Die Aequidistanz des Ekels
Sehr hübscher und aufrührerischer Beitrag von Weissgarnix über den Bürgerjournalismus.
Ich kenne da alle Seiten, ich bin ein Wanderer zwischen den Welten von Anfang an; ich habe zwar keine Ahnung von Journalismus, aber ich kann trotzdem Dinge, die einem keine Journalistenschule beibringt; ich glaube den Versprechungen der Marketingleute in Berlin genauso wenig wie der Arroganz alter Printköpfe, wie etwa dem Herrn in der FAZ gestern, der meinte, in Internet würde man nicht lesen, sondern nur scrollen.
Ich denke, das Kernproblem ist, dass sich alle im Elend gut eingerichtet haben. Der Journalismus ist über weite Strecken unfähig, eine diskursive Strategie zu entwickeln, die im Leser einen Partner sieht. Man sieht das sehr schön an den diversen Kolumnen, die im Print in der Ãœberzeugung eingerichtet werden, dass der Autor Themen über Monate hinweg vertiefen kann, und die danach als Blog einfach nicht ankommen. Da gibt es einen himmelweiten Unterschied zwischen dem, was Medienentscheider für gut erachten, und dem, was draussen ankommt. Nach meinem Gefühl gibt es ein gesundes Verhältnis von Lesern und Kommentaren, das bei einem Kommentar auf 50 bis 130 Klicks liegt – wer das nicht kontinuierlich schafft, macht etwas falsch. Das um so mehr, als Leser nicht nur Beiträg, sondern auch Diskurse lesen wollen, selbst wenn sie nicht kommentieren.
Die Verachtung des Lesers und des Kommentars ist nach meinem Erleben über alle Medien hinweg immer noch enorm, und bestenfalls kann man hören, dass man sich darum aus Zeitgründen kaum kümmern kann. Schlimmstenfalls trifft man auf Leute, die glauben, es gäbe zu ihnen so oder so keine Alternative. Das mag in Grenzen gar nicht so falsch sein – aber es trägt auch nicht dazu bei, dass Medien bei den Menschen noch als “Gut” oder “Partner” wahrgenommen werden. Es sind diese Leute, die die Bindungskräfte auflösen. Erstaunlicherweise herrscht die Ansicht vor, dass man sich das leisten kann.
Der Markt ist eigentlich reif für gute Alternativen, gerade im Netz. Aber genau das bleibt aus, weil die deutsche Bloglandschaft längst verhärtet und verkrustet ist. Man versteht ihre Grösse jedoch falsch, wenn man sich die wenig attraktiven Spitzen anschaut; die Aufmerksamkeit verliert sich in Tausenden und Abertausenden von kleinen Zirkeln und Gruppen. Und so gross, wie die wenigen grossen Internetangebote behaupten, sind die Unterschiede bei den Klickzahlen dann auch nicht. Sie sind gross, wenn jemand in der Lage ist, auf einem Medium gut zu spielen, aber viele Blogversuche der Medien waren letztlich nicht erfolgreicher, als normale Blogs. Ich habe mir mal die Zahlen vom Handelsblatt und den alten Tagesspiegelblogs zeigen lassen: Da würde ich mir aber pronto die Kugel geben. So oder so – davon kann man hier und da nicht leben. Was Blogger vielleicht möchten. Journalisten müssen jedoch.
Beide Ausgangslagen sind nicht wirklich prickelnd. Aber dennoch sind Medien und Blogger im gleichen Markt unterwegs. Blogger nehmen den Medien definitiv etwas weg, und verziehen Leser zum Diskurs, in den ihnen Medien kaum folgen können oder wollen. Dazu kommen bei den Medien noch einige strategische Nachteile wie Hierarchien, die im Print notwendig sind, aber im Internet wegfallen könnten – trotzdem scheint ohne dieses Korsett nichts zu gehen. Umgekehrt schaffen sie es durch die Bank nicht, ihren Mitarbeitern den Paradigmenwechsel nahe zu bringen. Mir persönlich scheint es so, dass der Hass auf das Netz nirgendwo grösser ist, als bei der Nachwuchs”elite” bis ca. 45 Jahren. Da sind der Neid und die Verachtung mit Händen zu greifen. Und das bedeutet auch, dass man über Jahrzehnte noch mit ihnen zu tun haben wird.
