Die Stöcke in den digitalen Ärschen
Was mir zunehmend übel in all den Debatten über das Internet im Allgemeinen und Blogs im Speziellen aufstösst: Jeder, der sich ein wenig mit dem Thema beschäftigt, erlebt tagaus tagein das übliche Problem aller evolutionärer Entwicklungen. Dass nicht alles ideal läuft, dass Sackgassen entstehen, eine mitunter absurde Gleichzeitigkeit modernster und scheinbar überkommener Formen, es treten Windbeutel auf und überplärren die Klugen, es wird gedrängelt und geschoben, und viele sind angenervt von jenen, die ums Verrecken vorne dran sein wollen. Das ist nicht ungwöhnlich, denn die Ablösung des Alten durch das Neue geschieht nicht in einem schnellen Umbruch, sondern durch das bewusste Diffundieren der Verteter des Alten in das Neue.
Und das geht in der Regel um so einfacher, je besser, schöner und sinnvoller das Neue ist. Die Vorteile einer Webcam, mit der ich daheim schauen kann, wie das Wetter am Tegernsee ist, habe ich meiner Mutter nicht erklären müssen. Aber Blogs? Twitter? Oh je.
Inzwischen kristallisiert sich ja heraus, wo die Reise im Digitalen hingehen soll: Zum omnipräsenten Echtzeitnetz. Zum Verschmelzen der Matri mit der Realität. Die Idee stammt aus der Mitte der New Economy und wurde 2002 vor allem von Handyanbietern propagiert, jetzt endlich soll es mal wieder so weit sein. Oder? Was haben wir denn als Vorreiter? Ein paar Werber, die sich verkriechen. Der eine hinter seiner Frisur, die anderen hinter Zombiebildern oder dem Zeug, das sie bei anderen Blogs finden, oder hinter Vorreiterrollen. Kennt jemand das reale Leben von Lobo, Haeusler, Walter, Weigert, Simon und Sixtus? pder bekommen wir da nicht bauch eine Echtzeit-Simulation?
Ab und zu dringt was durch, einer zumindest lässt sich auch mal von Microsoft bezahlen. Vor ein paar Jahren wollten sie alle auch mal hübsch mit dem Bloggen verdienen, was nicht so oll geklappt hat. Und soweit ich diese Leute kenne, wissen sie auch, dass es noch ein hartes Stück Arbeit wird, um die Massen dorthin zu bekommen, wo sie den Ton anzugeben meinen. Wer der den Weg in Frage stellt, bekommt schnell eins reingewürgt, sei es von ihnen oder ihren Handlangern.
Ich persönlich finde diese kognitive Dissonanz gar nicht so schlecht. Eine evolutionäre Entwicklung hat ja gerade den Vorteil, dass sie einen Weg als Ziel hat, und nicht ein Ziel. Irgrendwann bleiben solche Entwicklungen stehen, weil es vorne zu absurd, zu komisch, zu schräg wird, weil man dort nicht hin möchte. Ich vermute, dass die Protagonisten des Zielsystems durchaus wissen, dass es nicht für jeden geeignet ist. Vermutlich nicht mal für eine Minderheit. Vielleicht gerade mal für sie, ihre Freunde und die Cretins der Werbewirtschaft, die dafür zahlen. Vermutlich ahnen sie auch, dass Laut und Schrill und Anders nicht wirklich die Argumente sind, die man braucht, um von der Richtigkeit des Weges zu überzeugen – aber in der Sekte der Jasager ist es einfach angenehmer. Selbst wenn der Guru, wenn er es braucht, dann vor Firmenvertretern ein paar Gänge runterschaltet. Den Führerstock aus seinem Arsch rausnimmt, um flexibler in die Därme anderer Leute zu schlüpfen.
Gerade die deutschen Blogs kranken daran, dass die meisten bekannten Personen über solche Themensetzungen bekannt geworden sind. In anderen Ländern hat sich die Szene längst thematisch aufgefächert, aber in Deutschland haben wir es mit einem durch gemeinsame Interessen verfilzten Zirkel zu tun, der es nicht verstanden hat – oder es auch einfach nicht beherrscht – sich entsprechend neu zu justieren. Im Ergebnis redet man nicht mehr über Themen, sondern über die Technik, die Themen zu bringen. Oder wie man Medien die Technik verkauft, um die Technik für Themen zu thematisieren, am besten mit einem selbst als bezahlter Kraft. Oder wie blöd die Medien sind, dass sie nicht kapieren, wie wichtig es ist, über diese Technik zu reden. Und warum sie nicht kapieren, dass die Vorreiter recht haben, und wie sie es überhaupt wagen können, die Heilsversprechen in Frage zu stellen.
Was ins Selbstbild absolut nicht passt, ist der Umstand, dass man trotz Medienkrise selbst auch noch nicht weiter ist als 2003, und die wenigen Erfolgsbeispiele, die man bringen könnte – nun, das Bildblog hat seinen Focus verloren, die Entwicklung der Zugriffszahlen bei Blogs ist bestenfalls neutral, und die Angebote, einen einzukaufen, sind auch nicht mehr geworden. “Stützen der Gesellschaft” heisst ein Blog, das zeigt, wie ein Blog innerhalb eines Mediums ergänzend und erweiternd wirken kann, aber blöderweise ist das von mir geschrieben und vom momentan so arg verrissenen Herrn Schirrmacher, angeblich nur “Zaungast” des Internets, in der FAZ eingerichtet worden – die können es also kaum als Erfolgsgeschichte verwenden.
Evolution, Baby. Der Weg. Der Weg, den man auch gehen kann, ist nicht der Weg der Internetsektierer. Niemand sagt uns, dass das Allesjetztsofortundüberall das ist, was die Leute wollen, und ob es die Leute überhaupt gibt. Aber um das zu verstehen, muss man vielleicht mehr als nur eine Welt kennen. Innehalten, nachdenken, überlegen, anpassen, evolutionär sein. Statt dessen wird unisono geblökt, nur weil jemand es wagt, das Wachstum von Twitter zu bezweifeln oder, WELTUNTERGANG die weltverbessernde Wirkung von Gewaltspielen zu bezweifeln. Ich glaube nicht, dass diese Leute da die Zukunft sind, diese Zukunft hätten wir schon immer während der letzten 10 Jahre haben können, und sie war in der Masse nicht erwünscht. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, mal eine Bestandsaufnahme der Erreichten und Misslungenen zu machen. Wenn man weiterhin am Weg mitwirken will.
Sorry, the comment form is closed at this time.
