Cognitive Dissonanz oder auch Das Internet von vorvorgestern
Am Freitag war ich auf einem Podium in Mainz mit Teilnehmern vom Jurassic Park Broadcasting ZDF bis zu Julius Endert von Blinkenlichten, der die Zukunft des Fernsehens nicht nur im Internet sieht, sondern auch gestalten will. Und das Ganze fühlte sich ein wenig wie eine Zeitschleife an, denn die gleiche Debatte hätte man 2001 nicht nur führen können, sondern man hat sie auch schon geführt. 2002 hatte ich das Vergnügen, eine Veranstaltung zum Thema mobile content zu moderieren, und es ist schon etwas erschreckend, ein paar Jahre später die gleichen Ideen neu verpackt als neuesten heissen Scheiss präsentiert zu bekommen, inclusive der weitgehenden Ausklammerung der Refinanzierungsfrage, aber mit jungen Mädchen, die von Zeitungen ohne Einweisung mit der Filmkamera rausgeschickt werden. Und anderen, die glauben, dass Handyjournalismus das nächste tolle Ding ist.
Es spricht wenig dagegen, schon mehrfach gescheiterte Konzepte neu aufzugreifen nach dem Motto “Millionen mussten auch erst mal sterben, bis man endlich von der Kanonenkugel endlich bei der Atombombe war”. Was mich aber schon etwas verwundert, ist die mitunter geschichtsklitternde Ignoranz beim Ausrufen neuer Trends ohne Rücksicht auf Erfahrungswerte. Angereichert mit einer Technikgläubigkeit, die 10 Megapixel einer Kamera mit einem guten Bild gleichsetzt. Die in “All Platform Journalists” ein Modell für eine Zukunft sieht, ohne auch nur einen Gedanken an die Untauglichkeit aller Plattformen für jeden beliebigen Inhalt zu verschwenden. Ãœberhaupt: Das Internet als Allheilmittel im Streit der Kanäle untereinander, als müsste etwas nur online sein, und die Sache wäre gut. Man kann wieder prima anderthalb Stunden über Medien im Web2.0 reden, ohne die Frage der Qualität der Berichterstattung, Glaubwürdigkeit oder gar Relevanz von Information anzusprechen oder dem zu machen, was es ist: Die in letzter Instanz absolut entscheidende Frage.
Und da frage ich mich schon, wo eigentlich der Lerneffekt aus dem Untergang der New Economy geblieben ist. Denn ein fraglos geändertes Nutzerverhalten durch Youtube, Bilderdienste und Kommunikationskanäle ist erst mal die Auflösung aller mediendefinierter Hierarchien, und ein Grundproblem der New Economy war, dafür weder die richtigen Inhalte anbieten noch ihre unzureichenden Inhalte kommerzialisieren zu können. Damals wie heute hoffte man massiv darauf, dass es die Werbung schon richten würde; damals hatte man neben dem eigenen Niedergang die Folgen des Terroranschlags vom 11. September, heute hat man die Kreditkrise, und miserable Click-Through-Raten, Tendenz weiter fallend.
Die Ergebnisse so einer unbedarften Haltung kann man sich dann bei Zoomer.de anschauen: Miserabel ausgeleuchtete Videos mit Zombieaussehen und Ton aus der Gruft, Gefälligkeitsschreibe für ein Zielpublikum auf dem netzbasierten White-Trash-Trip, und trotz riesigem Werbeaufwand bei StudiVZ unterirdische Nutzerzahlen, die nach ein paar Monaten einen Relaunch nach sich ziehen. Oder Germanblogs. Oder PiYoBo. Oder Ivyworld. Oder Watchberlin. Oder die eingegangene Max mit Flickr. Oder die FAZ, die ihren eher konservativen Lesern einen brandneuen, supigeilen “Reading Room” als Rückkanal anbieten wollte. Diese spezielle Zukunft hat längst begonnen, die Welle rollt seit ungefähr 2004, es gibt sehr, sehr viele Fehlschläge, aber es geht scheinbar immer weiter mit lustigen neuen Ideen Anno 2000 in neuer Verpackung.
