Die Industrie masht zurück
In den letzten Tagen ist mir so einiges aufgefallen, was vielleicht auf eine Trendwende im Bereich der Inhalte im aktuell existierenden Internet hinweist. Da war etwa ein Vortrag in Darmstadt, in dem vorgeschlagen wurde, man könne alle Bilder der Nutzer zu einem Reiseziel beim Photohoster Flickr nehmen, daraus 3D-Modelle erstellen und diese Anwendung dann an die Tourismus-Branche verkaufen. Da ist der Video- und Bilderhunger diverser deutschen Onlinemedien und selobsternannter Branchendienste, die für ihre Multimediaangebote zusammenstehlen, was zusammenklaubar ist. In den letzten Tagen wurden ganze Beiträge zum möglichen Amoklauf in Köln aus SchuelerVZ zusammengeschmiert. Und in meinen Referrern findet sich bereits der nächste Versuch einer Agentur, Inhalte meines Blogs zu stehlen und zusammen mit anderen zu einem Magazin zu machen. Kostenlose Bilderdatenbanken werden schon etwas länger von Medien angezapft. Von den diversen Startups, die sich auf Personensuche spezialisieren, und dabei die Grenze zwischen Suchergebnis und eindeutiger Urheber- und Persönlichkeitsrechtsverletzung überschreiten, mal ganz zu schweigen. Lustige Antworten, wenn man solche Internetkriminelle anspricht, sind: “Aber das ist doch ohnehin im Internet” oder, besonders schön, “Dafür haben wir ja einen Juristen im Team”.
Umgekehrt sind Sender inzwischen extrem schnell dabei, wenn es darum geht, ihre Rechte bei Youtube umzusetzen. Und Youtube zieht erkennbar an der Leine: Wer heute gewisse Sendungen öffentlich-rechtlicher Anstalten online stellt, wird innerhalb von Stunden inclusive Account gelöscht. In Deutschland basteln ARD und ZDF an der unsäglichen Idee, die Onlineausgaben der Tageszeitungen mit gebührenfinanzierten Videos zu beliefern – dass wir, die Zwangskunden keinerlei vergleichbaren Rechte erhalten werden, ist offensichtlich. Ich war vor kurzem bei einer Radiosendung, die wirklich interessant war, ich hätte sie gerne verlinkt – der Sender stellt sie nicht online und würde sich wehren, wenn ich auch nur meine Beiträge hier veröffentlichen würde.
Ich fürchte, wir stehen vor einem wirtschaftlich gesteuerten Vetrteilungskampf der Medien gegen alles, was nicht wie sie ist. Alles nehmen und ausnutzen, was man umsonst bekommen kann, und möglichst teuer verkaufen, gleichzeitig überall die Schotten dichtmachen, damit sich keiner bei ihnen bedient. Man darf dort kommentieren und auch gern Inhalte abliefern, amn soll sein Profil abliefern und Werbung anschauen, so kommt man auch im Internet endlich an die Gewinnschwelle, zusammen mit Bildstrecken und Quizangeboten. Und in der – trügerischen – Hoffnung, dass sich keiner dagegen wehrt. Sie haben die Idee des Mashups nicht verstanden, sie verstehen nichts von freiem Austausch und Inspiration, aber sie sehen, dass da zumindest kurzfristig was zu holen ist. So sieht leider das real existierende Web2.0 nach kommerziellem Gusto aus.
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Völlig off topic: Die Trigami-Werber haben einen PR von 0. um es mit Nelson Munz zu sagen: Haha!
Gnihihi. Und da soll noch mehr nachkommen :-)
Lustigerweise ist man bei Trigami aber offensichtlich zu feige, das Thema anzusprechen – wie auch die Sache mit den Steuerproblemen. Wäre ich da beim Geldriumschieben beteiligt, würde ich es mir überlegen, ob ich meine Füsse aus dem sichern Schweizer Hafen in die Bundesrepublik setzen würde.
Wer wird denn Verlierer sein, im Verteilungskampf? Am Ende die Texter, Journalisten, Fotografen, Videoproducer, usw. Was man zusammen-mashen kann, braucht man nicht neu zu erzeugen.
Und die Nutzer/Leser, die immer wieder das Gericht vom Vortag serviert bekommen, nur wieder neu zusammengerührt.
Das wird so eine Art Armenspeisung. Ein grosser Topf, wo alles reinkommt, was übriggeblieben ist und gepsonsert von der Industrie in Form von Werbung, so ähnlich wie der Bus der Suppenküche, der mit Werbelogos und Aufklebern zugepflastert ist.
Aber das sind wahrscheinlich nur dumme Gedanken von mir. Denn Redaktionelle Qualität wird das Entscheidende sein”, hofft Döpfner in der FTD.
“… sie sehen, dass da zumindest kurzfristig was zu holen ist.”