Twitter ist vielleicht der nachvollziehbare Wunsch aus ganz wenig viel zu machen. Blei zu Gold halt, der ewige Menschheitstraum. Weiters denke ich, dass viel zu viel auf einen Schlag gewollt wird. Das ist wie Tannenbäume an Weihnachten kaufen. Niemand sieht wirklich wie lange es dauert bis der Baum derjenige ist, der da im Wohnzimmer steht. Eine Sache ist halt immer die gleiche: Es bleibt Arbeit, die nicht nur monetäre Investition bedarf, sondern eher den Willen etwas zu machen und Spaß an der Technik zu haben. So geht es mir zumindest. Vielleicht ist Stützen der Gesellschaft einer der erste Schritte dem viele weitere folgen werden. Aber es gibt doch Abseits der vielen Marktschreier viele Blogs, die einfach interessant sind und zwar weil das Thema ergreifend ist oder es einfach gut geschrieben wird. Ich bin eh der Meinung, dass der Blick in die Weite der Blogosphäre mehr Spaß macht als der schnöde Blick nach oben. Davon bekommt man eh nur Nackenschmerzen.
[…] EDIT 27.11.09 01:05 Leseempfehlungen: Djure Meinen hat das Thema “Clara Einfach†und seine zahlreichen losen Enden in seinem Beitrag “Von wegen Clara: Microsoft auf Virus†auf 50Hz noch einmal ausführlich aufgegriffen, und der Kommentarbereich beginnt sich ebenfalls zu füllen. Und nicht bloß tangential berüht das Thema auch Don Alphonso in seinem Eintrag “Die Stöcke in den digitalen Ärschen†auf der Blogbar. […]
Ich finde bezahlen gut. Nur sagen sollte man es :-)
Stimmt schon, da ist eine Menge dran, an der selbstverliebten Wirwissenwiesgeht-und-deshalbmüsstihrunsfolgen-Leier der Early Adopters. Möglicherweise liegt das ja auch daran, dass Mantras durch Wiederholungen an Kraft gewinnen ;)
Andererseits kann man das auch als Ausloten eines Weges auffassen…
Und was die Leute – so es sie gibt – eigentlich wollen… nun so behäbig, träge und satt wie viele ihre Neophobie als Schutzschild gegen Alltagsstörungen vor sich her tragen, könnte man auf die Idee kommen, es sei Stillstand.
Aber immerhin hat das Avantgarde-Geblöke auch was Gutes: es hat zu diesem Blogpost geführt ;)
[…] Aus dem Artikel “Die Stöcke in den digitalen Ärschen” von Don Alphonso: […]
Es bringt auch nichts, zur Unzeit die Geduld zu verlieren. Es gibt doch viele interessante Ansätze (sprengsatz.de oder eben auch Stützen der Gesellschaft, Paul Krugman).
Diese “Vordenker” sind ähnlich innovativ wie der Verein der Kleinbahnfreunde in Gross-Mimsberg. Zum 5. mal repubsica mit ewig den gleichen Themen und Referenten, barcamps in denen sich Bekannte zum gesponserten Wochenendtratsch treffen, webciety auf der Cebit, wo im Halbstundentakt die web2.0-Zukunft abgefrühstückt wird. Hat was von “Groundhog Day” – in einer Zeitschleife gefangen.
In einer Zeitschleife fühle ich mich allerdings.
Zumal auch die blogbar und ihre Schreiber nichts wesentlich Neues beisteuern als die altbekannte Kritik an roten Schöpfen und ihrer Leere, was ja richtig ist. Aber einen vom Erkenntnisgehalt nun auch nicht umhaut: Die Zukunft war gestern.
So und jetzt wieder alle die Finger aus den Ä… nehmen.
Nun, der Autor der Blogbar hat nun mal eines jener Blogs geschaffen, von denen andere versprechen, dass sie es schaffen könnten – und er bekommt Übernahmeangebote dafür, weil andere das wollen. Es ginge also schon, wenn man es könnte.
Gewisse Prozesse der falschen Erneuerung laufen nun mal eben nach den immer gleichen Regeln ab; wer die New Economy kannte, kennt auch die heutige Blase – nur mit dem Unterschied, dass damals alle hinterher liefen und diesmal keiner die Angebote haben will.
Dieser Unterschied zu 2000 ist allerdings sehr deutlich, zumindest mir.
Aber es kommt trotzdem noch was Unschönes nach: Anstatt einen ordentlich Tod vor den kritischen Augen der Avantgarde zu sterben, steckt man die Schei+e in den Ventilator. Sprich: jetzt werden Website-Betreiber (die, die immer im index “Willkommen bei der xy-GmbH” schreiben und das für toll halten) betrillert und “beraten”, dass sie doch twittern und bloggen mögen. Jetzt ist das, was eh nix ist, in der Masse angenommen.
Diagnose: Fortgesetzte Dummheit und Dreistigkeit bei den “Beratern” und Unfähigkeit zu echter Kommunikation bei den Unternehmen. (Hängt wie mit Uhu miteinander zusammen…)
Bie Letzteren ist das ja nichts Neues. Diese glauben, Kommunikation sei, wenn man sich ein CRM zulege und die Vertriebler diese Software mit Kunden-Daten füttern lasse und ihnen damit die Zeit wegnimmt, mit ihren Kunden wirklich zu reden. Wer blauäugig an die Allmacht vom Software und Technik glaubt, glaubt auch, das man sich mit Twitter “neue Zielgruppen erschließen könne”.
Ein Mist ist das.
Die zentrale Vokabel ist Bestandsaufnahme. Genau das ist es, was fehlt, weil es die Einen fürchten und die anderen Hassen werden. Die Einen, weil sie mehr versprachen und die anderen weil sie die Evidenz dann nicht mehr abstreiten können.
Eine kurze Anmerkung zum verwendeten Evolutionsbegriff: Evolution verläuft immer ‘ungerichtet’, also ohne Ziel. Sie schreitet zwar fort, aber sie erzeugt nicht unbedingt einen Fortschritt, sondern verhält sich rein ‘zufällig’, sei es in Hinsicht auf die Renditeerwartungen der Verleger und anderer Geldnasen, sei es in Richtung auf einen medialen Fortschrittsbegriff vieler Nichts-als-Blogger. Sie hat folglich noch nicht einmal “einen Weg als Ziel”.
Es ist einerseits völlig richtig, dass es sich beim Netz um ein evolutionäres Gebilde par excellence handelt, falsch aber ist es zu glauben, es ginge stracks auf irgendein ‘Wohin’ oder auch nur ein ‘Wo entlang’ zu.
“Evolution, baby”
Small steps, baby-steps, anti-hype, anti-anbieder etc punktipunkti…
Danke! Ich hätt’s nicht so schön formulieren können.
Ach Herr Jarchow, nicht so streng, ich musste neulich im Philsophiequartett im TV einen Prof. Mühlmann kennen lernen, der so dermaßen die Evolution mißverstanden hatte, dass es schon wieder eine Freude war. Er schrob sogar ein Buch über Darwin und Wirtschaftskriege, dem man mit Lamarckismus noch die Ehre antun würde, wenigstens ansatzweise verstanden zu haben, was denn Evolution sei. Die Gerichtetheit – oder um es präziser zu sagen – die Teleologie müssen Pragmatiker und Theologen in ihre Weltbilder aufnehmen, weil ihre Handlungen ansonsten reichlich willkürlich aussehen. Und dass wir doch so gar keinen freien Willen haben, wollen uns doch die Herren und Damen Theologen, Hirnforscher und Ökonomen deutlich machen. Allein, das Wörtchen Freiheit scheint ihnen so global zu sein, dass es ihnen immer wieder entschlüpft in ihren reichlich verquasten Stringenzen. Beim Alphonso muss man es eher als Metaper lesen für ein Voranschreiten des Weltgeists ohne erkennbare Führerpersönlichkeit, die im Menschen die Augen aufschlägt.