Vier Jahre Web2.0. Eine absolut maue Bilanz. In der realen Wirtschaft hätte man ein derartiges Projekt schon nach 2 Jahren einer gnadenlosen Revision unterzogen, aber im Netz wird weitergestümpert. Es gehört zu den Grundüberzeugungen des Internets, dass man hier draussen vorne dran ist und die Zukunft gestaltet, aber für mich sind das die alten Fehler in neuer Atemlosigkeit, und das, obwohl man Jahr und Jahr Zeit hatte, sich gründlich zu überlegen, was man tun will, wen man erreichen möchte und wie man adäquat auf die Demokratisierung der Medien reagiert. Und ich sitze auf einem Podium und muss ausführen, warum Technik alleine vollkommen wertlos ist.
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Hattest Du das Gefühl, dort jemanden zu erreichen oder doch nur das übliche Unverständnis gespürt?
gibt es einen mitschnitt von diesem podium zu sehen oder hören? auch wenn ich aufgrund deiner eindrücke nicht versprechen möchte alles sehen bzw. hören zu können… klingt doch eher trist.
wer war denn alles dabei?
Hi, habe mal für dich gegooglet:
http://www.jugendmedienevent.de/programm/beim-zdf-zu-gast.html
oh… danke dir… *peinlich* die frage nach dem wer ist kompetent und umfassend beantwortet…
und ich wundere mich auch schon ein gutes stück weit weniger über die angesprochenen, aufgewärmten rezepte…
Auffallend bei den Panels: Das ist fast eine reine Männerveranstaltung. Dabei wollen mittlerweile mehr junge Frauen als Männer “Journalist/in” werden. Für einen “JugendMedienEvent” zeigt dies, das auch bei anderen Aspekten die Realität einfach ausgeblendet wird.
Tachchen ;)
Ich war selbst bei der Diskussion dabei und kenne auch erst seitdem diesen Blog…
Ich kann den letzten Beitrag nicht ganz bestätigen.
Es gibt dieses Jahr einen wesentlich größeren Frauen als Männeranteil
(ca. 350 Frauen und 150 Männer)
Es soll aber letztes Jahr anders gewesen sein!
Ich fand diesen Panel übrigends sehr gut, vorallem fand ich es lustig, was manche “Fachleute” dort verzapfen…
Aber es gibt hier auch sehr gute Panels und Seminare!
Gestern saß ich in einem zum Journalistischem schreiben.
Und das hätte ich mir das Seminar echt noch sehr gerne länger angehört!
Generell sehe ich es aber nicht so pessimistisch, dass das Fernsehen im Internet völlig sinnlos sei.
Ich finde es sehr praktisch, dass Pro7 und sat1 ihre Inhalte auch online präsentieren.
Ich finde es angenehm, wenn ich mir ne gute Serie anschauen kann, wann ich möchte ist das schon sehr praktisch.
Ich kann z.B. aus Beruflichen Gründen die Serie “Dr. House” nicht schauen, obwohl das meine absolute Lieblingsserie ist.
Und das programmieren meines Videorekorders ist auch sehr unkomfortabel.
Da Nutze ich gerne Protale (meist jedoch nciht die eigenen der Sender), um mir genau das anzuschaun, was ich mir wünsche!
Schöne Grüße vom JME
Basti
Ich meinte den Männeranteil auf den Podien. Dass im Publikum mehr Frauen als Männer waren, hätte ich vermutet. Wenn man etwas über die Zukunft des Journalismus sagen kann, dann dass diese weiblich ist.
(Nachgetragener neuer Kommentar von Sebastian No. 6, den ich versehentlich gelöscht habe:)
Da kann ich dir nur zustimmen!
Ich hatte nun bei über 10 Seminarleitern nur eine Frau dabei!
