So eine Aussage gefällt nicht jedem, und auch nicht zwingend den Ausbildern des schreibenden Berufes. Explizit nennt so einer das dann “Prollphrase”. Tut weh? Mei. Ist aber tatsächlich so. Und im Gegensatz zu vielen Journalisten und Unileuten habe ich den direkten Vergleich. Als ich noch sehr jung war, 17 Jahre, machten meine Eltern etwas, wofür ich damals nicht unglücklich war und heute dankbar bin: Sie schickten mich während der grossen Ferien 5 Wochen in die grosse Autofabrik. Nicht, weil es nötig gewesen wäre, sondern weil sie der Meinung waren, es könne nichts schaden, wenn ich einmal mitbekäme, was Arbeit und selbst verdientes Geld wirklich bedeutete.

Ich landete nicht in der Produktion, sondern im Bau. Genauer, im Leitungsbau und der Installation. Das hat in so einer Firma mit nichts mit Sanitär zu tun, sondern mit dem Blut und den Lungen einer Fabrik: Den Leitungen. Unterhalb der Produktionsebene ist eine babylonische Verwirrung von unterschiedlichsten Leitungen; Druckluft, Hydrauliköl, Wasser, Lacke, Schmierstoffe und technische Gase wollen verbreitet und verwendet werden. Für das alles waren unter der grossen Produktionshalle zwei komplette, interne Handwerkerbetriebe zuständig, und ich war in der Hierarchie als absoluter Nichtskönner ganz unten.

Das sollte sich schnell ändern. Nach der gewissenhaften Einführung lernte ich eine Woche, mit dem Material umzugehen: Gewinde schneiden, Rohre biegen, Plaketten schleifen und punzieren, Röhre trennen, Umgang mit Werg, Fett, Silikon und Hilti. Und was für Hiltis! Die Hiltis waren gegenüber in der technischen Ausgabe, man bekam vom Meister einen Zettel, signierte drüben und bekam eines dieser schweren, roten Monster, das den neuen Adern des Betriebs freie Bahn schafft. Die Hilti ist in der Installation ein besserer Freund, als Google bei der Recherche. Und dann ging es hinaus in das Leitungsgewirr, mit einem Könner, da war eine Leitung zu legen, und das lernte ich dann: Mauern aufschlagen, Löcher setzen, und aufpassen, dass alles seinen Gang geht. Es ist nicht so schlimm, wenn man mal einen Fehler macht, bei der Ausgabe ein anderes Rohr erwischt und oben deshalb eine Maschine steht – das ist eingeplant, selbst wenn dann 700 Leute am Band ein paar Minuten warten müssen. Das Gefährliche sind Fehler, die unentdeckt bleiben. Die Verantwortung, die beim Biegen, Einsetzen und Prüfen so eines Kupferrohres auf einem lastet, ist enorm. In der Einführung zeigten sie, was die Folge eine kleinen Knallgasexplosion sein kann. So eine Frabrik ist eine arbeitende Bombe, und diese Abteilung sorgte dafür, dass sie arbeitete und nicht explodierte.

Ich habe nie wieder in meinem Leben (mit einer erheblich riskanteren Ausnahme) Leute erlebt, die so konsequent und zuverlässig ihrem Beruf nachgingen. Sie kamen absolut pünktlich, sie kamen eine halbe Stunde vor Schicht in die Werkstatt, brachten die Hiltis zurück, bogen für den nächsten Tag ein paar Rohre auf Vorrat, putzten die Maschinen und fegten alles durch, und dann kam der Abschied. Sie taten das, was nötig war, sie taten es unauffällig und mit Würde. Sie hatten Arbeitsethos.