@ Wittkewitz: Deswegen ist ja auch bei einem etwas seltsamen Evolutionsprodukt wie dem Westerwelle jede Steuersenkung immer gleich ein ‘Fortschritt’. Dabei ist sie doch nur ein Teil der liberalen ‘Sklerose’, einem evolutionären Versagen also, folgend aus ‘mangelnder Anpassungsfähigkeit’: Wenn dich Mutter Natur unfähig macht, den umgebenden Wald zu erkennen, rennst du immer vor den nächsten Baum. Dass er dabei immer brav zu lächeln versucht, das gehört allerdings schon in der Bereich der Politik …
;-)
“Zum 5. mal repubsica mit ewig den gleichen Themen und Referenten, barcamps in…”…
Zum 5. mal repubsica mit ewig den gleichen Themen und Referenten, barcamps in denen sich Bekannte zum gesponserten Wochenendtratsch treffen, webciety auf der Cebit, wo im Halbstundentakt die web2.0-Zukunft abgefrühstückt wird….
meine Güte, womit verbringt Ihr alle Euren liebenlangen Tag.
Schreibt einfach einen schönen Text, für das Feuilleton eurer Lokalzeitung, fürs Tagebuch, als Teil eines Romans, oder einfach einen Brief an eine Frau.
Hier gehört er hin: Is schon ein paar Tage, aber man konnte es schon erkennen mit der MSerei. Ich verweise immer wieder gerne auf meinen tweet vom 24.11. 2009. manchmal hilft es ja twitter zu beachten…
twitter.com/pressearbeit/status/5976300877
@Jarchow
… ob der gute Westerwelle die Baeume im Wald wahrnimmt u. zielgerichtet geht oder nicht u. ziellos umherrennt, ist evolutionaer gesehen egal. Ihre Worte: “Evolution verläuft immer ‘ungerichtet’, also ohne Ziel.”
Die Rede von “Versagen”, “Sklerose” u. dgl. haette darin strenggenommen keinen Platz.
Wenn ein zentraler Umweltausschnitt eines Politikers seine Waehler sind u. er sich nach der Wahl mit Geschenken bedankt, scheint mir das ein Beispiel grosser Anpassungsfaehigkeit zu sein, die Sie ihm gerade in diesem Punkt bestreiten. (Dass ich den Kerl selber gefressen habe, ist eine andere Geschichte).
Dass Evolution in Teilausschnitten nicht gerichtet erfolgt, scheint mir eher ein Geruecht zu sein. Warum giessen sie den jeden Tag Ihre Blumen?
@Edith Rotberg. Verehrte Frau Rotberg, zugegeben wieder einer dieser saeuerlichen Beitraege, die einem aufstossen koennen. Dabei finde ich Ihre Anregung ausgesprochen gut. Meine Staerke waere der Brief an eine Frau, natuerlich ein Liebesbrief, aber an wen?
@Jarchow
An Ihre liebe Frau Patentante.
@ G. Schoenbauer: Ich gieße meine Blumen gar nicht jeden Tag. Klar aber ist, dass die Evolution auf zwei Prinzipien beruht:
1. Auf zufälliger Variation des Genmaterials bei der Fortpflanzung durch ‘fehlerhafte’ Rekombination der RNA. Da dieses Lotto-Ergebnis immer auf eine bestehende präfigurierte Umwelt trifft, findet eine ‘Auslese’ unter den erzeugten Zufallsprodukten statt. Was also dafür sorgt, dass nur das, was überlebt, auch überlebt. Darunter sind dann im Endeffekt so putzige Wesen wie der Mistkäfer oder die Libelle, keineswegs also überlebt ‘der Stärkere’ oder ‘der Bessere’, sondern in der Regel derjenige, der sich an seine Umwelt, im Lauf von Jahrtausenden gefördert durch blanken Zufall, besser anpassen durfte – so wie Darwins Finken auf Galapagos, die dort, und nur dort, mit ihren Schnäbeln, diesen evolutionären Wunderwaffen, besser die Kerne ganz bestimmter endemischer Pflanzen knacken konnten. Sie haben also die Schnäbel nicht entwickelt, UM besser die Kerne knacken zu können, sondern diejenigen, deren Schnäbel eine passendere Form aufwiesen, überlebten. Alles ergab sich halt so, nirgends ein ‘Kampf ums Dasein’. Auch ein Mensch kann ja nichts für sein Großhirn (‘Ha, ich schaff’ mir jetzt ein Großhirn an!’) oder für den aufrechten Gang. Eine solche Anpassung hat bspw. das Mammut nicht vollzogen, es blieb in einer sich wandelnden Umwelt ‘sklerotisch’ und unveränderlich in seiner Nische hocken, blieb also unfähig zur Anpassung, und starb aus. Es gab keine rettende ‘Variation’, vielleicht war das Genmaterial ja zu stabil. Ähnlich, wie mir derzeit die FDP erscheint, die seit Jahrzehnten auch nur die ewig gleichen sklerotischen Forderungen in einer Welt im Wandel aufstellt. Unfähig zur Evolution rennen sie immer gegen die gleiche, bloß ideologische Käfigtür, über der steht: Der Markt wird alles richten. Bevor sie aber die Chimäre mal Wand oder Mauer nennen … doar teuf man op!
2. Gibt es dann noch die Stiefschwester der Variation, das ist die Kopie oder die ‘Reproduktion’: Das Erbmaterial jeder Spezies wird solange möglichst identisch ‘kopiert’, wie entweder die Umwelt die Resultate verträgt, oder solange, bis der verwünschte Zufall wieder zuschlägt, wenn er sich nämlich bei der Genduplikation ‘verliest’, und prompt etwas Neues in die Welt setzt, was dann zwar meistens scheitert, was aber unter Umständen auch einen ‘Vorteil’ bietet und unter zuvor ‘Erfolgreichen’ aufräumen kann. Zum Beispiel könnte das ein mutierter H1N1-Virus sein, wenn man bestimmten Journalisten mal glauben will. Die Krone der Schöpfung läge dann im Dreck …
@ Edith Rothberg: ?
… thanks fuer diesen Crash-Kurs, lieber Klaus Jarchow.
Ihr Beispiel aufgreifend, stelle ich mir das so vor: Man verfrachtet alle Finken dieser Welt mit all ihren verschiedenen Schnabelformen auf die Galapagos-Inseln, dann werden nach, ueber den Daumen gepeilt, 100.000 Jahren die Darwin-Finken uebrigbleiben, und da wuerde ich dann auch eine Entwicklungsrichtung herauslesen koennen, wie Sie retrospektiv ja auch.
