5.2.2006 | 2:16 von dogfood

Relevanz galore

In der Interview-Serie vom Online-Magazin “Webwatching” gab es eine Reihe von Gesprächspartnern bei denen im Zusammenhang mit “Journalismus” und “Relevanz” die Nippel hart wurden.

SPIEGEL (offline) macht es vor, was passiert wenn sich Relevanz mit Journalismus paart. Dann kommt nämlich als Nummer Eins der “exklusiven Vorabmeldungen” zum neuen SPIEGEL raus:
Harald Schmidt will versprochene WM-Tickets in einer Sondersendung vergeben

Ich geh jetzt wieder über meine Grippe bloggen und suche danach noch ein paar Katzenbilder für morgen raus..

3.2.2006 | 10:25 von DonAlphonso

Subjektivität als Qualitätsmerkmal für Werbung in Blogs

Von aussen betrachtet, vom Standpunkt der klassischen Medien, ist die Subjektivität des Bloggens spätestens dann ein Problem, wenn es um Werbung, PR oder Promotion geht. Dann, so die gängige These, ist halt doch wieder der objektive Journalismus mit seiner strikten Trennung zwischen Werbung und Inhalt gefragt.

Da passt es ganz gut, dass in den letzten Wochen ein paar Fälle von Promotion passiert sind, anhand derer man die verschiedenen Kombinationen mal durchspielen kann. Ohne Namensnennung und Verlinkung mal erzählt:

1. Da ist ein in der Blogosphäre recht bekannter Blogger, der den Lesern erklärt, dass er innovative Werbeformen entwickelt. Ersagt ihnen, wer seine Kunden sind, was die wollen, baut das selbstverständlich in seine Texte ein und regt die Leser an, bei den Aktionen mitzumachen – Aktionen, die transparant sind und so neu, dass es wohl vielen auch wirklich Spass macht. Hier setzt der Blogger – zurecht, meine ich – auf die Glaubwürdigkeit seiner offenen Subjektivität und auf die Fähigkeit der Leser, die Sache für sich selbst zu objektivieren.

2. Da ist ein anderer auch nicht ganz unbekannter Blogger, der in verschiedenen Projekten mitarbeitet. Eines dieser Projekte ist an einem grossen Medienkonzern angedockt. Und da erzählt er nun locker und subjektiv, dass es da eine Veranstaltung gibt, die cool werden könnte, weil sich die Macher was Neues haben einfallen lassen. Klingt erst mal gut, ist es vielleicht auch. Aber selbst erfahrene Blogger, die den anderen verorten können, kommen kaum drauf, dass die Veranstaltung von einem anderen Projekt des Bloggers gemacht wird. Es ist einfach nicht auf Anhieb zu erkennen. Und in solchen Fällen wird wohl tatsächlich die Subjektivität als Marketinginstrument missbraucht, als besonders authentische Schleichwerbung.

3. Da ist noch ein nicht unbekannter Blogger, der keinen Hehl daraus macht, dass er für eine Firma arbeitet. Dieser Firma hat ein neues Produkt, und er sagt, dass jeder, wer es mal testen will, ihm eine Mail schicken soll. Die Leute reagieren darauf, probieren es aus, manche finden es gut, bei anderen treten Fehler auf, man diskututiert in den Blog offen darüber. Durch diese multiple, durch Links und Technorati abfragbare subjektive Debatte wird das Produkt keinen Jota besser, aber glaubwürdig. Zumal, wenn der Blogger zusagt, dass er an den Problemen arbeitet.

