2.1.2006 | 17:11 von DonAlphonso

The Future that didnŽt happen in 05: IV – Das Ende der Debatte um den Journalismus

Es wird in der Blogosphäre immer mal wieder gefordert, endlich die Debatte, ob Bloggen Journalismus ist oder etwas damit zu tun hat, einzustellen – mitunter gleich drangeklatscht die Debatte um Web2.0, die viel spannender und wichtiger und beyond Journalismus sein soll. Die Forderung ist vermutlich so alt wie die Debatte selbst, und tatsächlich wurden schon viele Argumente gewechselt.

Dass es kein Ende gibt und auch vermutlich nie ein Ende geben wird, hat drei auch über 2005 hinaus wirksame Gründe:

1. Die Journalisten reden gern über die Beziehung, weil es ihnen erlaubt, über ein Lieblingsthema zu reden, das der Rest der Welt gründlich und angesichts der Verkommenheit des Berufsstandes zurecht am Arsch vorbei geht: Über sich selbst.

2. (Fast) Gleiches kann man auch von den Bloggern sagen. Wenn man böse sein will.

3. Es ist und bleibt eine spannende Frage, weil beide Systeme in Bewegung sind. Journalismus, zumal die papiergebundene Form, läuft in einen Strukturwechsel hinein, weil ihnen die Leser wegsterben. Die üblichen Agentur-Nachrichten sind im Netz omnipräsent und langfristig abrufbar, da werden Medien zwangsläufig Alleinstellungsmerkmale entwickeln müssen, um nicht austauschbar zu sein – und da lernt man auch von den Blogs. Auf der anderen Seite artikuliert sich in Blogs die Kritik an Medien und dem Spin ihrer Macher recht ungeschminkt und rau; brutaler jedenfalls, als es die Medien bislang in ihrer internen Debatte gewohnt sind. Im Spannungsfeld zwischen dem Schielen nach dem Tun des anderen und der gegenseitigen Ablehnung, in das mitunter auch ein Batzen Blogschleim etablierten Medien fällt oder auch einfach nur ein paar Kröten für gekaufte Blogger rübergeschoben werden, wird es immer Äusserungen geben, die sich in dieser ewigen Debatte manifestieren werden.

Warum auch nicht.

29.12.2005 | 2:42 von DonAlphonso

The Future that didnŽt happen in 05: III – Der grosse Schub durch die Wahl

Eine der beliebten, oft erzählten Tresenstories der Blogosphäre ist die Geschichte rund um den amerikanischen Moderator Dan Rather – genannt Rathergate – der ein Dokument über George Bush präsentierte und von einem Aufschrei mehrheitlich rechter amerikanischer Blogs belehrt wurde, dass er mit einer Fälschung hantiert hatte. Was dann zu seinem Niedergang beitrug. Jedenfalls war das für die Medien ein gefundenes Fressen, Blogger durften auch auf die Wahlveranstaltungen, und weil der US-Wahlkamof ansonsten eher eine politikbefreite Zone vorhersehbarer Phrasen ist, gaben die Blogger immer eine gute Story her. Sie machten zwar keine dollen Interviews, berichteten nicht aus den Bordellen nach den Parteitagen und ihre Beiträge sind heute längst vergessen, aber angeblich hat die US-Wahl Blogger gross raus gebracht.

Wie auch immer, Bundeskanzler Schröder erwischte die hiesige Blogosphäre mit der Neuwahlankündigung ziemlich auf dem falschen Fuss. Niemand hatte damit gerechnet, und jetzt mussten in Windeseile die passenden Blogs für die passenden Themen her. Neben den unbeholfenen Versuchen der Parteien, das Thema irgendwie selbst zu machen – Klogriff inclusive – gab es auch mehr oder weniger gut besuchte überparteiliche Blogs, die mehr oder weniger sinnvoll mit Autoren bestückt waren: Wahlblog.de, neuwahl05.de, lautgeben.de, bundestagswahlblog.de, wahlen2005.blogspot.com, election.de, wahltagebuch.de – mal ehrlich, wann hat denn jemand das letzte Mal dort hingeschaut? Vermutlich mehr Leute als bei den kläglichen Versuchen von AOL, Focus, Handelsblatt oder Tagesschau, ebenfalls an diesem Rad zu drehen.

