Man kann mir nur begrenzt nachsagen, ich sei internetfeindlich – ich mag das Netz und empfinde es über weite Strecken als Bereicherung, ich arbeite damit und bin nicht eben erfolglos in dem, was ich tue. Formal könnte man mich durchaus als “Netzwesen” oder “Netzbürger” begreifen, selbst wenn ich aktiv eigentlich nur zwei, drei Kommunikationskanäle für meine Arbeit nutze.

Aber wie in jeder Zivilisation gibt es auch hier ein enormes Unbehagen. Früher wähnte ich mich noch auf einem schmalen Grat zwischen den Internetgegnern und den zu extremen Befürwortern; die einen verstehen nicht, was dort möglich ist, und die anderen verstehen nicht, dass nicht alles, was möglich ist, getan werden muss. Es gibt welche, die nicht im Netz sind, und andere, die ohne Netz nichts sind. Dazwischen war stets einiges an Platz für diejenigen, die was im Internet taten und ansonsten draussen zufrieden waren.

Der Standpunkt der Internetfeinde ist so gut wie unveränderlich; wer Blogs nicht mochte, wird deshalb auch mit Twitter wenig anfangen können, wer das Internet mit Bilder für pervers hielt, wird auch an Youtube keinen Gefallen finden. Diese Gruppe bleibt wenigstens ihrer Haltung treu. Was mir aber zunehmend auf die Nerven geht, sind die Übergriffe anderer Netzbewohner. Die sich nicht mehr darauf begrenzen, ihr eigenes Ding zu machen, so gut es halt geht, sondern einem gegenüber als Heilsbringer auftreten. Die aufgrund des Internets eine “digitale Gesellschaft” haben wollen, und dieses aus der Luft gegriffenes Konstrukt als förderungswürdig erachten. Entweder man ist da als Zählidiot dabei, weil man in deren Raster passt, oder man wird ausgerichtet und von interessierten Kliquen dauergestalkt, wenn man klar eine abweichende Meinung vertritt.

Da kommen gerade zwei Aspekte zusammen: Zum einem dieser neue Anspruch, dass jeder möglichst immer und überall im Netz zu sein und dort sein Leben zu organisieren hat, das Netz als übergeordnete Metarealität, aus dem dessen Bewohner in die Realität eingreifen, auch wenn sie im realen Leben nachdenken müssen, ob der Döner 1,99 kosten darf. Und der Versuch, das als verbindliche Lebensführung zu definieren, der keine Firma im Weg stehen darf, wenn sie Mitarbeiter im Intranet zu Arbeit verdonnert, die man nicht kritisieren darf, weil das eben der Lauf der Zeit ist und alle mitmachen. Wer nicht dauernd sendet, bleibt eben zurück und darf nicht die Vorteile in Anspruch nehmen, die der Netzbürger selbstverständlich von Politik und Gesellschaft einfordert, angefangen bei kostenlosem WLAN für alle bishin zum Freigetränk, wenn man nur lange genug seinen Freunden virtuell sein Lokal anbietet.

Das alles mag seinen Reiz haben, aber was einmal mit einer allgemeinen Begeisterung als “ui, da haben wir ein php-Skript und können selbst was ins Netz schreiben” begann, hat sich in der Folge bei einer gewissen Avantgarde vollkommen vom “Ich mach was” abgelöt, hin zu einem “was ich mache ist richtig und wer es nicht so macht, hat nicht recht und findet in der Zukunft keinen Platz mehr”. Die Radikalität solcher Forderungen ist lächerlich, wenn man sich mal mit den realen Auswirkungen des Netzes auf das Leben beschäftigt – ich war heute etwa in verona und habe nur beim Photographieren, und hier nur mit Gereiztheit an das Netz gedacht – aber es diskreditiert auch alle, die hier nur einfach ihren Spass haben wollen, und irgendwie sicher nicht beim Betrachten eines Youtube-Videos denken, als Teil einer sozialen Netzwerkszene betrachtet zu werden.

Ich verstehe beim besten Willen nicht, was uns alle der Umstand vorausbringen soll, wenn all die Idioten, die man bisher auch schon zum Kotzen fand, einem nun im Internet genauso wieder begegnen, in diesem tollen, neuen Nirvana, und dort wieder die gleichen widerlichen Arschgeigen sind. Beim Bloggen konnte man wenigstens noch sagen, da schreibt einer eine Idee, eine Geschichte, eine wichtige Sache auf, die wird verbreitet und trägt zur Meiningsbildung und Veränderung der Wahrnehmung der Welt bei. Das hat so lala funktioniert, und könnte auch besser laufen. Aber statt sich mit dieser eher lahmen und nicht gerade lukrativen Arbeit abzugeben, wird noch jeder andere Dienst dazugepackt, ein “social” und ein “Echtzeit” angeklebt, und dann ohne Substanz und ohne Ideologie ausser der Berauschung am eigenen Onlinedasein doe Zukunft für alle ausgerufen.

Und das macht es im Moment so unangenehm, sich über das Internet als gesellschaftliche Kraft Gedanken zu machen: Es läuft die falsche Debatte, initiiert von den falschen Leuten mit den falschen Zielsetzungen. Es gibt all die ach so tollen Tools seit 5 bis 10 Jahren, man hätte so viel damit machen können, wenn man nur gewollt hätte. Die Ergebnisse sind bestenfalls durchwachsen, da fehlte es zu oft an Anstrengung und Wille, dann wird eben das nächste Fass aufgemacht und immer wieder retweetet, bis alle dran glauben, und irgendein Mediengockel schreibt dann auch sicher eine Untersuchung einer Agentur ab, die das bestätigt. Die Gesellschaft, von der da die Rede ist, ist ganz sicher nicht die meine. Und ich würde mir wirklich wünschen, dass ich auf gar keinen Fall dazu gerechnet werde, noch nicht mal als Dissident. Als Dissident braucht man nämlich richtige Gegner, und nicht einen Haufen abgefuckter Hungerleider, die um bedingungsloses Grundeinkommen, für ihe Ideologie passende Studien und Retweets betteln.