Wallstrip oder wie verliere ich 5 Millionen Dollar mit einem Videoblog
Ein Beitrag, der für die diversen im Web2.0 aktiven Serienpleitiers unter den Lesern wie Peter Turi spannend sein dürfte, denn so eine kapitale Pleite geht auch ohne in Heidelberg vorsprechende, ausbleibende Zahlungen beklagende Mitarbeiter, einen weinerlich präsentierten, psychischen Defekt und teure Urheberrechtsverletzungen –
Indem man nämlich ein Videoblog für mutmasslich 5 Millionen Dollar kauft (das Geld muss man natürlich erst mal haben), es dann nicht erfolgreich ausbauen kann und das Projekt nach anderthalb Jahren praktisch einstellt. Ziemlich genau auf dem Höhepunkt des Wallstreet-Booms, im Mai 2007, kaufte der amerikanische Medienriese CBS das Videoblog Wallstrip.com, dessen Machart hinlänglich bekannt sein dürfte: Eine nur mässig geschlossene bekleidete Moderatorin liest holprig Texte zu schlecht recherchierten Einspielern vor, lächelt und versucht dabei witzig zu sein. Was machen eigentlich Ehrensenf und Frau Bauernfeind? Aber es ging bei Wallstrip um den Markt der Zukunft, um Wirtschaft, die Wallstreet, Geschäfte, Geld und die von allen so begehrte junge, männliche Zielgruppe, die ein wenig Entspannung bei ihrem Job an den Finanzmärkten suchten – und im Internet bei Wallstrip finden sollten. Zusammen mit der Idee, diese Show auf allen möglichen Video-Kanälen im Internet zu verbreiten, muss das Startup mit nichts mehr als diesem Webvideodingens CBS attraktiv vorgekommen sein.
Anderthalb Jahre später gibt es eine Finanzkrise, eine Bankenkrise, eine Werbekrise und auch eine Medienkrise, und zu guter letzt: Eine Wallstripkrise, denn das Format wurde nie der Renner, der es noch vor anderthalb Jahren zu sein schien. Seit Mitte Dezember gibt es bei Wallstrip keine Videos und Blogeinträge mehr, und wie es nun durchsickert, wird es auch so bleiben. Elemente des Projekts sollen andernorts weitergeführt werden. Klingt fast so gut wie “allerdings erhalten bleiben“, wenn man einen Lügner, dessen Verhalten teuer wurde, vor die Tür setzt.
Und jetzt mal im Ernst: Was mich bei solchen Geschichten immer wieder erstaunt, ist die Unfähigkeit von Medienmanagern, zwischen echten Geschäftsmodellen und einem schnell hingeklatschten Hype zu unterscheiden. Wallstrip wurde bereits nach ein paar Wochen von Spiegel Online (http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,461257,00.html) zur “cleveren Geschäftsidee” ernannt, obwohl die Filmchen selbst nach Unternehmensangaben nur ein paar tausend Zuschauer hatten. Wallstrip tauchte wegen ein paar populärer Parodien in vielen US-Medien auf, aber gerade bei CBS hätte man erwarten können, dass sie den Unterschied zwischen dem Geblöke der Medien für ein auf Verkauf getrimmtes Startup und einer soliden Firma in einem luktrativen Markt kennen.
Der Fall ist ziemlich beispielhaft für die aktuell oft diskutierte Frage, was so ein Blog eigentlich wert ist, und was der Rummel um ein Blog letztlich über dessen Geschäftsmodell und dessen Nachhaltigkeit aussagt. Ich würde nicht bestreiten, dass Blogs und andere neue Webentwicklungen für viele Firmen geldwerte Vorteile bringen, aber auch bei genauem Nachdenken fällt mir kaum ein Projekt ein, das gekauft wurde und bislang die kommerziellen Erwartungen erfüllt hat. Es gab sehr oft Hypes im Angebot, aber egal ob StudiVZ, Flickr, Facebook, Youtube und wie sie alle heissen, keine nachhaltigen Gewinne. Der nächste Konkurrent, der das Prinzip einfach klaut und verbessert, ist immer gleich um die Ecke. Und wenn man dazu noch die eher vagen Geschäftmodelle wie Werbung nimmt, könnte selbst einer dieser naturprallen Medienmacher ins Grübeln kommen, wenn kein Koks mehr da ist oder die untere Phase des bipolaren Störung einsetzt. So wie Wallstrip, das dürfen wir jedenfalls mitnehmen, geht es offensichtlich nicht.