Es gab bei den Wahlen wohl tatsächlich einen gewissen Peak. Bei meinem damals recht politischen Blog schwoll der Leserstrom zur Wahl um ca. 50% an, um sich danach auf ein Niveau knapp über der Zahlen vor der heissen Phase des Wahlkampfs einzupendeln. Sieht man sich die versickerten Kommentarstränge der Wahlblogs an, muss bei denen ziemlich die Luft raus sein. Thema vorbei, Blog tot. Die Wahl hat keinen zum Star gemacht, keines der Wahlblogs hat den Schub mitgenommen, um sich auch nur ansatzweise zur Ergänzung oder gar zum Mitspieler der traditionellen Medien zu entwickeln. Was angesichts der meisten Leistungen in den Wahlblogs, offen gesagt, nicht wirklich zu bedauern ist. Denn irgendwelche besonderen Aspekte, die die Medien übersehen hätten, konnten auch die Wahlblogs, egal ob aus der Blogosphäre entstanden oder von den Medien gewurschtelt, kaum bringen. Es war ein netter Versuch, manche Leute hatten ihren Spass, das warŽs aber auch schon.

28.12.2005 | 23:57 von DonAlphonso

Blogcounter und die Empörungswelle

Wir hatten schon das etwas fragwürdige Gebahren von Thomas Promny. Und wir hatten auch schon ein paar Hinweise darauf, dass der berüchtigte Blogcounter nicht gerade das Gelbe vom Ei ist. So richtig toll fanden das die Betreiber wohl auch nicht, nachdem sie versucht haben, das Ding zu verkaufen.

Und jetzt kamen Promny und Blogcounter zusammen, indem Blogcounter unsichtbare Werbung im Code für Promnys Projekt Stadtblogs versteckt. Von dieser Geschichte ausgehend, erlebt Blogcounter jetzt die Schattenseite der Mund-zu-Mund-Propaganda, die sie gross gemacht hat. Da hilft auch kein Statement mehr. Nachdem die grösseren Blogs jetzt ihr Ränzel schnüren und hierher zu Blogscout überlaufen (ich kannŽs nur empfehlen, guter Anbieter, offen für Anregungen), wird wohl kein aussagekräftiger Vergleich der Zahlen übrig bleiben.

Eine Anmerkung noch zu Blogscout: Grandios ist die Auflistung der Searches unter den Visits. Da zeigt sich dann schnell, wer wirkliche Leser hat – und wer nur eine gut für Google optimierte Website besitzt. Das ist mitunter hart, aber gerecht.

28.12.2005 | 14:22 von DonAlphonso

Medienmittwoch in Frankfurt am 11.1.06

Irgendwie bin ich der einzige Hardcore-Blogger auf diesem Podium mit einem Haufen meiner Lieblingskunden aus der Pressesprecherei. Bisher waren meine Zusammentreffen mit PR-Staff ja immer ganz witzig für das nicht involvierte Publikum. Mutmasslich ist auch Blogüberwacher Stefan Keuchel von Google Deutschland dabei – da kann ich ja eine hübsche Case Study anbringen. Anwesend ist auch Dr. Reichart von Burda, die ja demnächst auch bloggen lassen wollen, nachdem es bislang eher mau aussieht mit ihren Stars. Für den Yahoo-Abgesandten muss ich nochmal die Dotcomtod-Archive durchwühlen. Guess this means fun. Also, ich mein, für mich.

Also, wenn Du Hesse und Blogger oder auch einfach nur Splatterfan bist: Melde Dich hier an für den 11.1.06 im Haus der Verlagsgruppe Handelsblatt, Eschersheimer Landstrasse 50, 60320 Frankfurt.

27.12.2005 | 0:36 von DonAlphonso

The Future that didnŽt happen in 05: II – Mobloggen

Seit ein paar Jahren wird in der Mobilfunkbranche geträumt: Vom Handy als universelle Schnittstelle für alle Datendienste, immer dabei, always on, und mit einer Marktpenetration von fast 100%, weitaus besser und in jeder Lebenssituation gebräuchlicher als der Computer mit dem Internet. In Korea und Japan, sagen manche, sei das Internet sogar nur noch was für alte Leute; die Jugend hingegen ist auf Handies eingeschossen.