Wollte im Grunde ja auch nur auf die Dominanz der Umwelt hinweisen, auch dass diese in gesellschaftlicher Hinsicht mehr als einem “Mistkaefer” eine durchaus komfortable Nische zum Ueberleben bieten kann, wobei ich Westerwelle nicht so bezeichnen wuerde, bei Leuten wie Madoff diesbezueglich aber keine Probleme haette.
Vielleicht noch ein Wort zu Herrn Wittkewitz. Fuer soziologische Evolutionstheorien von Marx bis Habermas ist die teleogische Komponente nicht nur das Salz in der Suppe, ohne sie gibt es keine Evolutionstheorie, wohl auch keine Gesellschaftstheorie, und selbst simple gesellschaftliche Funktionsbestimmung, wie sie jeder u. moeglicherweise auch Sie verwenden, setzen sie voraus. Ob der Mensch einen freien Willen ist in dieser “subjektlosen” Tradition vernachlaessigenswert, auch wenn Habermas diesen Punkt noch nicht verstanden hat (in der Diskussion mit Singer, der ja nur auf bestimmte neuronale Verschaltungen abstellte, die jedem Denkvorgang, jedem Erleben, jeder Handlung … zeitlich vorgelagert sind).
Ich denke, das größte Problem ist: in Wirklichkeit will kein Mensch so leben wie Sascha Lobo, 24h am Tag online – Grusel.
Das wird gerade in der Diskussion (wobei, welche Diskussion?) um das Buch von Schirrmacher sehr deutlich. Die Bürgerlichen schlagen zurück und müssen sich nicht einmal anstrengen. Die Leute haben das Leben im digitalen Nirvana satt. Twitter interessiert keinen vernünftigen, berufstätigen und sozial eingebundenen Menschen, der mitten im Leben steht, und für ein Facebook-Profil fehlt eben solchen Menschen ebenfalls die Zeit. Man braucht es auch ehrlich gesagt nicht, um erfolgreich zu sein. Wer seinen Erfolg durch mediale Dauerpräsenz begründen muss, ist aus meiner Sicht ein ziemlich armes Menschenwesen.
Der Kampf ist gefochten, kein Mensch will sich auf Dauer im Netz exhibitionieren, außer vielleicht ein paar Berufsjugendliche oder spinnerte Profilneurotiker – und selbst das finden normale Leser höchst unangenehm.
Der Web 2.0-Hype ist vorüber, weil er so inhaltsleer und monothematisch gewesen ist, man verhaspelt sich in völlig nebensächlichen medienkritischen Nichtigkeiten und Nerd-Themen.
Und zu allem Überfluss bloggt jetzt auch noch Kai Diekmann und zeigt als GROBATZ (Größter Blogger aller Zeiten) allen, wie es richtig geht: Großschnauzig, kodderig, direkt, indiskret, frech und extrem unterhaltsam. Man kann KD ja vieles vorwerfen, aber derzeit bieten taz und Kai Diekmann wirklich die großartigste und witzigste Realsatire, die man in den deutschen Medien seit langem erlebt (Schmidt go home!), tja das ist alles schon extrem dumm gelaufen… Ende im Gelände.
“das Bildblog hat seinen Focus verloren”
Was hat denn der Focus mit dem Bildblog zu tun???
Oder war etwa “Fokus” gemeint und nicht die geschützte Marke von Onkel Burda?
Wenn das Bildblog seinen Fokus verloren hat, kann man das wohl nur begrüßen. Wenn am Ende die Abschaltung steht (von mir aus Bild gleich mit), umso besser. Wesentliches Element von Bildblog ist leider immer nur gewesen, den Balken im Auge des anderen zu sehen, ohne bei eigenen Blogeinträgen darauf zu achten, ob man nicht vielleicht doch mit denselben Methoden arbeitet, die man bei Bild moniert. Ob Stefan Niggemeier wohl seinen Seelenfrieden darin finden wird, aus fokussierter Kritik (s)ein Geschäftsmodell gemacht zu haben?
Das würde ja voraussetzen, daß er damit etwas verdient.
Ich sehe nur, daß sein Bekanntheitsgrad steigt, aber daraus resultieren nur ganz selten lukrative Aufträge, sondern meist nur Neid, Abmahnung, Haß.
Man kann dem Bildblog höchstens vorwerfen, daß es eine einfache Übung ist, die Fehler in der Bild zu finden und weniger schädlich, als z.B. FAZ-Redakteure zu stalken (denn so manches Watchblog versteht seine Aufgabe etwas falsch und geht zu weit).
Ansonsten ist es maximal irrelevant, wenn man der Bild die relevanz nimmt, die ihr LKW-Fahrer, Schauspielerkanzler Schröder und sämtliche Morgenmoderatoren des Plapperrundfunks geben.
Anonymus, das ist doch völliger Quatsch, oder spricht da etwa ein Betroffener? Es geht um die Qualität, um nichts anderes. Stefan Niggemeiers eigenes Blog ist gut und zweifelsohne eines der wenigen wichtigen und bekannten Blogs in Deutschland. Er führt es mit ungemeinem Fleiß und mit großer Akribie. Aber auch hier beschränkt ein Blog sich einmal mehr auf ein Nischenthema. Medienkritik als Dauerbrenner ist etwas ermüdend. Ebenso ist es teilweise so kleinteilig, dass es beinahe spießig wirkt – da muss ich Herrn Broder zustimmen.
Das Bildblog ist in dieser Hinsicht auch
fade geworden, es fehlt der Witz, der Esprit, der Geist. Wenn man moniert, Kai Diekmann zitiere in seinem Blog den Twitter-Fake-Account von Alice Schwarzer, dann ist das grotesk bis lächerlich. Das Bildblog wirkt wie Opa Schmitzke, der mit dem Sofakissen auf der Fensterbank lehnt und guckt, welche Fehler seine Mitbürger im Straßenverkehr machen und ständig laut ruft: “Guckt mal, der hat nicht geblinkt! Der hat nicht den Arm rausgestreckt! usw.”
Ich merke das im Freundes- und Bekanntenkreis, am Anfang war es witzig Bildblog zu lesen, jetzt interessiert es kaum noch einen. Aber so ist es letztlich mit vielen Netzthemen, erst ein großer Wirbel, dann verschwinden die meisten Dinge in der Bedeutungslosigkeit.
Don Alphonso versucht mit seinem faz-Blog etwas dagegen zu setzen, herauszuragen, sich mit einer Art Haltung zu profillieren, aber nun gut, das ist auch nicht so das Gelbe vom Ei, da kippt die Stimmung derzeit mächtig in Richtung peinliche Selbstentlarvung und die kritischen Stimmen dort mehren sich zurecht. Ich persönlich weiß auch nicht, was dieser zur Schau gestellte Konsummaterialismus der gehobenen Art soll.