4. Da ist ein auch nicht unbekannter Blogger, der mit einem anderen befreundet ist – da wird oft genug verlinkt, es gibt genug Flickr-Bilder, auf denen beide zu sehen sind. Der andere hat ein Produkt, der erste wiederum findet es toll, sagt es auch in seinem Blog, nennt den anderen mit Vornamen. Das ist soweit in Odnung, jeder kann sich aufgrund des subjektiven Verhaltens einen Reim drauf machen, zumal da auch angesprochen wird, dass andere das Produkt nicht so doll finden. Aber dann erscheint in einem wichtigen Medium ein Artikel des ersten Bloggers über das Produkt des anderen, und der ist auch eine Lobeshymne, die Kritik fällt aus, und man müsste als Nichtblogger erst mal den Namen des Verfassers googeln, um zu erkennen, dass es sich dabei nicht wirklich um unvoreingenommenen Journalismus handelt. Im zweiten Fall ist es also gerade das Fehlen der ehrlichen Subjektivität, die das Verhalten problematisch werden lässt.

Das alles, wohlgemerkt, spielt sich in weithin bekannten Blogs und führenden Qualitätsmedien ab, wir reden hier also nicht über irgendwelches Special-Interest-Gemauschel, wie man es inzwischen bei manchen Kleinstblogs für Autoteile, Alkoholika oder kommunikationswissenschaftliche Leistungen beobachten kann.

Das Problem in diesen Fällen ist nicht die Subjektivität als solche, sondern das Vortäuschen einer Objektivität oder eine aus Eigeninteressen vorgetragene Subjektivität, die beide die wahre Subjektivität verschweigen. Subjektivität im Sinne von ehrlicher Kommunikation des eigenen Standpunkts, idealerweise in einem Netz weiterer Subjektivität, ist dagegen der Ausweg aus dem Pseudo-Objektivitätsdilemma – und das Tolle ist: In der partizipativen Netzwerkstruktur des Internet ist das möglich, im Gegensatz zu den klassischen Medien, die natürlich gar nicht erwarten, dass ihr angeblich dröges Lesevieh auch noch woanders schaut und sucht.

Insofern denke ich, dass Subjektivität kein Regelverstoss ist, sondern in den Blogs eine Qualität der Meinung, und alle Meinungen zusammengenommen es den Betrachtern erlauben, ihre eigene Subjektivität zu objektivieren. Solange da keiner wie oben beschrieben bescheisst – aber auch darüber kann man dann ja auch bloggen.

1.2.2006 | 13:28 von DonAlphonso

Das Elend der Kommunikationswissenschaften mit den Blogs.

Die Debatten der Wissenschaftler bei Webwatching plakativ zusammengefasst: Es wäre so schön, wenn man sich die Blogs anschauen, sezieren, in Alkohol einlegen und im Regal K23 verstauen könnte, mit einer ordentlichen Beschriftung, zwischen dem toten Breitmaulfrosch des Bürgerradios und den alten privaten Webseiten bei Lycos.

Geht aber nicht. Kommunikationswissenschaftler, Marktforscher und andere Untersucher des medialen Raumes sind es einfach nicht gewohnt, dass das Untersuchungsobjekt rumzappelt, beisst, spuckt, den Alkohol wegsäuft, nachher die Laborassistentin ficken will und ausserdem denkt, dass es sowieso schon alles weiss. Und auch noch das ein oder andere Megaphon hat, um es allen mitzuteilen. Jahre vor der Drucklegung des epochemachenden Standardwerkes “Die deutsche Web-Logging-Bewegung des frühen 21. Jahhunderts unter besonderer Berücksichtigung ihrer Bewertung in den kommunikationswissenschaftlichen Hauptseminaren der FH Orschluchhausen”.

Ich glaube, sowas nennt man einen undankbaren Forschungsgegenstand.

31.1.2006 | 21:18 von DonAlphonso

Findr: Web 2.0 ist

wenn dessen Jünger erst auf dieser kritischen Seite erfahren, dass es eine Applikation gibt, die es erlaubt, den ganzen idiotischen Tagdreck beim von ihnen so hochgejubelten Flickr halbwegs vernünftig zu sortieren und sie vor lauter Begeisterung sicher vergessen zu realisieren

– wie müllig Tags (1|2) ohne dieses Hilfsmittel waren

– wie müllig Tags auch mit dieser Flashkrücke immer noch sind

– und wie bescheuert es eigentlich ist, dass Web2.0-Flickr erst mal eine 0.7-Entwicklung wie Findr braucht, um anhand der Tags vernünftig durchsuchbar zu werden.

