Medien, Profiblogger und Journalisten: Verlierer des Web2.0
Eines voraus: Ich finde das unten Beschrieben nicht im mindesten negativ, es betrifft lediglich eine professionelle Ebene, die mit sowas leben muss
Im Mai und Juni 2007 habe ich ohne die Twitter-Clobes bislang 42 Launches von Startups aus dem Bereich Web2.0 gezählt – kann sein, dass ich mich verzählt oder manches nicht gefunden habe, aber es dauert keine zwei Tage, bis wieder eine neue Firma auftaucht. Etwa gleich schnell kommen auch die Informationen über Seed Capital und First Stage Investments herein. Es gibt da ein paar Besonderheiten bei diesem Hype:
1. Die Abwesenheit der altbekannten deutschen Venture Capital Szene, die vor allem in München behaimatet ist. Web2.0 ist für diese Gruppe praktisch kein Thema, sie haben sich weitgehend aus dem Internet verabschiedet und konzentrieren sich trotz der Erfolgsgeschichten wie Nachtagenten und Lokalisten weiterhin auf Medizin und Softwarelösungen. Eine der wenigen Ausnahmen ist er Kreditvermittler Smava, der Geld von Earlybird erhalten hat. Ansonsten ist der Bereich fest in der Hand von “Business Angels” wie den Samwer Brüdern oder den Spreadshirt-Gründern, oder Aktivitäten von Medienkonzernen. Die selbst wiederum häufig als Käufer auftreten, wie aktuell Springer, die eine 50-Mann-Klitsche mit dem Namen Aufeminin.com und einem Umsatz von 13,4 Millionen Euro mit 284 Millionen Euro bewerten und schlucken wollen. Das ist selbst bei weiterem Wachstum erstmal das 20- fache des Umsatzes – zum Vergleich: Mercedes Benz wird mit dem Dreieinhalbfachen des Jahresumsatzes bewertet. Sowas nennt man eine “Blase”.
2. Würde ich Springers niedrigen Zeilensatz schlucken müssen, ich würde mich jetzt bis zum Abend übergeben. Da geht es hin, das ganze schöne Geld, das man mit mir erwirtschaftete. Aber wirklich bitter ist etwas anderes: Der Gedanke nämlich, was man mit 284 Millionen sonst noch auf die Beine stellen könnte. Stichworte journalistische Qualität, neue publizistische Ansätze, Verstärkung der Onlinemarken durch Eigenentwicklungen, und vor allem: Jobs für fähige Onlinejournalisten. Genau die nämlich bleiben auf der Strecke. Nicht nur bei Springer, sondern auh bei den meisten Startups. Diese Communities und social Networks produzieren selbst eine Menge Inhalte, aber zur Kontrolle weren vor allem billige Praktikanten gesucht. Journalisten, die vielleicht selbst gute Inhalte bringen könnten, sind dagegen nicht gefragt. Man kann sich ausmalen, was es bedeutet, wenn mit Holtzbrinck, Burda, Sat1, die Spiegel-Gruppe und Springer fünf grosse Medienkonzerne ihre Aktivitäten in einen nichtjournalistischen Bereich verlagern und dafür ihre Gewinne investieren – jedenfalls nichts Gutes für Leute, die dort keinen Platz mehr zum schreibenden Broterwerb haben.
3. Abgesehen von der Beteiligung durch Burda am Startup Blog.de, das mit seiner Struktur auch eher als Community durchgeht, sind Blogger praktisch nicht betroffen von den Millionen, die da verschoben werden. Focus und Toni Mahoni war keine unendliche Geschichte, die von der TAZ eingeladenen Blogger wie Twister sind totenstill geworden, und von der bloggenden Welt hörte man in letzter Zeit auch keine grossen Töne mehr. Germanblogs ist nur noch ein Schatten seiner selbst, und bei der Readers Edition muss ich erst mal nachschauen… Moment… oh, da rührt sich noch was. Aber nicht viel.
Hm. Ich will ja nicht böse sein, aber mir scheint, als würde man als Blogger im Moment trotz all der Millionen allenfalls als willige Werbeplattform kruder Läden mit kruden AGB etwas verdienen, oder als Journalist, wenn man brav wie die ZEIT und viele andere Holtzbrinckprodukte die Werbetrommel für StudiVZ rührt, und dabei jede kritische Anmerkung unterlässt. Immerhin, sobald die Communities dann doch nicht so toll waren, muss der Journalist es wieder mit geringerem Gehalt bezahlen. Das jedenfalls lehrt die New Economy, das haben meine Freunde bei den VCs begriffen – andere wollen lieber nochmal zahlen, scheint mir.