Es ist keine Überraschung, dass gerade Blogger mit ihrer starken Affinität zum Internet und vergleichsweise schneller Publizität in das Visier der Telcos und ihrer Zulieferer kamen. So ein Blog verspricht schliesslich dauerhafte Nutzung von Datentransfer, und ohne den lassen sich neue Übertragungstechniken wie UMTS nicht refinanzieren. Folglich gab es Nokias Idee vom Lifeblog, teilweise zusammen mit dem Bloghoster Sixapart und erstaunlichen Spielereien aus den Abgründen des verfehlten Marketings. Andere wie die noch schlimmer krisengeschüttelten, gebenqten Siemensianer dachten sich wohl, das sie solche Dinge wie einen Blogging Client auch im Programm haben müssten. Irgendwie logisch angesichts des Standardchaos der Branche, wo gefälligst jedes Arschloch mit dem hauseigenen Klopapier abgewischt jeder Kunde mit eigenen Standards versehen werden soll, setzte dann O2 auf eine hauseigene Lösung, die man sich irgendwie nicht richtig anschauen kann. Und dann gibt es auch noch die Kooperation von Twoday.net und Vodafone.

Und, wenn wir mal ehrlich sind – alle zusammen veranstalten statt dem hauseigenen Klopapieraward eine mitteleuropäische Meisterschaft beim ins Klo greifen. Ich mein – keine 10 Einträge am Tag, sowas ist, mit Verlaub, definitiv nicht der Trend, den die hiesige Regionalliga der Hypespacken zusammenschreiben meinte von dem eine ganze Reihe bekannter Magazine berichtete. Inzwischen hält die Bagage in der Sache die Lügenmäuler hat sich das gelegt, immer nur die Blogs von Heiko Hebig und Nico Lumma als bekannter Beispiele heranziehen ist nicht so wirklich der beste Beleg für einen Siegeszug, den es nicht gibt. Daran ändern auch die extremen Ausnahmefälle wie die Tsunami-Katastrophe oder die Anschläge in London nichts. Moblogs sind noch nicht mal ein Randphänomen, und das ist auch logisch.

Denn Text ist bis heute nun mal der Hauptbestandteil der meisten Blogs. Das geht mit Handytastaturen miserabel, und es sieht auch nicht so aus, als ob sich da viel ändern würde. Und die Bilder der Photohandies, wenn man denn die verruckelten, farbfalschen JPEGs fünftklassiger Sensoren und windiger Plastikfestlinsen so nennen möchte, landen gemeinhin eher bei Flickr, da passen sie auch hin – und erscheinen dadurch auch, wenn man will, auch im Blog. Warum sollte man sich also von den Telcos in ihre “walled gardens” und ihre speziellen Formate sperren lassen?

Mir scheint – und das, so es stimmt, ist noch gravierender – im Kern ist eine Branche auf das eigene Marketinggesülze reingefallen. Es geht um die Vorstellung, dass man alles immer sofort loswerden will, dass Blogger alles sofort und ohne Wartezeit raushauen wollen, und dass sie vielleicht auch noch eine saucoole Nokia02siemensvodafone-C mmunity wollen. Teilweise sind das die Grundlagen für den Erfolg der SMS, aber ich glaube nicht, dass man das auf Blogger übertragen kann. Bloggen ist meistens “Berichten”, und das tut man am besten mit ein wenig zeitlicher Verzögerung, wenn man die Geschichte irgendwie verarbeitet und strukturiert hat. Und dann an einem ordentlichen Rechner mit normaler Tastatur sitzt, vielleicht auch noch Links einfügen kann und Kommentare beantwortet, im bereits existierenden Blog. Mobloggen ist technisch möglich – was fehlt, ist der Kunde, ganz gleich, ob er schon Blogger ist oder dadurch zum Moblogger wird. Und das, obwohl die Telcos an sich eine der grössten Erfolgsgeschichten der Wirtschaft des späten 20. Jahrhunderts geschrieben haben.

25.12.2005 | 10:58 von DonAlphonso

The Future that didnŽt happen in 05: I – Literaten bloggen

Ich kenne eine Handvoll Schriftsteller der jüngeren Generation, sei es, dass sie mit mit ihr Debut hatten, sei es, dass man sich auf Events, Lesungen und so weiter kennengelernt hat. Alle haben eine Email, alle haben meistens das Nortebook dabei, und in vielerlei Hinsicht ist das Internet auch eine Inspirationsquelle. Allen gemein sind auch die Klagen über den Betrieb: Die lahmen Verlage, die Zeitschriften, die keiner liest, die Probleme, auch mal kleinere Dinge zu machen und vor Publikum auszuprobieren. Jeder von denen weiss, dass es Blogs gibt, die meisten haben meines und die paar anderen Blogs von ISBN-bewehrten Leuten auch mal angeschaut. Kein Interesse.