Nebenbei gesagt, für jeden wirtschaftlich halbwegs erfahrenen Menschen zeigt sich da auch die Tücke von Web2.0: Erfindungen wie Findr, die im Kern eigentlich hochgradig parasitär sind, können einem Aufkäufer wie Yahoo bei Flickr, der von vielen Klicks und langwierigen Suchen lebt, das Geschäft vermiesen – und zwar gründlich.

Zum Thema: Findr ist eine ganz hübsche Flashapplikation, die Flickr nicht nur anhand von Tags durchsucht, sondern in einem horizontalen Menu auch noch verwandte Tags anzeigt. Nehmen wir mal an, ich suche die Tür der Kathedrale von Granada. Im herkömmlichen Flickr bin ich aufgeschmissen: Granada finde ich noch, aber schon bei der Kathedrale wird es eng. Wie ist die vertagged? Kathedrale, Cathedral, Catedral, Church, Architecture? Gebe ich Granada ei, bekomme ich jetzt 17833 Bilder, und das ganze müsste ich jetzt mit allen anderen möglichen Tags durchführen, die mir so einfallen, um die die Suche zu begrenzen. Wenn jemand die Kirche aber mit “Kirche” vertagged hat und ich es nicht versuche – finde ich es nicht. Kurz: Um nach Tags zu finden, muss ich erst mal die richtigen Begriffe kennen. Tue ich das nicht, sehe ich alt aus. Und es gibt kein Tagverzeichnis, wo ich mal eben nachschauen kann.

Und genau da setzt Findr an. Findr bingt eben nicht nur die Bilder zum Suchbegriff, sondern auch dabei verwendete Tags in verschachtelten Leisten. Das heisst, ich bekomme eine Art Navigation. Jetzt wird so ein Web2.0-Jünger vielleicht aufjaulen und sagen, wie scheisse das doch ist, wenn die tollen neumodischen Tags zu einer sowas von 1994er Navigation plattgedroschen werden, aber hey: Das funktioniert wenigstens. Ich entdecke all die Tags – jetzt Menubegriffe, die ich brauche, inclusive Rechtschreibfehler und Varianten: cathedral, door, das Bild wird in einer Vorschau geladen, einen Click weiter bin ich dann beim Original. Aber bis dahin lief eben alles ausserhalb der web2.0igen Verwertungsmechanismen von Flickr/Yahoo.

Wenn man das mal genutzt hat, will man Flickr gar nicht mehr selbst durchsuchen. Was aber zur Frage führt: Wenn Findr jetzt Web2.0 ist, was war dann Flickr? Bestens Web0.982. Das sollte manchen Jüngern zu denken geben. Jaja.

Via einem erfolgreichen, wirklich erfolgreichen Businessblog in einem Nischenmarkt, hier genutzt für Voyerismus. Auch wenn es vielleicht manchen nicht gefällt, aber so gehtŽs Blog-Business. Mit Neanderthaler1.0 statt Web2.0.
Wobei man sich ja ohnehin manchmal fragt, ob das Zweite heute nicht die neue Höhle der Ersten ist.

29.1.2006 | 18:38 von DonAlphonso

Ich kann es nicht mehr hören

All das irrelevante Gefasel. Die deutsche Blogosphäre ist zu klein. Sie ist zu selbstfixiert. Niemand ausserhalb interessiert sich dafür. Sie wächst zu langsam. Es gibt viel zu wenig Blogleser, jeder Online-Auftritt einer Regionalzeitung hat mehr Leser. Sie ist zu unpolitisch, sie kümmert sich nicht um wichtige Themen, sie checkt Informationen nicht, sie hat keinen Impact und keine Leads, und ohne die Lieferarbeit der Medien wäre sie aufgeschmissen, denn allein aus Blogs kann sich keiner informieren. Und dann all das selbstfixierte Zeug, das geht gar nicht. Höchstens als Big Brother Ersatz, un mit Kultur oder Literatur haben sie nichts zu tun.