Sorry, the comment form is closed at this time.
w20t.com (falls die noch frei ist – nö ist nicht (eher das Gegenteil von Tod))
Wenn ich die Pressemitteilung richtig versteheh, wird aufeminin im moment an der börse sogar noch höher bewertet, als spring tatsächlich zahlen will… wieso macht man des sowas?
Im Journalismus ist inzwischen der Journalist der zu eliminierende Störfaktor.
Dazu passt auch das: ‘Liebe Journalisten-Kollegen, bitte auf den Stühlen anschnallen, sonst hat man irgendwann zuviel Luft unter dem Hintern, weil einem jemand den Stuhl weggeschoben hat, da im Büro Platz gemacht werden muss für den neuen Großrechner.
Letztendlich muss Echtes Geld verdient werden natürlich. Mit Geld 2.0 oder Lindendollar kann weder Miete, noch Brot, noch Hemd bezahlen. Meine Kinder kann ich damit auch nicht zur Schule schicken. Deshalb glaube ich als Mann der Echten Wirtschaft an das Leben im Real Life. Allerdings bin ich doch fasziniert von den facetten der Neuen Internetwirtschaft und ich überlege mir die Ganze Zeit, welche Erkenntnisse davon in die Echten Wirtschaft einfliessen könnten. In das ganz normale Wirtschaftsleben eben. Ohne Bezug zum Web. Ich schreibe gerade diese Dinge für mich auf. Bin mir aber nicht ganz schlüssig in einigen Punkten. Ich denke, dass ich irgendwann diese Gedanken in den nächsten Tagen veröffentliche – work in progress…
So ein Irrsinn, das alles. Ich glaube, dass es nur drei Dinge gibt, die sich langfristig auszahlen, und das ist Qualität, Qualität und nochmal Qualität. Billigen Dreck kann ich an jeder Ecke bekommen, aber eben nicht das Gute. Was die Unternehmen jetzt kaufen, ist aber nur der billige Schrott. Dabei waren wir uns 2001 alle einig: Werbebasierte Geschäftsmodelle werden im Netz nicht aufgehen, weil die Kosten der Kundenbindung einfach zu hoch sind. Im Prinzip machen die Medien ihre guten Marken kaputt zugunsten vager Zukunftshoffnungen.
Cem, das solltest Du tun.
Von werbebasierte Geschäftsmodellen halte ich in der Tat gar nichts. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen in der Realen Welt, wo das funktioniert. Beispielsweise bei den werbefinanzierten “Stadtmöbeln” wie Bus- und Bahnhaltestellen von JCDecaux oder auch der berliner Wall AG. Sie entlasten damit zwar kurzfristig die Öffentliche Hand, schaffen damit aber Abhängigkeiten. Ein Thema für sich…
Das meinte ich nicht. Es gibt im ZwoNull eine Reihe Details, die mich interessieren. Da bin ich gerade dabei mir eine Meinung zu bilden, ob und was davon in die Reale Wirtschaft übertragbar wäre. Oder auch der Gedanke, sind das wirkliche neue Konzepte, die im Neuen Web postuliert werden?
Zum Thema “Qualität”, übrigens, ich bin grundsätzlich bei dir natürlich. Das einzige, das wirklich nachhaltig wirkt ist und bleibt “Qualität”. “Qualität” und “Masse” schliessen sich in meinen Augen oft gegenseitig aus. Oft. Nicht immer. Ich kann selten der Beste und der Grösste zugleich sein. Ich muss mich entscheiden. ich halte aber beide Pole in der Bandbreite der kurzfristigen Möglichkeiten für legitim. Allerdings, alles dazwischen ist sofort zum Scheitern verurteilt: Mittelmass und mittelgross…
Ich bin noch in Klausur mit mir…
“Mittelmass und mittelgross”
Das ist mit drei Worten das Problem bei der Vermarktung von vielen Blogs. Die meisten wollen das nicht, aber wenn man es doch tut, ist schwer zu erklären, was ein Blog denn bitte noch anderes hat als ein paar Links und Leser. Und das geht rauf bis zu den grossen monothematischen Blogs in den USA.
Man kann es also nicht nur am Journalismus festmachen. Aber angesichts der Orientierung der Massenmedien geht es eben in Richtung Masse.
das ist einfach nur traurig…da bekommt man echt lust, einen powerpointdompteur und einen pleitenmanager aus der NE zu engagieren und bei den konzernen tingeln zu gehen.
manchmal habe ich das Gefühl “da oben” gilt die Devise: was wenig kostet/wenig investition benötigt kann nicht gut werden.
zumindest ist das meine meinung, vielleicht habe ich aber auch zu wenige insiderinfos…
Es gibt wohl eine DIN-Norm für Qualität, die allerdings praktisch besagt, daß die Einschätzung von “Qualität” allein vom Nutzer abhängt.
