Was mir zunehmend übel in all den Debatten über das Internet im Allgemeinen und Blogs im Speziellen aufstösst: Jeder, der sich ein wenig mit dem Thema beschäftigt, erlebt tagaus tagein das übliche Problem aller evolutionärer Entwicklungen. Dass nicht alles ideal läuft, dass Sackgassen entstehen, eine mitunter absurde Gleichzeitigkeit modernster und scheinbar überkommener Formen, es treten Windbeutel auf und überplärren die Klugen, es wird gedrängelt und geschoben, und viele sind angenervt von jenen, die ums Verrecken vorne dran sein wollen. Das ist nicht ungwöhnlich, denn die Ablösung des Alten durch das Neue geschieht nicht in einem schnellen Umbruch, sondern durch das bewusste Diffundieren der Verteter des Alten in das Neue.

Und das geht in der Regel um so einfacher, je besser, schöner und sinnvoller das Neue ist. Die Vorteile einer Webcam, mit der ich daheim schauen kann, wie das Wetter am Tegernsee ist, habe ich meiner Mutter nicht erklären müssen. Aber Blogs? Twitter? Oh je.

Inzwischen kristallisiert sich ja heraus, wo die Reise im Digitalen hingehen soll: Zum omnipräsenten Echtzeitnetz. Zum Verschmelzen der Matri mit der Realität. Die Idee stammt aus der Mitte der New Economy und wurde 2002 vor allem von Handyanbietern propagiert, jetzt endlich soll es mal wieder so weit sein. Oder? Was haben wir denn als Vorreiter? Ein paar Werber, die sich verkriechen. Der eine hinter seiner Frisur, die anderen hinter Zombiebildern oder dem Zeug, das sie bei anderen Blogs finden, oder hinter Vorreiterrollen. Kennt jemand das reale Leben von Lobo, Haeusler, Walter, Weigert, Simon und Sixtus? pder bekommen wir da nicht bauch eine Echtzeit-Simulation?

Ab und zu dringt was durch, einer zumindest lässt sich auch mal von Microsoft bezahlen. Vor ein paar Jahren wollten sie alle auch mal hübsch mit dem Bloggen verdienen, was nicht so oll geklappt hat. Und soweit ich diese Leute kenne, wissen sie auch, dass es noch ein hartes Stück Arbeit wird, um die Massen dorthin zu bekommen, wo sie den Ton anzugeben meinen. Wer der den Weg in Frage stellt, bekommt schnell eins reingewürgt, sei es von ihnen oder ihren Handlangern.

Ich persönlich finde diese kognitive Dissonanz gar nicht so schlecht. Eine evolutionäre Entwicklung hat ja gerade den Vorteil, dass sie einen Weg als Ziel hat, und nicht ein Ziel. Irgrendwann bleiben solche Entwicklungen stehen, weil es vorne zu absurd, zu komisch, zu schräg wird, weil man dort nicht hin möchte. Ich vermute, dass die Protagonisten des Zielsystems durchaus wissen, dass es nicht für jeden geeignet ist. Vermutlich nicht mal für eine Minderheit. Vielleicht gerade mal für sie, ihre Freunde und die Cretins der Werbewirtschaft, die dafür zahlen. Vermutlich ahnen sie auch, dass Laut und Schrill und Anders nicht wirklich die Argumente sind, die man braucht, um von der Richtigkeit des Weges zu überzeugen – aber in der Sekte der Jasager ist es einfach angenehmer. Selbst wenn der Guru, wenn er es braucht, dann vor Firmenvertretern ein paar Gänge runterschaltet. Den Führerstock aus seinem Arsch rausnimmt, um flexibler in die Därme anderer Leute zu schlüpfen.

Gerade die deutschen Blogs kranken daran, dass die meisten bekannten Personen über solche Themensetzungen bekannt geworden sind. In anderen Ländern hat sich die Szene längst thematisch aufgefächert, aber in Deutschland haben wir es mit einem durch gemeinsame Interessen verfilzten Zirkel zu tun, der es nicht verstanden hat – oder es auch einfach nicht beherrscht – sich entsprechend neu zu justieren. Im Ergebnis redet man nicht mehr über Themen, sondern über die Technik, die Themen zu bringen. Oder wie man Medien die Technik verkauft, um die Technik für Themen zu thematisieren, am besten mit einem selbst als bezahlter Kraft. Oder wie blöd die Medien sind, dass sie nicht kapieren, wie wichtig es ist, über diese Technik zu reden. Und warum sie nicht kapieren, dass die Vorreiter recht haben, und wie sie es überhaupt wagen können, die Heilsversprechen in Frage zu stellen.

Was ins Selbstbild absolut nicht passt, ist der Umstand, dass man trotz Medienkrise selbst auch noch nicht weiter ist als 2003, und die wenigen Erfolgsbeispiele, die man bringen könnte – nun, das Bildblog hat seinen Focus verloren, die Entwicklung der Zugriffszahlen bei Blogs ist bestenfalls neutral, und die Angebote, einen einzukaufen, sind auch nicht mehr geworden. “Stützen der Gesellschaft” heisst ein Blog, das zeigt, wie ein Blog innerhalb eines Mediums ergänzend und erweiternd wirken kann, aber blöderweise ist das von mir geschrieben und vom momentan so arg verrissenen Herrn Schirrmacher, angeblich nur “Zaungast” des Internets, in der FAZ eingerichtet worden – die können es also kaum als Erfolgsgeschichte verwenden.

Evolution, Baby. Der Weg. Der Weg, den man auch gehen kann, ist nicht der Weg der Internetsektierer. Niemand sagt uns, dass das Allesjetztsofortundüberall das ist, was die Leute wollen, und ob es die Leute überhaupt gibt. Aber um das zu verstehen, muss man vielleicht mehr als nur eine Welt kennen. Innehalten, nachdenken, überlegen, anpassen, evolutionär sein. Statt dessen wird unisono geblökt, nur weil jemand es wagt, das Wachstum von Twitter zu bezweifeln oder, WELTUNTERGANG die weltverbessernde Wirkung von Gewaltspielen zu bezweifeln. Ich glaube nicht, dass diese Leute da die Zukunft sind, diese Zukunft hätten wir schon immer während der letzten 10 Jahre haben können, und sie war in der Masse nicht erwünscht. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, mal eine Bestandsaufnahme der Erreichten und Misslungenen zu machen. Wenn man weiterhin am Weg mitwirken will.