So der Remix aus den immer wieder gehörten Redebeiträgen aus ein paar halböffentlichen Debatten und Blogeinträgen der letzten Woche.

Na und? Selbst wenn es so pauschal stimmen würde: Na und? Die Leute interessieren sich nun mal für ihren eigenen Krempel. Es kommt individuell für mich weitaus mehr Gutes dabei heraus, als ich lesen kann – so viel Zeit habe ich gar nicht. Die Kriterien gehen mir am Arsch vorbei, weil es weder Kriterien der Relevanz sind, wie sie behaupten, noch relevante Kriterien. Da draussen kennt keiner die Regeln, sie wissen noch nicht mal, dass sie existieren. Es ist kein downgegradeter Journalismus, es ist keine unverständliche Medienrevolution oder ein zwingendes Massenmedium. Es ist eine Kultur, hört ihr das? – Kultur ohne Vergangenheit, es gibt keine zentrale Instanz, es gibt keine Deutungshoheit und keinen Zwang und keine Auflagenerwartung. Alles kann, nichts muss.

Ich nenne es Freiheit.

25.1.2006 | 16:33 von DonAlphonso

Focus bringt Fakten. Oder so.

Wenn das hier Fakten sind, dann will ich nicht wissen, was Focus alles macht, wenn sie erst voll digitalisiert im Web2.0 ankommen. Auch mit triple play bleibt eine Lüge immer nich eine Lüge, und ein Fake ein Fake. So viel dann auch zur Glaubwürdigkeit von Medien.

Gut, dass wir Blogs lesen.

25.1.2006 | 10:37 von DonAlphonso

Das Elend der Tagcloud in der Blogcommunity

Ich habe schon mal auf meine Vorbehalte zum Thema “Tags”, diesem beliebten Spielzeug im Web2.0 hingewiesen. Inzwischen habe ich etwas nachgedacht und mir die Frage gestellt, ob mir da mein Unterbewusstsein nicht einen Streich gespielt hat. Denn back in the ol times, so um 2001 herum, gab es schon ein paar Webseiten für Venture Capital Gesellschaften (Holtzbrinck Networx) und Marktfoscher (Ears and Eyes), die die Navigation ihrer Seiten ähnlich wie eine Tag Cloud gestaltet haben.

Nun bin ich gerade aber bei Blog.de gewesen, diesem etwas neueren Bloghoster, der stark auf eine geschlossene Community setzt. Unter anderem eben auch mit Tag Clouds, die einen schnellen Überblick über die Community geben sollen. Ich möchte das hier kurz vorstellen:

Wir sind
arrogant Cool ehrlich freundlich hilfsbereit humorvoll hübsch Ich intelligent interessant knuffig kreativ lieb lustig Musik nachdenklich nett sensibel sexy spontan sympathisch süß verrückt witzig zuverlässig

Wir mögen
Bücher Computer Filme Fotografie Freunde Freunde treffen Fußball internet Kino kochen kunst lesen Literatur Musik Musik hören party PC Politik reisen schlafen schreiben Singen Sport Tanzen Zeichnen

Top Tags 24 h
Alltag Blog Brasilien Film Foto frau Frauen Freunde gedanken Ich Kunst Liebe Literatur Lyrik Musik Politik privat Sex sexdate ShortStory SMS Teddykrieger Telefon telefonerotik Winter

Das erinnert mich so ein bisschen an Kontaktanzeigen langweiliger Spiesserblätter wie der ZEIT: Ernsthafter, alleinstehender Arzt aus Elmsbüttel sucht treue, liebe zuverlässige Partnerin. Interessen: Freunde treffen, Lesen, Musik hören, Kunst, Kino gehen, langweiligen Spiessersex haben. Wer liest denn sowas, ausser der Erbschleicherin? Ich jedenfalls habe mich immer nur mit den SM-, Profi-, Extrem- und Nichthetendauerbeziehung-Anzeigen amüsieren können.