Und ich muss sagen, das war das beste :D
“… Technikgläubigkeit, die 10 Megapixel einer Kamera mit einem guten Bild gleichsetzt”
Diese Technikgläubigkeit (an der ich mir als Designer und Bildmensch irgendwann noch den verdammten Schädel einrenn’) ist ein weit verbreitetes Bug, egal wo man hingeht…, ach ein Feature. Das wird nicht vor Ende dieses Jahrhunderts aufhören, oh Herr schenk den Technikfreaks Hirn vom Himmel.
@Bör: Verweise sie doch auf diesen Heise-Artikel, der das Thema der vielen Megapixel und der dazugehörigen Sensorgrößen recht verständlich darstellt.
Öhm, is ganz nett mit Betrachtungsabstand und Interpolation, das geht nur genau in die falsche Richtung :-)
Ein gutes Bild ist eines, das das Richtige aussagt, gut aufgebaut ist, gute Komposition hat, gute Ausleuchtung. Die richtige technische Auflösung (für Web, für 60er Offset, oder für Kunstdruck bis 90er Taster, für Blow-up etc.) oder der Betrachtungsabstand ist ein Teil davon. Nur Technikfreaks glauben, dieses zu haben, oder zu übertrefen, oder das Wissen darüber reiche für ein gutes Bild.
Genau so falsch läuft es leider mit technisch orientierten Geschäftsideen wie den im Eingangsartikel beschriebenen. Man glaubt, die Technik sei schon: die Idee.
Dabei reicht das lange nicht.
Es wird immer wieder vergessen: Wer will und braucht das überhaupt. Und es wird eben auch sehr gerne vergessen vor lauter technischer Begeisterung über das technisch Machbare (falls genügend Zielgruppen überhaupt über genüpend solide Bandbreite verfügen und die eigenen Server genügend Leistung haben, falls): Refinanzierung, Erlösmodelle.
Zum Fotografieren: Ich gebe Dir ja recht, dass am Ende ein gut komponiertes Bild herauskommen muss. Aber trotzdem muss man erst mal die technischen Grundlagen verstanden haben und man muss das richtige Werkzeug in die Hand nehmen. Nein, natürlich ist damit noch nicht garantiert, dass ein tolles Bild entstehen wird. Aber die Wahrscheinlichkeit steigt;-)
Zum technisch Machbaren und zu den Ideen hinter den Geschäftsmodellen stimme ich Dir im wesentlichen zu.
Ich denke, es ist eine Frage der Zielgruppen-Definition.
Zum Beispiel läuft die Kommunikation zwischen IBM und Businesspartnern über technisches Zeugs erstaunlich besser, nachdem die versuchen irgendwie Web-zwo-nullige Elemente zu nutzen. Wird bei anderen größeren Software-Firmen ähnlich laufen, da steck ich nur nicht so drin. Oder grundsätzlich, wenn man sich von einer Diskussion einer möglichst klar definierten Zielgruppe einen Mehrwert für die Teilnehmer verspricht.
Ich war da sehr skeptisch. Das ist dann aber auch eine recht klar definierte Zielgruppe, gegenseitiger Respekt, klare Interessen, d.h. für IBM ein Rückmeldungskanal von Leuten nah an Kunden, für Businesspartner die neuesten Infos aus den Produktlinien. Da gehts natürlich um einen klar umrissenen und ziemlich speziellen Bereich, in dem Information einen in Geld vergleichsweise leicht übersetzbaren Wert besitzen. In den geschützten Bereichen wird dann auch von tendentiell diplomatischeren Amis kein Blatt vor den Mund genommen.
Du schreibst über breitgetretene Info-Autobahnen, über die sehr flache Informationen fließen. Der Nutzen, den die Leute aus der Partizipation ziehen, ist nicht klar definiert. Höchstens Fun für den Anwender. Oder noch’n Werbekanal für Unternehmen. Vielleicht noch Rückmeldungen für die FAZ. Da wird aber eine ziemlich breite Gruppe antworten und es dürfte dann für die FAZ schwierig sein, wirklich wertvolle Informationen zu filtern.
[…] War da nicht mal irgendwas mit Don Alphonso und der FAZ? usw. […]