Die Aufgabe des Bildblogs ist nun mal das Fehlersuchen. Was soll denn da groß Witz und Charme? Solange nicht nur Zynismus und Häme Raum gegeben wird…und das ist m.E. nicht der Fall. Und naja, Niggemeier und Broder, die nehmen sich nix in Sachen plakativ/polemisch.
Ob man Medien- und Watchblogs für sinnvoll hält, ist eine andere Frage, dann liest man sie halt nicht. Und ja klar, sowas ist auf Dauer langweilig, aber es besteht ja auch kein Grund, täglich das Bildblog zu lesen, außer man ist potentielles Opfer. Und nun, Dons “Stänkereien” hier oder gehobener Biedermeier bei den “Rebellen” und in der FAZ werden für Normalbürger mit ganz anderen Sorgen auch langweilig. Aber es ist ja auch ein Irrtum, daß ein gutes Blog/Magazin/… von allen und jedem täglich gelesen werden muß.
Was die Abmahnerei betrifft, ist hinlänglich bekannt, was selbst ein Stefan Niggemeier damit für Ärger hat – wenn auch nicht mit dem Bildblog, das ja noch nie Kommentare hatte.
Dons FAZ-Blog sehe ich – wie bei ihm üblich – als Provokation, nur halt auf einem anderen Level als hier. Und als Hobby.
Ich will hier ja keinem die Lust auf das Niedermachen verderben, aber natürlich ist es auch das Ziel der Stützen, über die hohlen und nichtigen Aspekte dieses Lebens zu berichten. Den kritischen Stimmen, dass dies so ist, gebe ich absolut recht, aber was hat man erwartet? Dass diese Klasse am see den ganzen Tag über Fraktalität und Poststrukturalismus redet? Soll ich anfangen, eine bessere Gesellschaft zu erfinden, wie in den Societyblättchen oder bei Frau Wedekind in The European? Ich schreibe das so auf, wie es ist. Von den Zahlen her lief es nie besser. Das kann sich auch ändern, aber mir ist das egal. Mir wurde schon immer ein baldiges Ende vorhergesagt, wenn ich so weitermache – wie sich gezeigt hat, ist dem nicht so.
@ Karlchen: Im Netz zählt plötzlich die Person oder ‘der Autor’, das ist die große und völlig neue Differenz zu den dpa-Reihenhaussiedlungen in ‘Holzhausen’. Das Netz ‘literarisiert’ die mediale Welterzeugung, die Öffentlichkeit wird subjektiv. Insofern ist das, was du beliebst, Dons ‘Selbstentlarvung’ zu nennen, auch nur eine schlichte ‘Selbstdarstellung’, die aus solchen Prozessen nun mal unausweichlich folgt. Weil es überall gleitende Übergänge gibt, könnten Böswillige dann natürlich auch von ‘Narzissmus’ sprechen. Die Kritik geht aber an diesem fundamentalen Wandlungsprozess in den Massenmedien vorbei. Mit dem übermäßigen ‘Warenfetischismus’ beim Don, auch wenn der sich auf das Alte, Gute und Echte und auf seine Familienklunker bezieht, hast du – in meinen Augen – natürlich recht.
‘Medienkritik’ hat übrigens die gleiche Berechtigung wie andere Angebote: ‘Auto – Motor – Sport’, ‘Der Angelfischer’ oder ‘Bravo’. Hätten sie kein Publikum, würde sie begreiflicherweise niemand lesen. Auch gibt es derzeit wohl kaum ein gesellschaftlich spannenderes und relevanteres Thema als jene Blindheit, mit der sich die Massenmedien selbst versenken. Dazu muss man aber schon ein wénig von der Funktion der Medien in der Öffentlichkeit verstehen, und von den Folgen, die solche Prozesse haben.
Don Alphonso :-D – ich ahnte (hoffte), dass diese Antwort kommt. So passt es. Man ist nur hin und wieder darob erschrocken, wie furchtbar eindimensional diese, ihrige Darstellung von dem besseren Leben, oder dem, was Sie dafür halten, ist, aber wenn es für Sie nur ein Spiel, eine Rolle ist, na dann sollten Sie diese auch konsequent durchziehen, da bin ich ganz bei Ihnen, alles andere würde das Blog verwässern. Ich muss das aber trotzdem nicht gut finden, gell?
Die Blogosphäre wird aus meiner Sicht erst in der Diskussion über sie gesellschaftlich relevant – und jenes finde ich wiederum höchst interessant. Insofern schade, dass man mit der Kritik zum Internetmanifest nicht mehr “gearbeitet” hat. Insofern will ich den Protagonisten nur zurufen: Seid mutig und lasst Euch kritisieren, bis auf den nackerten Arsch!
Herr Jarchow,
ad 1: sicher, sicher, aber oftmals ist es eben auch sehr, sehr peinlich – selbst wenn es nur eine Rolle ist. Ich frage mich immer: was unterscheidet die Schreiber der 20er Jahre (Tucholsky & Co.) von den Bloggern heute, es ist die inhaltliche Qualität ihrer Beiträge.
ad 2: Mich k**** das Ego-Marketing, das “Ich” als Marke, in den Blogs regelrecht an.
@ Karlchen: Tucholsky lief meines Wissens gleich in vier ‘Rollen’ durch die Gegend: Kaspar Hauser, Ignaz Wrobel, Peter Panther und Theobald Tiger. Allerdings plauderte er dabei nicht über sein Teeservice oder den Zwetschgendatschi – so viel ist richtig. Was sie unterschied? Einerseits natürlich die Schreibkunst, andererseits gab es damals noch richtige Gegner, nicht den heutigen Zwergwuchs.
Fürs Ego-Marketing bedarf es erst einmal eines solchen. Ein bloßer ‘Typ’ von der Stange ist bis auf weiteres nicht mit einem ‘Ego’ gleichzusetzen. Ebensowenig wie ‘Styling’ oder ‘Role Modeling’ mit einem ‘Charakter’. Schlag nach unter AC/DC-T-Shirt …
;-)
Don, was heißt für Dich “erfolgreicher” blog? Oder anders, was habe ich z. B. von einem aufrufstarken blog, wo sich aber nur komische Typen drumrumsammeln, die sich – wenn man genauer hingucken würde – auch nicht monetarisieren lassen.
Wie definierst Du den “Erfolg” eines (Themen-)blogs?
Urs, wer ständig recht weit oben auf der FAZ-Titelseite steht, darf sich ruhig erfolgreich nennen. Ich denke, die Zugriffszahlen sprechen für sich, denn bei aller inhaltlichen Kritik: der Schreibstil von Don Alphonso ist brillant, extrem unterhaltsam, variantenreich, gewitzt und sucht seinesgleichen, allein deshalb wäre das Blog eigentlich lesenswert – und genau deshalb würde ich persönlich ihn inhaltlich etwas justieren.