Es gibt mit Sven Regener eine Ausnahme, auch wenn man ihn zu denen zählen kann, die laut Zeit-Online-Boss und ostelbischem Blogmolester f. Randow “regelrecht eingekauft” wurden. Es gibt noch ein paar altbloggende Schriftsteller, aber auch da sind Verluste zu vermelden. Es gab ein paar Blogs, wo jemand under cover blogte, aber die, die ich kenne, wurden bald wieder eingestellt. Vom Protoblog AmPool, von dessen Revival immer wieder geredet wurde, bleibt nur die geparkte Domain übrig. Gut, es gibt ein paar Blogger, die Books on Demand (BOD) veröffentlichen oder sich anderweitig mit Zuschussverlagen abgeben, was der Literaturbetrieb als solcher aber gar nicht mag.

Und damit sind wir auch schon bei den Gründen, warum nichts aus der Liebelei zwischen Blogs und Autoren wurde. Obwohl man damit seine Fans bei der Stange halten kann, öffentlich präsent ist, jederzeit auch die krudesten Texte ausprobieren kann und das Feedback der normalen Leser bekommt, das im Betrieb so selten ist. Es gibt in dieser Szene zwei grosse Vorurteile, das erste hat mit den BODs zu tun: Der Gedanke, man würde etwas umsonst schreiben, Texte verschenken, die im Betrieb normalerweise verwertet, sprich bezahlt werden. Texte eines Buches ins Netz einstellen, du lieber Himmel, wo kommen wir denn da hin. Der Marktwert von Autoren richtet sich im Betrieb nach den Prozenten, die sie bekommen, nach dem Vorschuss und der Auflage, den Preisen und besonders den Preisgeldern, man mag oft gar nicht glauben, wie bodenständig da plötzlich die Literaten sein können. So ein verschenkter Text jeden Tag ist das Gegenteil dessen, worauf einen der Betrieb polt. Und dann ist da noch das Misstrauen gegenüber dem Internet und den Lesern da draussen, die nicht durch die Eingangstür der Buchhandlung vorsortiert wurden. Im Gegenteil, man nimmt an, dass Leute, die viele Bücher lesen und den Hauptmarkt (in der Regel gebildete Frauen zwischen 30 und 60) ausmachen, eher selten im Netz sind. Im Netz sind die Chaoten, die Pornorunterlader, aber – nach Meinung meiner Bekannter – eben nicht die, die Bücher kaufen.

Daneben ist auch noch schlichtweg der Zeitmangel, und, vermute ich, schlichtweg die Angst, dass man da draussen nicht mehr der qua Verlag hierarchisch abgesicherte Könner ist, sondern von alles und jedem angelabert, verhöhnt, attackiert, gemobt und in jeder Hinsicht in der Lesergunst überholt werden kann. Das grundsätzliche Problem der Journaille, von der einseitigen Sender-Empfänger-Kommunikation auf eine Dialogkommunikation auf fast gleicher Augenhöhe umzustellen, betrifft die weitaus bessere Gesellschaft (Vorsicht Ironie) der Literaten im Fundament ihres Selbstverständnisses. Und tatsächlich gibt es in der Blogosphäre genug zu Recht oder zu Unrecht (bislang noch) verhinderte Schriftsteller, die mit ihren Kommentaren zum Bachmann-Wettbewerb und ähnlichen Eiertänzen des Betriebs eine wenig systemfreundliche Meinung vertreten.

Weshalb meines Erachtens auch 2006 die Literatenblogs eine Ausnahmeerscheinung sein werden. Es sei denn, es gibt ein einen Bloggerdebutanten, der auf Platz 1-5 der Spiegelbestsellerliste landet. Dann, dessen dürfen wir uns gewiss sein, kommt die Invasion der Nachahmer. Denn der Erfolg ist letztlich der einzige Treibstoff des Systems, in dem Literaten agieren. Für den Erfolg steigen sie mit Lektoren ins Bett, erdulden die Schwachköpfe in Klagenfurt und die neidischen Hunde der Journaille, von denen jeder zweite auch ein Manuskript rumliegen hat – dafür, so viel ist klar. würden sie sogar bloggen.