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Ohne Interna zu kennen: 5 Mio. sind für einen TV-Sender wohl eher “Spielgeld”, um etwas auszuprobieren als eine strategische Investition. Die niedrigen Preise, die hier in Deutschland für Blogresterampen verlangt undn kaum gezahlt werden, erwecken in USA nur ungläubiges Erstaunen… (“Do you want my credit card” als Antwort).
Klug, das dann nicht endlos fortzuführen, wenn es sich nicht refinanzieren lässt – oder es aufgrund einer anderen Firmenübernahme eine Stelle (BNET) gibt, wo es besser reinpasst als in einen Fernsehsender, der doch ganz andere Strukturen hat als ein Webangebot.
Disclosure: ich schreibe hier zwar privat (und vom Urlaub aus), aber ich möchte darauf hinweisen, dass ich bei einer CBS-Tochter arbeite.
Ich würde mal vermuten, dass CBS heute keine derartig überzogenen Preise mehr zahlen würde, und schon damals gab es in den USA hochgezogene Augenbrauen. Schliesslich war Wallstrip gerade mal ein halbes Jahr alt, und schon damals war das Thema ziemlich durch. Für CBS mögen 5 Millionen nicht viel sein, aber wenn die alles so teuer einkaufen, kenne ich einen Usinger, der denen vorgestellt werden möchte, bis kommenden Donnerstag, und vermutlich noch ein paar Dutzend Kommerzblogger.
Die Einstellung ist fraglos richtig, es war die falsche Nummer zur falschen Zeit. Oder von Wallstrip aus gesehen: Sie haben zum perfekten Zeitpunkt verkauft. Trotzdem erstaunlich, weil man meinen sollte, dass Medienkonzerne auch bei solchen Projekten in der New Economy das Hinschauen gelernt haben.
Die Zeit für solche Deals ist sicher erst einmal vorbei. Kauft man sich jedoch mit einem Blog oder einem anderen überschaubaren Projekt ein paar wirklich gute Leute ein, die auch im grösseren Rahmen funktionieren, kann es Sinn machen. Der Blog als Arbeitsprobe. Ist für Konzerne manchmal effizienter da einzusteigen Statt selbst zu entwickeln oder gutes Personal quasi auf Verdacht einzustellen. Für deutsche Bloggewächse sehe ich da fast ausnahmslos keine Chancen… was sollten die können, wofür Nachfrage besteht, wie sollten die Leute dahinter skalieren.
Ich gebe dir ja total recht. Aber Youtube und Flickr passen leider gar nicht dazu. Das weißt du auch.
5 Millionen für eine overhypte Internetseite mit dennnoch vergleichsweise geringen Zugriffen und fehlenden Geschäftsmodell:
Das ist wie fortgeworfenes Geld. Auch für CBS. Schon 1989 wussten Public Enemy:
Don’t believe the Hype!
(Deans Musikempfehlung bis 15.01.2009, 19:51 Uhr)
Jedes Blog hat seinen Wert, nur wird dieser von vielen zumeist falsch eingeschätzt. Ein paar 1.000 Onlinevideo-Zuschauer sind doch niemals fünf Millionen Dollar wert. Niemals! Aber heutzutage kommt es ja darauf an, den Goldesel der Zukunft früh zu erkennen und zu kaufen, damit niemand anderes einem dieses güldene Maultier vor der Nase wegschnappt. Nun wissen wir ja, dass es einen echten Goldesel nur in Märchen gibt. Was bleibt? Ein ganz gewöhnlicher Esel. Mit etwas Glück und wohl eher selten ein fleißiger Zeitgenosse, der sich doch irgendwann und irgendwie rentiert und vielleicht, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht trifft er den Zeitgeist und wird schnell von vielen Menschen sehr gemocht wird. Dann wird aus dem Esel doch noch etwas. Man könnte das auch das Bohlen-Erfolgs-Syndrom nennen. Das ist nicht schön, funktioniert aber…
Was machen eigentlich Ehrensenf und Frau Bauernfeind?
Bauerfeind bekommt erst einmmal ein “Popkulturmagazin” unter ihrem Namen, das 1x im Monat auf dem Spartensender 3Sat laufen soll. Mit “PC-Look”… (blaue Fehlerbildschirme als Zwischentitel?)
Für die erste Sendung soll sie Altrocker Lindenberg besucht haben. Nicht sehr innovativ und avantgarde. Wie weit muss man eigentlich im TV fallen?