Diese Tag Clouds liefern die runtergebrochene Masse, sie liefern das Banalste, was man sich vorstellen kann. Überraschungen? Spannung? Keine Spur. Und bei Teddykrieger handelt es sich nicht um die XXX-Inhalte eines marodierenden, gewalttätigen Plüschbären, sondern nur um einen Vielposter, der sich selbst vertaggt. Das Individuelle, das Einzigartige, das Besondere wird in den Tagclouds weggewischt für den dummen, banalen Mainstream, dessen inneren Durchschnitt man wiederum bekommt, wenn man sich die Postings dann anschaut. Und das, obwohl die Leute, die das schreiben, alle so wunderbar

ehrlich freundlich hilfsbereit humorvoll hübsch intelligent interessant knuffig kreativ lieb lustig – so wahnsinnig NETT

sind. In der Tag Cloud, dem RTL-II-Programmübersicht der Blogosphäre.

24.1.2006 | 3:33 von DonAlphonso

Habemus Jamba-Johnny novus: Klowand-Scholz

Über ein Jahr lang lief auf praktisch allen Blogpanels dieser Republik das immer gleiche Dramolett: Sobald es um Medienmacht, Impact oder den blossen Remmidemmifaktor von Blogs ging, kam die Sprache auf den Jambakurs bei Spreeblick. Der Ablauf: Blogger schreibt lustigen Text über verhasste Firma, Firma schreibt böse Kommentare, fliegt auf, alle Blogger verlinken es, Johnny wird berühmt, Jamba bekommt in den Medien eine vor den Latz, muss sich um seine Reputation Gedanken machen. Spätestens mit dem Einstieg von reichweitenstarken Medien wie Spiegel Online war der Fall für Jamba ein echtes PR-Problem, und Johnny stand im Ruf, das deutsche Äquivalent zum Fall der untauglichen Kryptonitschlösser in den USA zu sein.

Da konnte das Publikum erkennen, welche Folgen das Bloggen für Firmen haben kann, und diversen Eigenangaben zufolge machte mancher Berater für Blogangst mit dieser Geschichte auch gute Geschäfte. Dummerweise wartet man seitdem vergleichsweise erfolglos auf Nachfolger, die aus dem einmaligen Fall eine langfristige Katastrophe machen. Jamba selbst bekam Probleme vor allem durch eine wenig erfolgreiche Amerikaexpansion, aber nicht mehr durch Blogger. Andere Beispiele – Nazizeitungen bei Google News, die Pleite eines umstrittenen Mediendienstes, eine unsaubere Ad-Hoc-Meldung einer Internet-Agentur und die diversen Medienversagen von BILD, SPON und Focus brachten zwar durchaus Medienresonanz und Probleme für die jeweiligen Verantwortlichen, waren aber keinesfalls derartig einprägsam wie der Jamba-Fall. Selbst die Aktionen der Blogosphäre zu “Du bist Deutschland” sind wegen ihrer langen Dauer und dem Fehlen eines “Big Bang” eher schlecht geeignet, um den Einfluss der Blogosphäre zu erklären. Noch nicht mal die Entdeckung, dass der Claim der Kampagne teilweise von den Nazis verwendet wurde, ändert etwas am Grundproblem, den Fall knackig rüber zu bekommen. Firmenkommunikation ist da ganz andere Probleme gewöhnt – wo waren nochmal die Weiber, Gebauer?

