In einer Welt der weitgehenden Anonymität wie der Blogosphäre ist der Griff zu Google ziemlich normal, um herauszufinden, wer denn dieser neue Kommentator oder Blogger ist – also: Wo hat er schon mal was geschrieben. Mimik, Gestik, Tonfall, all die üblichen nonverbalen Kommunikationsstrategien fehlen im Netz, also behilft man sich mit einer Art Textanalyse, um mehr über den anderen zu erfahren. Das machen viele, damit muss man wohl auch leben, wenn man im Netz schreibt. Desto mehr man schreibt, desto mehr Spuren hinterlässt man, und der meist selbstgewählte Abstand zwischen Internetfigur und realem Mensch schwindet.

Insofern ist es nur logisch, diesen Abstand zu pflegen. Dafür gibt es viele Strategien, die Ãœblichste: Nur gewisse Aspekte der eigenen Person nach draussen tragen. Don Alphonso schreibt so gut wie nie darüber, dass es eine Frau gibt, die seit langen Jahren einen Grossteil seiner Gefühlsregungen in Anspruch nimmt, auch nicht über seine eigentliche Arbeit. Damit ist die Figur, die bei Rebellmarkt schreibt, nur in einigen unwichtigen Randbereichen “ich”. Und selbst dann wird noch vieles verfälscht; Geschichten liegen länger auf Halde, bis sie Wochen nach dem tatsächlichen Ereignis publiziert werden, Namen und Orte werden verändert, und zwar so, dass das Ergebnis mich und meine Welt abbildet – aber nicht als Reportage aus meinem Dasein, sondern als Wahrscheinlichkeitscluster, der den Lesern eine hoffentlich zutreffende Ahnung von gewissen Aspekten meines Lebens vermittelt. Dennoch ist es kein Widerspruch zu etwas, das man mit Authentizität umschreiben kann – ich kann das, was Don Alphonso sagt, unterschreiben, jawoll, ich sehe das auch so, aber ich würde es vielleicht persönlich doch noch anders formulieren.

Ich nehme mir diese literarischen Freiheiten heraus, weil ich nicht glaube, dass eine Lebensreportage zutreffender sein könnte, und weil, brutal gesagt, manches die Leser nichts angeht. Beim Lesen arbeitet der Kopf und erfindet sich sowieso seine Urteile und Ansichten über mich und meine Persönlichkeit; eine gewisse Vielschichtigkeit entsteht von selbst. Missverständnisse natürlich auch, aber kaum mehr als im richtigen Leben. Bisweilen ist das doof, manchmal lustig. Das Blog wird somit eine Art Empfangszimmer: Es ist immer sauber aufgeräumt, es liegen keine benutzten Unterhosen rum, die Möbel sind vielleicht etwas aufdringlich und der Gastgeber steht so pikiert am Kamin und trinkt Tee, wie er es dahinter in seinem Kämmerchen im Schlafrock nie tun würde.

Es gibt viele gute Gründe, das zu tun. Bei jedem. Sei es wegen der Arbeit, wegen der Gefahr, dass der Falsche es mitbekommt, weil man ein Experiment macht, weil man Sachen ausprobieren will, für die in der Realität der Mut fehlt. Das ist für mich der Grund, warum ich viele Blogs nur als Literatur wahrnehme, was auch im Gegensatz zu den journalistischen Fiktionen über die Realität ihre Qualität ausmacht.

Es gab dennoch viele Versuche, diesen an sich fiktiven “Don Alphonso” zu outen – an sich lächerlich, denn aus meinem realen Namen habe ich seit dem Erscheinen meines ersten Buches keinen Hehl mehr gemacht. Schon davor habe ich mich als “Don Alphonso” bei diversen gründertreffen angemeldet, ohne dass es jemand gestört hätte. Wenn das Outing dennoch versucht oder angedroht wurde – in letzter Zeit auch von einigen Bloggern, deren Real Life Betätigung plötzlich in der Blogosphäre doch eine Rolle spielte – kam es immer mit einer pseudoaufklärerischen Begründung daher: Pseudonyme seien feige, man müsse wissen, wer sich hinter diesem und jenem Posting verberge. Das Ziel, den anderen damit persönlich zu schädigen oder blosszustellen, war offensichtlich. Darin unterscheiden sich die werten Bloggerkollegen nicht von meinen werten Journalistenkollegen, die schon mal versuchen, über Proskiptionslisten an angebliche Informanten viele Pseudonmye ausfzudecken, um das dann für eine möglichst heisse, geile, superneue und wahnsinnig informative Story auszuschlachten.

Das Raten über Pseudonyme und ihr Leben ist ein Hobby, so alt wie die Pseudonyme selbst. Wer ein Pseudonym und die Fiktionalisierung nutzt, befindet sich damit in allerbester Gesellschaft, angefangen bei Boccaccio und Aretino über Diderot bishin zu B.Traven. Ist Boccaccio selbst eine Figur im Decamerone? Wer ist der Autor von Hic et Hec oder den indiskreten Schatzkästlein? War B.Traven selbst Revolutionär im Urwald? Hat Aretino wirklich Huren belauscht, oder sind das die Gespräche von Edelleuten? Es gibt eine Art Grauzone, wenn man – privat – zusammensitzt und über Blogger und ihre Pseudonyme redet, Mutmassungen anstellt, sich ein Bild vom anderen macht. Nur hat das nicht das Mindeste mit der Schnüffelei zu tun, die bei den hier verlinkten Beiträgen, inzwischen gelöschten Artikeln von “Sebas” zu finden waren. Ein vergleichbarer Fall ist mir in meiner langen Zeit als weithin bekanntes Pseudonym nicht untergekommen. Die Gegenseite der Pseudonymautoren, in deren Tradition sich “Sebas” stellt, ist historisch verknüpft (keine Gleichsetzung!) mit Inquisition, Geheimpolizei, Diktatur, Gestapo. Die in ihren Berichten alle der Auffassung waren, richtig und angemessen gehandelt zu haben, indem sie die anderen in die Öffentlichkeit gezerrt und verdammt haben.

In der Blogosphäre geht es, soll es denn persönlich sein, nicht ohne diese fiktionalen Abstände. Die zu bewahren, wenn es offensichtlich gewünscht wird, ist wichtig – schlieslich, wer weiss schon, ob so ein Arschloch, mit Verlaub, beim nächsten Bloggertreffen neben einem steht und das private Gespräch mit privatem Inhalt dann in seinem Blog mit den dazugehörigen Namen veröffentlicht? Es gibt auch im halböffentlichen Raum der Blogosphäre sowas wie eine Privatsphäre – die vielleicht sogar weiter zu fassen ist als im normalen Leben.