Und wenn ich heute erlebe, mit was für erbärmlichen Schluderern und Schlampern man es im Journalismus zu tun hat, wie überheblich die Leute schon im zweiten Semester sind und wie korrupt dann später, wenn es darum geht, sich an Politik und Wirtschaft ranzuwanzen, wenn sie Dinge entstellen, weil es gerade in die Story passt, oder sie bewusst lügen und Fakten ignorieren, um ihre Headlines hinzubiegen, diese Beliebigkeit, in der man zusammenstöpselt, was an Vermutungen und Unterstellungen da ist, übergeigt und fälscht und Quellen fehlinterpretiert, und dann flennt, wenn irgendwann einer die Schnauze voll hat und einem die Lügen um die Ohren fliegen, und dann wird auf die Pressefreiheit verwiesen, auf die besondere Ausbildung der Journalisten und die sog. Sorgfaltspflicht – wenn ich das alles sehe, denke ich mir: Wenn wir damals so gearbeitet hätten, wie es die Journalisten für einen Platz am Tisch, ein paar Euro mehr, eine kleine Reise oder ein paar Spesen tun, oder einfach nur aus Faulheit bei der Recherche, dann wäre die Firma nur noch ein rauchender, giftiger Krater im Donautal.

Das ist das eine. Das andere ist: Ich habe das Glück, für gute Beiträge gutes Geld zu bekommen. Bei freier Mitarbeit ist das heute nicht mehr wirklich üblich, die Zeilenhonorare oder Tagessätze sind erbärmlich. Hier bei uns wurden von der Lokalzeitung die Photographen “outgesourced”. Die bekommen jetzt 20, 30 Euro pro abgedrucktem Bild in der Monopolzeitung. Ohne Spesen. Medienkonzerne haben sehr spitze Einkommenspyramiden, oben sind wenige Porschefahrer und unten ganz viel Prekariat und Leute, für die die Luft dünner wird. Vor vier Jahren habe ich hier zwei Wohnungen vermietet, eine an einen Facharbeiter, die andere an einen Volontär. Der Facharbeiter zog aus, weil ihm irgendwann die zwei Zimmer zu klein waren. Der Volontär ging, weil sie ihm nach dem Volontariat ein Grundeinkommen von damals 1400 Euro angeboten haben.

Und dann ist da noch die Frage der Zukunftssicherheit. Ich bin jetzt rund 10 Jahre dabei, von der Jobmaschine Internet bis zur Verlagerung der Schreibarbeit auf Programme und in die Tschechei oder nach China. Ich glaube, man wird im Journalismus sehr bald mit einem Callcentenproblem konfrontiert sein, und die Standorte werden nicht in Deutschland liegen. Das meiste, das heute als Textmaterial für Medien produziert wird, können mutmasslich auch gut ausgebildete Inder billiger in die Zeilenvorgaben pressen. Den eigentlichen Job werden die Mediendesigner übernehmen, der Journalist oder was davon übrig ist wird so individuell und ersetzbar sein wie der Soldat in einem Massenheer. Das ist keine Zukunftsvision, das ist das, was heute bereits ausprobiert wird. Mit dem Niedergang der Abozeitung und den zynisch konsumierenden Internetlesern geht die lokale Bindung ohnehin verloren, man wird sich vermehrt auf Zuträger verlassen, oder es kommt zu einer Kannibalisierung durch Fanblogs. Journalismus in Deutschland im Sinne von Nachrichtendurchreiche ist ein schrumpfender Beruf unter enormen Kostendruck und billigen Alternativen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber das Leben eines Menschen währt 80 Jahre, und da ist es schon ein Unterschied, ob er 30 Jahre von Billigjob zu Billigjob tingelt, oder konsequent ein Auskommen hat, weil man seine Leistung hier und jetzt braucht.

Säufer gibt es auf dem Bau und im Journalismus, bei der Koksern und der Bestechlichkeit haben Journalisten ihr Gegenüber eher im Immobilienfondbetreuer, und wenn ich all die Kleinigkeiten wie geregelte Arbeitszeiten, Zukunftsaussichten,Vergütung, bezahlten Urlaub, Planungssicherheit zusammenrechne – dann würde ich mein Kind zumindest auch in diese Abteilung unter der Fabik schicken und sagen: Lern ein paar Wochen was Anständiges, dann kannst du dir später wenigstens daheim den Klempner sparen, und überleg dir, ob die kleinen Chancen, mal einen guten und ethisch akzeptablen Job im menschlich wirklich unangenehmen Journalismus zu bekommen, das Risiko wert sind.