Ohne das ständige Herabschauen und Treten auf die weniger guten (sprich normal-bürgerlichen) Kreise, wäre es perfekt. So allerdings frage ich mich bei der Lektüre andauernd kopfschüttelnd: Warum hat der Don das bloß nötig? Das wirkt – trotz Lobpreis des Schönen, Alten und Guten, dem ich widerspruchslos zustimme – alles schrecklich kleingeistig und es schwingt andauert eine Art Minderwertigkeitskomplex mit, der – so scheint es – durch Reichtum und allerlei wertiges Geschmeide irgendwie aufgefangen werden soll.
Besonders peinlich finde ich allerdings die Fangemeinde in den Kommentaren, uaaa, da wird mir ganz anders, wenn ich mir diese Leute mit ihrem Siegelring, ihrer Seitenscheitelfrisur, ihrem Drang, Elite zu sein (oder zumindest das, was sie dafür halten), ihrem JU-Sitz im Landesvorstand und ihrer Barbourjacke vorstelle, ich weiß nicht, ob der Don sich wirklich solche Fans wünscht…
Um den Bogen zu spannen – Nischen in der Blogosphäre besetzen: Wäre schön, wenn sich der Don als eine der wenigen Edelfedern der Blogosphäre etablierte. Vielleicht sollte er dabei nicht mehr ganz so viel polarisieren und draufhauen, sondern sui generis schaffen.
Das ist ein Automatismus für neue Blogeinträge. Don nutzt ihn, die anderen Blog-Autoren interessiert er offenbar nicht.
Über Zahlen können wir gerne diskutieren, wenn sie vorliegen. Wobei, angesichts von Dons Eigenpromotion hüben und drüben und vor allem angesichts von >1 Million potentiellen Lesern im Faz.net ist das wohl müßig. Die werden wohl leidlich ok sein.
Da gibt es aber auch die Funktion “meistgelesen”, n’est pas? Oh wie ich sehe, hat dort das Bambi gerade den Don verdrängt.
So gesehen: Die FAZ angelt sich systematisch die besten deutschen Blogger, das ist ziemlich clever. Als journalistische, literarische und künstlerische Talentschmiede ist die deutsche Blogosphäre ein wunderbares Refugium.
@Karlchen
Stimme mit Dir vollkommen überein und finde das seinerseits sehr brilliant ausgedrückt von Dir.
Die besten deutschen Blogger? Bei der FAZ gibt es auch ziemliche Ausfälle.
Na ja… da können sich jetzt andere drüber streiten. :-)
@ strappato: Diejenigen, die dort im Blogwinkel der FAZ beim Zuspruch abfallen, das sind die ‘bloggenden Journalisten’ dort. Sie finden einfach den Weg von ihrem andressierten ‘objektiven Sprachgebrauch’ zur natürlichen ‘Subjektivität’ nicht mehr. Anders ausgedrückt: Sie wissen nicht, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
Bei “Evolution” fällt mir ja dann doch immer wieder dieses schon fast angestaubte Spiel ein: society conspiracy. Und dazu, als weitergehender Gedanke, vielleicht müssen wir nicht nur das Medium wechseln, sondern doch mal über ZIELE reden. Denn woher sollen wir wissen, wo wir langgehen sollen, wenn wir gar nicht wissen, wo wir eigentlich hinwollen?
@ Norbert
Evolution HAT kein Ziel.
Sie probiert aus.
Sie macht Beutelwölfe und Papageien, die nicht fliegen können. Sie macht Grottenolme und Tsetselarven. Warum? ’cause she can.
@ Karlchen, ein paar Bemerkungen zu Ihren fuer Urs bestimmten Hinweisen; hab mir`s gerade noch mal durchgelesen, klingt apodiktisch, ist aber nicht so gemeint.
Aus Befragungen von Bourdieu, Vester u.a. zur Lebensfuehrung weiss man, dass die allermeisten Befragten ihre eigene Lebensweise einmal durch Angabe dessen, was sie selbst treiben, bestimmen, was nicht weiter ueberraschend ist, zum anderen indem sie sich von anderen Gruppen abgrenzen, und zwar von Gruppen sozial benachbarter Milieus (in Ihren Worten den „weniger guten (sprich normal-bürgerlichen) Kreisen“, die diese „Naehe“ ja auch zum Ausdruck bringen), was auf dem Weg von Vorurteilen, Schuldzuschreibungen und Ressentiments erfolgen kann, aber nicht muss; das ist die Quintessenz jedes Identifikationsprozesses: man will wissen, wer und was man ist, und wer und was man nicht sein oder werden moechte.
Wer Milieubetrachtungen aus dem Blickwinkel des eigenen Milieus anstellt, dessen Vorzuege herausstellt und preist und sich ueber Fehlentwickulungen in Nachbarschaftsmilieus mokiert, kann normalerweise der Zustimmung (einschliesslich Verstaerkung, Ergaenzung, Exemplifizierung etc.) der „eigenen Basis“ ebenso sicher sein wie kritischer Worte seitens der Kritisierten. Don Alphonso macht es m.E. genau so. Er unterbreitet ein Identifikationsangebot, zu dem der Modus der Abgrenzung gehoert wie das Amen in der Kirche. Wenn Sie ihm nun empfehlen, von dem „ständigen Herabschauen und Treten“ abzulassen, wuerde ich ihm eher zum Gegenteil raten: noch despektierlicher herabzuschauen und noch haerter zuzutreten, was, zugegeben, meinem eigenen Naturell eher fremd ist, der Zugriffszahlen wegen (haette beinahe „Einschaltquote“ gesagt), aus keinem anderen Grund.
Wenn das obige Argument einigermassen zutreffend ist, koennte man die Landkarte sozialer Milieus des Sinus-Instituts heranziehen und gedankenexperimentell herauszufinden versuchen, wo Don Alphonso und seine „Freunde“ zu Hause sein koennten, und cum grano salis wuerde ich sagen, dass sie mit unterschiedlichen Gewichtungen in den Milieus von „modernen Performern“, „Postmaterialisten“, „Experimentalisten“ und des oberen („besseren“) Zipfels der Hedonisten zu verorten waeren. „Etablierte“, „buergerliche Mitte“ und „Konsum-Materialisten“ wuerden dann die unmittelbar angrenzenden Nachbarschaftsmilieus bilden, auf die hin und wieder eingeschlagen wird. Meine These waere, dass das auch die Milieus sind, denen die Kommentatoren der von Ihnen so wenig gelittenen FAZ-Fangemeinde angehoeren. Sie beschreiben diese „Fans“ als „Leute mit ihrem Siegelring, ihrer Seitenscheitelfrisur, ihrem Drang, Elite zu sein (oder zumindest das, was sie dafür halten), ihrem JU-Sitz im Landesvorstand und ihrer Barbourjacke Gemeinde“. Wuerde wetten, dass nicht einmal eine Handvoll dieser Beschreibung gerecht wird. Koennte es sein, dass sie damit ein Beispiel fuer den oben beschriebenen Identifikationsvorgang geben und Sie sich Ihre negativen Bezugsgruppen ebenso vorstellen?