Die Zukunftsaussichten sind angesichts der ökonomischen Realitäten für beide Gruppen nicht gut, aber Blogger können ausweichen und sich erneuern, aber welche Alternativen haben Medien, und wie lebt es sich in Konzentrationsprozessen als einfacher Schreibsoldat? Offensichtlich besser, wenn man nicht aufhört zu behaupten, wie mies das Internet sei. Aber das ändert nichts an den Zukunftsaussichten. Kann sein, dass ein paar Medienhäuser den Konzentrationsprozess überleben. Aber auch die werden sich weiterhin dem Netz gegenübersehen, und nichts garantiert ihnen, dass dort nicht effektive Gegner entstehen. Ich persönlich glaube nicht an eine deutsche Huffington Post. Aber in meinem Kopf rumort etwas, ich habe ein paar Ideen, und ausserdem den Ehrgeiz, es den “Kollegen” mal ordentlich zu zeigen.
Aber ich habe dafür alle Zeit der Welt.
Und die Medien haben diese zeit nicht mehr.
Sorry, the comment form is closed at this time.
Der Dialog ist das Neue – richtig! Wenn ein Journalist seinen Riemen abgeliefert hat, fängt in Zukunft die Arbeit für ihn erst an. Falls nicht, hat er wohl was falsch gemacht. Keine Antwort ist nämlich auch ‘ne Antwort …
“Die Zukunftsaussichten sind angesichts der ökonomischen Realitäten für beide Gruppen nicht gut, aber Blogger können ausweichen und sich erneuern, aber welche Alternativen haben Medien, und wie lebt es sich in Konzentrationsprozessen als einfacher Schreibsoldat? Offensichtlich besser, wenn man nicht aufhört zu behaupten, wie mies das Internet sei.” – sehr treffend gesagt.
Dieser Text hat in 130 Minuten 2 Kommentare erhalten (inklusive diesem hier). Entweder hat der Text – wenn der Benchmarkt-Wert von einem Kommenar auf 50 bis 130 erreicht werden soll – in dieser Zeit lediglich 100 bis 260 Leser gehabt (Mikroöffentlichkeit, Mikroöffentlichkeit, Mikroöffentlichkeit) – oder aber der Benchmark stimmt nicht, weil zutreffende Texte auch mal mit weniger Kommentaren auskommen.
So eine Ankündigung hört man doch gern. Ich fragte mich schon, wer künftig über die Weltwirtschaft berichten wird.
Zusammen mit Aust ?
[…] Chance für den professionellen Journalismus. Und sein größter Gegner. Trackback-URL dieses Beitrages Schlagworte (Tags): frankschirrmacher […]
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Dieser Text ist das Internet-Manifest in gut. Die restlichen zwanzig Zeilen meines Kommentars hab ich gestrichen.
Haben Sie ein weiteres Westviertel entdeckt? Ich würde nicht jeden Ihrer Sätze unterschreiben wollen, was weder Kritik noch Vorwurf ist. Denn in Zeiten schneller gesellschaftlicher Transformationen ist an vielen Stellen nichts anderes als Spekulation möglich.
Es wird immer offenkundiger, dass die Illusion, es gäbe in unserer Welt Logenplätze für Vertreter der Presse (als Funktionsträger der Demokratie) einer Realität weichen muss, in der Journalisten mit oder ohne Zertifikat irgendeiner Henry-Nannen-Schule nicht mehr als kleine Rädchen im ökonomischen Getriebe sind. Aus der Zeitung, so wie wir sie kannten, die für sich selbst die Bezeichnung “Premium-Journalismus” entworfen hat (darüber darf man gar nicht nachdenken), wird ein Nischenprodukt mit Luxus-Appeal.
Verlage produzieren keine Nachrichten. Verlage haben auch wenig Interesse die Wirklichkeit zu konstruieren. Verlage sind derzeit als allererstes Makler, Manager und Controller. Sie nehmen Autoren, die ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit dokumentieren, unter Vertrag und versuchen ihre Geschichten an Konsumenten zu vermitteln, die offensichtlich einen Bedarf haben diesen Dienst zu nutzen.