23.12.2005 | 1:25 von DonAlphonso

Bloggen nicht gut für PR

Es gibt ja so Leute, die dem Business Blogging grosse Chancen als emerging Market im Bereich der Corporate Communication zugestehen und bei jeder Gelegenheit, ob es passt oder nicht, die Leute mit ihren Ideen und Angeboten zuschwallen und sich mitunter auch nicht zu schade sind, hier von Big Business zu sprechen. Manche sind gar nicht so schlecht, andere versuchen “Monitoring” aka Überwachung zu promoten oder zu erklären, warum ein paar poplige Leser eines Business Blogs ihrer viele 100.000e umfassenden Community sowas wie ein Erfolg sind. So ein Pech aber auch, dass die potentiellen Kunden für solcherlei Networking-Sales-Events mit entsprechend hohen Kosten keine Lust auf sowas haben, was dann zu so einer knackigen Absage führt:

Sehr geehrte Referenten,
sehr geehrter Vorsitzender,

ich bedaure Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir die Weblogs-Konferenz vom
30.01. bis 01.02. absagen müssen.

Da sich trotz verstärkter Marketing-Maßnahmen zu wenig Teilnehmer
angemeldet
haben, mussten wir diese Entscheidung aus wirtschaftlichen Gründen
treffen.

Für Ihre freundliche und unterstützende Mitwirkung bei der Planung
der Konferenz bedanke ich mich nochmals recht herzlich!
Freundliche Grüßen aus dem Taunus und schöne Weihnachtstage!

XXXX XXXXX
Product Manager
___________________
IIR Deutschland GmbH
Postfach 1050
65836 Sulzbach/Ts

Noch nicht mal mehr Marketing hilft da, oh je. Bloggen als Seminarladenhüter. Was jetzt übrigens mal ein gutes Beispiel für die selbsternannte Blog-Stasi wäre, Krisenmonitoring zu betreiben, schliesslich liegt hier ein Leck vor und es ist sowas nicht das erste Mal, dass da jemand daheim bleiben muss – da wurden auch schon billigere Nummern mangels Interesse geshitcanned.

18.12.2005 | 3:36 von DonAlphonso

Taggen als asoziale Software für Webdepp 2.0

(Achtung RSS-Leser – der Text nimmt nach langer Einleitung überraschende Wendungen) Meine erste Erfahrung mit dem Internet war zu einer Zeit, als die Monitore noch schwarz-grün waren, in meinem Umfeld keiner den Begriff “Internet” kannte, die Floppies noch sehr gross waren und ein Professor wahnsinnig bestaunt wurde, als er an dem institutseigenen 9-Nadeldrucker einen kleinen Mitnahmecomputer anschloss, der nicht mal 7 Kilo wog. Kurz, es war Ende der 80er Jahre, und ich studierte im Nebenfach klassische Archäologie. In meinem Hauptfach ging die Literaturrecherche grob gesagt so: Man suchte alle Zeitschriften – und das war eine Menge in diesem Fach – auf die neuesten Artikel zum Thema durch, las sie, notierte sich die in den Fussnoten angegebenen Quellen, durchforstete die Literaturlisten, suchte diese Bücher in der Bibliothek und bahnte sich so seinen Weg durch das vorhandene Wissen. Oft merkte man, dass geschludert, gelogen oder erfunden wurde, wie das in der Wissenschaft nun mal so ist, es war anstrengend, aber nachher wusste man, womit man es zu tun hatte. Man kannte nachher seine Pappenheimer, und wenn Professor X. in seinem neuen Artikel schon Prof. Y. in Grund und Boden gelogen hatte, konnte man sich die Arbeit sparen, sich seine Habil zum gleichen Thema allzu heftig reinzuziehen. Nur – es dauerte im Hauptseminar locker 4 Wochen, bis man soweit war.

Im Nebenfach war alles viel lockerer. Man ging in einen Nebenraum, wo ein Computer stand, gab die nötigen Befehle ein, um ihn zum Laufen zu bringen, und dann verband sich dieser Computer über Internet mit einem Computer in Rom. In Rom ist das Deutsche Archäologische Institut mit der weltweit grössten Bibliothek zum Thema, und jemand hatte sich die Mühe gemacht, alle Bücher mit Schlagworten zu versehen. Man gab also seine eigenen Schlagworte zum Thema ein, und nach ein, zwei Stunden spuckte der Rechner einen Haufen Literatur zum Thema aus, die man auf den riesigen Floppies speichern, auf dem 9-Nadeldrucker ausdrucken und nachher in der Seminararbeit abtippen konnte. Arbeitserserparnis 3 Wochen, 6 Tage und 22 Stunden.