Ist das denn so? Tatsächlich sind die Apparate der Verlage doch viel zu schwerfällig und zu teuer, um sich über Werbung zu refinanzieren. Das gelingt vielleicht gerade noch dem Marktführer, und der Platz ist mit SpOn besetzt. Die Nachzügler (Welt, Stern, FAZ) tun sich ersichtlich schwer, überhaupt den Anschluss zu halten. Dass sie irgendwas deutlich besser machen, kann ich nicht erkennen. Bilder klauen senkt die Kosten etwas, macht die Inhalte aber austauschbar. Damit schaden sich die Verlage, auch schon kurzfristig. Und sie weichen indirekt den Schutz ihrer eigenen Produkte auf. Das Abschotten ihrer “Inhalte” wird schwieriger, wenn diese nicht mehr 100-prozentig als eigenständig zu erkennen sind. Fazit: Die Situation ist so düster nicht; was wir gerade erleben, sind nur Rückzugsgefechte in einem schrumpfenden Marktsegment.
Das ist kein Verteilungskampf mehr, das ist die Endausscheidung. Um die Gebührenerpresser ohne Maulen des Kapitals zu retten, werden den traditionellen Medien einfach noch mehr Rechte eingeräumt und die Bürger dürfen fressen was übrigl bleibt.
Wir werden in Zukunft nur noch sehr begrenzt zitieren dürfen, unterliegen dann aber den gleichen Medienrechtlichen Anforderungen wie die Konzerne.
Der Zweck der Aktionen ist die gleichgeschaltete Berichterstattung. So wie wir sie heute in unseren Qualitätsmedien schon finden.
Das reinigende Feuer brennt sich durch die Netze und kommt immer näher an die zentralen Ausgangspunkte.
Im Grunde ist es eine beggar-my-neighbour-Politik: Kosten sparen durch user-generated-content und gleichzeitg versuchen, die kostenlose Verwendung eigener Inhalte zu verhindern.
Man muß vllt. auch ein bißchen Nachsicht üben, da bei den Medienunternehmen – euphemistisch formuliert – Unsicherheit besteht, wie es mit dem eigenen Einnahmenmodell in der Zukunft aussieht. Kleine “Lockerungsübungen” macht ja das zdf – wer deren *mediathek* nutzt, kann auf einen Großteil des “normalen Angebotes” des Senders verzichten.
“Endausscheidung”, “das reinigende Feuer” – Apokalyptiker aller Länder, vereinigt Euch!
Geht´s auch mal ne Nummer kleiner?
@MARK S … für eine Apokalypse fehlt das Biest, es geht ja eher um das Aufkehren von Online-Kellerasseln.
“Reinigendes Feuer” – vlt etwas übertreiben?
Andere Konzerne hingegen kooperieren mittlerweile mit Youtube. Universal (und, ich glaube, Warner?) stellen offenbar selbst dort Musikclips ein – das geht natürlich gegen die Sender, die erst ihr Programm mit Hütchen-Spielen vermurkst und dann den Schuss im Internet nicht gehört haben.
Nun haben “die Medien” Blogs hinter sich gelassen und setzen auf Communities, die als möglichst dicke Tanker im Webstrom vor Anker gehen sollen: die saugen alles auf, was sich in Klicks und Werbung – und manchmal sogar Printableger – verwandeln lässt.
Der Rest des medialen Onlinebetriebs wird tatsächlich immer gleichförmiger. “Powered by” heißt es da mit zugekauften Beiträgen, von deren Erlösen die Autoren/Fotografen eh meist nichts haben. Die könnten auch mit Reis statt Inhalt handeln.
@Boris: ich finde es plakativ aber im Kern wahrhaftig.
sind das nicht negativ-web2.0-ausreißer? hat dieses modernisierte web nicht auch positive seiten?
klar ist es ärgerlich,wenn die entsprechenden sites solche dinge abziehen…aber ob sie da mit der community-werbung erfolgreicher sein werden? der erfolg ist natürlich von der online-gesellschaft abhängig…nicht in jeder werden die erwartungen erfüllt werden.
die tatsache, dass der online-betrieb immer einförmiger wird, kann doch auf die “reale” gesellschaft umgelegt werden. zwar entstehen permanent neue soziale nischen, jedoch werden sie durch das replenishment immer wieder aufgefüllt und sich im laufe der zeit ähnlicher (strukturell)…
Eine Trendwende kann ich beim Industrie-Stampf derzeit nicht erkennen. Allerhöchstens einen weiteren Trend unter vielen anderen: Wenn sich die Nachrichten-Elite bei Amateuren bedient, ist das doch ein Ritterschlag. Und wenn die Big Player gleichzeitig in der Qualität der Aufbereitung nachlassen, wird der Abstand zwischen Industrie-Produkt und Selbstgemachtem kleiner. Man kann die gegenwärtige Flutung der Medienkanäle mit Hochglanz-Produkten, Instant-Brei und allem dazwischen auch anders deuten: die Supertanker steuern auf Kollisionskurs, damit sich der Todeskampf des alten Systems nicht über Jahrzehnte hinzieht. Meine These: Wenn sich eine wachsende “Konsumenten”-Schaar von der immer gleichen Mediensuppe der Big Player angewidert abwendet bzw. dies als Ödnis pur empfindet, wächst die Zahl der “Prosumenten”, der kreativen Medien-Nutzer, -Masher und -Macher. In Verbindung mit Web 2.0-Technologien – jeder findet, was er sucht – verspricht das doch eine paradiesische Zukunft.
[…] Don Alphonso an der Blogbar. […]