Sobald aber Verlage ihr eigentliches Kapital, ihre eigentlichen Stars, also ihre Autoren, nur noch als notwendiges Ãœbel – z.B. zum Umschreiben von Agenturmeldungen – sehen, gerät ihr Geschäftsmodell ins Trudeln. Das wäre ungefähr so als wenn ein Künstlermanager plötzlich nur noch schlechte Doppelgänger auftreten lässt, um den eigenen Profit zu maximieren (Okay bei der Blue Man Group funktioniert das sogar, wobei die sicherlich keine schlechten Doppelgänger einsetzen) Die Wertschöpfungskette bricht in sich zusammen.
Denn an den Autoren sparen, heißt auch in letzter Konsequenz weniger Wert anzubieten. Hinzu kommt noch der Umstand, dass die Konkurrenz gleichzieht und somit ein Überangebot der blutleeren Produkte herrscht, während Millionen von freien Autoren kostenfrei ihr Herzblut per RSS anbieten.
Blutleere Medieninhalte bedeutet wiederum blutleerer Kontext für Werbekunden, die ja ein Interesse daran haben, bzw. sich an blutgetränkte Kontexte heften wollen um sich und ihr Produkt davon zu ernähren.
Worin liegt also das eigentliche Ãœbel?
Ich denke es ist wie bei allen derzeit ausblutenden Wirtschaftsunternehmen. Es gibt einige wenige Zellen innerhalb des Systems, die eine so unaussprechlich hohe Gier aufweisen und sich aber so gar nicht mehr mit ihrem jeweiligen System identifizieren, dass sie ihren derzeitigen Wirt einfach verrecken lassen. Wenn der Wirt tot bzw. pleite ist, zehren sie noch ein wenig am Aas und suchen sich dann einfach einen neuen Wirt, mit dem Sie ihr Spiel wiederholen.
Also wenn wir schon über den Zukunft von Journalismus sprechen, so sollten wir uns auch über die Zukunft ihres Managements Gedanken machen.
Inhabergeführte Medien (Aust etc.), das wäre in meinen Augen eine wundervolle Alternative. Daher kann ich Don in seinem Vorhaben nur positiv bestärken. Egal wer so etwas am Ende führt, wichtig ist, dass er zu 100% dahintersteht und es ihm in erster Linie um den Dienst am Markt geht und nicht um den eigenen Profit (was nicht ausschließt, dass man damit nicht auch gut verdienen dürfte).
Unternehmen ohne Inhaber, ohne Visionär, ohne jemanden der diesen Posten als Berufung sieht, werden früher oder später anfällig für die oben beschrieben Sorte von Blutsaugern.
Gute Autoren (Schreibsoldaten) gibt es wie Sand am Meer – echte Verlegercharaktere (Verlagsgeneräle) leider nicht.
Ja, man braucht nach wie vor die großen Auswähler und Interpreten, die dann auch so was wie “Deutungsmacht” erlangen.
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Professonielle Presseredaktionen wird es auch in Zukunft noch geben. Wieviel finanziellen Profit sie abwerfen, ist zweitrangig. Es gibt einfach zu viele Akteure, die das notfalls auch auf eigene Kosten Gratis anbieten werden, weil der Gewinn an Einfluß und Deutungsmacht sie schon genug entschädigt. (Und die absoluten Selbstkosten sinken ja kontinuierlich).
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Da darf man sich ans späte 19. Jahrhundert erinnern, als die meisten Zeitungen und Periodika Organe von Parteien, Verbänden, Vereinen und Gesinnungsgemeinschaften waren. Eben nicht “unabhängig und überparteilich”, sondern die “Stimme der Arbeiterklasse” oder der “Katholiken der preussischen Rheinprovinzen”, etc.
Auch Lenin gründete die “Pravda” nicht, um als Verleger reich zu werden.
Karl Kraus hat mit seinem mickrigen, selbstfinanzierten Blättchen namens “Fackel” Öffentlichkeitsgeschichte geschrieben.
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Ich glaube, künftig könnte es ähnlich werden wie in den Jahrzehnten zwischen 1860 und 1930.
Die Presse bleibt auf jeden Fall. Aber sie wird keine Geldkuh mehr sein, sondern ein Defizitgeschäft, das entweder aus Idealismus oder zur Beförderung bestimmter Partikularinteressen betrieben wird.