Die Investition von Medienhäusern hängt mit Sicherheit damit zuammen, daß sich kein *manager* vorwerfen lassen will, den dernier cri verpaßt zu haben.
Ich bin Zeitungsgeschäft-Laie aber ich sehe eher, daß man versucht, mit der (noch) vorhandenen, älter gewordenen Leserschaft via “Empfohlen von der XY-Redaktion” ein paar zusätzliche Euro zu verdienen. WENN man von einer überalternden Gesellschaft ausgeht, sollte man sein Geld eher mit Stützstrümpfen als mit Blogs verdienen. :)
Die werden schon wissen, was sie tun und wie sie rauskommenm, wenn es nicht klappt. Es ist ein weltweiter Trend: IPOs gehen nicht mehr, aber dafür kaufte Yahoo heute erst Rivals.com, weil die Nutzer Sport ja sooo toll finden. Grow or perish scheint die Devise zu sein.
Die Strukturprobleme der Medien sind doch selbst gemacht: Wenn man jahfrelang das Zeug der INSM abschreibt von Flexibilisierung unbd Leistungsbereitschaft, muss man sich nicht wundern, wenn die Leute keine lokale Bindung mehr haben. Keine Bindung, kein Abo, dafür der zynische Internetnutzer, der sich im Fachgeschäft die Fernbedienung anschaut, ausprobiert, sie umtauscht und das Ding dann 20 Euro billiger bei Ebay kauft, und das in seinem Blog auch noch als Heldentat auswalzt, unter dem Applaus anderer ähnlich gepolter Leute.
“…und bei der Readers Edition muss ich erst mal nachschauen Moment oh, da rührt sich noch was. Aber nicht viel.”
was rührt sich denn noch?
ehrlich interessiert.
[…] (via Chat Atkins in den Blogbar-Kommentaren) […]
“Aber wirklich bitter ist etwas anderes: Der Gedanke nämlich, was man mit 284 Millionen sonst noch auf die Beine stellen könnte. Stichworte journalistische Qualität, neue publizistische Ansätze, Verstärkung der Onlinemarken durch Eigenentwicklungen, und vor allem: Jobs für fähige Onlinejournalisten.”
Das ist so wahr, dass es weh tut. Und obwohl ich das nun eine Weile verfolge, verstehe ich noch immer nicht, warum gestandene, erfahrene Verlage es nicht schaffen, eigene Produkte fürs Internet zu entwickeln. Germanblogs ist ein Beispiel. Welcher Profi baut den bitteschön erst die Hülle und sorgt dann für die Inhalte? Ist die erste Ausgabe der “Zeit” mit 50 leeren Seiten erschienen und dann hat man nach und nach zugesehen, wie man das gefüllt bekommt? So aber geht der Verlag im Internet vor. Mir ist das ein vollkommenes Rätsel.
Andere betrachten das Internet als große Abraumhalde oder als öffentlich zugängliches Backup. Was sowieso produziert wird, kommt auch noch ins Netz, vielleicht interessiert es ja jemanden. Und das Internet ist ja so schön anspruchslos. Was auch immer man reinwirft, bleibt drin. Reicht.
Hat man in den Anfangstagen des Fernsehens Zeitungen abgefilmt? Wohl nicht (oder nur selten, ich denke gerade an die Presseschau bei ARD/ZDF…). Aber fürs Internet kaufen Zeitungsverlage sündteure Software, die ihre gedruckte Zeitung 1:1 ins Netz stellt. “E-Paper” heißt das dann. Die Journalisten finden’s prima, die Leser wenden sich mit Grausen ab. Die wollen schnell und bequem aktuelle Informationen, interessante Artikel, spannende Themen, interessieren sich aber nicht die Bohne dafür, wie das auf einer Zeitungsseite aussieht. Warum auch? Die Nachteile eines Drucklayouts könnte man online endlich hinter sich lassen. HTML bietet alles, aber auch alles, was man dafür braucht. Nö, das verwässert ja dann die Marke. Aua.
Und Weblogs? Die sind nicht etwa Ausdruck für neue Möglichkeiten, sondern der letzte Dreck. Das wird sogar schon dem Nachwuchs eingetrichtert – wahrscheinlich, damit der nicht auf dumme Gedanken kommt. Wäre ja noch schöner, wenn jetzt jeder einfach so drauflos publizieren würde…
Letztendlich ist Bloggen Zivilgesellschaft in ihrer Reinform. Das ist für die “demokratische” Entwicklung ein Meilenstein … doch damit Geld verdienen ist aus eben diesem Grund schwer. Sobald ein Blog kommerziellen Charakter erhält, wird es in den Augen der Leser unglaubwürdig. Diese Entwicklung steht im genau umgekehrten Verhältnis zu Pressemedien – diese wirken umso seriöser, je häufiger als Einnahmequelle indetifizierbare Services auftauchen.