Noch ein Wort zu der Sinus-Landkarte (siehe die ellenlange Adresse nachfolgend). Diese wird auch in der Marktforschung benutzt, weshalb Milieus, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung usw. weniger konsumrelevant sind, nicht eingearbeitet sind. Sehr viel besser sind die Karten von Michael Vester, die aber nicht im Internet abrufbar zu sein scheinen.
Hier die besagte Adresse, die zweite graphische Darstellung ist gemeint:
http://images.google.com/imgres?imgurl=http://www.gujmedia.de/_components/markenprofile/mapro12/maerkte/bilder/konsum/die-Sinus-Milieus-in-Deutschland-2007-soziale-lage.gif&imgrefurl=http://www.gujmedia.de/_components/markenprofile/mapro12/maerkte/konsum.html&usg=__PirZpEvN9WbvRVyDAEXunVkcCb0=&h=458&w=500&sz=49&hl=ja&start=1&um=1&tbnid=HLKhZyoJMMimFM:&tbnh=119&tbnw=130&prev=/images%3Fq%3Dsoziale%2Blandkarte%2Bsinus%26hl%3Dja%26rls%3Dcom.microsoft:ja:IE-SearchBox%26rlz%3D1I7RNWN_en%26sa%3DN%26um%3D1
G. SCHOENBAUER, danke für ihre Ausführungen. Natürlich kenne ich die Sinus-Milieus und in einigen Punkten stimme ich ihnen zu, in den meisten aber nicht.
Ich habe auch die FAZ im Abo, halte mich für postmateriell, nenne ein wunderschönes englisches Jugendstil-Teeservice in silber mein Eigen und kann trotzdem dem Geschreibe von DA nur wenig abgewinnen. Kenne einige jener von mir gemeinten aufstrebenden Elite-Fatzkes, die früher einmal Popliteratur toll fanden, sich immer noch gerne mit der FAZ unterm Arm schmücken und sich mittlerweile in einer recht asozialen royalen tristesse sonnen, weil sie außer dieser Lebenseinstellung (Meine Wohnung, mein Auto, mein Teeservice) nicht viel haben. Nun ja, suum cuique. Die besseren Kreise sind aus meiner Sicht auch sicherlich nicht solche, die DA in Person gerne verkörpern möchte, die arbeiten nämlich und haben für derartige Selbstdarstellung keine Zeit – und keine Lust.
Mich erinnert die Kolumne von DA an ein Zitat über die tristesse royal – und die Kommentatoren scheinen das zu bestätigen:
“Eigentlich sind die (…) recht fossile Figuren, sie entstammen dem Geist der Lifestyle-Magazine, die vor zehn Jahren Pleite machten, amalgamiert mit dem traditionellen Dandytum, dass sich durch perfekte Beherrschung von Stilfragen einen elitären Anstrich gab. Neu an den (…) Lifestyle-Experten ist ihre radikale Uniformität. Hier tritt der Dandy als Kollektiv auf.”
(Harald Jähner in der Berliner Zeitung vom 01.12.1999)
Ich halte es da lieber mit den bürgerlichen Manieren eines Asfa-Wossen Asserate, deren Hauptbestandteil Aufmerksamkeit und Lässigkeit sind – Einschaltquote hin oder her.
Was ist das überhaupt für ein Anspruch?Quote? Nee, Herr Alphonso, deswegen mimen sie doch nicht wirklich den Schnösel, oder?
Ich würde gerne mal das Experiment starten, die Kolumne von DA umzuschreiben, aus der Sicht eines Mitglieds des Prekariats, bis auf die Gegenstände (Tausche Teeservice gegen Playstation) müsste man vermutlich gar nicht viel ändern – das ist verpimpelter Hedonismus in Reinkultur.
Ach und ob sie es glauben oder nicht, ich habe auch eine uralte Barbourjacke, die ich hin und wieder trage, aber ich trage auch eine billige Lederjacke oder was von G-Star und ich trinke meinen Tee sogar auch aus Gläsern von IKEA oder Bodum oder den Wein aus Senfgläsern und aus Gläsern von Riedel. Und ich habe sogar ein Fernsehgerät (das sind ja aus Sicht von DA überhaupt die allerschlimmsten Menschen!) und trotzdem über 3.000 Bücher – ich brauche so Abgrenzungen nicht, wie andere Menschen sie zu brauchen scheinen – aber zum Glück lebe ich auch nicht am Tegernsee, sondern da, wo die Leute normal sind und sich noch gut durchmischen. Und die Frage, was an dem Don links oder gar sozial ist – außer seine SPD-Mitgliedschaft – ist immer noch unbeantwortet.
Nachdem ich selbst ja ironieresistente Leser verabscheue, frage ich sicherheitshalber noch mal nach: Das ist jetzt nicht ernst gemeint, oder?
… nein, Karlchen, so wars nicht gemeint. Niemand wollte Ihnen etwas unterschieben oder Sie gar auf die Palme bringen. Mein Vorschlag: Machen Sie die Kiste aus, das Senfglas voll und machen Sie sich noch einen schoenen Abend.
Die Stützen sind in meinen Augen vom Publikum her, das sie anziehen, ein “Problem-Fall”.
Ich jedenfalls für meinen Teil fühle mich hier wohl, aber nicht drüben bei den Stützen. Das liegt zum einen am anderen Duktus der Artikel, vor allem aber eben an den wirklich eigenartigen Kommentaristen dort, wobei sich beides in gewisser Weise bedingt: Ein lebendiger blog entwickelt sich ja ganz stark aus seinen Kommentaristen heraus, die auf den Schreiber im positiven Sinne zurückwirken.
Ich weiß nicht, ob dort wirklich Leute mit “Siegelring, Seitenscheitelfrisur, ihrem Drang, Elite zu sein (oder zumindest das, was sie dafür halten) und ihrem JU-Sitz im Landesvorstand” rumrennen, aber die gefühlte Charakterisierung trifft es schon ganz gut. Jedenfalls mehr als „modernen Performern“, „Postmaterialisten“, „Experimentalisten“, das ist noch viel zu schmeichelhaft.
Ich würde tendeziell sogar eher noch den JU-Sitz weg-subtrahieren und ein noch etwas stubenhockerisches Bild der Poster dort zeichnen. So manchmal, wenn dort einer vom Fahrgefühl im neuen Mercedes XY oder vom Lederkoffer Z schreibt, kommt mir das zu sehr aus dem Prospekt abgeschrieben vor. Scheinen mir mehr Leute zu sein, die sich in ein weltfremdes, eigenartig blutleeres Bild vom Reichtum hineinträumen.
Don, tut mir leid, dass ich auf den “Stützen” so rumhacke, aber ich bin überzeugt, mit denen bewegst Du Dich in einer Sackgasse, Aufrufzahlen hin, FAZ her. Es kann nicht sein, dass sich ein intelligenter Mensch wie Du mit Leuten umgibt, wie sie dort auflaufen, und sich das selbst auch noch als “Erfolg” schönredet.
