Online first? Newsdesk? Im Westen nichts neues.
Zuerst mal: Ich arbeite generell nicht mehr so viel im Journalismus, dafür eher woanders. Und wenn ich mir die Lage des Journalismus so anschaue, bin ich ganz froh über diesen teilweisen Ausstieg. Grob gesagt stehen die Kollegen gerade vor der Wahl, Einkommenseinbussen durch billigere Arbeit zu akzeptieren, oder Einkommenseinbussen durch weniger halbwegs gut bezahlte Arbeit, oder Einkommensstagnation durch mehr Arbeit und Selbstausbeutung. Alle drei Alternativen sind schlecht, und wem sie nicht passen, für den gibt es auch noch die Arbeitslosigkeit. Das, was dem Vernehmen nach 300 Mitarbeitern der WAZ-Gruppe droht. In einer Region, in der die WAZ mit ihren Blättern Monopolist ist.
In dieser unschönen Lage, 30 Millionen Euro Einsparvorgaben zu haben, hat die WAZ jetzt ein neues Konzept für ihre Printtöchter vorgestellt, das man grob mit Onlinestrategie für Print umschreiben könnte – konktret wird es für alle einen zentral erstellten Mantel geben:
Der Content-Desk
Der Content-Desk liefert für In- und Ausland, Wirtschaft, Sport, Kultur, Vermischtes und Fernsehen qualitativ hochwertigen Content an die Titel von NRZ, WAZ und WR.
Die früheren Ressorts der drei Titel werden ersetzt durch Newsdesks für Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur und Vermischtes/Fernsehen. Jeder Newsdesk hat einen eigenen Chef (= Ressortleiter). […] Der Westen gewinnt durch die neue Struktur einen unvergleichlichen Content sowohl in Geschwindigkeit als auch Kompetenz. Durchgängig gilt für alle Redaktionen: Online first.
Das ist so ähnlich wie das Konzept des gemeinsamen, mit einem zentralen Newsdesk bestückten Onlineportals “Der Westen”, diesmal nur auf Papier und mit unterschiedlichen Zeitungsnamen und Lokalteilen. Das wird ohne Zweifel billiger. Aber besser?
“Der Westen” war etwas, das man ohne Zynismus als misslungene Zangengeburt bezeichnen kann, mit lachhaftem Bloggestümper und windigen Löhnen. DerWesten ist zwar besser als die alten Webseiten der Einzelredaktionen, für sich genommen und im Vergleich mit anderen Nachrichtenportalen eher drittklassig. Dass man die Notwendigkeit verspürt, Nutzer über Google Ads “einzukaufen”, ist das eine; dass man mit unter 5 Millionen Visits pro Monat (oder 160.000 pro Tag) bei den 5 Millionen Einwohnern des Ruhrgebiets nur einen Bruchteil mit dem Portal erreicht, das andere. Das selbst gesteckte Ziel, der zentrale Anlaufpunkt für die Region im Internet zu werden, hat man damit verfehlt, aus der geplanten Community wurde sehr wenig, und soweit ich sehe, hat man auch das nutzerbasierte Geotagging, das eine heisse Sache werden sollte, gekippt. Die Einbindung der lokalen Nachrichten ist bis heute rudimentär, um es höflich auszudrücken.
Sprich: Die WAZ hat bereits ein Beispiel für einen nicht funktionierenden Zentralapparat, wie er geplant ist – im eigenen mauen Internetprojekt. Der soll jetzt auch vorrangig bedient werden, mit all den eher fragwürdigen Folgen für Recherchetiefe und Qualität, die das schnelle Raushauen im Internet so mit sich bringt. So kann man natürlich Geld auf allen Ebenen sparen, aber bitte nicht wundern, wenn am Ende “DerWesten” ausgedruckt wird – für den Bruchteil der Regionenbewohner, die für den Schrott zu zahlen bereit sind, den DerWesten heute schon kaum an den Mann bringen kann.
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Da hatte ich eigentlich gedacht, derwesten wäre bis heute deswegen technisch so dermassen grottenschlecht implementiert, damit die abtrünnigen Ex-Printkäufer wie ich wieder jeden Morgen reumütig zum Briefkasten rennen.
So eine gute alte Zeitung aufblättern und dabei keine Ultra-Ladezeiten und Werbe-Applets entgegengeschleudert bekommen – traumhaft.
Ich war so weit. Und jetzt das.
Gut, man kann Bodo Hombach nicht vorwerfen, inkonsequent zu sein. Sein Porsche muss halt durch die Wand, auch wenn hinterher nur noch der Türgriff übrigbleibt.