Aber jetzt gibt es ja die Rundmail des Agenturchefs Jean-Remy von Matt, die Jens Scholz veröffentlicht hat. Und ein paar Tage, nachdem die Wellen der Empörung hochgeschlagen sind und bei Google zum Namen des berühmten Werbers auf Platz 1-10 fast nur noch diese Sache zu lesen ist, kommt auch noch der wenig geglückten Versuch einer Entschuldigung, die in manchen Punkten den gesamten Vorgang verschlimmbessert.

Und an spätestens jetzt wird es für die Freunde auf den Podien spannend. Das ist genau der Fall, den man braucht, um zu zeigen, was Blogger so alles anstellen können – und gerade für die Kommunikationssparte kann es kein besseres Beispiel geben.

– Denn mit Jean-Remy von Matt erwischt es nicht einen Startupper, sondern einen erfahrenen Kommunikationsspezialisten. Den Mann, den manche für den besten Texter des Landes halten. Den Gottvater der Werbebranche. Und es erwischt ihn ausgerechnet bei der Kampagne, die wirklich jeder kennt. Bei einer Kampagne, die sein Baby war. Das hat Impact wie eine 80mm-Granate.

– Seine eigene Agentur macht den Fehler, bei Jens Scholz gegen die Veröffentlichung anzustänkern – statt auf die Profis zu warten, die in der Kampagne dafür zuständig sind.

– Es erwischt ihn persönlich. Nicht als Chef der Agentur Jung von Matt, sondern als polterndes, wütendes, angepisstes Ego. Es erwischt ihn in dem Moment, da er nicht mehr seine Angestellten, sein Vorzimmer und all seine millionenschweren Etats um sich hat. Es erwischt ihn an der Stelle, wo es tödlich ist, wenn man so will, am Friedman-Punkt. Da, wo man sich auf gar keinen Fall erwischen lassen sollte, wenn man danach noch Ernst genommen werden will.

– Die Sache kommt allein durch die Blogosphäre hoch. Publikumsmedien sind nicht so blöd, auf das Thema aufzuspringen, denn letztlich ist von Matt der Mitbesitzer einer Agentur, die immer noch über Etats wie den von Saturn entscheidet. Die meisten Grossen sind ohnehin Teilnehmer der kritisierten Aktion “Du bist Deutschland”, da wären kritische Berichte am Kopf der Veranstaltung wohl wirklich ein wenig dolchstossend. Abgesehen davon – es sind doch nur Blogger. mögen sich viele Journalisten denken, das interessiert sonst keinen. Das Thema breitet sich allein durch die Vernetzung der Blogs aus, ohne aussenstehenden Katalysator. Kurz: es ist ein Blog-PR-GAU in Reinform. Er zeigt, zu was die Blogosphäre allein fähig ist. So einiges. Ich sage nur: 80 mm.

– Zu allem Überfluss schafft Jean-Remy von Matt als Texter genau das, was ein Texter nie, auf keinen Fall schaffen darf: Einen Begriff, einen Claim, der aufgegriffen und gegen ihn und die Kampagne gewendet wird. Die Klowand. Die menschliche Geschichte ist voll mit solchen schlechten Einfällen; die holländischen Geusen des 16. Jahrhunderts etwa leiten ihren Namen von einer Beleidigung der sie bekämpfenden Spanier ab. Mit einem Schlag empfanden sich alle Schichten als solidarisch, weil sie sich vom Wort Geusen – Bettler – kollelktiv ausgegrenzt und diskriminiert sahen. Nur: Den Begriff, der damals eine Nation im Kampf einte, prägte damals ein arrogante, dumme Hofschranze, und nicht ein Mann, der allgemein als fähiger Vermittler von Botschaften an das brunzdumme Geiz-ist-geil-Glotzenvolk gilt.
wie man das gegen arrogante, dumme Hofschranzen abgrenzt, ist nochmal eine andere Frage