Erfolg verstanden als echte Entwicklungschance, als Entfaltung des eigenen Potenzials.
Ich hatte vor ein paar Wochen eine recht heftige Debatte, weil dort einer genau das Gegenteil meinte: Dass das FAZ-Blog von Linksradikalen unterwandert wird, und ich sollte sie entfernen. Es wäre etwas viel verlangt, wenn ich mir einen Kopf über die Leute machen würde, die dort schreiben; ich finde es nur bemerkenswert, dass ich fast nie löschen muss (ausser ein paar anonymen Hassern alle 400 Kommentare), und dass man bei allen Differenzen der politischen Lager vom orthodoxen Marxisten bis zum CSU-Wähler recht respektvoll miteinander umgeht.
Generell muss ich sagen, dass in der Regel auf jeden Kommentar zwischen 50 und 250 Leser kommen. Das heisst, dass die Kommentatoren trotzdem nur einen winzigen Bruchteil ausmachen, und die meisten mit dem, das ich schreibe, offensichtlich so zufrieden sind, dass sie zu Abertausenden wiederkommen. Soweit ich das erkennen kann, kommen die Kommentatoren auch von der FAZ, warum es bei mir diesen Diskurs gibt und bei praktisch allen anderen nicht, weiss ich auch nicht – aber selbst wenn er mir nicht gefallen würde, wäre es ein Fehler, den Stecker zu ziehen. Ich glaube, die FAZ braucht mehr solche Angebote.
Ich bitte dabei auch zu berücksichtigen: In den letzten paar Wochen kam ich einem Schnitt von 200 Kommentaren pro Beitrag mitunter sehr nah. Das ist extrem viel, das schaffen in Deutschland nur 5 bis 7 Blogs, und es ist schon ein enormer Erfolg, wenn es in einem recht konfliktfreien Rahmen bleibt(zumal einige dieser Blogs eher abstossende Klitschen sind). Das alles ist immer noch im Aufbau, ich lerne dazu, und ich finde es auch nicht schlimm, wenn es beim Lernen hier und da mal hakt. Ich verlange von niemandem, dass er mir dorthin folgt, ich mag die Aufgabe, und ich mag es, dass es erst mal läuft, im Gegensatz zu den meisten anderen Profiblogs. Karlchen kommt mir wie jemand vor, der ums Verrecken das sehen möchte, was in sein Konzept passt, und einfach das Konzept der Kunstfigur nicht versteh – ist mir aber auch egal. Soll er bitte mit seinem Benimmbuch sein eigenes Ding aufmachen. Meinen Segen hat er.
(Hier gelten übrigens leicht andere Regeln, und die werden auch durchgesetzt)
Wenn Sie, DA, über meine Ausführungen lachen konnten, ist doch in Ordnung und wenn Sie das FAZ-Blog erfolgreich betreiben, ist das auch okay – mich wundert das nur, rein als gesellschaftliches/literarisches Phänomen und es zeigt aus meiner Sicht eben ein etwas seltsames Bild von Teilen der Gesellschaft, (Meine Interpretation: Weite Kreise jüngerer schwarz-gelber Anhänger sehnen sich – leicht orientierungslos – nach einer Art neuem Bürgertum (siehe Cicero rauf und runter), und Teile dessen, was diese Möchtegern-Eliten, und davon gibt es unter FAZ-Redakteuren sicherlich einige, sich darunter vorstellen, finden sie bei DA) – aber nun gut, genug der Kritik.
Ich bin gespannt, wie DA und seine steigende Fangemeinde von der Literaturkritik später “einsortiert” werden wird – egal ob Rolle, Kunstform, wie auch immer, Sie geben eine Richtung vor. Das werden Sie zweifelsohne, dafür sind Sie eine zu schillernde Persönlichkeit – mit einem neidlos anzuerkennenden famosen Schreibstil! Und der Haltung, einer ästhetischen Erziehung der Menschen, kann ich ja durchaus auch etwas abgewinnen.
Trotz, nein, gerade wegen dieser Kritik, wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Hi Karlchen,
Sie schreiben von einem Experiment, und zwar von dem Experiment, “die Kolumne von DA umzuschreiben, aus der Sicht eines Mitglieds des Prekariats”. M.E. waere das von jedem Milieu aus denkbar und moeglicherweise ausserordentlich lustig.
Stellen Sie sich vor, der gute Don bekaeme von zwei Neffen, Hinz und Kunz, aus Wanne-Eickel Besuch. Selbst mir straeubten sich die Haare, wenn diese Rabauken neben der am Strassenrand abgestellten und auf Hochglanz polierten Barchetta mit einer harten Lederkugel recht unverfangen herumzubolzen begaennen, mit Dreck an den Stiefeln ueber die fein geknuepften Teppiche ins Haus gestolpert kaemen, ohne einen Blick fuer die Schoenheit des Dekors, ja ohne Ruecksicht auf immer zu gewaertigende Fragililitaet das Meissener Teeservice vom Tisch fetzten, um Platz fuer die Playstation zu schaffen, sich aus Frustration ueber das Fehlen eines Fernsehers ueber den diesbezueglich gaenzlich unschuldigen Apfelstrudel hermachten und diesen ohne jedes Verstaendnis fuer die geschmacklichen Nuancen lieblos in sich hineinmampften wie eine Currywurst mit Tomatenketchup oder Mayo, und gegen Ende des Besuchss auch noch wagten, in das klare, mineralienhaltige und sicherlich an jeder Stelle trinkbare Wasser des Tegernsees zu spucken oder gar zu pinkeln. Wie sagt man? Igittigitt!
G. Schoenbauer, wissen Sie, was ich glaube, wie das Experiment ausginge: die Neffen würden sich in einer solchen Umgebung nicht in der von ihnen beschriebenen Weise verhalten, selbst die von ihnen charakterisierten Rüpelkinder, oder auch Unterschichtenkinder nicht. Kinder haben bis zu einem gewissen Alter nämlich die Gabe, sich vorurteilsfrei für Schönes zu begeistern und zu interessieren – und da ich der Auffassung bin, dass Schönes und Altes gerade für Kinder etwas ungemein ansteckendes und geheimnisvolles hat, würden sie seine Barchetta niemals in der Form traktieren, sondern sich für das Automobil intensiv interessieren – es sei denn, sie wollten ihrem Onkelchen persönlich Böses.
… o.k. Karlchen, die beiden “Kunstfiguren” aus Wanne-Eickel sind zu vorurteilsvoll gestrickt, aus dem Stand eben. Wuerde die von Ihnen ins Spiel gebrachte Gabe von Kindern mit deren angeborener Neugier in Verbindung bringen u. vielleicht waere es eine bessere Idee, wenn man sich ueberlegte, wie sie dem Don mit immer neuen Fragen in Bedraengnis bringen und von einem Punkt an maechtig auf den Wecker fallen, auch als Manga koennte ich mir so etwas sehr gut vorstellen.
Die Vorstellung hat was, Onkel Don und seine zwei Ruhrpottneffen – absolut serienverdächtig!