Wenn, ja wenn… da gab es zwei grosse Probleme: Problem 1 war die Verschlagwortung. Gute Bücher und Texte haben sehr viel Inhalt, Abschweifungen und Nebenstränge, die in der Regel nicht verschlagwortet wurden. Mitunter war das aber sehr gutes Wissen, das so durch den Rost fiel. Und das Aktuellste war oft noch nicht ausreiched verschlagwortet, oder ging in der riesigen Menge an anderer Bücher unter, die dann einen fetten Klotz meist veralteter, sehr allgemein gehaltener Literatur ergab.

Wenn man ein klein wenig kritisches Bewusstsein hatte, begriff man schnell, dass die Liste aus dem Rechner jenseits eines groben Überblicks nicht weiterhalf. Sie brachte nicht den aktuellen Stand, sie war unvollständig, und im Ergebnis fand man sich auf einem Depperlniveau wieder. Man bekam das, was irgendwie jeder schon wusste, was allgemein so gelabert wurde, aber begriffen hat man vom Thema so gut wie nichts. Der tolle Rechner lieferte im Kern den Mainstream in mittelmässiger Qualität, das Brilliante neben dem Blöden, die Lügner neben den Ehrlichen. Wer da nicht höllisch aufpasste, entdeckte den aktuellen Stand der Debatte nicht, stütze sich auf alten Scheiss oder sass mangels Kenntnis von Alternativen einer inzwischen revidierten Lehrmeinung auf. Einfach, weil man das rudimentäre Hilfsmittel des Schlagworts mit einer Methode verwechselte.

Und damit sind wir 26 Jahre im Web 2.0 angekommen, und bei den in der fortschrittlichen “Social Software” Blogosphäre ach so beliebten Tags und Tag Clouds. Die heute noch schlimmere Probleme haben als der Computer am DAI in Rom in grauer Vorzeit. Beispiel Begriffsproblematik: Nehmen wir an, ich habe damals was über Gallier in Kleinasien während des Hellenismus gemacht. Beim DAI gab es klare Regeln, mit welchen Begriffen ein Buch zu verschlagworten war, sprich, wenn ich Gallier und Kleinasien eingab, kam alles passend, bei Barbaren und Türkei kam herzlich wenig. Blogger haben schon bei der Schreibweise von Tags ihre Probleme: Tag? Tags? Tag Cloud? Tag Clouds? Schlagartig zerfetzt es den Begriff in vier einzelne Brocken in der Tag Cloud, unterschiedlich gross und mitunter entnervend, wenn man alles absuchen muss. Oder einen Klumpen übersieht. Abhilfe ist auch nicht, wenn man alle Schreibweisen als Tags einsetzt: Prompt gibt es vier fette Klöpse in der Cloud, die alles dominieren, auch wenn es in der Realität nicht so ist – andere Themen hatten dann halt das Pech, dass ein Tag ausreicht. Beim DAI bekam jeder von einer oberen Instanz die Schlagworte, die er verdiente – im Web 2.0 wird der gefunden, der am brutalsten die meisten Tags bei seinen Artikeln raushaut, und nicht der, der die besten Informationen hat. Tagspamming, baby.

Und dann ist da noch die Sache mit den unterschiedlichen Grössen der Begriffe in den Tag Clouds für die Nutzer. Ui, schau hie, da ist was Fettes, da ist was los, da rennen alle hin, da ist der Trend – das sagt die fette Schrift. Ganz gleich, wie es entstanden ist, und welche Beiträge oder Wiederholungen dahinter stehen. Der Nutzer bekommt das Gefühl, das Wichtige, das Relevante mitzubekommen, ein Blick reicht auch dem Analphabeten, Hauptsache gross, und man muss nicht weiter nachdenken. Da wird die Tagcloud zur Quotenmaschine, zu einem selbstverstärkenden Trendinstrument, ungefähr so sozial wie der Hype um die Dschungelshow oder Big Brother und anspruchsvoll wie eine Fernbedienung. Der alte Mainstream ist gross, das Neue dagegen schlabbert noch klein irgendwo im Eck, wer weiss, ob es überhaupt je gefunden wird, bei der Dominanz des Durchgekauten. Sozial ist das, was alle tun, selber denken ist nicht so wichtig, denn am Ende ist auch kein Professor, der einem den Kopf abreisst, wenn man ein halbes Jahr nur die immer gleiche Scheisse gelesen hat, nur weil der Rechner es eben so hirnlos verschlagwortet ausgespuckt hat, wie das Hirn des Benutzers funktioniert.

Im schlimmsten Fall ist Taggen so nicht “Finden statt Suchen”, sondern “Nachplappern statt Erkenntnis” und “Konsumieren statt denken”. Und asoziale Software, sowieso.