– Ein Mann, der im Übrigen im Rahmen seiner Kampagne von zwei anderen, angeblich extrem guten Kommunikationsagenturen unterstützt wird KemperTrautmann – die hatten allersings schon mal danebengegriffen – und FischerAppelt. Letztere werben übrigens besonders mit ihrer Fähigkeit zum Blogmonitoring und behaupten zu denen zu gehören, die mit der Blogosphäre locker umgehen zu können – so wollen sie im Fall der Naziclaims die Berichterstattung der Medien unterbunden haben.
Nebenbei, die Finanzierung mancher deutscher Institute und Forschungsstellen zum Nationalsozialismus wäre auch mal ein spannendes Thema, sage ich jetzt mal so. Nein, ich bin kein Neonazi. Ich bin, von deren Standpunkt, das genaue Gegenteil. Ich will auch keine Verschwörungstheorien aufmachen, aber die deutsche Holocaustforschung stützt sich im erheblichen Mass auf Spenden und Unterstüzung deutscher Firmen oder von ihnen finanzierter Stiftungen
Wie auch immer, wenn es so war, dann haben FischerAppelt diesmal gepennt. Oder sich zu sehr auf die Medien konzentriert. Für die Blogger, dachten sie wohl, reichen Mails an – zugegebenermassen gut recherchierte – eher kompromissbereite “Stakeholder” und Meinungsmacher, deren Emails sie dann entsprechend beschickt haben. Dummerweise mit einem Posting, das bei vielen erneut negative Reaktionen ausgelöst hat.

– Und offensichtlich ist allen Beteiligten entgangen, dass der Begriff Klowand das letzte gewesen wäre, was darin nochmal hätte vorkommen dürfen. “The coffin is nailed”, sagen die Briten.

Es mag gut sein, dass die Medien lieber ein Urinal aussaufen würden, als sich gegen FischerAppelt oder Jung von Matt einen Bericht abzuringen. Nur: Dieser Fall findet nicht nur in den Medien statt, sondern in der PR- und Werbebranche. Von Matts Antwort ist vor allem der Schadensbegrenzung in der Werbeszene geschuldet – in dem Moment, da die Blgosphäre nicht mehr einhellig reagiert und unter sich streitet, ist bewiesen, dass von Matt und FischerAppelt es kann: Bei minimalen Zugeständnissen das Problem aus der Welt schaffen. Das Gesicht wahren. Haben übrigens auch die Spanier mit den Geusen probiert. War aber keine so gute Idee.

Umgekehrt sind da draussen all die Scholz & Friends, die goldenen Hirschen, die BDDOs und Springerjacobis, die text100er, die Ketchums und viele kleine Möchtegern-Berater, die sich über die Geschichte freuen und ihr eigenes, netzwerkinternes Anti-Marketing betreiben. Es ist eine Branche in Krise und Umbruch, und gerade im Fall der Blogkompetenz ist hier so viel schief gelaufen, es ist eine derart saftige, plastische, geile Geschichte, dieser Grösste aller Obermacker, dem die Blogger die Hose runtergelassen haben, man kann sie mit ein paar Sätzen erzählen und jeder kapiert, dass draussen vor dem Mann keiner mehr Respekt hat, und das, obwohl die besten Leute der PR-Blog-Branche geholfen haben – kurz, alle Gegner werden von allen Podien diesen Fall ins Publikum, zu ihren Kunden tragen, und Lars Cords von FischerAppelt wird sich die Finger wundtelefonieren, um auch hoch zu dürfen und genau diese Debatte zu verhindern. Ihnen allen ist scheissegal, was in den Medien steht, denn ihre Kunden wissen genau, wie man die kauft – aber hier haben die Spitzen der Branche im ureigensten Gebiet eine böse Schlappe kassiert.

Das wiederum findet die Konkurrenz gut: Mit ein paar Quotes zu zeigen, dass man mit dem cholerischen von Matt und den vielversprechenden FischerAppelts Risikofaktoren und Versager kauft, ist für all die Gegner ein innerer Reichsparteitag. Und deshalb wird der Klowand-Scholz der neue Jamba-Johnny. Garantiert.