Stellen wir uns vor: Unser Innenminster käme auf die Idee, sämtliche Unterlagen über unsere berufliche Tätigkeit zu sammeln, ein Paket daraus zu schnüren, für jeden Bürger ein Profil anlegen und das alles dann an der Börse zu verkaufen – er selbst wäre dann CEO der Firma, und würde von oben herab entscheiden, wo und wie man mit diesen Daten Werbung verkauft. Oder noch übler, er würde einen Unternehmer, der davor seine Firma in eine grandiose Pleite gesetzt hat, damit beauftragen, und der würde eben finanziell rausholen, was geht. Wir wären zwar dazu aufgefordert, unseren Datenbestand selbst aktuell zu halten, aber was letztlich geschieht, wird oben entschieden.

Oder nehmen wir an, Bertelsmann würde mit Erlaubnis der Regierung von allen Zuschauern seiner Medien die Daten erheben und sich das Recht zusichern lassen, diese Daten je nach Belieben zu verwerten. Ab und zu würden sie eine Mail verschicken mit dem Hinweis, dass diese Datenspeicherung so teuer ist, dass sie sie jetzt besser vermarkten müssen, ist ja alles zu unserem besten, also brauchen sie ein paar weitere Rechte für unsere Ausforschung, und wer nicht unterschreibt, fliegt aus der Gesellschaft raus.

Wäre krass, oder? Genau mit solchen Attitüden sind in letzter Zeit aber Xing/Open BC und die Holtzbrinck-Tochter StudiVZ aufgefallen: Mit dem Ziel der Ertragssteigerung wurden von oben Eingriffe verordnet und deren Folgen kleingeredet, die erst durch einen Aufstand der Nutzer und massiven öffentlichen Druck teilweise entschärft wurden. Geltende gesetzliche Regelungen und das Vertrauen der Nutzer ging da offensichtlich manchem sonstwo vorbei.

Und da stellt sich für mich eine Frage: Was sind das eigentlich für Sozialsysteme, in dem angeblich sozialen Netz? Auf der einen seite haben wir Nutzer, die interagieren wollen. Und auf der anderen Seite ein System, eine Firma, die diese Gesellschaft nach kommerziellen Gesichtspunkten betreibt. Wenn man sich die Reaktionen von StudiVZ und Xing anschaut, erinnert das weniger an das Wesen einer demokratischen Zivilgesellschaft, sondern eher an den ostelbischen Landjunker im Kaiserreich und dessen Umgang mit den Landarbeitern. Und es ist legitim, denn die “Gesellschaft” erteilt durch das Abnicken der AGB das Recht dazu. Die einzige Option gegen diese Diktatur der ökonomischen Zwäxnge ist der Austritt aus der gesellschaft, unter weitgehendem Verlust der Sozialverbindungen innerhalb des Systems.

Anders gesagt, wir haben es hier mit Sozialsystemen zu tun, die ausgerechnet gegenüber jenen, die die alleinige Basis des Firmen- oder Gesellschaftswertes stellen, mit Methoden agiert, die kein vernünftig denkender Mensch heute von der Bundesrepublik akzeptieren würde. Es ist ein Rückfall in den Spätfeudalismus, es dreht die Uhr um 100 Jahre zurück, es ist bunt angepinselter Manchesterkapitalismus auf Kosten der virtuellen Identität, geprägt vom Versuch, sich abzukoppeln und aus dem System heraus weitere Wertschöpfung zu betreiben. So wie der landarbeiter und Malocher damals wenn möglich ihren Konsum gleich wieder in den anderen Abteilungen des Konzerns tätigen sollten, versuchten StudiVZ und Xing mit Softporn-Kalendern oder Aktienwerbung ihre Mitglieder gleich nochmal abzuschöpfen.

Die neueste Idee dazu kommt übrigens von Holtzbrinck: Die üblichen wohlinformierten Kreise der Munich Area berichten, dass man in Zukunft auch am bei Studenten beliebten Nachhilfeunterricht mitverdienen will. Und zwar mit diesem Projekt, das dem Vernehmen besagter Kreise nach Ende Januar bei SchuelerVZ und StudiVz zum Einsatz kommen soll:

http://www.tutoria.de/

Tutoria sitztin der Bayerstrasse 21 in 80335 München – unter gleicher Adresse ist auch Holtzbrinck Ventures und Holtzbrinck Networks, der StudiVZ formal gehört. Geschäftsführer von Tutoria ist Matthias Ick, den Rest kann man sich denken, wenn man seinen Namen zusammen mit Holtzbrinck bei Google sucht. Na, schnackelts? Bei SchülerVZ sind die, die Nachhilfe brauchen (unter anderem, weil sie ihre Zeit im SchuelerVZ vertrödeln und bei den Noten abfallen), und bei StudiVZ diejenigen, die Geld brauchen (unter anderem, weil sie nicht nur wegen der coolen Sprüche bei der Gruppe “Facial Cumshots are forever!” sind, sondern dieses oft nicht kostenlose Hobby auch mit den dort ansässigen Profidienstleisterinnen praktizieren). Und dazwischen, mitsamt der Prozente für die Vermittlung, passt genau das neue Startup aus der Bayerstrasse.

So geht das zu, im neuen Feudalismus. Und die Leute sind bereit, freiwillig mitzumachen. Schon komisch. Ich verstehe Euch nicht. Ich verstehe keinen derer, die sich da unterordnen.