Die Titelredaktionen NRZ, WR, WAZ
…
bestellen Texte beim Content-Desk.
Das hört sich wie Fastfood an. Uvergleichlicher Content sowohl in Geschwindigkeit als auch Kompetenz und hochwertiger Journalismus. Alles ziemlich widersprüchlich, ähnlich den Werbeaussagen beim Burger-Brater. Allein das Wort “content”. Irgendwie Sättigungsbeilage.
Vom Leser ist da nicht die Rede.
@Porschekiller: Das Putzige ist ja das die beim Westen immer noch glauben, ihre Technik sei gar nicht (mehr) so schlecht. Dabei hat sich gerade im superduperneuen Corporate-Krisen-Blog mal wieder gezeigt, dass die die Komplexität des Systems wohl niemals in den Griff bekommen werden: http://tinyurl.com/6z5sz8
Bei aller berechtigten Kritik an den “Strategien” der WAZ muss man aber auch zugestehen, das sie es mit vielen ihrer journalistischen Kollegen auch nicht eben leicht haben (vgl. ebenda).
Wenn ich den Begriff “qualitativ hochwertig” lese, weiß ich schon, dass es Trash ist. Marketinggeschwätz.
WAZ/NRZ/WR/WP: Betriebsversammlung und DerWesten am Sonntag…
Damit ich dieses Blog nicht in WAZ-Watchblog oder so umbenennen muss, habe ich zwei inhaltlich nicht direkt zusammengehörige Artikel mal in einem Blogbeitrag zusammengefasst:
Betriebsversammlung der Betriebsräte von WAZ, NRZ, WR und WP in d…
@50hz
Ach du schei..e! Hab mir das vorhin mal zur Gänze gegeben und mein DejaVue war zunächst: Oha, Finanzamt Dortmund-West bei der Einführung von Windows…
Ich muss mich da persönlich gehörig winden, wenn ich Dir mit den “realitäts-resistenten” Kollegen recht geben soll. Aber: (uhm, ääh, kratz) ja, Du hast Recht:-(
Problem ist nur: Aus *diesem* Dilemma kommen die Gesellschafter und die GGF nicht mehr raus, denn dafür ist von vornherein zuviel Bockmist mit demwesten passiert – nach dem Motto “Schei.. was auf Mitbestimmung und Diskussion; Ick hau die Belegschaft jetzt mal was Schickes auffe Nase und dann müssen alle mitziehen”. Und dem Kunden (egal, ob Print oder online) juckt’s nicht im Entferntesten, wo die Probs wirklich liegen. Weg ist weg.
“Weg ist weg.”
Für die Linguisten: Heisst latürnich bei uns im Westen so: Wech is wech;-)
Wech is wech für Optimisten:
Et is wie et is, et kütt wie et kütt und et hätt noch immer jut gejange.
@Bör
Oder für Visionistas: Vor Kohle is dunkel.
Ach, übrigens, Jüngelchen von Matt bei SPON heute:
Natürlich gibt es im Internet eine Gratiskultur. Die ist über Jahre gewachsen und lässt sich nicht von heute auf morgen abschalten. Das ändert aber nichts daran, dass wir mehr Bezahlangebote im Netz brauchen, damit dort mehr Geld verdient wird – auch mit Blick auf eine zukünftige Medienlandschaft, die vorwiegend im Web liegt. In anderen Online-Branchen funktioniert die Kostenpflicht schließlich auch. Die Kunden zahlen beispielsweise für Handy-Klingeltöne. Warum soll man das nicht auf Medienangebote übertragen?
Soviel Dummheit ist nicht kommentierbar…
Online first?…
Treppentürmchen
Ganz ehrlich, ich verstehe die Online-First-Strategien (wie aktuell bei der WAZ durchgedrückt) nicht, die durch die Tageszeitungslandschaft rauschen. Gerade was das Lokale und Regionale angeht, hätten doch die gedruckten Medien noch …
dass die aber von nix ne ahnung haben sieht man ja auch an den extrem unattraktiven werbebannern, die sie in diversen fussballbundesliga-stadien haben. (davon wüsste ich gerne mal die klickraten HAHAHA!)
Das Problem reicht doch über die WAZ weit hinaus: Wenn der flitzkötelnde Quickie-Journalismus dem arglosen Zuschauer täglich seinen ‘Content’ ohne Entsorgungsnachweis vor die Füße kippt – dürfen wir es diesem Publikum dann verargen, wenn es sich medial in Neapel wähnt und nach Beseitigung der duftenden Schweinerei schreit …