In Zusammenhang mit dem hier behandelten Thema der verwendeten Sprache in der Blogosphäre und dem Versuchen, sie zu reglementieren, ein paar Gedanken zu Anonymität in den Blogs.

Es gibt meines Erachtens ein hohes, natürliches Recht, als Verfasser eines Blogs anonym zu sein und zu bleiben. Dieses Recht ergibt sich aus dem scheinbaren Widerspruch der persönlichen Erzählung und der dennoch zu wahrenden Privatsphäre. Oder, um das konkrete Horrorbeispiel zu benennen: Mama entdeckt das eigene Blog, in dem Dinge stehen, die nicht wirklich für Mama gedacht sind. Würde jeder sein Blog so schreiben, dass es potenziell mamasicher wäre, die Blogosphäre wäre arm, grau und öde.

Umgekehrt macht die persönliche Erzählung aus einem “anonymen” Blogger natürlich einen Charakter, eine Person, die in der Regel auch nicht künstlicher ist als das, was man den anderen tagein tagaus so vorgaukelt. Die Kunstfigur wird so zu einem Moment, der die Anonymität zumindest im Netz auflöst, aber dennoch viele Freiheiten lässt. Hier wegen ein paar Zwischenfällen eine Hexenjagd zu veranstalten oder verbindliche Regeln gegen die Anonymität, wie es besonders gerne vom blogüberwachenden Klügel der PR und der angeschlossenen privatwirtschaftlich-politischen Kontrollschweinen gefordert wird, geht unendlich an den realen Bedürfnissen der Nutzer vorbei. Gebloggte Texte sind in aller Regel ein Geschenk an die Leser, da hat man danke zu sagen und nicht Google anzuschmeissen, um den anderen auszuspionieren – was leider oft genug getan wird. Wenn es einen Common Sense in der Blogosphäre geben muss, dann ist es die Einwilligung, die Privatsphäre der anderen zu respektieren. Es ist nicht so, dass diese Ansicht allgemein geteilt wird, es gibt auch manche, die meinen, man müsste partout eine Art “Identität 2.0” einführen.

Das kann man machen. Es gibt genug offizielle Daten, die man in das Netz blasen kann. Aber bezeichnenderweise sind die Leute, die diese Identität auch für Blogs fordern, entweder

– keine Leute, die irgendwelche privaten Dinge erzählen oder
– so jenseits von gut und böse, dass sie sich gar keinen gedanken mehr über ihr Tun machen, wenn sie sogar massenhaft Bilder ihrer Kinder online stellen

Diese Leute können sich gern irgendwo treffen und sich ihre endgeilen Identitätsnetzwerke ausdenken. Für den Rest wäre es wirklich nett, wenn man diese Anonymität respektieren würde. Wer hier draussen länger unterwegs ist, weiss, dass man anonymen Bloggern nicht weniger trauen kann als den Psychos, die meinen, jede feuchte Ausdünstung ihres Daseins bigbrothermässig ins Netz zu blasen. Im Gegenteil, die Anonymität ist ein mögliches Anzeichen dafür, dass der Blogger sich stets ein gesund kritisches Verhältnis zum Internet bewahrt hat. Umgekehrt ist es die Anonymität, die es seit Jahrhunderten erlaubt hat, übermäsiger Kontrolle zu entgehen. Blogger sind heute nicht mehr durch die Inquisition bedroht und auch nicht durch die Gestapo, aber durch Abmahnabschaum, die Schnüffelschweine der PR-ostitution, die Blogs als Gefahrenmoment an Firmen verraten, und jeden verdammten Psychpathen hier draussen, dem es gefallen kann, sich gefundene Informationen zurecht zu lügen. Den Kopf hält man für das, was man schreibt, so oder so hin; Anonymität macht es der anderen Seite lediglich sehr schwer.

Dass es auch Momente gibt, in denen die Anonymität die nach menschlichem Ermessen Falschen schützt, ist auch klar. Dass man dagegen vorgeht, ist da nur folgerichtig. Und dass ein anonymer Kommentator oder Mailversender in einer anderen Art anonym ist als ein Blogger, der sich eine neue Identität schafft, steht ebenfalls ausser Frage. Aber diese Anonymität hat seit Jahrhunderten geholfen, andere Sichtweisen und Geschichten zu erzählen, sie hat die Aufklärer geschützt und Diktatoren getroffen, und wer daran rütteln will, sollte sich überlegen, ob er als Apparatschik in Teheran oder Peking nicht besser aufgehoben wäre, als im westlich-säkularen Wertesytem.