Ich lese (und kommentiere) hier genauso gerne wie bei weissgarnix. Ich muss aber sagen, dass ich den Text hier viel gelungener finde als den bei weissgarnix. Der Text “drüben” sagt eigentlich nicht viel mehr als dass alles aus der Blogosphäre erst dann eine Relevanz bekommt, wenn die Mainstreammedien das Thema aufnehmen. Das ist aber keine sonderlich packende Erkenntnis.
Die Erkenntnis, dass der Print in großen Teilen seine Leser verachtet, aber schon. Deshalb kümmert sich der Journalist auch nicht um Feedback oder diskutiert gar auf Augenhöhe mit dem Leser.
Ich sage es mal anders: Wenn ich in meinem Blog nicht manchmal spannende Kommentare bekommen würde, hätte ich das Bloggen schon aufgegeben. Denn nur dadurch lernt auch der Schreiber was. Und sei es nur, wie andere denken und ticken.
Sorry, aber die Annahme, dass Printredakteure (in großen Teilen) ihre Leser verachten, ist schlicht Unsinn. Ich schreibe selbst für ein Printmagazin (eine IT-Fachzeitschrift). Wenn unser Heft am Kiosk liegt, dann sind wir schon längst mit der nächsten Ausgabe beschäftigt. Leserbriefe werden natürlich beantwortet, aber für ein irgendwie geartete Diskussionen über irgendwelche Web-2.0-Kanäle hätte ich schlicht und ergreifend gar nicht die Zeit. Die Arbeitsbelastung von Redakteuren hat in den letzten Jahren nicht gerade abgenommen. Und neben dem Testen neuer Geräte und dem Schreiben von Artikeln gibt es ja auch noch diverse andere Arbeiten: Redaktionskonferenzen, Meetings mit Herstellern, Messen, Pressereisen oder schlicht die Zeit, die nötig ist, um sich selbst zu informieren und nach neuen Themen Ausschau zu halten.
Selbst die Kollegen von Online haben selten die Zeit für intensive Diskussionen mit Leserinnen und Lesern.
[…] Die Aequidistanz des Ekels […]
Eine gute Zustandsbeschreibung. Viele Dinge richtig benannt, die aber schon bekannt waren (ja, den klassischen Medien nicht, das stimmt, aber hier schon). Die Ankündigung zum Schluss jedoch ist das Spannende.
@13.Klaus:
Da muss man definitiv differenzieren – das sehe ich ähnlich. Fachzeitschriften sind naturgemäß “näher” am Leser dran und interessiert. Aber was ist von “Qualitätszeitungen” zu halten, die von freien Mitarbeitern für 40 Cent pro Zeile liefern lassen? Ich habe drei Jahre für die Lokalredaktion einer regionalen Monopolzeitung geschrieben – wenn man davon leben wollte, durfte man sich nicht groß um Nebensächlichkeiten wie Leserfeedback kümmern. Stattdessen hieß es: Auf zum nächsten Termin. 200 Zeilen abliefern. usf.
@13 @16
Das ist aber genau eines der Probleme. Wir wissen zwar alle, wie das entsteht, aber das Problem ist nachher trotzdem noch da. Wenn sich der Print nicht darum kümmert, stirbt er.
@Chat Atkins:
“Wenn ein Journalist seinen Riemen abgeliefert hat, fängt in Zukunft die Arbeit für ihn erst an. Falls nicht, hat er wohl was falsch gemacht.”
Na und wie soll das gehen? 9 Uhr bis 2 Uhr nachts: Artikel liefern. 2 Uhr nachts bis 9 Uhr: schlafen mit den Lesern diskutieren? Und dabei im Gegensatz zu Don Trolle und Störenfriede nicht löschen dürfen?
@Patrick Breitenbach:
“Gute Autoren (Schreibsoldaten) gibt es wie Sand am Meer”
Gute Autoren sind sicher nicht Schreibsoldaten.
Aber wenn es sie wie Sand am Meer gibt, sagt das gesetz von Angebot und Nachfrage, daß sie besser zur Müllabfuhr gehen oder ein Puff aufmachen, weil sie keiner wirklich braucht.
Naja, Printköpfe werden scrollen, das bleibt beim Querlesen…