bemĂ€ngeln, könnten da doch mal mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, wie das geht. Also los, ich warte.